(Gegenwind 400, Januar 2022)
Als Journalistin und Buchautorin ist Golineh Atai in Deutschland bekannt. Sie war für die ARD als Korrespondentin in Kairo und Moskau. Doch in diesem Buch beschäftigt sie sich mit ihrem Herkunftsland - oder, besser, mit dem ihrer Eltern. Denn sie war fünf Jahre alt, als ihre Eltern mit ihr als Flüchtlinge herkamen.
Sie zeigt uns den Iran mit den Augen nicht nur einer Frau, sondern sie zeigt uns den Iran mit den Augen von neun oppositionellen Frauen. Sie zeigt ihre Kämpfe vor allen in den Jahren von 2009, als landesweit gegen die Wahlfälschungen protestiert wurde („Wo ist meine Stimme?“), bis heute.
Sie beginnt mit Fatemeh Sepehri, Tochter eines Mullahs. Ihr Mann wird im Krieg gegen den Irak getötet - und anschließend bringt der Staat, der vorgibt, die Witwen von „Märtyrern“ besonders zu schützen, sie um ihr Erbe. Sie kämpft gegen die mächtigen Stiftungen, fordert schließlich den Rücktritt von Ajatollah Chamenei, und kommt ins Gefängnis. Beide Töchter, inzwischen erwachsen, kämpfen für sie, eine nimmt für einen Film mit Forderungen an die Regierung demonstrativ ihr Kopftuch ab. Fatemeh Sepehri wird schließlich „auf Bewährung“ entlassen, aber nach neuen Protesten im August 2021 erneut festgenommen.
So geht es weiter - jede Frau, die vorgestellt wird, hat eine eigene Geschichte der Konfrontation mit dem Staat, der Frauen systematisch entrechtet und unterdrückt. Einige bleiben im Land, setzen den Kampf dort fort, immer in der Gefahr, verhaftet oder bei einem Protest erschossen zu werden. Täglich gibt es auch Säure-Attentate gegen Frauen, die nicht ausreichend verhüllt sind, hunderte von Attentaten sind dokumentiert - den Sicherheitsbehörden des Iran ist es angeblich noch nie gelungen, jemanden dafür verantwortlich zu machen und festzunehmen.
Viele Kritikerinnen der Regierung und des Regierungssystems haben auch inzwischen das Land verlassen, sind teils auch mit Drohungen dazu gezwungen worden. Die Autorin trifft sie im Exil in Europa, oder sie kontaktiert sie per Video. Dabei hilft ihr natürlich, dass sie Persisch spricht, so kann sie schnell Vertrauen herstellen und es den iranischen Frauen ermöglichen, ihre Aktivitäten und die Beweggründe detailliert zu schildern. Außerdem kennt die Autorin sich in der Kultur des Landes aus, sie versteht auch Andeutungen, die andere vielleicht nicht oder falsch verstehen.
Es sind neun sehr persönliche, ausführliche und eindrückliche Beschreibungen vom Kampf, von der Repression, von Verhaftung und Folter bis hin, dass eine der Frauen noch nicht wieder aufgetaucht ist. Trotzdem oder deshalb wird der Bericht im Buch veröffentlicht, damit die Regierung im Iran weiß, dass niemand vergessen ist und niemand aufgegeben wird. Die meisten der vorgestellten Frauen sind auch - zumindest bei denen, die sich mit dem Iran beschäftigen - bekannt, sie sind in gewisser Weise prominent oder auch in der Organisation von oppositioneller Tätigkeit oder dem Aufbau einer Gegen-Öffentlichkeit erfolgreich. Dazu erfährt man immer wieder, wie es im Iran zugeht: Eine Fotografin wird wegen ihrer Fotos zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, eine Sportlerin darf an einem Wettbewerb in Italien nicht teilnehmen, weil sie keine Reiseerlaubnis ihres Ehemanns hat.
Man erfährt auch viel über die internen Diskussionen. Es gibt Frauen, die dazu aufrufen, „Reformer“ zu wählen. Und es gibt andere, die Wahlen ablehnen, weil man immer nur vom Regime handverlesene Kandidaten wählen darf.
Die letzte vorgestellte Frau ist Masih Alinejad, die die Autorin in New York besucht. Sie ist bekannt für ihren Kampf gegen die Bekleidungsvorschriften, für die Internet-Seite „Meine heimliche Freiheit“ und für den „weißen Mittwoch“, mit denen sie die Regierung vor sich hertreibt. Sie muss sich aber auch vorsehen, das FBI hat schon Mordpläne der iranischen Regierung gegen sie aufgedeckt und vermutlich nur knapp verhindert (siehe auch Seite 63 in diesem Heft).
Ein toller Einblick in einen Kampf, bei dem der Gegner übermächtig erscheint, der aber nicht verloren ist.
Reinhard Pohl