(Gegenwind 167, August 2002)
Zum ersten Mal begegnete mir das Thema persönlich, als ich vor Jahren einen deutschen jungen Mann mit einer jungen Polin kirchlich trauen sollte. Das Gespräch in meinem Amtszimmer und mehr noch das Gespräch bei einem Besuch in der Wohnung einschließlich der nonverbalen Mitteilungen machten mich skeptisch. Die polnische Braut machte keineswegs einen unselbständigen Eindruck. Sie wirkte selbstsicher und beherrschte die deutsche Sprache so gut, dass sie nicht auf Hilfe angewiesen war. Trotzdem nahm sich der Mann immer sehr deutlich die Führungsrolle und gab seiner Braut Anweisungen in einem sehr knappen, bisweilen herabsetzenden Befehlston. Allerdings war der Mann durch einen Sportunfall auf Gehhilfen und Unterstützung angewiesen, so dass die "Normalsituation" nicht klar war. Nach meinen heutigen Kenntnissen allerdings sind meine Sorgen um die junge Frau tiefer - durch Umzug verlor ich aber den Kontakt.
Die zweite Begegnung in dieser Richtung kam auf mich zu, als eine Frau aus Ostasien mir ihr Leid unter Tränen klagte. Die Ehe selbst war nicht das Problem. Der deutsche Ehemann war ruhig, freundlich und partnerschaftlich. Das Problem lag bei den Söhnen im Grundschulalter. Sie hatten keine Achtung vor ihrer Mutter und machten ihr damit den Alltag schwer. Ob es Kommentare von SchulkameradenInnen waren, kaum sichtbare oder deutliche Signal von Nachbarn - jedenfalls empfanden die Söhne ihre Mutter als minderwertig; als eine Blamage, weil sie "keine richtige Mutter" sei, und das ließen sie die Mutter spüren, zumindest solange der Vater zur Arbeit war.
Seit diesen Begegnungen habe ich mich mit dem Thema intensiver beschäftigt. Was ich dabei erfahren habe, ist bestürzend und beschämend.
Da ist z.B. an einer schleswig-holsteinischen Schule ein Lehrer, der einer Frau aus Südosteuropa den Hof macht. In der Heimat der Frau zeigt er sich von der besten Seite. Er verspricht auch, nach der Heirat in Deutschland das Kind der Frau nachzuholen - in den ersten Wochen soll es noch bei den Großeltern bleiben. Wieder in der BRD, hält er keine seiner Zusagen. Die Frau zerreißt sich in Sehnsucht nach ihrem Kind. Hinreisen kann sie nicht, aus den verschiedensten Gründen, ganz direkt aber, weil sie gar nicht das Geld hätte. Ihr Mann gibt ihr kein Geld. Er kauft alles für sie ein, und wenn die Kleidung noch so billig und unmodisch ist - sie muss sie tragen. Er lässt sie alleine nur zum Deutschkurs; darüber hinaus darf sie nur in seiner Begleitung hinaus...
Zu Polen hat sich das Verhältnis gebessert. Hier gibt es Verträge, die auch die Versorgungspflicht für eine verstoßene, geschiedene und zurückkehrende Frau regeln. In allen anderen östlichen Ländern von Russland bis Thailand bestehen solche Verträge nicht. Die Frauen laufen in eine praktisch rechtlose Situation hinein. Es läuft sehr oft folgendermaßen ab:
Ein deutscher Mann, in den meisten Fällen geschieden und mit einer gescheiterten Beziehung im Hintergrund, um die 40 Jahre alt, fährt in ein östliches Land und sucht eine Frau, die ihm zusagt und seinen Vorstellungen entspricht, unter 30 Jahre alt. Er zeigt sich von der besten Seite. Er macht Versprechungen und weckt Hoffnungen. Er ist generös und spiegelt Reichtum vor. Mit seiner Charmeoffensive kommt er zum Ziel - die Frau geht mit ihm nach Deutschland. Hier wird der Heiratsvertrag gemacht - den die Frau wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht versteht. Gütertrennung, im Trennungsfall keine Unterhaltszahlungen usw. - sie unterschreibt alles, weil sie nicht weiß, was sie unterschreibt. Die Hoffnung verdrängt kritische Fragen. Es sind Knebelverträge. Denn die Frau muss gefügig sein; im Falle einer Trennung müsste sie ohne alles in das Heimatland zurückkehren.
Bei den anstehenden Verlängerungen der Visa stehen die Frauen wieder in demütigender Abhängigkeit. Die Ämter wollen natürlich überprüfen, ob die Ehe besteht oder nur eine Scheinehe zur Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung dient; Missbrauch ist bekannt. Aber wenn nun Fragen kommen, ob man zusammen wohnt, isst, schläft..., sind die Frauen im besten Fall verwirrt und verlegen. Meistens aber verstehen sie die Frage aus sprachlichen Gründen nicht. Die Männer antworten für sie; auch diese Antworten verstehen die Frauen oft nicht. Ob der Mann positiv oder negativ antwortet - die Frau ist davon abhängig.
Die Erfahrung vieler Frauen: Wir sind allenfalls Menschen 2. oder 3. Grades. Oder wir sind nur ein Gegenstand.
Die leitenden Interessen der deutschen Männer sind unterschiedlich. Es begegneten z.B. folgende Motive: Nach einer gescheiterten Beziehung mit einer gleichberechtigten, nicht so leicht zu "lenkenden" und deshalb als "schwierig und kompliziert" empfunden deutschen Frau wird eine neue Beziehung gesucht, in der die Machtverhältnisse "klar und eindeutig" sind und sich "problemlos" gestalten lassen. - Es kann sexuelles Interesse sein: eine Frau, die den männlichen Wünschen immer zur Verfügung steht. Es gibt aber auch Sexverweigerung, weil von der Frau kein Kind gewünscht wird; sie soll statt dessen helfen, die Kinder aus der vorherigen Beziehung zu betreuen. Oder die Frau wird geheiratet, um Pflegerin der gebrechlichen Schwiegermutter zu werden. Auch das Exotische kann ein Grund sein: Die Frau soll schön thailändisch oder russisch kochen. Oder den seit der Scheidung heruntergekommene Haushalt wieder ordnen...
Es stellt sich immer wieder die Frage, warum Frauen den großen Sprung ins Ungewisse wagen und mit blauäugigem Vertrauen den Versprechungen ihrer deutschen Männer folgen. Es sind doch in der Regel erwachsene Frauen, meist 24 bis 30 Jahre alt, nicht aus der untersten sozialen und bildungsmäßigen Schicht. Und genau mit diesem Vorwurf sehen sich die Frauen dann hier konfrontiert: "Selber schuld!" Wichtig wäre schon im Heimatland, auf jeden Fall aber vor dem Unterschreiben des Ehevertrages in Deutschland, der nachdrückliche Hinweis auf die zu erwartenden Probleme:
Natürlich gibt es viele Hilfsangebote. Aber entweder sind sie den betroffenen Frauen unbekannt, oder es fehlt die notwendige und gewachsene Vertrauensbasis. Es gibt kundige RechtsanwälteInnen - aber wer sind sie, wie findet man sie und wer bezahlt sie?
Am schwersten ist das Gespräch mit denen, die geschlagen werden. Die blau unterlaufene Nase, sogar der gebrochene Arm - und außer Zuhören sieht man keine Möglichkeit zu helfen. Dazu besteht die Schwierigkeit, dass die Gewalttätigkeit des Mannes geleugnet wird. Angst vor Trennung und Abschiebung, Angst vor neuen Drangsalierungen durch den Mann steht im Wege, aber auch das Unvermögen, sich das totale Scheitern aller Hoffnungen einzugestehen (ich erlebte das auch von deutschen Ehefrauen, die von ihren Männern misshandelt wurden, ebenso wie ich erlebte, dass KonfirmandInnen aus Erziehungsheimen darauf bestanden, dass ihre Familie prima sei). Oder: Eine Frau arbeitet in der Firma ihres Mannes mit. Scheinbar lebt sie im Wohlstand. In der Gruppe der SprachschülerInnen wird sie bewundert und anerkannt - diese Rolle will sie doch nicht aufs Spiel setzen. Also verschweigt sie, dass sie ohne Bezahlung arbeitet, ohne jeden Versicherungsschutz; nichts gehört ihr, auf nichts hat sie ein Recht; sie hängt voll an der "Gnade" des Mannes.
Das neue Wegweisungsrecht, das bestimmt, dass der gewalttätige Partner die Wohnung räumen muss, könnte eine Verbesserung bringen (Gewaltschutzgesetz). Eine telefonische Nachfrage bei Polizeisprecher Uwe Voigt ergab: Das Wegweisungsrecht gilt unabhängig von den Besitzverhältnissen; der gewalttätige Ehepartner kann für zwei Wochen aus der Wohnung gewiesen werden. Diese Zeit gibt beiden Eheleuten die Gelegenheit, ihre Situation und ihr Verhalten zu überdenken und sich für die weiteren Schritte zwischen Versöhnung oder Trennung zu entscheiden. Für unser Thema ergaben sich aus dem Gespräch mit Uwe Voigt drei Resultate:
Zunehmend wird das Frauenhaus eine Zuflucht für die betroffenen Frauen. Siehe dazu das Interview mit den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses und der "Lerche". Angesichts dieser bedrückenden Situation ist es um so trauriger, dass infolge der schwierigen Finanzlage die sozialpädagogische Betreuung gestrichen werden soll, die z. Z. noch an den Volkshochschulen, bei der AWO und an der Wirtschaftsakademie den Deutschunterricht begleitet. Hier war die Möglichkeit, Vertrauensbasen zu schaffen, zuzuhören, zu beraten, bei Drogen- oder Alkoholgefährdung zu helfen, Jugendliche vor faschistoiden Gruppen zu bewahren usw. Der Hinweis auf die vielen Hilfsangebote von anderen Trägern verfängt nicht, weil in der Kontinuierlichkeit des Sprachunterrichts Vertrauen aufgebaut werden kann, das andere, noch so gute Institutionen schwerer zu den betroffenen Frauen aufbauen können, einfach weil der regelmäßige Kontakt fehlt.
Nicht verschwiegen werden soll ein Phänomen, dass erst in jüngster Zeit sichtbar wurde: Türkische Frauen, z.T. in der BRD geboren, z.T. hier als Kinder aufgewachsen, mit akzentfreiem Deutsch, festem Beruf, sicherem Einkommen, Aufenthaltserlaubnis, emanzipierter Lebensweise und "westlichem" Aussehen fahren in die Türkei, gehen dort zu einem Heiratsvermittler und "erkaufen" sich einen türkischen Ehemann. Sie nehmen ihn mit nach Deutschland, obwohl er kein Wort Deutsch spricht, und laden ihm all die Schwierigkeiten auf, die sonst die ausländischen Frauen hatten. Vermutung: Ein Familienclan sagt: Du kannst unsertwegen so emanzipiert herumlaufen - aber nur unter der Bedingung, dass du einen echten Mann aus der Heimat heiratest. Eine andere Überlegung: Spotlight berichtet in Heft 7/2001 über Muslime in Britannien: Sie heiraten am liebsten innerhalb der Großfamilie. Das führt erkennbar zu Krankheiten, Behinderungen, frühem Tod von Kindern. Allmählich realisieren das die muslimischen Familien und beginnen, diese bedrohliche Entwicklung zu stoppen, indem sie mit fremden Familien in Heiratsbeziehungen treten.
Karsten Sohrt
Interviews zum Thema im Gegenwind 167, August 2002