(Gegenwind 177, Juni 2003)
Karim Aziz ist in Bagdad geboren und ging 1980 nach Jugoslawien, um zu studieren. Damit kam er der drohenden Einberufung während des ersten Golfkrieges gegen den Iran zuvor. Mit Ende des Studiums 1987 verlor er seinen Aufenthalt in Sarajewo. Er reiste nicht in den Irak zurück, sondern flog nach Kopenhagen, um Asyl zu beantragen. Wegen einer Zwischenlandung in Hamburg wurde er nach Deutschland zurückgeschickt, wo sein Asylantrag später anerkannt wurde. Seit 1994 hat er die deutsche Staatsangehörigkeit, zur Zeit macht er in Flensburg eine Ausbildung zum Erzieher.
Gegenwind:
Wie siehst du den Verlauf des Krieges? Hat dich der Zusammenbruch des Regimes überrascht?
Karim Aziz:
Ja, das hat mich überrascht. Ich hatte mit einem langen und harten Krieg gerechnet, ich hatte vorher noch Geld an meine Tante in Jordanien geschickt, damit sie meinen Eltern und Geschwistern die Flucht ermöglichen kann. Ich vermute, dass es Absprachen zwischen Saddam Hussein und den Amerikanern gab. Die haben den Diktator ja 30 Jahre lang mit Waffen unterstützt. Ich habe auch von einem befreundeten Journalisten in Bagdad gehört, dass Saddam selbst befohlen hat, den Widerstand in Bagdad aufzugeben.
Gegenwind:
Vor dem Krieg haben die USA behauptet, Saddam Hussein verfüge immer noch über Massenvernichtungswaffen. Im Krieg wurden keine eingesetzt, und jetzt wurden keine gefunden. War das nur Propaganda der US-Regierung?
Karim Aziz:
Natürlich war das Propaganda. Was war denn der wirkliche Grund für den Krieg? Warum haben die USA nicht zum Beispiel Nordkorea angegriffen? Der Grund ist, dass es in den USA eine katastrophale Wirtschaftslage gibt und der Irak reich an Rohstoffen ist. Jetzt können die USA ihren ganzen Aufmarsch, die große Armee am Golf bezahlen.
Gegenwind:
Vermutlich lebt Saddam Hussein immer noch im Irak. Hat er noch Anhänger? Hat er oder einer seiner Söhne eine Chance, irgendwann zurückzukehren?
Karim Aziz:
Nein, sie haben keine Chance. Einmal gibt es eine große schiitische Mehrheit, die unter dem Schutz des Iran stehen, und der will auf keinen Fall Saddam Hussein zurück an die Macht haben. Es gab zuletzt viele Iraker, die für Saddam Hussein waren, denn er hatte Reformen versprochen, er hatte Demokratie versprochen. Viele Iraker im Exil haben zuletzt Angebote bekommen, in den Irak zurück zu kehren. So konnte Saddam Hussein Anhänger gewinnen. Aber jetzt sehen alle im Fernsehen diese Massengräber, die jetzt entdeckt werden. Lange Jahre hatten die Menschen im Irak unter der Herrschaft der Baath-Partei nur die Wahl, mitzumachen oder tot zu sein. Für eine Rückkehr an die Macht ist es jetzt zu spät.
Gegenwind:
Welche Absichten haben die USA? Werden sie sich wie versprochen so schnell wie möglich zurückziehen, oder wollen sie Zugriff auf Ölexporte und Militärstützpunkte behalten?
Karim Aziz:
Die USA wollen den Zugriff auf Öl und Stützpunkte behalten. Außerdem ist die Lage im Irak katastrophal. Die gesamte Ordnung ist zusammengebrochen. Es gibt ja nicht nur Schiiten und Sunniten, Araber und Kurden, es gibt auch viele andere Minderheiten: Yeziden, Armenier, Türken... Viele fordern jetzt, dass die USA schnell rausgehen, aber dann würde ein Bürgerkrieg ausbrechen. Die USA haben die alte Ordnung zerstört, jetzt müssen sie auch dort bleiben und alles wieder aufbauen.
Gegenwind:
Hast du die Aktionen der Friedensbewegung hier in Deutschland verfolgt? Wie beurteilst du diese?
Karim Aziz:
Ja, ich habe auch selbst mitgemacht. Ich habe hier mit Schülerinnen und Schülern zusammen gearbeitet, die Demonstrationen gegen den Krieg organisiert haben. Und das war richtig, denn der Krieg wurde doch nur gegen die einfachen Leute, gegen die Armen geführt. Deshalb habe ich auch mit gegen den Krieg demonstriert.
Gegenwind:
Besteht die Gefahr, dass eine religiöse Regierung an die Macht kommt oder dass der Islam eine größere Bedeutung im Alltag erlangt?
Karim Aziz:
Der Islam spielt jetzt eine große Rolle. Vorige Woche ist der Iman, Ayatollah Hakim, aus dem Iran zurückgekehrt, und er will jetzt an die Macht. Er will wie seine Anhänger eine islamische Republik nach dem Vorbild des Iran gründen. Und 60 Prozent der Bevölkerung sind Schiiten, sie stehen auf seiner Seite und können Wahlen entscheiden. Wir sehen jetzt im Fernsehen diese Wallfahrten, die Pilger verletzten sich selbst - es war richtig, dass Saddam Hussein dies verboten hatte. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass diese schiitische Bewegung an die Macht kommt, denn die USA sind auch dagegen und werden es verhindern.
Gegenwind:
Wie wird die Zukunft des kurdischen Nordens aussehen?
Karim Aziz:
Ich muss dazu sagen, ich liebe den Irak. Es ist mein Land. Ich habe auch den Norden besucht, wir waren mit einem Auto mit einem Nummernschild aus Bagdad unterwegs. Kurden haben uns gesagt, wir sollten aus ihrem Land verschwinden. Ich habe das verstanden, das war die Schuld von Saddam Hussein und dem, was sein Geheimdienst in Kurdistan gemacht hat. Aber mir tat es trotzdem weh, ich habe den Kurden gesagt, dies ist doch auch mein Land. Aber wir Araber aus Bagdad sind dort nicht beliebt. Ich will aber ganz klar sagen, dass ich dafür bin, dass die Kurden bei uns ihre Sprache und Kultur behalten dürfen. Die Kurden wollen jetzt Mossul und Kirkuk zurückhaben, und sie wollen sicherlich unabhängig werden. Beides werden die USA und hauptsächlich die Türkei nicht zulassen, denn in der Türkei leben ja noch viel mehr Kurden, die dann auch unabhängig werden wollen. Die Kurden werden ihre Unabhängigkeit nicht durchsetzen können, aber ich glaube, dass sie bei uns im Irak ihre Autonomie behalten werden.
Gegenwind:
Wie wird der Irak in einem Jahr aussehen? Wer wird regieren?
Karim Aziz:
Die USA wollen Ahmet Chalabi einsetzen, aber der ist ein Dieb. Er hat so viel gestohlen, und alle wissen das. Ich bin natürlich dagegen. Ich hoffe, es gibt irgendwann freie Wahlen. Aber was ich erwarte: Die USA werden im Land bleiben, und sie werden mit Gewalt regieren. Denn sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass eine islamische Regierung der Schiiten an die Macht kommt. Deshalb regieren sie mit Gewalt, auch in einem Jahr noch.
Interview: Reinhard Pohl
Weiteres zu diesem Thema:
Interview mit Adulla Mehmud
Interview mit Maison Sindy
weitere Interviews: Irak vor dem angekündigten Krieg (Gegenwind 174, März 2003)