(Gegenwind 170, November 2002)
Seit 1993, als das Asylrecht verschärft wurde, gibt es in allen Bundesländern "Erstaufnahmeeinrichtungen" für Asylbewerber. In Schleswig-Holstein müssen sich alle Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen, in Lübeck melden. Dort sind in einem Kasernenkomplex bis zu 500 Menschen untergebracht. Flüchtlinge verbringen dort die ersten zwei bis drei Monate ihres Aufenthaltes in Deutschland.
Regelmäßig besuchen Gruppen, vom Gegenwind organisiert, die Einrichtung und sprechen mit Betreibern und Flüchtlingen. Das soll erstens dazu dienen, die Aufnahme von Flüchtlingen durch eigenen Augenschein kennen zu lernen, die Gruppe besteht immer auch aus neuen Mitgliedern. Zweitens sollen Missstände erkannt und mit den Verantwortlichen diskutiert werden, deshalb besteht die Hälfte der Gruppe aus Dolmetscherinnen und Dolmetschern. An dieser Stelle soll noch keine Bilanz des Besuches gezogen werden. Denn solch ein Besuch besteht aus drei Terminen: Besichtigung und Flüchtlingsversammlung in der Kaserne (Erstaufnahme) in Lübeck, Besichtigung und Flüchtlingsversammlung in der Kaserne (zugeordnete Gemeinschaftsunterkunft) in Neumünster und Abschlussdiskussion mit den Betreibern.
Die etwa 20-köpfige Gruppe teilte sich, der eine Rundgang verschaffte eine Übersicht über das Asylverfahren, der zweite Rundgang informierte über die Unterbringung. Beide Gruppen starteten beim Landesamt für Ausländerangelegenheiten, das für die Unterkünfte zuständig ist, gleichzeitig aber auch für die Flüchtlinge alle Funktionen einer Ausländerbehörde wahrnimmt. Nach einer Erläuterung der Aufgaben und der Abgrenzung zu anderen Einrichtungen auf dem Gelände wurde die Aufnahme erläutert. Zur Zeit nimmt Schleswig-Holstein nach der bundesweit festgelegten Quote jährlich etwa 2000 Asylbewerber auf, es melden sich hier aber fast doppelt so viele. Grund ist vermutlich, dass viele eigentlich nach Skandinavien wollen, aber im grenznahen Bereich dann auffallen. Polizei und Bundesgrenzschutz nehmen die Personalien auf, so dass ein Asylantrag in Dänemark oder Schweden nach den Übereinkommen sowieso nicht mehr gestellt werden kann, für den Asylantrag selbst werden die Flüchtlinge dann an die Einrichtung in Lübeck verwiesen. Hier werden sie entweder aufgenommen oder in ein anderes Bundesland weitergeschickt. Nicht jede Außenstelle des Bundesamtes, das dann die Asylanträge bearbeitet, ist auch für Flüchtlinge aus allen Ländern der Welt zuständig. Neu war die Information, dass seit dem Sommer 2002 in jeder Außenstelle Flüchtlinge aus den zehn wichtigsten Herkunftsländern angehört werden sollen. Das waren in diesem Jahr der Irak, die Türkei, die Bundesrepublik Jugoslawien, die Russische Föderation, Afghanistan, der Iran, Vietnam, Syrien und wechselnd auf den letzten Plätzen Indien, Algerien, Aserbeidschan und Georgien. Für Lübeck bedeutet das, dass Flüchtlinge aus dem Iran jetzt neu dazugekommen sind, Flüchtlinge aus Vietnam werden demnächst auch hier aufgenommen. Die zweite Gruppe lernte in der gleichen Zeit die Organisation der Aufnahme, Zimmerverteilung, Hausausweis und Ausstattung mit Kleidung, Handtüchern etc. kennen. Besondere Stationen waren noch die kleine Schule mit zwei Klassen und der ärztliche Dienst. Hier wird die vorgeschriebene Eingangsuntersuchung durchgeführt, in einer Großunterkunft unverzichtbar, der ärztliche Dienst wird aber von den in der Unterkunft untergebrachten Flüchtlingen auch sonst häufig aufgesucht. Viele haben Verfolgung und eine lange Flucht hinter sich, kommen verletzt oder krank hier an. Auch der Aufenthalt in einem fremden Land mit ungewohntem Essen und Klima führt schnell zu neuen Erkrankungen. Hier wurde ausführlich über die immensen Verständigungsprobleme diskutiert. Sind beim ärztlichen Dienst schon DolmetscherInnen nur sehr eingeschränkt verfügbar, ist bei Weiterleitung an auswärtige (Fach-)Ärzte, das können RöntgenärztInnen, ZahnärztInnen, FrauenärztInnen sein, überhaupt keine Hilfe beim Übersetzen mehr vorgesehen.
Völlig überfüllt - mit mehr als 150 TeilnehmerInnen - war nachmittags die zweistündige Flüchtlingsversammlung, zu der wir mit Hilfe mehrerer Dolmetscherinnen und Dolmetscher eingeladen hatten. In elf Gruppen mit elf DolmetscherInnen wurden Fragen der Aufnahme und Information, des Asylverfahrens, der Unterbringung, des Essens, der ärztlichen Versorgung und des Auskommens mit den Angestellten der Einrichtung besprochen. Die Beteiligung war so lebhaft, dass schnell klar war: Eine solche Veranstaltung erfordert eigentlich mindestens doppelt so viele DolmetscherInnen und müsste auch viel länger sein, denn neben allgemeinen Problemen werden auch individuelle Fragen angesprochen. Zur Zeit wird das nach der Versammlung erstellte Protokoll noch von den Dolmetscherinnen und Dolmetschern korrigiert und ergänzt. Als ein großes Problem stellte sich auch hier die schon beim Rundgang vormittags angesprochenen Verständigungsprobleme mit den Ärztinnen und Ärzten heraus. Auch das angebotene Essen wurde kritisiert, wenn auch längst nicht so scharf wie bei unserem letzten Besuch im Februar 2001. Dagegen gab es viel Lob für die Angestellten vom Landesamt und dem Betreuungsverband Arbeiter-Samariter-Bund.
Im November ist ein ähnlicher Besuch in der Flüchtlingsunterkunft in Neumünster geplant, wo auch das Landesamt für Ausländerangelegenheiten seinen Hauptsitz hat. Danach sollen die beiden Flüchtlingsversammlungen ausgewertet und mit den zuständigen Stellen diskutiert werden.
Reinhard Pohl