(Gegenwind 167, August 2002)
Am 8. November 2001 ist von der Bundesregierung das sogenannte Gewaltschutzgesetz ("Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung") verabschiedet worden. Am 1. Januar 2002 ist es in Kraft getreten. Dieses Gesetz soll die Opfer von häuslicher Gewalt unterstützen. Es gilt für alle Lebensgemeinschaften, egal ob sie verheiratet sind oder nicht und ob sie hetero- oder homosexuell sind. Neu ist die Erweiterung der Schutzfunktion von der Ehe auf alle häuslichen Gemeinschaften.
Das Gesetz ist formell weitgehend geschlechtsneutral formuliert. Die Begründungen für die Durchsetzung des Gesetzes waren größtenteils geschlechtsspezifisch ausgelegt, was vielfach zu Kritik führte. Auch wenn es teilweise komisch klingen mag, versuche ich im folgenden Artikel geschlechtsneutrale Formulierungen zu finden, auch wenn vor allem Frauen die Opfer und Männer die Täter im Fall von häuslicher Gewalt sind.
Durch dieses Gesetz sollen polizeiliche und gerichtliche Maßnahmen möglich sein, die weitere körperliche, gesundheitliche oder freiheitliche Verletzungen verhindern. Dabei muss nicht immer ausgeübte Gewalt im Spiel sein, es langt auch die Androhung von Gewalttaten oder Belästigung durch das sog. Stalking (Nachstellen oder Verfolgen mit Verwendung von Fernkommunikationsmitteln wie Telefon, E-Mails...).
Eine neue Maßnahme für die Polizei zur Gefahrenabwehr ist die sog. Wegweisung. Damit kann eine drohende oder verletzende Person sofort aus der gemeinsam genutzten Wohnung verwiesen werden. Bisher gab es nur den Platzverweis, der eigentlich für "Gefahrenabwehr" auf öffentlichen Plätzen gedacht ist.
Zur Wegweisung gehört auch das Verbot des (Wieder)betretens der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung oder auch des Arbeitsplatzes der verletzten Person (Betretungsverbot). Bei einem Verstoß gegen die Wegweisung liegt eine Straftat vor.
Das Ziel der Wegweisung ist, dass die verletzte Person in Ruhe und Abwesenheit der verletzenden Person über die Situation nachdenken kann und Zeit hat, um sich zu informieren. Es sollte Rechtsrat eingeholt werden und es kann im Eilverfahren zivilrechtlicher Rechtsschutz (z.B. die Überlassung der Wohnung) beantragt werden. Außerdem sollten sich Frauen an eine Frauenberatungsstelle oder ein Frauenhaus wenden, um sich qualifiziert beraten oder bei Bedarf bei den folgenden Schritte begleiten zu lassen.
Nach der Wegweisung müssen eventuell folgende gerichtliche Anträge möglichst schnell gestellt werden. Dabei sollten den Anträgen folgende Informationen beigelegt werden: Datum und Frist der Wegweisung, die Polizeidienststelle, Aussagen von ZeugInnen, etwaige ärztliche Zeugnisse und Fotos, auf denen Verletzungen sichtbar sind. Bei Beantragung einer einstweiligen Anordnung sollte zudem eine eidesstattliche Versicherung abgegeben werden, dass der im Antrag geschilderte Sachverhalt wahrheitsgemäß ist.
Es kann beim Familien- oder Amtsgericht über eine einstweilige Verfügung die Überlassung der gemeinsamen Wohnung beantragt werden. Dies geht auch ohne vorherige Wegweisung.
Die Überlassung der Wohnung muss innerhalb von drei Monaten schriftlich beantragt werden, sonst verfällt die Möglichkeit der Zuweisung. Nach erfolgter Wohnungszuweisung sollte ein/e GerichtsvollzieherIn hinzugezogen werden, um den Anspruch auf die zeitweise Alleinüberlassung der Wohnung zu vollstrecken.
Ist die schutzsuchende Person mit im Mietvertrag, kann die gemeinsame Wohnung ihr ganz überlassen werden. Ist die Tatperson AlleineigentümerIn der Wohnung muss das Gericht die Zuweisung auf sechs Monate befristen. Es gibt eine Möglichkeit zur Verlängerung, wenn ein Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
Für ein Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz ist das Amtsgericht zuständig. Wer keine anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt, kann sich über einen entsprechenden Antrag selbst schriftlich an das zuständige Amtsgericht wenden. Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die gemeinsame Wohnung liegt (oder wo die "unerlaubte Handlung" begangen wurde, was meist identisch ist). Alle Anträge können bei geringem oder keinem Einkommen mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbunden werden.
Unabhängig von der polizeilichen Hilfe bietet das Gewaltschutzgesetz die Möglichkeit, eine/n GerichtsvollzieherIn hinzuzuziehen, der/die, wenn Widerstand gegen die Anordnung geleistet wird, den Widerstand brechen darf (ggf. mit Hilfe der Polizei).
In Schleswig-Holstein wird die Anwendung des Gewaltschutzgesetztes in der Polizeidirektion Nord modellhaft erprobt, ist also noch in der Anlaufphase. Es kann aber auch in allen anderen Regionen angewendet werden. Ob das Gesetz anwendbar ist und sich die Polizei auf dieses neues Instrument schnell umstellen kann, ist abzuwarten.
Die Umsetzung des Gesetzes muss jetzt in der Modellphase beobachtet werden. Da stellen sich mir schon einige Fragen: Klappt es, schnell nach einem Übergriff die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen? Ist das Gesetz praktikabel oder wird es nicht angewendet, weil es nicht bekannt genug ist? Wie reagieren die Sozialämter, wenn die Ernährer des Hauses verwiesen werden und Erwerbslose die Wohnung zugesprochen bekommen? Welche Konsequenzen ergeben sich z.B. für Frauen, die kein eigenständiges Aufenthaltsrecht haben? Ergeben sich aus diesen Punkten neue Problemlagen oder werden alle Institutionen zusammen arbeiten? Werden die Beratungsangebote angenommen oder verläuft sich die ganze Mühe im Sande? Die Zeit wird zeigen, was das Gesetz schließlich bringt.
Das Gewaltschutzgesetz ist ein Teil des Aktionsplanes der Bundesregierung zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Das Gesetz an sich schützt nicht vor Gewalt, sondern vor der Wiederholung von Gewalttaten. Sinnvoll ist es, präventiv zu wirken, Gewalttaten also zu verhindern.
Mir sind weiterführende Konzepte, die die Entstehung der inner- und außerhäuslichen Gewalt untersuchen bzw. vermeiden in meiner Recherche leider nicht begegnet.
Es bleibt zu hoffen, dass das Gewaltschutzgesetz durch politische Maßnahmen gegen die Ursachen von Gewalt begleitet wird. Möglich wären z.B. Informationen über die Hintergründe und Auswirkungen von psychischer und physischer Gewalt, Medienkampagnen gegen jegliche Form der Gewalt, Konfliktlösung als Schulfach, Familienkonfliktspezialisten bei der Polizei mit eigenen Notrufnummern usw.
Auch unter dem Aspekt der Tätertherapie bleiben Fragen offen. Die Staatsanwaltschaft kann einen Täter zwar in ein Täterprogramm vermitteln, diese sind aber nur sehr klein und dürfen nicht mit einer tiefergehenden Therapie verwechselt werden. Die Täter werden aus dem Tatbereich entfernt, verändern sich aber nicht in ihrem Gewaltverhalten. Finden über die Programme Lernprozesse statt, die das Gewaltverhalten nachhaltig ändern? Werden die Konflikte, die zur Gewaltausübung geführt haben, gelöst, oder gibt es "nur" einen Rausschmiss? Wird das Therapieangebot nun ausgeweitet, um die Gewaltsprirale zu unterbrechen?
Die Durchsetzung des Gewaltschutzgesetzes zeigt einen guten Willen seitens der Regierenden. Aber die ersten Stimmen werden laut, die jetzt bei den Frauenhäusern und Beratungsstellen Gelder kürzen wollen ("Wenn die Männer gehen, brauchen wir die Frauenhäuser ja nicht mehr"). Aber die Arbeit wird mehr, da durch die öffentliche Diskussion immer mehr Frauen die Beratungsstellen aufsuchen und sich bei den Anträgen helfen lassen. Der Erfolg des Gewaltschutzgesetzes steht und fällt mit der Unterstützung und Begleitung der von häuslicher Gewalt Betroffenen, in der Regel also der Frauen und Kinder.
KIK (Kooperations- und InventionsKonzept gegen häusliche Gewalt an Frauen des Landes Schleswig-Holstein)
In Schleswig-Holstein läuft nun seit einiger Zeit das Kooperations- und Interventions Konzept gegen häusliche Gewalt an Frauen. Vom Trägerverein von "Frauenberatungsstelle und Notruf" in Norderstedt wurde die Trägerschaft für die Stelle der KIK-Koordinatorin für den Kreis Segeberg übernommen.
KIK Schleswig-Holstein ist ein Modellprojekt im Rahmen des Aktionsplanes der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ist bisher bundesweit einmalig.
Es arbeiten u.a. Polizei, Justiz, Frauen- und Männerberatung gemeinsam daran, eine tragfähige Zusammenarbeit zum Schutz von betroffenen Frauen und ihren Kinder vor Gewalttätigkeiten ihrer Lebens- oder Ehepartner zu schaffen. Auf diese Weise soll der Gewaltkreislauf durchbrochen und häusliche Gewalt dauerhaft verringert werden.
In den Regionen des KIK Schleswig-Holstein haben sich Runde Tische gebildet, an denen jeweils die Institutionen und Einrichtungen vertreten sind, die mit Opfern und/oder Tätern häuslicher Gewalt konfrontiert sind. Die notwendige Verzahnung zwischen regionaler und landesweiter Ebene wird durch regelmäßige Treffen gewährleistet. Es gibt überregional und regional regelmäßige Kooperationstreffen. Im Konsens werden die für das Gelingen von KIK Schleswig-Holstein erforderlichen grundsätzlichen Entscheidungen getroffen.
Folgende Ziele will KIK Schleswig-Holstein erreichen:
KIK Schleswig-Holstein will dazu beitragen, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein ändert und häusliche Gewalt als das gesehen wird, was sie ist: eine Straftat, die gezielt verfolgt und sanktioniert werden muss.
Bei "Frauenberatungsstelle und Notruf" ist nun die neue Broschüre vom KIK unter dem Namen "Nur Mut!" zu erhalten. Unter dem Motto: Kein Mann hat das Recht eine Frau zu schlagen werden Handlungsmöglichkeiten für Frauen in Gewaltbeziehungen aufgezeigt. Neben juristischen Hinweisen sind auch Beratungsangebote und Hinweise für Frauen mit Kindern vorhanden. Die Broschüre ist nicht nur für betroffene Frauen und deren Umfeld interessant, sondern enthält viel Wissenswertes für alle Interessierte. Gegen einen adressierten und ausreichend frankierten DIN-A5-Rückumschlag (1,53 Euro) wird sie gern zugesandt. Adresse: KIK-Koordinatorin, Frauenberatungsstelle und Notruf, Segeberger Chaussee 3-7, 22850 Norderstedt.
Andrea Dallek
Frauenräume e.V.