(Gegenwind 177, Juni 2003)

Der Irak nach dem Ende des Krieges

"Der schnelle Zusammenbruch der Regierung hat mich sehr, sehr gefreut"

Maison Sindy

Mit Maison Sindy sprachen wir bereits Mitte Februar. Sie war damals gegen den Krieg, erwartete sehr viele Opfer und sehr viel Zerstörungen. Außerdem wies sie darauf hin, dass gerade die Kurden sich auf die USA nicht verlassen könnten. Wir haben sie jetzt, nach dem Krieg und dem Sturz Saddam Husseins, erneut interviewt.

Gegenwind:

Wie sehen Sie den Verlauf des Krieges? Hat Sie der Zusammenbruch des Regimes überrascht?

Maison Sindy:

Ich habe alle Berichte im Fernsehen gesehen, auch alle Wiederholungen. Am Anfang sah es schlimm aus für die USA, sie haben schwere Fehler gemacht, es gab einen langen Sandsturm. Aber dann lief es sehr gut. Der schnelle Zusammenbruch der Regierung hat mich sehr überrascht. Was aber viel wichtiger ist: Es hat mich sehr, sehr gefreut! Und es hat viele Menschen, Kurden und Araber, ebenfalls gefreut. Am Anfang hatte ich noch Angst, weil nicht klar war, wo Saddam steckt. Aber insgesamt fand ich es toll, dass der Krieg nur drei Wochen dauerte und schnell mit dem Sturz von Saddam Hussein endete.

Gegenwind:

Vor dem Krieg haben die USA behauptet, Saddam Hussein verfüge immer noch über Massenvernichtungswaffen. Im Krieg wurden keine eingesetzt, und jetzt wurden keine gefunden. War das nur Propaganda der US-Regierung?

Maison Sindy:

Nein, das war keine Propaganda. Die USA sind sich sicher, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hat, denn sie haben ihm diese ja selbst verkauft. Ich glaube, auch wenn sie welche finden, werden sie das nicht sagen, weil sie dann auch sagen müssten, von wem die Waffen stammen. Die USA hatten vor dem Krieg wirklich Angst vor dem Einsatz dieser Waffen, weil sie die Waffen kennen.

Gegenwind:

Vermutlich lebt Saddam Hussein immer noch im Irak. Hat er noch Anhänger? Hat er oder einer seiner Söhne eine Chance, irgendwann zurückzukehren?

Maison Sindy:

Saddam Hussein hat bestimmt noch Anhänger, aber es sind wenige, und es werden von Tag zu Tag weniger. Das liegt auch daran, dass sie immer weniger Hoffnung haben, wieder an die Macht zu kommen. Denn es stellt sich immer mehr heraus, was für eine schlimme Familie hier regiert hat. Auch ich dachte, die Regierung war brutal gegenüber den Kurden, ich habe jetzt erst gemerkt, wie schlimm es auch für die Araber war. Wir haben immer gefragt, wo sind die Menschen, die bei den "Anfal"-Offensiven der irakischen Armee in Kurdistan verschwunden sind. Ich glaube, jetzt finden wir Tausende in Massengräbern wieder, die inzwischen entdeckt werden. Aber ich habe nicht gewusst, wie viele Araber in der gleichen Zeit getötet worden sind, die jetzt ja auch in Massengräbern entdeckt werden. Jetzt hat Saddam Hussein endgültig keine Chance mehr, zurückzukehren.

Gegenwind:

Welche Absichten haben die USA? Werden sie sich wie versprochen so schnell wie möglich zurückziehen, oder wollen sie Zugriff auf Ölexporte und Militärstützpunkte behalten?

Maison Sindy:

Irgendwann ziehen sie sich vielleicht zurück. Das wird aber nicht so schnell geschehen, wie sie versprochen haben. Es gibt dafür klare Gründe, so muss natürlich die Sicherheit wieder hergestellt werden. Aber ich glaube, sie bauen auch Stützpunkte, sie wollen die Ölförderung kontrollieren. Denn der Krieg war teuer, und sie wollen ihn jetzt bezahlt haben, und vielleicht wollen sie ihn doppelt bezahlt haben und daran noch verdienen.

Gegenwind:

Haben Sie die Aktionen der Friedensbewegung hier in Deutschland verfolgt? Wie beurteilen Sie diese?

Maison Sindy:

Die Aktionen habe ich gesehen, und ich bin dankbar dafür. Ich bin wie viele andere Menschen gegen jeden Krieg, ich war auch gegen diesen Krieg. Krieg bedeutet nicht nur, dass Soldaten getötet werden, es sterben auch Frauen und Kinder und alte Menschen. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ich mit der irakischen Regierung einverstanden bin. Ich habe immer gehofft, dass sie so schnell wie möglich stürzt.

Gegenwind:

Besteht die Gefahr, dass eine religiöse Regierung an die Macht kommt oder dass der Islam eine größere Bedeutung im Alltag erlangt?

Maison Sindy:

Das glaube ich nicht. Die USA wollen das nicht, und die Kurden wollen das auch nicht. Ich finde, Religion ist Privatsache für jeden Menschen, das sollte nicht mit der Politik vermischt werden. Im Irak leben nicht nur Moslems, sondern auch Christen und andere. Sicher sind die Schiiten relativ stark, aber die USA werden das verhindern, dass eine religiöse Regierung an die Macht kommt. Allerdings ist es falsch, wenn die USA den Eindruck erwecken, Islam und Terrorismus gehöre zusammen. Ich bin auch moslemisch, aber ich habe doch mit Terrorismus nichts zu tun.

Gegenwind:

Wie wird die Zukunft des kurdischen Nordens aussehen?

Maison Sindy:

Theoretisch ist es so, dass die USA den beiden kurdischen Führern Barzani und Talabani viel versprochen haben. Die Kurden haben die US-Soldaten willkommen geheißen, und sie haben nach Kräften mit geholfen, Saddam Hussein zu stürzen. Aber von den Versprechungen sieht man jetzt nichts. Wir hatten gedacht, dass wir jetzt das bekommen, was wir wollen, aber man sieht nichts davon.

Gegenwind:

Wie wird der Irak in einem Jahr aussehen? Wer wird regieren?

Maison Sindy:

Ein Jahr ist dafür eine kurze Zeit, denn die Entwicklung geht sehr langsam. In einem Jahr sind die USA noch im Land, und die USA machen, was sie wollen. Auch wenn es eine neue irakische Regierung, vielleicht einen irakischen Präsidenten geben sollte, werden die Entscheidungen von den USA getroffen werden, sie behalten alles in der Hand. Der Aufbau der Demokratie kann auch nicht so schnell gehen. Die irakische Bevölkerung wurde so viele Jahre unterdrückt, so viele Jahre regierte die Angst. Jeder hatte Angst, getötet zu werden. Deshalb wird es einige Zeit dauern, Demokratie zu lernen.

Interview: Reinhard Pohl

Weiteres zu diesem Thema:
Interview mit Adulla Mehmud
Interview mit Karim Aziz
weitere Interviews: Irak vor dem angekündigten Krieg (Gegenwind 174, März 2003)

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