(Gegenwind 172, Januar 2003)
Regelmäßig veranstalten wir Besuche in den Flüchtlingsunterkünften des Landes. Dahinter steckt der Gedanke, dass die gerade eingetroffenen Flüchtlinge keine Lobby haben, um ihre Situation zu verbessern. Für uns zeigt sich auch der Charakter einer Gesellschaft daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.
Ende September hatten wir die Kaserne in Lübeck besucht, die "Erstaufnahmeeinrichtung" für Asylsuchende (vgl. Gegenwind 170, Seite 32). Wenn Flüchtlinge sechs bis zehn Wochen hier sind, werden sie entweder direkt auf die Kreise aufgeteilt, meistens aber zunächst für einige weitere Monate in die zweite große Landesunterkunft geschickt. Auch hier gibt es 500 Plätze, davon ist aber ein Teil für Aussiedler und für jüdische Flüchtlinge aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion reserviert.
Auf unserer Seite nahmen zum Teil die gleichen Personen, darunter viele Dolmetscherinnen und Dolmetscher teil, die bereits in Lübeck mit dabei waren. Überwiegend bestand auch dem Rundgang und der Führung der Eindruck, dass die Lebensverhältnisse in Neumünster besser sind. Das machte sich nicht an der Ausstattung der Unterkunft fest, denn finanziell werden beide gleich behandelt. Vielmehr scheint man in Neumünster viele "Kleinigkeiten" phantasievoller zu regeln. So gibt es hier bessere Angebote für Kinder und eine "lockerere" Ordnung, auch mehr Eigenverantwortung der Flüchtlinge.
Das Landesamt für Ausländerangelegenheiten allerdings ist hier sehr viel "mächtiger", allein dadurch, dass hier die Zentrale angesiedelt ist. Hier ist das Landesamt nicht nur für die Unterkunft selbst verantwortlich, sondern hat zahlreiche andere Aufgaben, z.B. werden hier Vorbereitungen für Ausreisen und Abschiebungen getroffen, aber zum Beispiel auch über Umverteilungen entschieden. Das betrifft Flüchtlinge, die nicht am zugewiesenen Wohnort bleiben wollen, sondern z.B. aus familiären Gründen in einen anderen Kreis umziehen oder aus einem anderen Bundesland nach Schleswig-Holstein kommen wollen.
Die Versammlung am Nachmittag war nur halb so gut besucht wie die Veranstaltung zwei Monate zuvor in Lübeck. Das Raum war immer noch mehr als voll, aber eben nicht total überfüllt. Viele Flüchtlinge waren gekommen, die auch schon die Veranstaltung zwei Monate zuvor besucht hatten.
Es waren auch einige gekommen, die nicht beabsichtigten, unsere Fragen zu beantworten, die ähnlich wie in Lübeck auf die Unterbringung und Verpflegung in der Großunterkunft zielten. Sie wollten vielmehr über die deutsche Asylpolitik diskutieren, waren unzufrieden mit der amtlichen Behandlung ihrer Flucht- und Asylgründe. Darauf konnten wir nur begrenzt, im kleinen Kreis, eingehen - auch weil wir uns sicherlich übernehmen und falsche Hoffnungen wecken würden, wenn wir hier einen gemeinsamen Kampf um Veränderungen vereinbart hätten. So wird das neue Zuwanderungsgesetz unabhängig davon, wann und in welcher Form es in Kraft tritt, die Probleme für Flüchtlinge noch einmal vergrößern.
Insgesamt wurde die Unterkunft in Neumünster positiver beurteilt als die in Lübeck, insbesondere was das Essen und den baulichen Zustand der Gebäude betraf. Andererseits war die Unzufriedenheit größer, wobei es hauptsächlich um die Wartezeit auf Asylentscheidung und Umverteilung auf einen Kreis ging. Einerseits scheinen bei vielen Asylanträgen die Wartezeiten auf eine Entscheidung wieder zuzunehmen, wobei natürlich Unzufriedene eher solche Veranstaltungen besuchen, andererseits bringt es die Unterbringung in einer großen Unterkunft automatisch mit sich, dass die Ungeduld wächst.
Vermisst wurde allgemein eine Verfahrensberatung, wobei fast alle das "Lübecker Modell" bevorzugten: Eine Beratungsstelle, klar abgetrennt von den übrigen Institutionen der Unterkunft, mit klaren Öffnungszeiten und zuverlässiger Übersetzung. Hier in Neumünster wurde das Personal des Roten Kreuzes zwar sehr gelobt, auch im Vergleich zum Lübecker Personal. Aber Fragen zum Verfahren werden eben "zwischen Tür und Angel" gestellt und beantwortet. Außerdem gab es ein deutliches Gefälle: Wer russisch spricht, kann viel schneller und einfacher Antworten bekommen als alle anderen, weil zwei Rotkreuz-Mitarbeiterinnen ebenfalls russisch sprechen.
Das Landesamt kam teilweise besser weg als bei unserem letzten Besuch vor eineinhalb Jahren. So gab es weit weniger Beschwerden über weggenommenes Geld oder die Weigerung, Taschengeld auszuzahlen. Dagegen gab es weit mehr Beschwerden über unfreundliche Antworten bei Fragen zum Asylverfahren (viele Flüchtlinge konnten inzwischen auf Deutsch "Verpiss dich" sagen), auch gab es viele Beschwerden über "Druck", der wohl im Zusammenhang mit der Besorgung von Papieren für Rückkehr oder Abschiebung ausgeübt wird.
Bei der obigen Schilderung handelt es sich lediglich um ein erstes kurzes Fazit. Zur Zeit wird durch Zusammentragen der Notizen von neun DolmetscherInnen ein Protokoll erstellt, und das wird dann gemeinsam mit dem Protokoll aus Lübeck mit den BetreiberInnen der Unterkünfte diskutiert.
Reinhard Pohl