(Gegenwind 400, Januar 2022)
Unter Iranerinnen und Iranern hierzulande ist Masih Alinejad weltberühmt - den meisten Deutschen sagt der Name nichts. Sie hat jetzt ein Buch über ihr Leben und ihre Kämpfe geschrieben. Natürlich nicht ganz einfach, immerhin fast 500 Seiten Umfang. Aber es lohnt sich, man erfährt viel über die Frau, und man erfährt noch mehr über das politische System im Iran, in Europa und den USA.
Masih Alinejad spielt schon eine wichtige Rolle im Buch von Golineh Atai, und hier ist das Buch von ihr selbst. Sie wächst im Iran auf, und zwar in der religiösen Diktatur. Ihr Vater ist ein Anhänger der „Islamischen Revolution“, und in den internen Auseinandersetzungen und Wahlkämpfen ergreift er Partei für die „konservative“ Seite und Ahmadinejad. Die Mutter steht treu zum Vater, aber noch treuer zu ihren Kindern. Und wenn die Tochter in der Schule Ärger bekommt, weil sie sich nicht islamisch kleiden will, weil sie den Lehrern widerspricht, weil sie mit den Mitschülerinnen diskutiert, wird die Mutter zur Löwin.
Die Tochter dankt es nicht, sondern wird Mitglied einer kleinen Gruppe, die sie maßgeblich gründet. Sie besorgen mit Hilfe des Bruders eine Druckmaschine, drucken Flugblätter gegen die Regierung, verteilen diese. Sie schreiben nachts Parolen an Hauswände, gucken morgens zu, wie die Angestellten der Regierung diese übermalen. Es kommt, wie es kommen muss: Sie wird verhaftet, mit ihr die meisten Mitglieder der Gruppe. Ein ehemaliges Mitglied wird hingerichtet, die anderen verhört, misshandelt. In diesen Beschreibungen lernt man das System kennen, weil die einen schweigen, die anderen Mitglieder der Gruppe verraten. Und man lernt das Regime kennen: Die Männer in der Gruppe werden automatisch verdächtigt, Gründer und Anführer zu sein, die junge Frau eher nicht.
Die Tochter wird Journalistin, gegen den Willen des Vaters. Der ist aber Kriegsveteran und Mitglied der Pasdaran, das öffnet ihr wiederum Türen. So wird sie Parlamentskorrespondentin, geht bei Abgeordneten und Regierungsmitgliedern ein und aus, deckt Skandale auf und wird bedroht. Aber einzelne Abgeordnete nutzen sie auch, spielen ihr interne Dokumente zu, spannen sie ein für Machtkämpfe. Sie profitiert davon, wird landesweit bekannt - aber auch gefürchtet. Und wen die Regierung fürchtet, wenn die Mächtigen im Parlament fürchten müssen, den versuchen sie zu vernichtet. Das passiert zunächst beruflich, sie verliert ihren Ausweis, kann nicht mehr ins Parlament. Und dann gehen Gerüchte um, sie würde verhaftet werden. Es gibt Druck auf den Arbeitgeber, sie zu entlassen. Schließlich verlässt sie kurz vor den Präsidentschaftswahlen das Land, ohne zu ahnen, dass sie danach nicht mehr zurück kann.
Doch sie gibt nicht auf: Haare werden ihr Thema. Das Regime hat Angst davor, dass Frauen ihre Haare zeigen. Sie ruft dazu auf, das Kopftuch abzunehmen. Viele Frauen im Iran folgen dem Aufruf, die Internet-Seite „My stealthy freedom“ geht an den Start. Dann der nächste Aufruf zum „weißen Mittwoch“, an dem Frauen weiße Kleidung und weiße Kopftücher tragen als Zeichen des Protestes. Zehntausende folgen ihr. Die Regierung ruft zu einem „schwarzen Mittwoch“ auf, vergeblich. Sie versucht ein Attentat auf Masih Alinejad, die inzwischen geheiratet hat und in den USA lebt - der Secret Service kann es vereiteln.
In ihrem Buch schildert sie verschiedene Kampagnen, die sie mit Freundinnen organisiert und startet - und amüsiert sich darüber, dass die iranische Regierung hinter jeder gelungenen Kampagne eine Millionen-Investition der US-Regierung vermutet, während die Beteiligten irgendwo jobben, um ihre Drucksachen zu finanzieren. Geheimnis des Erfolges ist das riesige Echo vor allem in Iran, wo Zehntausende bereit sind, solche Aktionen mitzumachen, auch wenn viele verhaftet und gefoltert werden.
Insofern: Es geht nicht um eine mutige Frau, sie lebt in den USA, wird zwar bedroht, aber auch geschützt. Es geht um Zehntausende mutiger Frauen, die sich nur durch ihre schiere Zahl schützen können.
Reinhard Pohl