(Gegenwind 321, Juni 2015)
Olaf Scholz ließ sich am Abend der Bürgerschaftswahl am 15. Februar auf der Wahlparty der SPD feiern. Zwar hatte die zuvor allein regierende Partei mit 45,6 % der abgegebenen Stimmen knapp die absolute Mehrheit an Mandaten verpasst, aber Hamburgs Bürgermeister ließ keinen Zweifel aufkommen: Er wolle mit den Grünen koalieren, wie er dies im Wahlkampf für diesen Fall angekündigt hatte. Aber, so Scholz: Es sei klar dass es nur um „einen grünen Anbau an den erfolgreich regierenden Senat” gehen könne. Schließlich seien die Grünen auch nur von 12,3% der Abstimmenden gewählt worden.
Wenn der AfD nicht mit 6,1% der Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft geglückt wäre, hätte die SPD die Mandatsmehrheit bekommen und die Grünen wären in der Opposition geblieben. So aber stellen sie seit dem 15. April drei der in der Hansestadt SenatorInnen genannten Mitglieder der Landesregierung. In der Opposition befinden sich neben der bisher weitgehend unauffälligen Fraktion der AfD auch die immer noch von 15,9% der Wählenden angekreuzte CDU und die Linke, der 8,5% ihre Stimmen gaben. Die Wahlbeteiligung war auf einen Tiefstand von 56,5% der Stimmberechtigten gesunken, der unspektakuläre Wahlkampf zuvor von der Frage beherrscht, ob die SPD alleine oder mit einem Koalitionspartner ihre wirtschaftsfreundliche und ordnungsfixierte Standortpolitik fortführen würde (siehe Gegenwind 318).
Am 9. April stellten die beiden Spitzen der Delegationen der SPD und der Grünen nach sechswöchigen Verhandlungen einen 115-seitigen Koalitionsvertrag vor. „Hamburg wird weiter gut regiert”, verkündete der SPD-Landesvorsitzende und Verhandlungsführer Olaf Scholz mit breitem Lächeln: „Wir haben sehr sorgfältig, sehr lange und sehr gut miteinander verhandelt”. Dass er als alter Bürgermeister auch der neue werden würde, brauchte er gar nicht erst zu erwähnen. Ebensowenig, wie dass der Koalitionsvertrag sich über weite Strecken wie ein SPD-Parteitagsbeschluss liest. Katharina Fegebank, Landesvorsitzende der Grünen und erstmals zu dieser Wahl auch als deren Spitzenkandidatin nominiert, musste da schon mehr Wind machen, um zu versichern, dass die Vereinbarung „eine sehr deutliche grüne Handschrift” tragen würde: „Mit diesem Koalitionsvertrag wollen wir Hamburg in den kommenden fünf Jahren moderner, vielfältiger und vor allem grüner machen”, so die in ihrer Partei meist „Katha” genannte Fegebank. Es sei gelungen, „die traditionelle Stärke der SPD mit frischen Ideen der Grünen zu einem neuen Ganzen” zusammenzufügen. Diese nach einer PR-Agentur klingende Ausdrucksweise ist keine Besonderheit der Politikwissenschaftlerin, sondern der mittlerweile übliche Grünsprech in Hamburg. Dabei wird die Fraktion der Grünen anders als die der FDP mit ihrer Vorsitzenden Katja Suding gar nicht von einem Marketingprofi mit jahrelanger Erfahrung in PR-Büros geleitet.
Aber auch Katharina Fegebank weiß grüne Politik gut zu verkaufen. So fabulierte sie über eine „Ökologisierung des Hafens” als einem grünen Erfolg, weil ein paar Landstromanschlüsse für Containerschiffe geplant sind, der Binnenverkehr im Hafen vermehrt auf Schiff und Schiene verlegt werden soll und darum gebeten werden soll, dass die Hafenspeditionen schadstoffärmere LKWs einsetzen. Wer daran glauben will, sollte sich den Hamburger Hafen lieber nicht zu genau anschauen. Nicht so gerne sprechen Hamburgs Grüne, auch Fegebank, über die geplante neunte Elbvertiefung. Gegen die haben sich Hamburgs Grüne immer ausgesprochen, wenn sie in der Opposition waren, während ihrer bisherigen beiden Regierungsbeteiligungen in Hamburg - rotgrün von 1997 bis 2001, schwarz-grün von 2008 bis 2010 - haben sie sich an der Umsetzung und Planung der jeweiligen Elbvertiefungen beteiligt (Gegenwind 313).
„Die Koalitionspartner sind sich über die Beurteilung einer weiteren Elbvertiefung uneinig” wird auf Betreiben der Grünen unverbindlich im Koalitionsvertrag konstatiert, während auf Betreiben der SPD festgeschrieben wurde, sämtliche beteiligten Ressorts würden „alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um die zügige bauliche Umsetzung der Fahrrinnenanpassung zu erreichen”. Als Entschädigung für diesen rabiaten Eingriff in das Ökosystem Elbe wird der Anteil, den die „Stiftung Lebensraum Elbe” von der Hafengeld genannten Schiffsliegegebühr erhält, von vier auf fünf Prozent erhöht. Damit können dann neue Studien über die ökologischen Schäden finanziert werden und ein paar Stellen für BiologInnen geschaffen werden.
Die Umsetzung der Elbvertiefung wird Wirtschafts- und Hafensenator Frank Horch betreiben, einer der Autoren der Studie „Hamburg 2030”, in welcher die Handelskammer als Ziel Hamburger Politik forderte, „das wirtschaftliche und politische Zentrum Nordeuropas” zu werden - durch den massiven Ausbau der Infrastruktur, der Handelswege. Frank Horch war bei Veröffentlichung der Studie Anfang 2011 noch der Kammerpräses der Handelskammer - wenige Wochen später berief ihn der frisch gewählte Bürgermeister Olaf Scholz als parteilosen Experten zum Wirtschaftssenator. Diesen Posten hat Horch auch im neuen Senat mit grünem Anbau weiterhin inne und garantiert auch als Person eine kapitalfreundliche Politik im Sinne der Handelskammer.
Professor Hans-Jörg Schmidt-Trenz, jetziger Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, reagierte trotzdem mit Unverständnis „auf die explizite Uneinigkeit bei der Frage der Fahrrinnenanpassung”, die ihm trotz der Konsequenzenlosigkeit schon zu weit geht. Auch die im Koalitionsvertrag beschriebene reine Willenserklärung, „den Radverkehrsanteil in den zwanziger Jahren auf 25 Prozent zu steigern” geht ihm zu weit. Zwar geht es um nicht viel mehr als die Schaffung einer Koordinationsstelle zum Radwegebau und Sanierungsmaßnahmen, aber: „Gegenüber der ausgerufenen Fahrradstadt muss die Logistikmetropole Vorrang genießen, wenn die Wurzeln unseres Wohlstands weiter gedeihen sollen”.
Positiver sehen mit entgegengesetzten Erwartungen sowohl die Umwelt- als auch die Industrieverbände der Hansestadt die Koalitionsvereinbarung. Manfred Braasch vom BUND sieht die Möglichkeit, „nach den schwierigen Jahren der SPD-Alleinregierung wieder eine Umweltpolitik zu betreiben, die diesen Namen auch verdient”. Ob dies allerdings über einige wenige Vorzeigeprojekte und mehr Mittel für symbolische Naturschutzmaßnahmen hinausgeht, ist fraglich. Zumal der neue grüne Umweltsenator Jens Kerstan nicht müde wird zu beschwören, dass es um die „vielen kleinen Projekte gehe, die vereinbart worden seien” und nicht um große Grundsatzentscheidungen. Denn die bleiben bei den Ressorts der von der SPD nominierten SenatorInnen - und in der Richtlinienkompetenz des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz. Der Vorsitzende des Industrieverbandes Hamburg erklärte denn auch frank und frei, er sei „positiv überrascht, mit welcher Konsequenz der Bürgermeister am richtigen Kurs festhält”. Michael Westhagemann stellte zufrieden fest: „Wichtige Zielsetzungen bisheriger Senatspolitik werden auch mit grüner Regierungsbeteiligung fortgeführt.”
Der motorisierte Individual- und Wirtschaftsverkehr wird nicht durch die von den Grünen geforderte Wiedereinführung der „Stadtbahn” genannten Straßenbahnen eingeschränkt werden, auch eine autoreduzierte Umweltzone ist vom Tisch.
In der Innenpolitik wehrte der SPD-Senat zwei Jahre lang die Forderung der in Hamburg als Lampedusa-Flüchtlinge kollektiv auftretenden Gruppe nach einem Bleiberecht als Gruppe ab. Die Grünen unterstützten in der Opposition nominell die Proteste der Flüchtlinge. Jetzt stellen sie es als Erfolg dar, dass die Lampedusa-Flüchtlinge einzeln, und vor allem: ohne Garantie auf ein Bleiberecht neue Asylanträge stellen dürfen. Ähnlich negativ für die Grünen, um sich als etwas anderes als ein Bettvorleger von SPD-Bürgermeister und Handelskammer darzustellen, sind die Vereinbarungen zu den Anfang 2014 bundesweit bekannt gewordenen Befugnissen der Hamburger Polizeiführung, eigenmächtig und ohne richterliche, geschweige denn politische Überprüfung „Gefahrengebiete” auszuweisen, in denen Polizisten nach von ihrer inneren Führung festgelegten Kriterien bestimmte Personengruppen kontrollieren, durchsuchen und in Gewahrsam nehmen können. Die Praxis dieser „anlassunabhängigen” Polizeikontrollen soll in keiner Weise vom Senat eingeschränkt werden. Auch eine knastähnliche Unterbringung jugendlicher IntensivtäterInnen wird kommen, ein entsprechendes geschlossenes Heim soll eingerichtet werden. Auch bei der jahrelang auch von den Grünen in der Opposition erhobenen bürgerrechtlichen Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen ist nichts zu erwarten: Hier wurde nur vereinbart, mit den Polizeigewerkschaften darüber zu reden, die aber jede Identifizierbarkeit der BeamtInnen ablehnen.
Somit steht einer Verhängung von Gefahrengebieten und einem Einsatz anonymisierter PolizistInnen bei den zu erwartenden Protesten gegen die Olympiabewerbung Hamburgs von Regierungsseite nichts im Wege. Bei der Olympiabewerbung selbst blieb nichts so vage wie bei den Bürgerrechten: Die soll vom rotgrünen Senat offensiv betrieben werden, koste es was es wolle. Aber dafür nachhaltig und ökologisch verträglich.
Keine Rolle im Koalitionsvertrag spielt die zunehmende Verarmung in der Stadt. So wie der sozialdemokratische Sozialsenator Detlef Scheele den kurz nach der Bürgerschaftswahl Ende Februar veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bisher ignorierte, so ist von Armutsbekämpfung im Koalitionsvertrag nicht die Rede. Dabei stieg die Zahl der von Armut bedrohten, vor allem weiblichen Hamburgerinnen, im letzten ausgewerteten Berichtsjahr 2013 um 2,1 von 14,8 auf 16,9 Prozent. „Soziale Gerechtigkeit war im Wahlkampf kein Thema, muss aber in den Koalitionsverhandlungen ganz oben auf der Agenda stehen”, forderte Joachim Speicher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Die grüne Spitzenfrau Katharina Fegebank erklärte am gleichen Tag, noch im Wahlkampfmodus: „Wir wollen, dass sich die Politik in der neuen Legislatur um dieses Thema kümmert”. Kein Wort mehr war ihr die Armutsbekämpfung dann nach den Verhandlungen mit der SPD bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages am 9. April wert. Am 12. April forderte sie auf der in Gegenwind 320 beschriebenen Mitgliederversammlung der Grünen, welche dem Vertrag mit 2/3-Mehrheit zustimmte, „jetzt aus der Komfortzone Opposition herauszukommen” um „eine moderne und grüne Zukunft für Hamburg zu gestalten”. Am 15. April war sie sichtlich aufgeregt, als sie von Olaf Scholz zur Wissenschaftssenatorin und zur zweiten Bürgermeisterin ernannt wurde. Stolz und mit roten Wangen hielten sie, Umweltsenator Jens Kerstan und Justizsenator Till Steffen ihre Ernennungsurkunden in die Kameras. Angekommen.
Gaston Kirsche