(Gegenwind 160, Januar 2002)
Entstanden ist die Aktion "Schüler helfen leben" (SHL) mit der Idee, Schülerinnen und Schülern in Bosnien zu helfen. Doch es war logisch, dass die Beschäftigung mit der Situation den Blick auf die Nachbarländer lenkte. So entstand während des Krieges im Kosovo der Plan, dort auch mit Jugendlichen zusammen zu arbeiten, sobald das möglich ist. Kaum war der Waffenstillstand zwischen Jugoslawien und der NATO im Sommer 1999 unterschrieben, brachen die ersten SHL-Mitarbeiter auf, um die Möglichkeiten zu eruieren.
Im SHL-Büro in Neumünster treffe ich mich mit Timo Balke. Er kommt gerade aus dem Kosovo, wo er die Projekte besucht hat. Seit drei Jahren ist SHL jetzt dort aktiv. Der Ansatz war zunächst, gemeinsam mit dem THW Schulen wieder aufzubauen und entsprechend mit Möbeln und Unterrichtsmaterial zu versorgen. 22 Schulen wurden seit 1999 aufgebaut, wobei SHL die Trennung in albanische, serbische und andere Schulen notgedrungen akzeptieren mussten. Sie beteiligen sich aber am Wiederaufbau auf allen Seiten und für alle Volksgruppen, haben auch eine Schule für Roma-Kinder aufgebaut. Geleitet werden die Projekte auch dort durch Freiwillige, die für ein Jahr im Kosovo arbeiten, inzwischen ist dort die "dritte Generation" Freiwilliger aktiv.
Während die Schulen jeweils als zeitlich befristete Projekte galten, haben sich die beiden Jugendzentren in Rahovec bzw. Orahovac zu dauerhafen SHL-Projekten entwickelt. Bei Rahovec (albanisch) und Orahovac (serbisch) handelt es sich um die gleiche Stadt, die von 20.000 AlbanerInnen und 800 SerbInnen bewohnt wird. Letztere befinden sich allerdings in einer Enklave, bewacht von KFOR-Soldaten. Sie können sich nur in militärisch geschützten Konvois im übrigen Teil der Stadt bewegen, auch serbische Bewohner eines Dorfes in der Nähe können nur nach Orahovac, wenn KFOR-Soldaten einen Bus begleiten.
In dieser geteilten Stadt hat SHL zwei Jugendzentren eingerichtet: Im albanischen Rahovic entstand ein neues Haus, in dem inzwischen täglich lebhaftes Treiben herrscht. Es gibt viele Kurse und Gruppen, schon an der Tür hängt ein Plan mit den täglich angebotenen Terminen und Unterrichtsstunden. Bis zu zehn Leuten bilden das Team, zwei "Hausmanager" stammen aus dem Kreise der Jugendlichen selbst, ein weiterer ist für das Café verantwortlich, und dann engagieren sich wechselnd Lehrer und Arbeitsgruppenleiter, die bestimmte Kurse anbieten.
Kleiner ist das Jugendzentrum im serbischen Orahovac: Es besteht aus einem großen, angemieteten Raum mit einer Theke, einem Billandtisch und Sitzgelegenheiten. Auch hier machen die zur Zeit fünf Mitarbeiter Angebote, das Jugendzentrum steht aber auch denen zur Verfügung, die sich einfach nur treffen wollen, Billard spielen oder Musik machen.
Treffen der albanischen und serbischen Jugendlichen gibt es nicht, das wäre im Moment auch noch viel zu gefährlich. Es gibt in beiden Jugendzentren Fotogruppen, und kleine Ausstellungen werden dann "auf der anderen Seite" präsentiert. Und Timo hat jetzt bei seinem Besuch festgestellt, dass es auf beiden Seiten auch Neugier gibt, mehr über die Jugendlichen auf der anderen Seite zu erfahren.
Am ersten Dezember-Wochenende gab es das erste Treffen der beiden Teams, zehn Leute von albanischer und fünf von serbischer Seite, die ihre Arbeit und ihre Planungen für die nächste Zeit vorgestellt haben. Ob mehr daraus wird, steht noch nicht fest. Ansonsten hat es (gemischte) Seminare und Treffen bereits im Ausland, in Nachbarländern oder Deutschland gegeben, auch gab es gerade eine von SHL organisierte Tournee einer gemischten Theatergruppe. Aber diese Versuche sind sehr mühsam.
Borjana Gakovic (vgl. Gegenwind 159, Seite 37, Schüler helfen leben e.V. - Aus Sarajevo nach Neumünster) ist inzwischen dazugekommen. Sie vergleicht die Nachkriegssituation im Kosovo mit der in Bosnien: In Bosnien, so meint sie, handelt es sich um ein Volk mit einer Sprache und unterschiedlichen Religionen. Zwar bemühen sich die jetzigen Machthaber, mit drei Schulsystemen und der künstlichen Betonung von sprachlichen Unterschieden, die Trennung aufrecht zu erhalten, aber man kann doch miteinander reden, und auch die Enkel der heutigen Einwohner werden sich problemlos miteinander verständigen können, wenn sie das wollen. Im Kosovo gibt es zwei Völker mit zwei verschiedenen Sprachen, schon vor dem Krieg hat man sich nicht gut vertragen. Viele serbische Familien sind weggezogen, während des Bosnien-Krieges, in dem 300.000 Serbinnen und Serben vertrieben wurden, bemühte sich die serbische Regierung, diese im Kosovo anzusiedeln, um dort den serbischen Bevölkerungsanteil wieder zu erhöhen - vergeblich, auch Flüchtlinge wollten dort kein neues Zuhause gründen. Ein normales Zusammenleben stellt sie sich im Kosovo noch weit schwerer vor als in Bosnien, der "Heilungsprozess der Gesellschaft", so sagt sie, dauert im Kosovo viel länger.
Timo merkt aber an, dass eine Verständigung im Kosovo nicht an der Sprache scheitern wird. Überall hat er auf seiner Reise Jugendliche getroffen, die Englisch oder Deutsch konnten, und auch albanische Jugendliche können häufig Serbisch. Wenn sie sich verständigen wollen, ginge das auch, so seine Einschätzung.
Mit dem Erlös des für Sommer 2002 geplanten "Sozialen Tages" soll diese Arbeit im Kosovo fortgesetzt werden. SHL plant kein weiteres "großes" Projekt, wie es der Neubau des Jugendzentrums in Rahovec darstellte, sondern eine Fortführung und Intensivierung der alltäglichen Arbeit, um ihren ganz speziellen Beitrag zum "Heilungsprozess der Gesellschaft" zu leisten. Man habe ja auch, so sagen beide, durch den Start dieser Projekte Verantwortung übernommen, Seminarreihen gegründet, in Bosnien auch eine Infokampagne über Zivildienst und Kriegsdienstverweigerung sowie Jugendmessen angefangen, Schülervertretungen gegründet - und diese Arbeit muss kontinuierlich fortgeführt und kontinuierlich finanziert werden.
Reinhard Pohl
Weitere Informationen: www.schueler-helfen-leben.de.