(Gegenwind 162, März 2002)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, Schächten dürfte nicht verboten werden, wenn religiöse Bestimmungen diese Art des Schlachtens verbindlich vorschreiben, rief vor allem Tierschützerinnen und Tierschützer auf den Plan. Denn auch das Gericht sprach davon, dass hier zwei Güter - der Tierschutz, festgelegt im Tierschutzgesetz, und die Religionsfreiheit, garantiert durch das Grundgesetz, gegeneinander abzuwägen sind. Wir sprachen deshalb mit Ingrid Boldt, Vorsitzende des Tierschutzvereins für Kiel und Umgebung. Der Tierschutzverein ist den meisten KielerInnen bekannt, weil er das Tierheim im Uhlenkrog betreibt.
Gegenwind:
Wie ist Ihre Position, die Position des Tierschutzvereins zum Urteil des Verfassungsgerichtes, dass "islamisches Schlachten" unter bestimmten Umständen nicht verboten werden kann?
Ingrid Boldt:
Ich muss es aus der Position des Tierschutzes betrachten. Und bei aller Toleranz gegenüber anderen Religionen und Denkweisen sind wir vom Tierschutzverein der Auffassung, dass man sich in unserem Land auch an unsere Gesetze halten soll. Dieses Urteil ist aus Tierschutzsicht überhaupt nicht befriedigend. Das sogenannte Schächten ist eine Form der Tierquälerei. Die Begründung, weshalb das Schächten nun erlaubt sein soll, ist für uns nicht einsehbar. Denn es heißt ja, wichtig ist, dass das Fleisch ausgeblutet ist. Unserer Meinung nach kann das Fleisch auch nach einer Betäubung und dann der Tötung vollständig ausgeblutet werden. Für die betäubungslose Tötung besteht nach unserer Auffassung überhaupt keine Notwendigkeit.
Religiöse oder kulturelle Sitten und Gebräuche anderer Nationen dürfen kein Freifahrschein sein, in unserem Land gegen unsere Gesetze und ethisch-moralischen Grundsätze zu verstoßen. Im übrigen wird niemand gezwungen, überhaupt Fleisch zu essen.
Gegenwind:
Können Sie denn die Argumentation der CDU-Landtagsfraktion nachvollziehen, dass es auch für den Tierschutz ein Fortschritt ist, wenn Lebendtransporte von Schlachtvieh in den Nahen Osten nicht mehr nötig sind? Bisher werden Tiere häufig im Ausland islamisch geschlachtet, jetzt kann das direkt hier geschehen. Und wie stehen Sie zum Problem illegaler Hausschlachtungen? Es gibt ja sicherlich Familien, die jetzt auf das illegale Schlachten in der Badewanne verzichten, wenn sie auch einen Schlachtbetrieb mit dem islamischen Schlachten beauftragen können.
Ingrid Boldt:
Zum illegalen Schlachten muss ich sagen: Sicherlich hat es immer wieder Fälle gegeben, wo gegen das Gesetz verstoßen worden ist. Aber deshalb muss man nicht das Gesetz ändern. Es wird ja auch nicht die Straßenverkehrsordnung abgeschafft, nur weil immer wieder Leute bei Rot über die Ampel fahren. Gerade diese Sache könnte man in unserem Land auch besser kontrollieren. Mit den Tiertransporten haben Sie allerdings Recht. Das ist natürlich auch eine Form der Tierquälerei, wenn Tiere ins Ausland geschafft werden, dort geschächtet und dann wieder zurücktransportiert werden. Aber was im Ausland passiert, können wir zwar bedauern, aber darüber haben wir ja keine Kontrolle. In unserem Land haben wir allerdings die Kontrolle, und deswegen wollen wir unsere Tierschutzgedanken, unsere Tierschutzforderungen durchsetzen.
Integration von Ausländern ist notwendig, kann aber nicht bedeuten, dass wir unsere Gesetze ändern, damit andere Nationen hier gegen unsere Auffassung von Tierschutz verstoßen.
Gegenwind:
Haben Sie als Tierschutzverein Kontakte zu islamischen Organisationen? Können Sie sich vorstellen, direkt bei den islamischen VerbraucherInnen Aufklärungsarbeit, Überzeugungsarbeit zu leisten?
Ingrid Boldt:
Kontakte haben wir nicht, und der Wunsch ist auch noch nicht an uns herangetragen worden. Aber wenn Kontakt besteht, wollen wir gerne auch versuchen, durch Aufklärungsarbeit etwas zu erreichen.
Gegenwind:
Eine Begründung für das Urteil des Verfassungsgerichtes war ja, dass Juden das Schächten in Deutschland erlaubt ist, und Moslems deshalb eine Gleichbehandlung verlangen können. Sehen Sie einen Unterschied zwischen der Erlaubnis zum Schächten für Juden und für Moslems?
Ingrid Boldt:
Aus Tierschutzgründen sollte das Schächten generell verboten sein, für welche Religionszugehörigkeit auch immer. Denn es ist mit Tierquälerei verbunden. Zwar werden beim Schächten die Stimmbänder mit durchtrennt, so dass das Tier keine Lautäußerung mehr von sich geben kann, aber es dauert mehrere Minuten, bis das Blut aus dem Gehirn entfernt ist, und so lange leidet das Tier.
Gegenwind:
Ein Problem der Rechtsprechung ist ja, dass die Religionsfreiheit im Grundgesetz geschützt wird, der Tierschutz aber nur durch ein einfaches Gesetz. Liegt in dieser Hierarchie nicht das eigentliche Problem?
Ingrid Boldt:
Ja natürlich. Wir fordern ja schon seit langem, dass der Tierschutz in der Verfassung verankert wird. Und wenn das auf Bundesebene noch nicht durchsetzbar ist, dann auf jeden Fall in der Landesverfassung. Das ist eine ganz wichtige Forderung für uns.
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