(Gegenwind 162, März 2002)
Am 22. Februar war Opferfest. In Erinnerung an Abraham, der seinen Sohn Ismail opfern sollte, schlachten Muslime an diesem Tag ein Tier, um das Fleisch mit Bedürftigen zu teilen. Im jahrelangen Streit, ob das "islamische Schlachten", das sogenannte Schächten, in Deutschland erlaubt ist, hat das Bundesverfassungsgericht im Januar entschieden: Moslemischen Schlachtern kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden.
Die Frage, wie ein Tier geschlachtet werden muss, damit Muslime es essen können, stellt sich natürlich nicht nur zum Opferfest. Aber wie viele Christen nur einmal im Jahr, Weihnachten, in die Kirche gehen, so möchten viele Moslems insbesondere an ihrem höchsten Fest, das in diesem Jahr auf den 22. Februar fiel, die Regeln des Koran einhalten. Diese Regeln sind zwar umstritten, streng gläubige Muslime lehnen es aber ab, Tiere vor dem Töten zu betäuben. Sie wollen, dass Schlachttiere geschächtet werden: Mit einem einzigen Schnitt durchtrennt der gelernte Metzger die Kehle mitsamt Schlagadern, Luft- und Speiseröhre, das Tier verliert das Bewusstsein und blutet anschließend aus.
Die deutsche Methode unterscheidet sich davon, sie ist in Gesetzen und Verordnungen als Normalfall vorgeschrieben. Danach wird das Tier durch Bolzenschuss oder durch Elektroschock betäubt, danach wird das Tier erstochen und stirbt ebenfalls durch Ausbluten. Diese Methode gilt als weniger schmerzhaft und damit gilt das Tierschutzgesetz als erfüllt, das vorschreibt, Tiere nur mit "vernünftigem Grund" und ohne vermeidbares Leiden zu töten.
In Deutschland werden jedes Jahr ungefähr 400 Millionen Tiere geschlachtet, und zwar 350 Millionen Hühner, 40 Millionen Schweine, 4 Millionen Rinder, 1 Millionen Schafe und Ziegen sowie einige hundertausend weitere Nutztiere. Europaweit ist vorgeschrieben, die Tiere vor der Schlachtung zu betäuben (Richtlinie 93/119/EG vom 22. Dezember 1992). Außerdem gibt es eine Reihe von Richtlinien, die vorschreiben, dass die Leute, die Tiere töten, sachkundig sein müssen (also z.B. eine Metzgerlehre durchlaufen haben) und das Ganze in geeigneten Räumen geschehen muss.
Aber es gibt keine Regel ohne Ausnahmen. Eine ist in den letzten Jahren häufig in den Blick der Öffentlichkeit geraten: Tausende von Tieren werden vor der Schlachtung hunderte oder tausende von Kilometern transportiert, oft unter so katastrophalen Bedingungen, dass viele den Transport nicht überleben. Hier wurde immer wieder die Frage gestellt, wie sich diese logisch zum Schlachtvorgang gehörenden Transporte mit dem Tierschutzgesetz vertragen.
Eine weitere, weniger diskutierte Ausnahme ist die Jagd und die Fischerei. Hier wird zwar auch Sachkunde, dokumentiert durch Jagdschein oder Angelschein, vorgeschrieben. Dennoch geschieht hier die Tötung von Tieren ohne Betäubung, und es ist auch bekannt, dass nicht jeder Schuss tödlich trifft.
Das Schächten von Tieren ist die von Juden und Moslems angewendete Schlachtmethode. Ziel ist, dass das Tier vollständig ausblutet, was bei vorheriger Betäubung für nicht sicher gehalten wird. Dabei ist es innerhalb des Islam durchaus umstritten, inwieweit diese traditionelle Schlachtmethode auch als einzig zulässige vorgeschrieben ist.
In Deutschland war Schächten bis 1933 gestattet und wurde von jüdischen Metzgern praktiziert. Im April 1933 wurde es von den Nazis aus "Tierschutzgründen" verboten, allerdings stellte später der Bundesgerichtshof in einem Urteil fest, damit sollte der "jüdische Teil der Bevölkerung in seinen religiösen Empfingen und Gebräuchen verletzt" werden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb das Tierschutzgesetz, das Schlachten ohne Betäubung verbot, zwar in Kraft, das Schächten nach jüdischen Regeln wurde aber durch verschiedene Landesverordnungen als Ausnahme wieder zugelassen oder stillschweigend geduldet.
Anders stellte sich das für Moslems dar. Sie kamen erst in den sechziger Jahren in größerer Zahl ins Land. Waren die ersten Anwerbeländer für Gastarbeiter mit Italien, Spanien, Portugal und Griechenland noch überwiegend christlich geprägt, kamen nun Gastarbeiter aus der Türkei, Marokko und Tunesien, mithin hauptsächlich Moslems. Sie praktizierten natürlich längst nicht alle ihren Glauben, jedoch stieg die Zahl strenggläubiger Moslems in Deutschland steil an. Und sehr bald machten Geschichten über das Schlachten von Schafen in der Badewanne oder auf der Koppel die Runde, die im Einzelnen zwar oft nicht stimmten, aber dennoch einen wahren Kern enthielten. Denn in den ersten Jahrzehnten der Einwanderung fehlte die Infrastruktur, es gab einfach keine Schlachter, die als "islamische Schlachter" ausgebildet waren. So griffen viele Familienväter selbst zu Messer, um zumindest einmal im Jahr, zum Opferfest, ein islamisch geschlachtetes Schaf zu bekommen. Und viele Schäfer und Bauern machten, für ein wenig Geld, bereitwillig mit, erlaubten das Töten der gekauften Tiere direkt auf der Koppel. Hier liegt wohl eine der Wurzeln für den ausgesprochen schlechten Ruf des Schächtens, nahm die Tötung der Tiere durch besagte Familienväter, die das Schächten höchstens mal gesehen, aber noch nie praktiziert hatten, oftmals grausam lange Zeit in Anspruch.
Wenige Ausnahmegenehmigungen für islamische Schlachter wurden 1995 nach höchstrichterlichem Urteil widerrufen oder nicht verlängert. Damals urteilte das Bundesverwaltungsgericht, Moslems könnten keine Ausnahmegenehmigung bekommen, weil ihre Glaubensgemeinschaft das Schäch4ten nicht verbindlich als einzig mögliche Schlachtmethode vorschreibe, immerhin gäbe es innerhalb des Islam verschiedene Ansichten hierzu. Außerdem könnten strenggläubige Moslems pflanzliche Nahrung zu sich nehmen, also als (Zwangs-)Vegetarier leben, oder geschächtetes Importfleisch kaufen.
Das letzte Verfahren dieser Art, das 1995 negativ entschieden wurde, lag seitdem dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Diese Gericht sollte sich zwischen zwei Rechten entscheiden: der im Grundgesetz festgelegten Religionsfreiheit und dem Recht der Berufsfreiheit (der klagende islamische Schlachter gab an, keinen anderen Beruf gelernt zu haben) einerseits und dem Tierschutz andererseits. Im Tierschutzgesetz heißt es:
"§ 4 a
(1) Ein warmblütiges Tier darf nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist.
(2) Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn
1. ...,
2. die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen oder
3. ..."
In seinem Urteil vom 15. Januar 2002 kommt das Bundesverfassungsgericht jetzt zur Feststellung, dass eine Religionsgemeinschaft nicht unbedingt eine Art "islamische Kirche" oder die Gemeinschaft aller Sunniten oder aller Schiiten sein muss, sondern eine Anzahl von Menschen reicht, die eine gemeinsame Glaubensausübung praktizieren. Für Moslems, die nur geschächtetes Fleisch essen, sei es zudem unzumutbar, zwangsweise Vegetarier zu werden. Wenn sie ausschließlich auf importiertes Fleisch zurückgreifen müssten, hätten sie nie die Sicherheit, dass die Tiere tatsächlich nach islamischen Richtlinien geschlachtet worden wären. Sie wollten, wie ja bekanntlich auch viele deutsche VerbraucherInnen, durch persönlichen Kontakt zum Schlachter zur Sicherheit kommen, dass mit dem Fleisch alles in Ordnung wäre.
Auch der klagende islamische Schlachter habe ein Recht darauf, seinen Beruf auszuüben. Das Verbot islamischen Schlachtens sei für ihn faktisch ein Berufsverbot.
Das Verfassungsgericht blieb allerdings dabei, dass das islamische Schlachten nur in Form einer Ausnahmegenehmigung gestattet werden kann, dass also die Betäubung durch Elektroschock oder Bolzenschuss dem Schnitt durch die Kehle vorzuziehen sei. Im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung können zudem weitere Auflagen hinsichtlich der Beschaffenheit der Schlachträume oder der Sachkunde des Personals gemacht werden, das sieht das Gericht als positive Einflussmöglichkeit der Behörden..
Die Tierschutzverbände übten scharfe Kritik am Urteil. Nach ihrer Meinung ist die Erlaubnis zum Schächten gleichbedeutend mit der Erlaubnis zur Tierquälerei.
Islamrat und Zentralrat der Muslime begrüßten das Urteil und bildeten gleich eine gemeinsame Kommission, die festlegte, dass nur noch Fleisch von geschächteten Tieren als "islamisch statthaft" eingestuft wird. Dafür soll es in Zukunft ein Zertifikat geben, so dass dieses Fleisch auch in der Kühltruhe im Supermarkt zweifelsfrei identifiziert werden kann. Außerdem soll ein Profil für die "Befähigung" zum Schlachten entwickelt werden, die beiden großen Verbände wollen auf jeden Fall "Privatschlachtungen" in jeder Form verhindern. Insbesondere der Zentralrat hatte sich schon vor dem Urteil für den Tierschutz stark gemacht.
Der Islamrat wehrte sich in einer Presseerklärung ausdrücklich gegen die Vorwürfe von Tierschutzorganisationen. Einerseits behauptet der Islamrat, das Schächten sei die humanste Form des Tötens von Schlachttieren. Den Tierschutzorganisationen wurde andererseits vorgeworfen, nicht mit gleichem Einsatz gegen die Massentierhaltung und die Fütterung von Pflanzenfressern mit Tiermehl vorzugehen, sondern einseitig das islamische Schlachten zu kritisieren.
Nicht vergessen werden sollte, dass strenggläubige Moslems auch innerhalb der islamischen Bevölkerung eine Minderheit darstellen. Und selbst viele strenggläubige Moslems schlachten zum Opferfest kein Tier mehr, um das Fleisch unter den Armen zu verteilen, sondern erfüllen ihre religiöse Pflicht durch Überweisung einer Spende.
Reinhard Pohl
Websites mit Informationen zum Thema:
www.islamrat.de
www.islam.de
www.halal.de
www.halaldeutschland.de
www.hagalil.com/judentum/koscher/
www.bverfg.de (die Entscheidung findet sich unter dem 15.01.2002)
BMELV - Tierschutz - Tierschutzbericht der Bundesregierung 2007 (4.3 Betäubungsloses Schlachten ab Seite 16) (geändert 2010, da Tierschutzbericht Stand 2002 nicht mehr verfügbar)
www.tierschutzbund.de
www.bv-tierschutz.de
www.tierrechte.de
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