(Gegenwind 194, November 2004)
Ein wenig hilflos wirkte die Demonstration und Kundgebung am 25. September in Kiel schon: Der "Werftenverbund" unter der Führung von Thyssen war und ist beschlossene Sache, und die rot-grüne Bundesregierung hatte das auch immer gefördert. Die Einzelheiten waren noch nicht klar, aber eine Großwerft mit drei Standorten gründet sich ja unter anderem, um Geld zu sparen. Die logische Idee: Alle Schiffe sollten in Emden gebaut werden, alle U-Boote in Kiel, Planung und Verwaltung sollten in Hamburg konzentriert werden, wo auch ein bisschen Schiffbau und Reparatur bleiben soll. Dann müssen nur noch tausend Leute entlassen werden, und schon spart die Fusion dem Konzern Geld.
Die Erhaltung der Arbeitsplätze auf HDW durch die Erhaltung des gesamten Spektrums an Produkten und Tätigkeiten war die Forderung der IG Metall, die zur Demonstration am 25. September aufgerufen hatte. Und gekommen waren nicht nur Tausende von Werftarbeitern mit ihren Familien, sondern auch Politikerinnen und Politiker aller Parteien. Alle bekräftigten ihre Unterstützung für die Forderungen und die Erhaltung der "Vollwerft" in Kiel, vermieden es aber, allzu konkret auf die bereits früher gefällten Entscheidungen einzugehen.
HDW ist ein Musterbeispiel eines früheren Staatsbetriebes, der jetzt privatisiert ist. Natürlich musste sich die Landesregierung damals fragen, ob es denn ihre Aufgabe ist, Mitbesitzerin einer Werft zu sein. Aber mit der damaligen Privatisierung verzichtete sie eben auch auf ihren Einfluss - der kann im Kapitalismus nicht durch die Beteiligung von Ministerpräsidentin und Wirtschaftsminister an einer Gewerkschaftsdemonstration wettgemacht werden.
Verkauft wurden die Landesanteile damals an den (staatlichen) Salzgitter-Konzern, von dort aus wanderten sie aber weiter. Entscheidend war Ende November 2001 die Übernahme der Anteile von der Preussag durch den Babcock-Konzern, eine Tochter eben dieser Preussag (heute: TUI). HDW verfügte damals über eine Milliarde D-Mark Bargeld, das waren Vorauszahlungen von Kunden. Dieses Geld wurde dem Babcock-Konzern geliehen, der kurz danach ankündigte, er sei in finanziellen Schwierigkeiten. Im März 2002 verkaufte Babcock einen Anteil von 25 Prozent an HDW an die Investment-Gesellschaft "OEP" (One Equitiy Partners) in den USA. Am 25. Juni 2002 verzichtete die Babcock-Belegschaft auf 50 Millionen Euro an Löhnen, um den Konzern zu retten - der aber 10 Tage später Insolvenz anmeldete. 2003 schließlich verkaufte der Insolvenzverwalter HDW ganz in die USA, allerdings unterschrieb OEP im Kaufvertrag, dass sie 30 Prozent der HDW-Anteile den deutschen Konzernen Thyssen und Ferrostahl anbieten würde. Der Preis lag nach Angaben des Spiegel bei 814 Millionen Euro.
Dieses ganze Geschäft war mehr als merkwürdig und wird noch auf absehbare Zeit Gerichte beschäftigen. Denn "Strippenzieher" war die WestLB, die Landesbank von Nordrhein-Westfalen. Sie saß einerseits in den Aufsichtsräten von Preussag und Babcock, andererseits war sie auch Kreditgeberin von Babcock. Und nachdem Babcock HDW gekauft und um ihr Barvermögen gebracht hatte, war es die WestLB, die weitere Kredite verweigerte und damit den Insolvenzantrag veranlasste.
Für HDW war aber entscheidend, dass durch den zweifachen Besitzerwechsel eine halbe Milliarde Euro vom Konto verschwanden.
Merkwürdig war in diesem Zusammenhang auch, dass HDW den "Kredit" von Babcock nicht zurück bekam, sondern die Forderung an die OEP abtrat. Das behauptet jedenfalls Babcock heute und unterstellt damit HDW, seinen Verkauf an OEP selbst finanziert zu haben. HDW gab jedenfalls bekannt, im Jahre 2003 eine Liquiditätslücke von 240 Millionen Euro und bis Juli 2004 eine Lücke von 455 Millionen Euro zu erwarten. OEP gab einen "Kredit" von 400 Millionen Euro und bot HDW gleichzeitig zum Verkauf an.
Dass wir uns im Gegenwind mit HDW beschäftigen müssen, hat auch einen direkten Grund: Unser Büro liegt in der Schweffelstraße. Und es war schließlich der Namensgeber Johann Schweffel, der gemeinsam mit August Ferdinand Howaldt 1838 eine Maschinenbaufirma namens "Schweffel &Howaldt" gründete. 1851 wurde hier der "Brandtaucher" gebaut, das erste deutsche U-Boot. Auf der ersten Probefahrt in der Kieler Förde konnte es zwar wie geplant tauchen, aber nicht wieder auftauchen. Schweffel stieg aus dem Unternehmen aus, das später nur noch nach Howaldt benannt wurde, übrig blieb unsere kleine Straße als Erinnerung.
Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden bei Howaldt fast 500 Schiffe. Während des Krieges wurde sie komplett auf Kriegsschiffbau umgestellt, nach dem Versailler Vertrag ebenso radikal auf reinen Zivilschiffbau. Damals waren hier 24.000 Arbeiter beschäftigt, eine Zahl, die bis 1990 auf 5.000 und bis heute auf 3.000 sank. Im Jahre 2005 wird sie bei 2.500 Beschäftigten liegen.
Der Weltmarkt im Schiffbau ist stark monopolisiert. Über 80 Prozent aller Handelsschiffe werden heute in Südkorea und China gebaut. Beide Staaten haben große Kapazitäten aufgebaut, und zwar aus Steuergeldern, weshalb in der Welthandelskonferenz Klagen der EU gegen diese Wettbewerbsverzerrung laufen. Gerade Südkorea wird auch beschuldigt, Schiffe unter Preis anzubieten, um Konkurrenten in den Konkurs zu treiben, und die Verluste mit Subventionen auszugleichen.
Die Zahl der deutschen Werftarbeiter ist von rund 22.000 im Jahre 2002 auf unter 19.000 heute gesunken. Seit 1990, als es noch ungefähr 60.000 Werftarbeiter gab, ist dies ein Rückgang um zwei Drittel - dabei wurden in Ostdeutschland über 85 Prozent der Werftarbeiter entlassen, im Westen immerhin fast 45 Prozent. Diejenigen, die ihre Arbeit bisher behalten haben, wurden aber stark unter Druck gesetzt, einem Lohnverzicht zuzustimmen. So gibt es bei HDW schon lange nur ein geringes Weihnachts- und Urlaubsgeld, und jedes Jahr leistet jeder Arbeiter 276 Überstunden unbezahlt bzw. verzichtet auf das Abbummeln angeschriebener Überstunden der Vorjahre. Das sind pro Beschäftigten rund 2500 Euro Spende an HDW im Jahr.
Profitabel ist eigentlich nur der U-Boot-Bau: Bei den nicht-atomaren U-Booten hat HDW einen Weltmarktanteil von rund 50 Prozent und ist auch technologisch führend. Gerade gibt es eine neue Baureihe, die durch Brennstoffzellen-Antrieb besonders lange tauchen kann und fast nicht hörbar, damit auch nicht aufspürbar ist.
Kriegsschiffe brauchen in Relation zu ihrem Auftragswert wenig Arbeitskräfte, hier geht es aber anders als bei Containerschiffen und Tankern nicht darum, der billigste Anbieter zu sein. Kriegsschiffe sollen ja auch Schlachten gewinnen, deshalb ist die Qualität ein gewichtiges Argument und die Akzeptanz eines Preises eine politische Entscheidung. Bezahlen tun das schließlich unmündige SteuerzahlerInnen.
Handelsschiffe bedeuten, in Kiel gebaut, für die Werft einen Verlust. Sie sind vergleichsweise arbeitsintensiv. Deswegen bemüht sich die Werft um öffentliche Hilfen (wieder Steuergelder) zum Ausgleich der Verluste und nutzt solche Aufträge, um die eigene Belegschaft zwischen zwei Rüstungsaufträgen zu beschäftigen und insbesondere Spezialisten auf der Werft zu behalten. Unterhalb einer bestimmten Personalstärke, wie sie HDW bald erreicht hat, ist die Annahme größerer Zivilaufträge ein Problem. Zwar beschäftigt HDW nach mehreren Massenentlassungen bis zu 2000 Arbeiter von Leihfirmen, die sind aber mit eingearbeitetem Stammpersonal nicht zu vergleichen.
In der neuen EU-Verfassung, die 2005 verabschiedet werden soll, ist die Verpflichtung zur Aufrüstung festgeschrieben. Es soll eine EU-Behörde eingerichtet werden, die den Aufbau der notwendigen Rüstungskonzerne koordiniert.
Auf dem Luftfahrtsektor ist ein solcher Konzern schon entstanden. Die EADS operiert europaweit und soll irgendwann in der Lage sein, mit US-amerikanischen Flugzeugbauern zu konkurrieren.
Auf dem Schiffbausektor gibt es inzwischen zwei konkurrierende Kerne eines möglichen europäischen Konzerns: Die französische "Thales Naval" ist weltweit führend bei der Ausrüstung von Marineschiffen mit elektronischen Systemen. Sie ist dabei, sich mit der staatlichen Werft DCN zusammenzutun, dem härtesten HDW-Konkurrenten beim U-Boot-Bau. Man arbeitet mit britischen Firmen zusammen und hat angeblich seit neuestem den Auftrag, einen britischen Flugzeugträger zu bauen.
Dagegen steht jetzt Thyssen mit dem Werftenverbund aus HDW, Blohm &Voss und den Nordseewerken. Nach dem Konkurs der Bremer Vulkan waren das die drei verbliebenen Großwerften in Deutschland. HDW besitzt Tochterfirmen in Schweden und Griechenland, der Verbund bemüht sich um spanische und portugiesische Werften. Um genau diesen Verbund in Deutschland zu verhindert, hatte Thales angeblich den OEP 800 Millionen Euro für HDW geboten, wie Die Welt am 12. Juli 2003 berichtete. Das war zwar weniger als der Kaufpreis, den OEP bezahlt hatte, aber mehr als der Marktwert. Denn HDW hatte um diese Zeit mit einem Großauftrag Pech. Sechs "Superfast"-Fähren waren mit einem Verlust von 40 Millionen Euro kalkuliert worden. Doch es gab Probleme mit den Motoren, in der Folge starke Verzögerungen bei der Auslieferung und letztlich einen Verlust von vermutlich 350 Millionen Euro, fast neunmal so viel wie kalkuliert.
Eine europäische Fusion führt eher in Frankreich als in Deutschland zu Sorgen. Die Staatswerft DCN schafft mit 13.500 Beschäftigten einen Umsatz von 2 Milliarden Euro, für den der deutsche Verbund nur 4500 Beschäftigte benötigt.
Der Werftenverbund geht jetzt unter Führung von Thyssen (75 Prozent) und der OEP, die 25 Prozent der Anteile als Bezahlung für HDW erhielt, daran, den Konzern zu rationalisieren. Nach der Ankündigung, dass in Kiel nur noch U-Boote gebaut und deshalb 1000 Leute entlassen werden sollten, lautet jetzt das "Angebot", rund 400 Leute zu entlassen und den Bau von Handelsschiffen bei HDW auf eine neu zu gründende Firma zu verlagern. Diese könnte dann eigene Tarifverträge verhandeln und auch getrennt von HDW Konkurs anmelden - oder damit drohen, um Subventionen zu bekommen. Für die Beschäftigten ist das nur wenig besser als die angedrohte sofortige Entlassung, sie wehren sich auch dagegen.
Doch das Bild, dass PolitikerInnen aller Parteien durch ihr Erscheinen auf der Demonstration boten, bekam in dieser Frage schon Risse. Denn insbesondere Kiels Oberbürgermeisterin Volquartz zeigte schon Verständnis für die Aufspaltung in zwei Firmen.
Reinhard Pohl
Siehe dazu auch: