(Gegenwind 351, Dezember 2017)
In Berlin wird über eine neue Bundesregierung verhandelt. Die Parteien sprechen dort in einer vergleichbaren Konstellation wie im Juni in Kiel: CDU, Grüne und FDP wollen eine Koalition bilden, die landläufig „Jamaika-Bündnis” genannt wird. Allerdings verlaufen die Verhandlungen unterschiedlich. In Kiel konnten sich die Grünen in Fragen der Energiewende und des Ausbaus der Windenergie weitgehend durchsetzen. Das ist mit CDU, CSU und FDP in Berlin schwieriger.
Die Energiewende wurde nicht aus Spaß beschlossen, sondern weil sie notwendig ist. Global steigen die Temperaturen durch den erhöhten Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Gasen, wegen ihrer klima-verändernden Wirkung „Treibhausgase” genannt. Schuld sind Energieerzeugung, Verkehr, Massentierhaltung sowie der zunehmende Komfort in Privatwohnungen. Viele Menschen wollen heute auf Heizung, fließendes Wasser, Auto und tägliche Fleischmahlzeit nicht mehr verzichten, aber mit den heutigen Methoden kann das nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Während das Klima sich im 19. Jahrhundert nur langsam veränderte, stieg die Durchschnittstemperatur im 20. Jahrhundert um fast ein Grad an. In den letzten Jahren geht der Anstieg schneller. Von den 16 wärmsten Jahren seit Beginn der Temperaturmessungen liegen 15 im 21. Jahrhundert, nur eines im 20. Jahrhundert: 1998. Zwischen 2010 und 2017 hatten wir die fünf wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturmessung.
Wie der genaue Zusammenhang zwischen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und der Temperatur-anstieg ist, ist in der Wissenschaft umstritten. Klar sind die Messergebnisse: 1998 waren 367 ppm CO2 in der Atmosphäre, 2012 waren es 394 ppm, 2013 waren es 400 ppm. Die Durchschnittstemperaturen steigen langfristig, wenn man die 10-Jahres-Mittelwerte betrachtet, schwanken aber auch von Jahr zu Jahr. Die Temperaturen über dem Land steigen schneller als die Temperaturen über den Ozeanen. Am stärksten steigt die Temperatur im Ozean, was zu einem immer schnelleren Abschmelzen der Pole führt.
2007 beschloss die Bundesregierung, damals also CDU, CSU und SPD, ein ehrgeiziges Ziel: Die Treibhausgase sollten bis 2020 um 40 Prozent gesenkt werden, das Vergleichsjahr war 1990. Das Jahr wählt die Bundesregierung gerne, denn damals kam die DDR mit relativ veralteter Industrie und damit hohen klimaschädlichen Gasen dazu - und gerade die DDR-Industrie wurde in den folgenden Jahren weitgehend stillgelegt.
Inzwischen ist allerdings klar, dass die Bundesregierung kaum noch eine Chance hat, das Ziel einzuhalten. Alle Messwerte deuten im Moment darauf hin, dass die Treibhausgase nur um 30 Prozent gesenkt werden können. Die Bundesregierung behauptete noch im Frühjahr 2017, es wären mindestens 36 Prozent erreichbar.
Die EU hat beschlossen, die Treibhausgase bis 2020 um 20 Prozent (verglichen mit 1990) zu reduzieren. Insofern ist Deutschland immer noch besser als der Durchschnitt. Aber es reicht nicht: Deutschland ist einer der größten Umweltverschmutzer, die Reduzierung muss von hier ausgehen. Natürlich müssen die USA, Russland oder China ihre Treibhausgase auch reduzieren. aber wenn es dort zu langsam geht, muss die Reduzierung in Deutschland deutlicher ausfallen.
Die Gründe für das Verfehlen der Ziele sind das stärkere Bevölkerungswachstum hier, auch durch die Flüchtlingsaufnahme, und das daraus entstandene höhere Wirtschaftswachstum. Außerdem sind die Preise für Diesel, Benzin und Gas viel niedriger als 2007 noch erwartet. Dadurch ist der Anreiz für Einsparungen zu gering, die Regierung hätte das stärker steuern müssen - wollte das aber nicht. Das liegt vor allem an der starken Stellung der Konzerne (Energiekonzerne, Autokonzerne), die die Regierung zulässt. Es liegt aber auch an der Haltung der Parteien, insbesondere die SPD versteht sich als Schutzmacht der Kohleindustrie, und Stimmen von WählerInnen sind im Zweifel wichtiger als die Zukunft der Erde.
Aktuelle Umfragen der „Fachagentur Windenergie an Land” (Berlin), nachzulesen unter www.fachagentur-windenergie.de, zeigen, dass die Bevölkerung sehr viel weiter ist als die Politik. Die Windnergie an Land wird von 83 Prozent der Bevölkerung für wichtig oder sehr wichtig gehalten, 2015 waren es noch 81 Prozent. 68 Prozent meinen, die kommende Bundesregierung sollte sich stärker für die Energiewende einsetzen, nur 6 Prozent sind für eine Verlangsamung der Ener-giewende. 85 Prozent würden auch selbst Opfer bringen, um die Energiewende zu beschleunigen. Höhere Strompreise wollen aber nur 51 Prozent bezahlen, 47 Prozent sind dagegen.
Die Meinungen zu neuen Windenergieanlagen im eigenen Umfeld sind interessant: 73 Prozent haben überhaupt keine oder nur geringe Bedenken, nur 24 Prozent haben große oder kleine Bedenken. 82 Prozent sind mit Windenergieanlagen im eigenen Wohnumfeld einverstanden. Dabei ist es so: Wer Windenergieanlagen aus der eigenen Nachbarschaft kennt, ist eher dafür, noch mehr zu bauen. Wer sie selbst nur aus den Medien kennt, hat eher Bedenken.
Nur bei den Möglichkeiten einer Beteiligung am Ausbau der Windenergie fühlen sich 71 Prozent der Bevölkerung nicht ausreichend informiert, nur 25 Prozent haben ausreichend Informationen.
Die weltweiten Emissionen sind schwer zu messen. Das können nur die Staaten selbst versuchen, und viele schummeln bei der Veröffentlichung der Ergebnisse. China ist vermutlich für 26 Prozent der Emissionen verantwortlich, die USA für 14 Prozent, die EU für etwas über 9 Prozent. Deutschland hat danach einen Anteil von 2,1 Prozent an den Emissionen der Welt.
Wichtiger ist aber der Vergleich mit der Bevölkerung: Bis zu zwei Tonnen CO2 kann jeder Mensch vermutlich pro Jahr emittieren, ohne das Klima zu verändern. Das ist zumindest die Schätzung, wenn die jetzigen Pflanzen (vor allem die Algen in den Küstengewässern) erhalten bleiben. Und hier sind die Unterschiede groß: Während ein Mensch in Indien für 1,8 Tonnen Emissionen im Jahr verantwortlich ist, hat ein Mensch in Japan 9,5 Tonnen, ein Mensch in Deutschland 9,8 Tonnen zu verantworten - verbraucht also die Treibhausgase, die eigentlich fünf Menschen zustehen. Schlimmer sieht es in Russland (11,4 Tonnen pro Kopf) und in den USA (16,5 Tonnen pro Kopf) aus. Hier hat China mit „nur” 7,2 Tonnen pro Kopf eine bessere Bilanz, aber auch dort verantwortet eine Person den erlaubten Wert von 3,5 Personen.
Zu den 9,8 Tonnen per Person in Deutschland sollte man wissen, dass es in Italien nur 6 Tonnen pro Kopf, in Großbritannien 5,9 Tonnen pro Kopf und in Frankreich 5,3 Tonnen pro Kopf sind. (Christoph Seidler: CO2-Ausstoß legt 2017 wieder zu. Spiegel online, 13.11.2017)
Schleswig-Holstein war und ist mit dem Ausbau der Windenergie auf einem guten Weg (vgl. Gegenwind 343, April 2017). Allerdings stockt der Ausbau zur Zeit. Die Landesplanung, die Vorranggebiete für Windenergieanlagen ausweist, wurde vom Oberverwaltungsgericht für ungültig erklärt. Der Grund war, dass sie nicht objektiv erfolgt war, also die Gebiete mit der geringsten Bebauung und den höchsten Windgeschwindigkeiten auswies. Vielmehr waren Gebiete ausgewiesen worden, in denen die Windenergie von der Bevölkerung und den Gemeindevertretungen am besten akzeptiert wurde. Das war dem Gericht zu „subjektiv”.
Die neue Planung ist jetzt im Sommer 2017 abgeschlossen worden, die Anwohnerinnen und Anwohner hatten sechs Monate Gelegenheit, Bedenken und Einsprüche zu formulieren. Die Auswertung gestaltet sich allerdings schwierig: Die neue Landesregierung, die im Sommer 2017 gebildet wurde, hat vereinbart, die Abstände der Windenergieanlagen abhängig von deren Höhe zur Wohnbebauung teilweise zu vergrößern. Andererseits soll aber das Ausbauziel, gemessen in der elektrischen Leistung, beibehalten werden. Das kann dazu führen, dass die neue Landesplanung nicht Mitte 2018, sondern erst Ende 2018 verabschiedet wird.
Bis dahin gibt es nur Ausnahmegenehmigungen für Bauanträge, wenn die Windenergieanlagen auf Grundstücken errichtet werden, die nach alter und neuer Planung zulässig sind.
In Schleswig-Holstein ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 2016 gegenüber 2015 planmäßig gestiegen (siehe Tabelle).
Dabei sind 2016 neue Windenergieanlagen gebaut worden, meistens als Ersatz für ältere Maschinen. Aber der Wind war 2016 schwächer.
In Hamburg hat übrigens der Anteil fossil erzeugten Stroms um 20 % zugenommen, die erneuerbaren Energien haben von 2015 auf 2016 um 13 Prozent abgenommen. Insgesamt wird aber weniger als ein Drittel so viel Strom erzeugt wie in Schleswig-Holstein, das ein Strom-Exportland ist.
Energieträger 2016 | Stromerzeugung in MWh brutto | Anteil an Stromerzeugung | Veränderung gegenüber 2015 |
---|---|---|---|
fossil | 4.043.687 | 11,5 % | - 5,7 % |
Atom | 11.503.003 | 32,8 % | + 2,9 % |
erneuerbar | 19.197.166 | 54,8 % | + 7,1 % |
davon Landwind | 9.094.480 | 26,0 % | - 5,6 % |
davon Seewind | 5.788.856 | 16,5 % | + 43,4 % |
davon Biogas | 2.650.047 | 7,6 % | + 1,5 % |
davon Sonne | 1.292.505 | 3,7 % | + 0,2 % |
In Schleswig-Holstein ist die Energiewende allgemein akzeptiert, und die Regierung ist gewillt, dem zu folgen. Probleme hat die CDU mit den eigenen Wahlversprechen, die Abstände neuer Windräder zu Wohnhäusern zu vergrößern - denn in der Koalition hat man vereinbart, die Produktionsziele der vorigen Landesregierung einzuhalten.
Erst Ende 2018 wird sich zeigen, wie CDU, FDP und Grüne diesen Widerspruch lösen. Die Betreiber der Windparks brauchen auf jeden Fall Sicherheit, sonst geraten nicht nur Arbeitsplätze in Gefahr: Die Herbsttürme und Starkregen zeigen regelmäßig, dass ohne konsequenten Ausbau der Windenergie auch die Deiche in Gefahr geraten und damit die Bevölkerung.
Die Verlangsamung der Energiewende kostet außerdem viel Geld, wenn man die Schäden der „Wetterereignisse” insgesamt und nicht nur die Versicherungsschäden berechnet. Diejenigen, die die Verlangsamung der Energiewende fordern, vermeiden es auch strikt, eine Planung für die Finanzierung der immensen Kosten vorzulegen.
Auf Bundesebene ist zur Zeit die SPD als „Schutzmacht der Kohle” nicht an den Koalitionsverhandlungen beteiligt. Allerdings wetteifern auch CDU und FDP darum, diese Lücke zu füllen - die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat gerade gezeigt, wie das geht: Der Abstand von Windenergieanlagen zur Wohnbebauung wurde im Koalitionsvertrag auf 1500 Meter vergrößert, das ist der mehrfache Abstand verglichen mit Autobahnen, die weit näher an Wohnhäusern gebaut werden dürfen. Dort scheint das Ziel zu sein, den Ausbau erneuerbarer Energien zu stoppen, damit weiter Kohle gefördert und verbrannt werden kann. Bei den Sondierungsgesprächen in Berlin wurde einerseits gesagt, dass auch CDU, CSU und FDP die Klimaziele bis 2020 und 2030 einhalten wollen, die konkreten Vorschläge der Grünen (Verzicht auf den Verbrennungsmotor in Autos) wurde allerdings abgelehnt.
Wie es weiter geht, müssen wir abwarten.
Reinhard Pohl