(Gegenwind 174, März 2003)
Der Aufkauf der Howaldtswerke Deutsche-Werft (HDW) durch die US-amerikanische Aktiengesellschaft One Equity Partners (OEP) ist eine Übernahme mit weitreichenden Konsequenzen. Für die US-Regierung tut sich damit die Möglichkeit auf, gegen den offiziellen Willen der deutschen Regierung die versprochenen acht konventionell betriebenen U-Boote nach Taiwan zu liefern. Außerdem könnte mittelfristig die weltweit führende Technologie von HDW bei konventionell betriebenen U-Booten in den Besitz US-amerikanischer Rüstungskonzerne gelangen. Für die Pläne der europäischen Rüstungskonsolidierung wäre das ein herber Schlag. Die deutsche Regierung droht in der Frage des Exports deutscher Rüstungsgüter nach Taiwan zum hilflosen Zuschauer degradiert zu werden.
Im Zuge der Europäisierung der Rüstungsindustrie bot HDW für die Bundesregierung zunächst glänzende Perspektiven. Die größte deutsche Werft hat einem Umsatz von 750 Millionen Euro (Geschäftsjahr 2000) und ist bis mindestens 2007 ausgelastet.
Neben der nationalen Konsolidierung durch starke Kooperation und die geplante Verschmelzung der Haupteigentümer der größten deutschen Werften, Babcock Borsig und ThyssenKrupp, war HDW auch auf europäischer Ebene im Rennen um die Pole Position.
HDW hält 100 Prozent an der Schwedischen Kockums AB und hatte 2001 im Konsortium mit der Ferrostaal AG die staatliche Griechische Werft Hellenic Shipyards Co übernommen. Dazu kommen Kooperationsverträge mit der italienischen Fincantieri Spa. (Triest) und der spanischen IZAR-Gruppe.
Zu Beginn seiner Amtszeit hatte US-Präsident George W. Bush angekündigt, Taiwans Freiheit zu verteidigen, "was immer es kostet".1 Im April 2001 versprach er der Regierung Taiwans acht konventionell betriebene U-Boote. Und das, obwohl die US-amerikanische Rüstungsindustrie seit 40 Jahren nur noch atomar betriebene U-Boote herstellt und nicht über die entsprechende Technik für konventionell betriebene U-Boote verfügt.
Die führenden Hersteller konventionell betriebener U-Boote sind Deutschland, die Niederlande und Italien. Alle drei Länder haben sich deutlich gegen einen Export von U-Booten an Taiwan ausgesprochen.2
Die Bundesregierung begründet dies mit ihrer Ein-China-Politik. Demnach repräsentiert die Volksrepublik China den einzigen chinesischen Staat, den Deutschland anerkennt. Taiwan wird als ein Teil Chinas angesehen, weshalb Waffen nur an China verkauft werden dürfen.
Nach dem Versprechen der US-Regierung an Taiwan hatte die Bundesregierung dann auch erklärt, ein Export deutscher U-Boote nach Taiwan komme wegen des Konflikts mit China nicht in Frage. Sie verbot vorbeugend deutschen Konzernen den Export von Rüstungsgütern nach Taiwan.3
Allerdings wäre für die taiwanesische Regierung die deutsche Werft HDW der bevorzugte Lieferant. Schon mehrfach betonte sie ihr Interesse an deren U-Boot "U 31". Dieses nach Aussage des Herstellers "modernste nichtnukleare Unterseeboot der Welt"4 hat einen neuartigen außenluftunabhängigen Brennstoffzellen-Antrieb, der das U-Boot zu wochenlangen Unterwasserfahrten befähigt. Die bisherigen konventionell betriebenen U-Boote leisteten dagegen nur zwei Tage Unterwasserfahrt am Stück. Da die Brennstoffzelle weder Geräusche noch Abgaswärme erzeugt, ist die U31 außerdem faktisch nicht zu orten.
Seit dem Versprechen von Bush tauchen immer neue Spekulationen auf, wie dieses Geschäft trotz des "Nein" der Bundesregierung zustande kommen könnte.
Im Februar 2002 wurde dann überraschend angekündigt, dass der US-amerikanische Finanzinvestor One Equity Partners (OEP) die Mehrheitsanteile an HDW übernehmen wolle.
Am 11. März 2002 kaufte OEP, Tochterunternehmen der Bank One Corporation, der sechstgrößten US-Bank mit Sitz in Chicago, die Anteile der Preussag AG (30 Prozent minus 1 Aktie) und die Anteile der BayernHypo (20 Prozent). Die Babcock Borsig AG (BBX), bis dato mit 50 Prozent plus 1 Aktie Mehrheitsaktionär, verkaufte 25 Prozent an OEP. Damit hatte OEP 75 Prozent minus 1 Aktie an HDW, BBX behielt 25 Prozent plus 1 Aktie.
Im September 2002 verkaufte dann die - mittlerweile zahlungsunfähige - Babcock Borsig AG die restlichen 25 Prozent plus 1 Aktie von HDW an OEP, das damit zum Alleineigentümer der Werft wurde.
Damit ist HDW de facto ein US-Konzern, womit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden könnten:
Die Konsolidierungspläne der deutschen Regierung haben sich für den Marine-Bereich erst mal erledigt, denn selbst das Bundesverteidigungsministerium ging bereits im Juni davon aus, dass in Zukunft eine amerikanische Rüstungsfirma etwa 20 Prozent der Anteile an HDW halten wird.5 Und mit ein paar Tricks könnte sich so möglicherweise das Taiwan-Geschäft gegen den offiziellen Willen der Bundesregierung arrangieren lassen.
Umso erstaunlicher, dass sowohl die Regierung als auch die EU-Kommission erklärten, an der Geschichte nichts Beunruhigendes zu erkennen.
Die EU-Kommission genehmigte am 30.5.2002 das Geschäft mit der Begründung, die Untersuchungen hätten ergeben, "dass diese Übernahme keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen haben wird, da sie zu keinen Überschneidungen zwischen den Tätigkeiten der Parteien in der Europäischen Union führt. Außerdem hat die eingehende Untersuchung der Kommission keinerlei Verbindungen zwischen Bank One und amerikanischen Herstellern von Militärausrüstungen in Bezug auf den Erwerb der HDW und auch keine Anzeichen dafür ergeben, dass andere Unternehmen an der Finanzierung dieser Übernahme beteiligt waren."6
Das Bundeswirtschaftsministerium wischte wettbewerbsrechtliche oder rüstungspolitische Einwände mit der Feststellung weg, dass es sich bei den USA schließlich nicht um einen Schurkenstaat, sondern um eine befreundete Nato-Nation handle.7
Es scheint jedenfalls, als hätten die Verantwortlichen in EU und Regierung kollektiv beschlossen, die Zusicherungen der OEP arglos zu schlucken, die versprach, HDW als unabhängige deutsche Universalwerft zu erhalten und sich nicht in das operative Geschäft einzumischen. Des weiteren wurde offiziell eine Übertragung von Marinetechnik-Know-how ausgeschlossen. Den Weg ins Vertragswerk fand auch das Verbot des Weiterverkaufs der verbleibenden Anteile durch OEP vor Ablauf von zwei Jahren und ein Vorkaufsrecht für deutsche Interessenten für weitere drei Jahre.8
In den Medien gab es andere Ansichten über die Zusammenhänge - es wurde über mögliche Verknüpfungen mit Northrop Grumman und General Dynamics, zwei amerikanischen Rüstungskonzernen, spekuliert. Das Handelsblatt schrieb dazu am 2.6.20002: "Niemand sollte so naiv sein, zu glauben, dass die Kapitalgeber aus Chicago tatsächlich nur an der Rendite der HDW interessiert sind. Auf den Einstieg der Investorengruppe wird über kurz oder lang eine enge Kooperation des deutschen Marineausrüsters mit den amerikanischen Rüstungskonzernen Northrop Grumman oder General Dynamics folgen. Innerhalb weniger Jahre könnten die stolzen deutschen Schiffbauer dann zur verlängerten Werkbank von US-Auftraggebern degradiert werden."
Da U-Boote doch etwas anderes sind als Autos oder Bananen, kann man davon ausgehen, dass die Bundesregierung sich über die Tragweite der Transaktion im Klaren ist. Als logische Konsequenz würde man den Versuch der Regierung erwarten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, gegen das Zustandekommen einzuschreiten. So hätte sie zum Beispiel nach EU-Recht aus Gründen der nationalen Sicherheit die Transaktion verhindern können. Doch weder der Kanzler noch seine Minister sahen hier Handlungsbedarf.
Fragen wirft ein Bericht des Handelsblattes vom 3.6.2002 auf. Dort wird unter Berufung auf Berliner Regierungskreise von einem Gespräch von noch-HDW-Chef Klaus Lederer im Kanzleramt berichtet, in dem Lederer erklärt haben soll, "der Verkauf an OEP diene dazu, der HDW über den Umweg USA die Lieferung acht konventioneller U-Boote an Taiwan zu ermöglichen. Das Kanzleramt habe keine Einwände dagegen gehabt." Kanzler Gerhard Schröder behauptete daraufhin, er wisse von keinem Gespräch.9 Offiziell dementiert wurde aber bis heute weder das Stattfinden des Gesprächs noch dessen Inhalt.
Bereits wenige Stunden nachdem Brüssel Ende Mai 2002 das Okay für die Übernahme von 75 Prozent plus 1 Aktie durch OEP gegeben hatte, ließ OEP-Chef Richard Cashin bereits verlauten, es gebe Verhandlungen mit Northrop Grumman und General Dynamics, deren Ziel eine Partnerschaft zwischen HDW und den Rüstungskonzernen sei.10
Nach dem kompletten Aufkauf von HDW durch OEP schlossen HDW und Northrop Grumman eine Vertriebsvereinbarung ab, die die Vermarktung von U-Booten durch Northrop Grumman in Regionen beinhaltet, in denen HDW noch nicht vertreten ist.
Der Chef des US-Rüstungskonzerns Northrop Grumman, Kent Kresa räumte bald schon offen ein, "dass hinter der Kooperation mit der Kieler HDW-Werft das Interesse steht, U-Boote der Kieler Werft HDW an Taiwan liefern zu wollen. »Dort liegt ein interessanter Markt, den wollen wir bedienen«, sagte Kresa gegenüber dem Handelsblatt. Zur Zeit würden Gespräche mit der Bundesregierung geführt, unter welchen Umständen Exporte möglich seien. Dies sei aber eine Angelegenheit zwischen HDW und der Regierung. »Falls die Bundesregierung keine Zustimmung gibt, existieren Alternativen in und außerhalb Europas«, betonte Kresa."11
Wie weit die Pläne für das Taiwan-Geschäft schon gediegen sind, wird deutlich daran, dass HDW-Aufsichtsratskreisen zufolge die U-Boote an Taiwan in den Planrechnungen bis 2008 schon eingerechnet sind.12
Zunächst einmal betreiben die Konzerne ihre Kooperation aber auf einem anderen Feld: ein Zusammenarbeits-Abkommen wurde zwischen der schwedischen HDW-Tochter Kockums AB und Northrop Grumman Ship Systems (NGSS) vereinbart. "Diese Vereinbarung bedeutet, daß Kockums Mitglied eines Teams ist, das Northrop Grumman gebildet hat, um sich den Auftrag der US-Navy für Tarnkappenschiffe zu sichern, der zur Zeit in den USA verhandelt wird."13
Mittelfristig kann die Bundesregierung ihr Ziel eines einzelnen deutschen Produzenten von Marinesystemen mit dominanter Rolle in Europa begraben. Dass HDW mehrheitlich in US-Hand bleibt und über kurz oder lang ein amerikanischer Rüstungskonzern bei HDW einsteigen wird, gilt als sicher.
Eigentlich hat hier die EU-Kommission noch ein Wörtchen mitzureden. "Jede neue Transaktion, an der HDW beteiligt ist, muss bei den Wettbewerbsbehörden erneut angemeldet werden", erklärte ein Sprecher der Kommission.14 Deren Befugnisse sind allerdings auf wettbewerbsrechtliche Fragen beschränkt.
Spannend bleibt weiterhin die Frage des Taiwan-Deals. Während HDW-Vorstandsmitglied Haun bereits davon ausgeht, dass das Geschäft nicht mehr aufzuhalten ist15, hat die Bundesregierung bisher keinen Meinungsumschwung in der Frage verkündet. Und während die umstrittenen U-Boote schon in den HDW-Planungen stehen, droht Northrop Grumman-Chef Kent Kresa der Bundesregierung, es bestünden "Alternativen in und außerhalb Europas".16
Die Bundesregierung betonte in dieser Frage immer wieder, dass für Rüstungsexporte auch ihre Zustimmung mit dem Endverbleib der Produkte notwendig sei, und auch ein Export der HDW U-Boote über Umwege nach Taiwan nicht zu machen sei.
Komplizierter wird die Sache, wenn bei einer Kooperation Teile in den USA produziert und dann in die deutschen U-Boote eingebaut werden. Dann gilt nämlich auch das amerikanische Rüstungskontrollgesetz, das heißt, die US-Regierung hätte dann ein Mitspracherecht.
Es sieht so aus, als liefe der Verkauf von HDW an OEP den Interessen der deutschen Regierung zuwider. Die Regierung hatte eine Konsolidierung des Europäischen Rüstungsmarktes (U-Boote) unter deutscher Führung angestrebt, die HDW-Technologie ist weltweit führend. Von daher erscheint die betont unbesorgte Haltung der Regierung und der Ministerien für Wirtschaft und Verteidigung zumindest fragwürdig.
Raum für Spekulationen lässt die offizielle Haltung der Regierung zum Taiwan-Geschäft. Gerhard Schröder war Anfang der neunziger Jahre als Ministerpräsident von Niedersachsen noch heißer Verfechter von Rüstungsexporten nach Taiwan. Als Bundeskanzler kann er sich diese Position schon allein wegen der Wichtigkeit der Handelsbeziehungen zur Volksrepublik China kaum mehr leisten.
Wenn man davon ausgeht, dass das besagte Gespräch im Kanzleramt stattgefunden hat und die Behauptung Klaus Lederers, er habe sich für den Verkauf von HDW an OEP Rückendeckung von Schröder geholt, der Wahrheit entspricht, so würde dies die These stützen, dass Schröder die Einfädelung des Deals über den Umweg USA bewusst zugelassen oder gar gewollt hat. Dann würden auch die Rückkaufklauseln im Vertrag einen gewissen Sinn ergeben, denn ein solcher Deal würde voraussetzen, dass HDW langfristig ein deutscher Konzern bleibt oder wieder wird. Womöglich hat der Taktierer Schröder sich zu viel erhofft, denn diese Option scheint nicht mehr offen zu stehen. Vielleicht gibt es aber auch noch einige unbekannte Mosaiksteine, die die Vorgänge in ein gänzlich anderes Licht rücken würden.
Vivien Mast
(aus: Rundbrief der Kampagne Stoppt den Rüstungsexport)