(Gegenwind 313, Oktober 2014)
Hamburgs Hafenwirtschaft erwartet ungeduldig das für den 2. Oktober angekündigte Urteil über die Umweltverträglichkeit der seit 2012 durchgeplanten neunten Elbvertiefung. Im nationalen Wettbewerb um die tiefsten Wasserstraßen und größten Schiffe werden ökologische Bedenken nicht gern gesehen.
50 Meter breit und fast 400 Meter lang sind sie, die tiefwassergängigen Riesenfrachter, die demnächst auf der Elbe fahren sollen. Die Fahrrinne der Unterelbe soll dafür von Hamburg bis Cuxhaven von derzeit 15 Meter unter Seekartennull auf 17 Meter vertieft werden, um den größten Containerschiffen mit einem Tiefgang von 14,5 Metern und einem Ladevolumen bis zu 15?000 Standardcontainern die Einfahrt in den 136 Kilometer von der Nordsee entfernten größten deutschen Hafen in Hamburg zu ermöglichen. Reedereien und Hafenterminalbetreiber machen seit Jahren Druck für einen Ausbau von Europas meistbefahrener Wasserstraße.
Das Bundesverwaltungsgericht ist in erster und letzter Instanz für das bislang umfangreichste umweltrechtliche Gerichtsverfahren in Deutschland mit einer Vielzahl wasser- und naturschutzrechtlicher Streitpunkte zuständig. Dagegen klagen gemeinsam die etablierten Umweltverbände BUND, NABU und die Umweltstiftung WWF und in den Elbmarschen hinter den Deichen teilweise unter dem Meeresspiegel liegende Orte wie Cuxhaven und Otterndorf. Das Bundesverwaltungsgericht ist in erster und letzter Instanz für das bislang umfangreichste umweltrechtliche Gerichtsverfahren in Deutschland mit einer Vielzahl wasser- und naturschutzrechtlicher Streitpunkte zuständig. Reedereien und Hafenterminalbetreiber machen seit Jahren Druck für einen Ausbau von Europas meistbefahrener Wasserstraße: So beklagte Wei Jiafa, Chef von Chinas größter Reederei COSCO, gegenüber Angela Merkel bei ihrem Chinabesuch, dass die Elbe vor dem Hamburger Hafen für die größten chinesischen Containerschiffe nicht tief genug sei. Ein Urteil wird im Oktober erwartet.
Die Kläger befürchten weitere Schäden an der Elbe durch Wattverlust, Strömungszunahme, Sauerstoffmangel und Verlandung von für gefährdete Arten, Pflanzen und Tiere, existenziell notwendigem Gewässerlebensraum. „Wir haben uns mit den drei Umweltverbänden WWF, BUND und NABU zusammengetan, weil wir uns gemeinsam für einen besseren Gewässerschutz einsetzen wollen”, stellt Alexander Porschke, Vorsitzender des NABU, Naturschutzbund Deutschland e.V. Hamburg das „Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe” vor: „Durch die Elbvertiefung entsteht eine enorme Tideenergie, durch die entstehen Uferabbrüche, das Watt wird weggespült, dadurch werden Lebensräume zerstört. Die zusätzliche Tideenergie, die durch die Elbvertiefungen entsteht, produziert die großen ökologischen Schäden.” Durch die zunehmende Kanalisierung und Vertiefung der Elbe erhöht sich die Strömungsgeschwindigkeit und der Tidenhub, die Wasserstände bei Ebbe und Flut differieren stärker. Darunter leiden besonders die von seltenen Pflanzen und Tieren genutzten Flachwasserzonen im Uferbereich. „Schon die 1999er Elbvertiefung hat Auswirkungen, die den Lebensraum Elbästuar empfindlich beeinträchtigt haben”, so Hans Ewers vom Vorstand des NABU Schleswig-Holstein: „Ein Ästuar ist ein Flussgebietsmündungssystem. Der Elbästuar ist ein einzigartiger Lebensraum in Europa.” Ewers erklärt in der Haseldorfer Marsch, im Naturschutzgebiet Fährmannssander Watt an der Unterelbe etwas westlich von Hamburg, wie das einmalige Süßwasserwatt der Unterelbe endgültig zu verschwinden droht. Das Schlickwatt versandet durch die infolge der früheren Elbvertiefung höhere Fließgeschwindigkeit zu Sandwatt, dadurch geht Nahrung für Watt- und Zugvögel verloren, etwa die Wattwürmer. Der überaus seltene, nur im Watt der Unterelbe noch vorkommende Schierlingswasserfenchel stirbt ebenso ab, wie das Röhricht aus Binsen. Dadurch verschwindet die Rückzugsmöglichkeit für Jungfische, die bei Flut zwischen den Binsen Schutz gesucht haben. Uferschnepfen und Säbelschnäbler verlieren ihre Brutplätze. Ausweichmöglichkeiten gibt es für sie nicht, weil die Flächen abseits der Uferzone landwirtschaftlich oder anderweitig bereits genutzt wird. Und dass am Hamburger Hafen liegende große Süßwasserwatt Mühlenberger Loch wurde für die Werkserweiterung des Luftfahrtkonzerns Airbus bis 2003 teilweise zugeschüttet. Der Sauerstoffmangel im Fluss nimmt zu und erschwert den Flussfischen wie den Stinten, Aalen, Stören, Flundern und Finten das Leben. Horst Ewers erklärt eindrücklich, der Fluss „ist bereits bei den vergangenen Elbvertiefungen, insbesondere der von 1999, so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dass er seine eigentlichen Funktionen nur noch begrenzt ausüben kann. Die geplante neunte Elbvertiefung würde aus dem Fluss Elbe endgültig ein kanalartiges System machen.” Dabei ist das Ästuar der Elbe ein Gebiet von herausragender ökologischer Bedeutung, viele bedrohte Arten leben hier. „Wir befürchten, dass die nächste Elbvertiefung, vergleichbar mit der Entwicklung an der unteren Ems, das gesamte Flussökosystem zum Kippen bringen wird”, so Jörg-Andreas Krüger, stellvertretender Bundesgeschäftsführer des NABU. Nicht zu unterschätzen sind auch die Langzeitfolgen durch den permanenten Einsatz großer Saugbagger in der Elbe, um die Fahrrinnentiefe konstant zu halten: „Für die Wiederansiedlung des Störs werden Hunderttausende investiert und ein paar Kilometer weiter werden wertvolle junge Störe von den Baggern unkontrolliert geschreddert”, erklärte der Elbfischer Walter Zeeck.
In den niedersächsischen Landkreisen Cuxhaven Stade bis hin zum Obstanbaugebiet Altes Land wurde jahrelang gegen die Elbvertiefungen protestiert. Walter Rademacher aus Neuhaus an der Oste schrieb etwa in einem Aufruf zu einer Protestveranstaltung auf den Elbdeichen: „Wir machen damit auf die Schäden durch die letzte Elbvertiefung an Sielen, Deichen, Ufern, Vorland und Watt sowie auf die Verschlickung der Häfen und Nebenelben, die stärkere Versalzung der Elbe und des mit der Elbe in Verbindung stehenden Grundwassers, die Verschlechterung der Wasserqualität in der Elbe, den drastischen Rückgang der Fischbestände und die erhöhten Strömungsgeschwindigkeiten in der Elbe aufmerksam.” In dem Aufruf „Fackeln auf dem Deich” für eine Menschenkette von Cuxhaven bis Hamburg am 18. März 2008 forderte Rademacher: „Die Schäden an Sielen, Deichen, Ufern, Vorland, Watt und Häfen durch die letzte Elbvertiefung müssen beseitigt worden sein, bevor weiter vertieft wird. Wir fordern die Klärung der Ursachen für die Deichschäden durch unabhängige Untersuchungen und Deichsicherheit nach niederländischem Standard.”
Mit einer Versandung des Hafens hat auch Friedrichskoog an der Nordseeküste Süderdithmarschens zu kämpfen. Bereits die vorige CDU/FDP-Landesregierung hatte erklärt, die Kosten für die Aufrechterhaltung der Zugänglichkeit des Binnendeiches gelegenen Hafens Friedrichskoog nicht mehr tragen zu wollen. Die aus der Unterelbe für die Elbvertiefung ständig ausgebaggerten und in der Nordsee abgelagerten Sandsedimente lagern sich nach Beobachtung der FriedrichkoogerInnen infolge der Strömungsverhältnisse auch vor ihrem Hafen ab. Im Ort gibt es einen seit Jahren anhaltenden Protest für eine Instandhaltung des Hafens, in dem zwei dutzend Fischkutter registriert sind. So zieht der massive Eingriff in die Natur durch die massive Elbvertiefung schwerwiegende Folgen in der Natur selbst der angrenzenden Nordseeküsten nach sich.
Im Rahmen des bislang aufwändigsten Umweltrechtsverfahrens prüft das Bundesverwaltungsgericht jetzt, ob die Planungen zur Elbvertiefung mit dem Verschlechterungsverbot im Natur- und Gewässerschutzrecht der EU vereinbar sind. Denn die Unterelbe ist - trotz Verzögerungstaktik des vorherigen Hamburger Senates - als Europäisches Schutzgebiet gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie ausgewiesen worden und durch die Wasserrahmenrichtlinie der EU geschützt. „Die Unterelbe verträgt ökologisch keine weitere Vertiefung. Europäisches Naturschutzrecht verlangt, die Ökologie der Tideelbe zu verbessern. Die Elbvertiefung bewirkt genau das Gegenteil und verstößt daher gegen geltendes Recht”, so die Umweltverbände BUND, NABU und WWF in ihrer Klage.
Gegen die vom Bremer Senat für die innerstädtischen Bremer Häfen und Bremerhaven geplante Weservertiefung läuft bereits länger ein Prozess, in dem das Bundesverwaltungsgericht im Juli 2013 Fragen des europäischen Rechts zu Klärung an den europäischen Gerichtshof übertragen hat. Seit Juli wird in Luxemburg verhandelt, eine Entscheidung könnte Anfang 2015 fallen. Ein Urteil des EuGH in Sachen Weservertiefung könnte Rückwirkungen auf das Verfahren zur Elbvertiefung haben - letztendlich geht es in beiden Verfahren um die Frage, ob das europäische Umweltrecht wie bisher weiterhin hinter Profitinteressen der Hafenbetreibenden und der global agierenden großen Containerschiffsreedereien zurückstehen muss.
Denn über Hamburgs Kaikanten gingen alleine im ersten Halbjahr 2014 72,6 Millionen Tonnen Seegüter, davon 4,8 Millionen Standardcontainer. Der Verband der Hafenwirtschaft betont, für 10 % der Wertschöpfung in Hamburg zu sorgen, über 700 Millionen Euro Gewerbesteuer zu zahlen und 166.000 Lohnabhängige zu beschäftigen.
Der Standortkonkurrenz der deutschen Seehäfen ist es geschuldet, dass die Senate von Hamburg und Bremen um nahezu jeden Preis ihre Flüsse ausbaggern, vertiefen lassen wollen, um einen kleinen Vorteil im Buhlen um die Liniendienste der großen Containerschiffsreedereien zu erlangen.
Die ganze Absurdität der Hafenkonkurrenz zeigt sich am Jade-Weser-Port am Jadebusen vor Wilhelmshaven: Der mit 1,2 Milliarden Euro gebaute und am 21. September 2012 in Betrieb genommene Jade-Weser-Port ist konzipiert worden für Riesencontainerschiffe, er ist der erste echte, von Ebbe und Flut unabhängige Tiefwasserhafen in Deutschland. Mit 18 Metern Tiefgang zwar für die größten Pötte tidenunabhängig zugänglich, aber die kommen trotzdem nicht, weil sie von Bremerhaven und vor allem Hamburg umworben werden - bis hin zu Rabatt-aktionen: Statt der erwarteten 1,3 Millionen Container wurden dort im ersten Halbjahr 2014 gerade mal 39.000 umgeschlagen: ein bis zwei Containerriesen verlieren sich pro Woche an den gigantischen Kajen. Ein Hauptgrund hierfür: es fehlt die komfortable Hinterlandanbindung über die Schiene.
„Deutschland kann sich den unkoordinierten Ausbau von drei konkurrierenden Hafenstandorten nicht leisten - weder ökologisch noch ökonomisch”, erklärte das „Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe” mit nationalem Unterton. Die Verbände begründen dies mit einer Expertise des in Berlin ansässigen Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung IÖW, die erklären: Millionen Euro würden verschwendet, weil Hamburg, Bremen und Niedersachsen nicht miteinander, sondern gegeneinander arbeiteten: „So ist im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung vorgesehen, dass sowohl die Weser als auch die Elbe vertieft werden sollen, um dem Größenwachstum der Containerschiffe zu entsprechen”. Gleichzeitig sei aber der Jade-Weser-Port „bei Weitem unterausgelastet”. Ökologischer sinnvoller wäre es, ein gemeinsames Hafenkonzept der „Nordrange” ohne nationale Scheuklappen zu fordern: Der größte europäische Seehafen Rotterdam ist ebenso wie Antwerpen tiefseetauglich, gut per Schiene ans Hinterland angebunden und hat mit dem Ausbau Maasvlakte II Kapazitäten frei. Aus antideutsch-ökologischer Sicht eine gute Alternative zum umweltzerstörerischen deutschen Ausbaggerungswettbewerb, der sich ganz offen gegen die beiden Mitbewerber richtet, wie Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe erklärt: „Wir konkurrieren regional mit Häfen wie Rotterdam oder Antwerpen.” Dazu kommt keine Kritik von deutschen Umweltverbänden.
Vielleicht geht der Prozess zur Elbvertiefung vor den EuGH. Das deutete der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte am 15. Juli, dem ersten Verhandlungstag vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig an und verwies auf den Prozess zur Ausbaggerung der Weser. „Die Elbe ist leider kein Einzelfall: kein einziger der als Bundeswasserstraßen genutzten Flüsse ist in einem guten Umweltzustand”, so die Verbände. Laut Wasserrahmenrichtlinie soll bis 2015 an allen deutschen Flüssen ein sogenannter „guter ökologischer Zustand” wiederhergestellt sein. Dem steht es entgegen, die Elbe durch Ausbaggern noch mehr in einen Kanal für Dickschiffe zu verwandeln: „Unser Ziel sind lebendige Flüsse in Deutschland. Um eine gesunde Flussnatur an Elbe, Weser oder Ems mit der wirtschaftlichen Nutzung der Ströme in Einklang zu bringen, müssen Umweltbelange viel stärker gewichtet und schon am Anfang der Planungen besser berücksichtigt werden.”
Der Prozess um die geplante Vertiefung der Unterelbe vom Hamburger Hafen bis zur Einmündung des Flusses in die Nordsee hat so für beide Seiten einen hohen symbolischen Wert. Schon die Wahl der Bezeichnung gilt in der seit Jahren vom Hamburger Senat sowie Industrie- und Handelsverbänden zur Schicksalsfrage aufgeheizten Debatte in der Hansestadt als Bekenntnis: Wer das Ausbaggern des Flusses befürwortet, spricht von Fahrrinnenanpassung.
Eng angebunden an die Sichtweise der Hafenwirtschaft ist die Leitungsebene der Gewerkschaft, in der viele der im Hafen Arbeitenden organisiert sind, Ver.di, mit nahezu identischer Argumentation. Die Gewerkschaft Ver.di ist im Hafen im kooparativistischen Schulterschluss mit dem Management geübt. In kaum einem Bereich sind Betriebsräte so sehr Co-Manager wie in der Männerdomäne der Hafenarbeiter. Beispielhaft sei hier Arno Münster genannt, langjähriger Betriebsrat und -vorsitzender bei der HHLA, dem größten, mehrheitlich der Stadt gehörenden Hafenbetrieb. Er ist mittlerweile leitender Angestellter im Bereich Arbeitssicherheit - und Bürgerschaftsabgeordneter der SPD. Die meisten Betriebsräte üben sich in Standortpatriotismus für „unseren Hafen”. Der im April aufgrund seines autoritären Führungsstils zurückgetretene Landesbezirksvorsitzende von Ver.di, Wolfgang Abel, hatte etwa zuvor noch eine Diskussionsveranstaltung mehrerer Ver.di-Fachbereiche über Sinn, Zweck und Unsinn der Elbvertiefung abblasen lassen. Gewerkschaftsintern solle im Übrigen nicht von Elbvertiefung sondern von Fahrrinnenanpassung gesprochen werden. Abel machte ebenso wie die Sprecher des Hafenkapitals massiv Propaganda gegen die Umweltverbände, die es gewagt haben, gegen die Elbvertiefung zu klagen und fabulierte in einer Kundgebungsrede von „einigen wenigen völlig abgedrehten Ökopredigern, die zum Teil auf der Basis einer intellektuellen Zentralverriegelung argumentieren”. Der Hamburger Hafen hätte im Übrigen eine „vorbildliche Ökobilanz”. 2.000 Hafenarbeiter applaudierten Abel. Zuvor waren sie vom Hauptsitz der HHLA zum Rathaus gezogen - unterstützt vom Arbeitgeber, in ihrer Berufskleidung, mit Transparenten: „Ohne Fahrrinnenanpassung verlieren wir unseren Job” oder „Hamburg lebt vom Hafen”. Die Demonstration der Hafenarbeiter wurde unterstützt von den Parteien SPD, CDU und FDP sowie vom Unternehmensverband Hafen Hamburg. Es gehe um eine Schicksalsfrage für Hamburg, sagte der SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft, Andreas Dressel.
Bizarr wirkt der Schulterschluss von Ver.di mit den Chefs im Hafen angesichts der Widersprüche am Arbeitsplatz: in den letzten Jahren wurde die Arbeit enorm verdichtet, das Leistungspensum erhöht. Nachdem am 31. Dezember 2009 der 45jährige Hafenarbeiter Uwe Kröger während der Arbeit als Containerbrückenfahrer bei der Firma Eurokai an einer Herzattacke gestorben war, setzte sich die neugegründete kleine Hafengewerkschaft Contterm für die Witwe ein, nicht der von Ver.di dominierte Betriebsrat, so ihr Anwalt Rolf Geffken. Da die VanCarrierfahrer alleine in ihrer Kanzel sitzen, wurde Uwe Krögers Herzinfarkt erst spät bemerkt. Die Rationalisierung und zunehmende Arbeitsbelastung stehen in einem seltsamen Kontrast dazu, wie Ver.di, Kapitalseite und Hamburgs Senat den „Jobmotor Hafen” geradezu als beschäftigungsbringende Wohltat anpreisen. Selbst als während der Finanzkrise die Umschlagzahlen einbrachen - der Hamburger Hafen hat bis heute nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht - und es zu Entlassungen und Kurzarbeit kam, hielt Ver.di sich an den Burgfrieden mit dem Hafenkapital.
Als es Ende Juli zu einem Bummelstreik der Hafenarbeiter an Hamburgs größtem Containerterminal Burchardkai kam, erklärte Norbert Paulsen, seit März Betriebsratsvorsitzender des HHLA-Gemeinschaftsbetriebs, der unter anderem für den Burchardkai zuständig ist: „Es gab in den vergangenen Monaten keinen Bummelstreik oder Dienst nach Vorschrift am CTB, und es wird dies auch nicht geben.” Der Betriebsrat hat die Beschäftigten aber wohl doch nicht so diszipliniert im Griff, wie er gerne möchte: Nachdem eine Schicht hindurch langsamer gearbeitet wurde, ging es Ende Juli plötzlich ganz schnell mit Neueinstellungen, um das gestiegene Arbeitspensum zu bewältigen.
Im Kielwasser der Kapitalverbände forcieren ausnahmslos alle Hamburger Landesregierungen die Kanalisierung der Elbe, seien an ihnen nun CDU, SPD, FDP, die Grünen, Statt- oder Schillpartei beteiligt: Als die CDU 2008 nach dem Scheitern von FDP und Schillpartei einen neuen Koalitionspartner benötigte, erklärten die regierungswilligen Hamburger Grünen kurzerhand: Die Planung zur (dann 2012 von dem nächsten, von der SPD gestellten Senat beantragte neunten) Elbvertiefung sei schon zu weit gediehen, um sie abzublasen - und schwenkte um, akzeptierte das Ausbaggern des Flusses.
Wenn die Hafenwirtschaft es verlangte, wurde und wird die Elbe weiter ausgebaggert. In den letzten zweihundert Jahren von drei auf gegenwärtig noch 15 Meter unter Seekartennull. Die für die achte und bisher letzte, 1999 abgeschlossene, Elbvertiefung versprochenen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen sind noch nicht vollständig umgesetzt, die Erforschung der Auswirkungen auf den Fluss als Biotop noch nicht abgeschlossen, da wurde im April 2012 der 2600seitige Planfeststellungsbeschluss für die neunte Elbvertiefung veröffentlicht, an dem Hamburger und Bundesbehörden seit 2006 gearbeitet hatten. Im Januar erklärten beim „Hafengipfel des Hamburger Abendblatts” mehrere Vertreter der Hafenwirtschaft und der HSH-Nordbank, weitere Fahrrinnenanpassung auch nach der jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelten seien nicht auszuschließen: „Der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz,” der auch Generalbevollmächtigter des Terminalbetreibers Eurogate ist, habe, so die Zeitung, „deutlich gemacht, dass die aktuell geplante Fahrrinnenanpassung der Elbe nach seiner Auffassung nicht die letzte sein wird.” Ähnlich äußerte sich laut Abendblatt der SPD-Funktionär Thomas Mirow: „Die Größenentwicklung der Schiffe könne niemand absehen”. Mirow steht als Aufsichtsratschef der in der Schiffsbaufinanzierung sehr aktiven HSH-Nordbank und früherer Wirtschaftssenator für die hanseatisch reibungslos funktionierende Verquickung von Senat und Hafen.
„Die Hamburger Hafenwirtschaft setzt weiterhin auf Gigantomanie und Kirchturmpolitik, statt die Chancen einer norddeutschen Hafenkooperation zu erkennen. Die derzeit geplante Elbvertiefung ist bereits ökologisch nicht mehr vertretbar, und dennoch planen einige Herren schon einen weiteren Eingriff in die Elbe”, kritisierte Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND, ohne allerdings an ein ökologisch sinnvolles, grenzübergreifendes, die gesamte Nordrange über Rotterdam bis Antwerpen einbeziehendes Hafenkonzept zu denken.
Dass auf dem „Hafengipfel” auch eine Abschaffung des gesetzlich geregelten Verbandsklagerechts für Umweltorganisationen gefordert wurde, empörte den Vorsitzenden des Nabu in Hamburg, Alexander Porschke: „Wenn Hafenbosse den Umweltverbänden deshalb die Möglichkeit nehmen wollen, Planfeststellungen gerichtlich prüfen zu lassen, ist das wahrlich ein demokratisches Armutszeugnis.” Der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, CSU, erregte sich gleichfalls über die Wahrnehmung des Verbandsklagerechts durch BUND, Nabu und WWF: Er habe für deren Einwände „null Komma null Verständnis. Wenn diese Klagen aufrechterhalten werden, versündigt man sich an allen Interessen dieses maritimen Bereichs.” Auch Hamburgs Bürgerschaftsabgeordnete von CDU und SPD greifen die klagenden Umweltverbände und deren Aktionsbündnis „Lebendige Tideelbe” an, etwa Hafenexperte Olaf Ohlsen, CDU: „Mit ihrer verbohrten Ideologie gefährden die Umweltverbände Tausende Arbeitsplätze und nehmen damit einen massiven Schaden für unsere Stadt in Kauf. Offensichtlich ist den Verbänden die Zukunft unserer Stadt völlig egal. Sie sollten sich schämen.” Oder Jan Balcke, Fachsprecher der SPD-Fraktion für Wirtschaft: „Ein Verzicht auf die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe hilft nur den ausländischen Häfen in Antwerpen und Rotterdam.” Dann doch lieber schöne Flüsse in Deutschland zerstören, als sich am nationalen Interesse zu versündigen.
Gaston Kirsche
Internetseite der Aktionsgemeinschaft Lebendige Tideelbe: www.lebendige-tideelbe.de/