(Gegenwind 244, Januar 2009)

Dokumentation der Veranstaltung "Resettlement" Workshop zur Information, Diskussion und Strategieentwicklung in Schleswig-Holstein und Hamburg am 11. Juli 2008 in Rendsburg: Flüchtlinge aufnehmen - sichere Zufluchtsorte schaffen! (safe haven)

Resettlement

"Neuansiedlung" - Flüchtlinge nach Deutschland holen

"Resettlement" ist die Neuansiedlung von Flüchtlingen, die keine Rückkehrmöglichkeit haben, aber auch nicht dort bleiben können, wo sie im Moment sind. Es handelt sich dabei um eine der wichtigsten Aufgaben des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR.

1. Bedingung

Die Flüchtlinge sind vor Verfolgung oder "aus begründeter Furcht vor Verfolgung" (Genfer Flüchtlingskonvention) geflohen. Sie sind durch den Staat, durch eine Bürgerkriegspartei oder vor einer Miliz geflohen. Sie werden wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihrer Religion, ihres Geschlechtes oder ihrer politischen Ansichten verfolgt. Dabei haben sie den Herkunftsstaat verlassen, also eine internationale Grenze überschritten.

2. Bedingung

In dem Land, in dem sie sich jetzt als Flüchtlinge aufhalten, können sie nicht bleiben. Das kann daran liegen, dass das "Erstaufnahmeland" die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert hat oder nicht einhält, dann droht die Gefahr, dass die Flüchtlinge in die Verfolgung zurückgeschickt werden. Oder das Erstaufnahmeland ist finanziell oder organisatorisch nicht dazu in der Lage, die Flüchtlinge endgültig aufzunehmen - sei es, dass die Mittel fehlen, vielleicht fehlt auch der Wille. Es kann auch sein, dass das Erstaufnahmeland befürchten, in einen Konflikt im Nachbarland hineingezogen zu werden, wenn es bestimmte Flüchtlinge aufnimmt und schützt. Möglicherweise halten sich auch Flüchtlinge von verschiedenen Parteien in einem Flüchtlingslager auf und vertragen sich nicht.

3. Bedingung

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR braucht dann die Zusage eines Aufnahmelandes. Einige Länder überlassen es der UNO, die Flüchtlinge auszuwählen, die neu angesiedelt werden - vielleicht diejenigen, die es schon am längsten im Flüchtlingslager aushalten mussten, oder diejenigen, die krank geworden sind. Oft geht es auch darum, dass Frauen und Kinder einfach nicht weg können, weil die weitere Flucht zu anstrengend oder zu gefährlich ist.

Andere Länder schicken selbst Aufnahmeteams in die Flüchtlingslager, um durch Interviews die Flüchtlinge auszusuchen, die aufgenommen werden. So will die US-Regierung erst feststellen, dass die Flüchtlinge nicht auch "Täter" in einem Konflikt waren.

Ziele des Resettlement

Normalerweise will das UNHCR mit der Neu-Ansiedlung eine endgültige Lösung für die betroffenen Flüchtlinge finden. Es geht also nicht um einen vorübergehenden Schutz, bis zum Beispiel der aktuelle Krieg zuende oder die Diktatur gestürzt ist. Es geht um die Einschätzung, dass in den nächsten Jahren eine Rückkehr nicht möglich ist. Gesucht wird ein Land, dass den Flüchtlingen eine neue Heimat bietet.

Freiwillig dürfen dir Flüchtlinge natürlich später ins ursprüngliche Heimatland zurückkehren, wenn dort Frieden oder Demokratie eingekehrt sind. Aber sie sollen nicht dazu gezwungen werden.

Wer siedelt Flüchtlinge neu an?

Bisher sind es eher die "klassischen" Einwanderungsländer, die Flüchtlinge in diesem UNHCR-Programm aufnehmen: USA, Kanada, Australien. In der EU bekommt bisher nur jeder 20. Flüchtling einen Platz (4.000 von weltweit 80.000 neu angesiedelten Flüchtlingen).

  Aufnahme 2006 Aufnahme 2007
(Jan.-Juni)
USA 41.000 30.780
Australien 13.000 3.921
Kanada 10.000 3.238
Norwegen 1.000 1.084
Neuseeland 700 420
EU:
Schweden 2.400 1.726
Dänemark 530 398
Niederlande 380 551
Großbritannien 500 493
Finnland 750 390
Irland 10 10
(Quelle: UNHCR)

Innenministerkonferenz

Vor einigen Monaten preschte Innenminister Schäuble vor: Christen im Irak werden verfolgt, so hatte er entdeckt. Deutschland könne sie doch aufnehmen.

So Recht er hat - es geht bei den Flüchtlingsströmen dieser Welt auch um Christen aus dem Irak, aber nicht nur. So machte der Vorschlag, sich um eine Gruppe besonders zu kümmern, eher den Eindruck, damit wollte er den Kurs stützen, alle anderen Flüchtlinge abzuwehren.

Christen im Irak werden tatsächlich verfolgt, so absurd das erst einmal scheint. Denn unter Saddam Hussein gab es religiöse Toleranz, auch der Außenminister der Diktatur war Christ. Erst seit die USA unter dem Präsidenten Bush, der sich von Gott berufen und von fundamentalistischen Christen unterstützt sieht, den Irak angriffen, verschlechterte sich ausgerechnet für die Christen die Situation rapide. Denn Schiiten, Sunniten und Kurden ersetzten die fehlende Staatsmacht durch die Kampfkraft ihrer Milizen, alle Minderheiten fallen durchs Rost. So stellen die Christen, nur wenige Prozent der Bevölkerung, das Gros der Flüchtlinge in Syrien und Jordanien, wo sie unter schlechtesten Verhältnissen existieren.

Aber solche Gruppen gibt es viele, Christen oder afrikanische Moslems aus dem Sudan, Buddisten aus Myanmar oder Tibeter aus China haben eine Aufnahme genauso nötig.

Die Innenministerkonferenz, die im November in Potsdam tagte, erklärte zwar ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlinge, beschränkte es aber auf Christen aus dem Irak. Wie diese ausgewählt werden sollen, wird nicht gesagt, würde doch das Bekanntwerden sicherlich zu einer Welle von Konvertierungen in Syrien führen und zu entsprechenden Glaubens- und Gewissenprüfungen durch die Auswahlkommission aus Deutschland. Man will, so beschloss die Innenministerkonferenz weiter, ohnehin noch auf die Beschlussfassung der EU warten, um nicht alleine Flüchtlinge zu nehmen.

Insbesondere diese neue Verzögerung ist zynisch. Denn Finnland, Schweden, Dänemark, Niederlande, Großbritannien oder die Tschechische Republik haben mit der Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen des Resettlement der UNO längst begonnen. Es ist Deutschland, dass isoliert in der Mitte liegt und die Aufnahme verweigert.

Aufnahme und Rechte?

Sollte es mit der Aufnahme im Jahre 2009 was werden, will Deutschland ohnehin erst mal nur für 8000 Flüchtlinge offen sein, was ungefähr 250 Flüchtlinge den Weg nach Schleswig-Holstein öffnet. Die rechtliche Grundlage wäre der § 22 des Aufenthaltsgesetzes, der es ermöglicht, einzelnen Flüchtlingen eine Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitserlaubnis aus humanitären Gründen zu geben. Ähnlich § 23, der vorsieht, bestimmten Gruppen auf der Grundlage eines Regierungsbeschlusses den Aufenthalt zu erlauben.

Die UNO, so machte es ein Vertreter des UNHCR auf einer Fachtagung dazu im Juli in Rendsburg deutlich, fordert allerdings noch mehr Rechte. Denn die reine Aufnahme gibt noch nicht genügend Sicherheit. Anerkannte Flüchtlinge haben einen internationalen Pass, der auch in anderen Ländern einen Schutz gegen Abschiebungen ins Verfolgerland verspricht. Das müssten diese Flüchtlinge auch bekommen. Zudem legt ein Asylverfahren auch fest, dass ein Kontakt mit dem Verfolgerland in keinem Falle erzwungen werden darf, auch bei einer späteren Einbürgerung nicht. So müssen anerkannte Flüchtlinge regelmäßig nicht ihre Ausbürgerung bei der Botschaft des Verfolgerlandes beantragen, das sollte auch Flüchtlingen eingeräumt werden, die im Zuge des Resettlement herkommen.

Auswahl nach Nützlichkeit?

Der Vorbehalt der Innenministerkonferenz, eine bestimmte Gruppe aufzunehmen, diese Aufnahme aber anderen zu verweigern, unterläuft die Kompetenz der UNO und ihres Flüchtlingshilfswerkes. Denn das UNHCR ist die weltweite Organisation, die die sicherste Übersicht hat, welche Flüchtlinge im Transitland nicht bleiben können, sondern eine Aufnahme in einem sicheren Zufluchtsland benötigen. Sie können diejenigen Flüchtlinge identifizieren, denen die Organisation der Flucht selbst nicht möglich ist, sei es aus Geldmangel, wegen ihrer Kinder oder weil sie zu krank dafür sind.

Ein Herauspicken bestimmter Gruppen kann leicht dazu führen, die Ablehnung anderer Flüchtlinge zu legitimieren. Wer Christen aufnimmt, kann dann Moslems mit besserem Gewissen abschieben. Wer irakische Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt, kann im Gegenzug syrische Flüchtlinge dorthin ausliefern, wie es ein neues Abkommen zwischen Bundesregierung und Diktatur in Damaskus vorsieht.

Die Forderung nach Aufnahme einer Zahl von Flüchtlinge, die das UNHCR auswählt, muss aufrecht erhalten bleiben. Die Flüchtlinge müssen aufgenommen werden, weil sie Schutz und Zuflucht brauchen, nicht weil sie zufällig die gleiche Religion wie der Berliner Innenminister haben.

Kleingeister

Deutschland hat Anfang der 90er Jahre jährlich 500.000 Flüchtlinge aufgenommen - und etliche von ihnen auch wieder abgeschoben. Jetzt sind die Grenzkontrollen immer perfekter geworden, die Nachbarländer in die EU aufgenommen. Die Kontrollen an den Außengrenzen zwingen die Flüchtlinge, immer gefährlichere Umwege zu suchen, Tausende sterben inzwischen jährlich beim Versuch, die Menschenrechte Europas in Anspruch zu nehmen (vgl. Gegenwind 222, März 2007).

Inzwischen erreichen nicht einmal mehr 50.000 Flüchtlinge im Jahr Deutschland. Viele von ihnen schaffen es nicht einmal, Asyl zu beantragen - längst vorher werden sie nach Polen, Griechenland oder Italien zurückgeschickt, weil sie angeblich von dort kamen. Allerorten werden Flüchtlingsunterkünfte geschlossen, nur die Arbeitsverbote sorgen noch für hohe Kosten bei der Sozialhilfe.

In dieser Situation über eine Obergrenze von 8000 Aufnahmen in einem Resettlement-Programm zu diskutieren ist schäbig. Rund 3 Millionen Menschen warten in Syrien und Jordanien auf ihre Lebensrettung, die Innenminister diskutieren über die Auswahl von einem von 375. Deutschland exportiert weltweit für über 500 Milliarden Euro Waren in alle Welt, hat einen Anteil von 10 Prozent am Welthandel und dem Gewinn, der auch zu den Flüchtlingsströmen beträgt. Anständig wäre es, auch einen 10-Prozent-Anteil an den Flüchtlingen zu akzeptieren.

Kampagne

In Schleswig-Holstein haben sich Organisationen und Wohlfahrtsverbände zusammengefunden. Auf einer Fachtagung im Sommer 2008 wurden die Voraussetzungen eines Resettlement-Programmes geklärt. Auch Innenminister Lothar Hay erklärte Anfang September seine grundsätzliche Unterstützung.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein (www.frsh.de) hat die Koordinierung der Aktivitäten übernommen und die Ergebnisse der Fachtagung in einer Dokumentation zusammen gestellt.

Für Anfang 2009 sind erste Veranstaltungen in verschiedenen Orten Schleswig-Holsteins geplant. Dazu wird der Flüchtlingsrat einige Veranstaltungen vorbereiten, man ist aber auch gerne bereit, mit örtlichen Gruppen zusammen zu arbeiten.

Es soll dafür geworben werden, nicht nur die abstrakte Kampagne oder die Forderung nach Aufnahme der Flüchtlinge zu unterstützen. Es geht auch darum, als Kreis, als Kommune oder als Einzelperson die Bereitschaft zu erklären, Flüchtlingen Schutz zu gewähren und sie bei dem Start in ihr neues Leben zu unterstützen.

In anderen Bundesländern gibt es schon erfolgreiche Kampagnen, mit denen "Paten" oder Ansprechpersonen für aufzunehmende Flüchtlinge mit Namen und Adresse gefunden wurden - überall mehr als zehnmal so viele wie von den Innenministers als Obergrenze der Aufnahme festgelegt.

Reinhard Pohl

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