(Gegenwind 178, Juli 2003)
Ein wenig warm ums Herz wurde einem schon, als Pastor Wulff in seiner Predigt anlässlich des Besuches von Kindern aus Tschernobyl in Nahe und Itzstedt auch an die rassistischen Übergriffe auf Familie Erman erinnerte und offen zum Schutz der Kurdinnen aufrief. Bis zu 350 Gemeindemitglieder und AnwohnerInnen begrüßten die Familie mit einem herzlichen Applaus.
Wie bereits mehrfach berichtet, waren die Ermans in Itzstedt (Kreis Segeberg) zuvor mehr als ein Jahr lang von rund einem Dutzend junger Rechtsradikaler bedroht und angegriffen worden, ohne dass sich irgend jemand sonderlich darum gekümmert hätte. Nach einem Artikel im Gegenwind (Nr. 174, S. 25) und einer breitangelegten Flugblattaktion in der weiteren Umgebung des Wohnhauses von Familie Erman hatten sich jedoch zahlreiche Itzstedterinnen mit der Familie solidarisiert und eine Welle der Unterstützung ins Rollen gebracht. Am 25. Mai nun fand zum insgesamt dritten Mal der "Familiengottesdienst mit den Kindern aus Tschernobyl" im Itzstedter Neubaugebiet statt, um den jährlichen Besuch von den jüngsten Opfern der Reaktorkatastrophe bei Kiew mit etwas Fröhlichkeit abzurunden. Anlässlich des Gottesdienstes, den der Naher Pastor Wulff dabei in einem zur Kapelle umfunktionierten Carport abhielt, richtete er die Augen der Anwesenden auch noch einmal auf das Schicksal der Familie Erman: "Es gibt in unserer Gemeinde einige Jugendliche, die - gelinde ausgedrückt - politisch nicht sehr gut davor sind. Deshalb hat sich vor kurzem ein Aktionsbündnis gegen Neonazis in Itzstedt/Nahe gegründet, das nun zum Schutz der Familie Erman aufruft. Wir heißen Familie Erman in unserer Gemeinde herzlich willkommen!"
Tatsächlich setzten sich Anfang Mai einige ItzstedterInnen zusammen, um gemeinsame Schritte gegen den Terror der jugendlichen Nazis zu beraten. Als eine erste Aktion wurde nun ein Flugblatt zusammengestellt, in dem die Ereignisse zusammengefasst werden und das zur Zivilcourage aufruft. In der letzten Maiwoche wurde das Papier an alle Haushalte Nahes und Itzstedts verteilt - mithin rund 2.000 Exemplare.
Schon während des Straßenfestes allerdings bekundeten Dutzende Familien ihre Solidarität mit den Ermans. Sie kamen zum Stand mit kurdischen Spezialitäten und hinterließen nicht selten ihre Telefonnummern und Adressen, einige verabredeten bereits gegenseitige Besuche. Es scheint, als sei die Familie ausgerechnet durch die Aktivitäten der jungen Schläger in der Gemeinde "angekommen".
Doch der Spuk ist noch nicht ganz vorbei. Auch im Mai kam es - allerdings weit seltener - zu rassistischen Beschimpfungen von AusländerInnen in Itzstedt. Außerdem machten die Nazis deutlich, dass sie das Anwachsen ihrer Gegnerschaft sehr wohl zur Kenntnis genommen haben: Während man in der Gemeinde munkelt, dass die ersten von ihnen Angst um ihre Arbeitsplätze bekommen, sprühten andere Hakenkreuze an die Wände der Kirchengemeinde.
Die Kommunalpolitikerinnen der Gemeindevertretung scheinen von all dem indes wenig zu halten. Zwar wurde das "Thema" auf der jüngsten Sitzung (ergebnislos) behandelt, auf entsprechende Anfragen von Konfirmandengruppen, dem Gegenwind oder auch der Kirchengemeinde reagierte die frischgebackene Bürgermeisterin Uta Mette (FDP) jedoch nicht. Und auch auf dem Straßenfest - immerhin von insgesamt 350 Itzstedterinnen besucht - ließ sich niemand der Verantwortlichen blicken.
Info-Archiv
Nachtrag der Redaktion: Kurz nach dem Straßenfest besuchte Bürgermeisterin Uta Mette die Familie Erman. Sie ließ sich aus erster Hand über die Probleme informieren und entschuldigte ihr Fehlen zuvor mit Zeitproblemen. Frau Mette hatte erst nach der Kommunalwahl im März 2003 ihr Amt angetreten.
Siehe auch: Aktion gegen Neonazis in Itzstedt, Gegenwind 176