(Gegenwind 159, Dezember 2001)
Seit drei Jahren arbeitet Schüler helfen leben e.V. (SHL) in Schleswig-Holstein und bundesweit. Die Organisation wurde gegründet, um nach dem Krieg in Bosnien zu helfen, dort Hilfe zum Zusammenleben der Menschen zu leisten. Mit dem Dayton-Abkommen endete zwar der Krieg, vom Frieden ist das Land aber noch weit entfernt.
1998 fand der erste landesweite "Soziale Tag" statt: Ungefähr 35.000 Schülerinnen und Schüler gingen arbeiten, die ArbeitgeberInnen überwiesen den Lohn an SHL, die 1,4 Millionen DM dienten zum Wiederaufbau und der Einrichtung von Schulen sowie dem Aufbau eines Jugendzentrums in Bosnien. Im Jahre 2000 beteiligten sich bereits ungefähr 100.000 Schülerinnen und Schüler aus Schleswig-Holstein und Hamburg am Sozialen Tag, 4,2 Millionen DM kamen zusammen, die im Wesentlichen für Schulen und Jugendzentren im Kosovo eingesetzt wurden. Der dritte Soziale Tag ist für den 18. Juni 2002 geplant, dazu sollen diesmal Schülerinnen und Schüler aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachen aufgerufen werden.
Organisiert werden Spendensammlung, Öffentlichkeitsarbeit und Projektunterstützung von der Bundesgeschäftsstelle in Neumünster, die dort im Postgebäude untergebracht ist. Hier arbeiten Freiwillige, genauso wie in Bosnien und dem Kosovo. Auf dem Balkan arbeiten Schülerinnen und Schüler für ein Jahr, direkt nach Abschluss der Schule, für ein geringes Taschengeld und überwachen die Projekte vor Ort.
Seit drei Monaten ist zum ersten Mal eine Freiwillige aus Bosnien in Neumünster: Borjana Garkovic hatte im Sommer 1999 die Koordination im SHL-Jugendzentrum in Sarajevo übernommen. Den Krieg hat sie als Kind und Jugendliche erlebt, und zwar hauptsächlich als Trennung von der Familie: Sie wurde 1991, beim Ausbrechen der ersten Kämpfe, von den Eltern aus Sarajevo zu Verwandten nach Belgrad geschickt - "für eine Woche". Dann, so meinte die Familie, wären die Unruhen sicherlich vorbei. Aus sieben Tagen wurde eine Flucht von sieben Jahren. Die Eltern blieben bis 1995 in Sarajevo, die Mutter wurde dort durch den Beschuss der Stadt schwer verletzt, erst 1995 flohen sie. Die Tochter Borjana lebte mal hier, mal dort, wo Verwandte und Bekannte bereit waren, sie für einige Zeit aufzunehmen. Zuletzt war das hauptsächlich in Banja Luka im Norden von Bosnien. 1997 kehrte sie, gegen den Willen ihrer besorgten Eltern, nach Sarajevo zurück und schrieb sich dort an der Uni ein, studierte Germanistik. Auch wenn sie das Studium nicht abschloss, lernte sie bis heute perfekt Deutsch.
Mit Freunden zusammen gab sie eine Jugendzeitschrift heraus, die in ganz Bosnien erschien, mit monatlichen Redaktionstreffen, die reihum in 14 verschiedenen Städten stattfanden. Nepitani (Die Ungefragten) hieß sie, Borjana leitete die Redaktion in Banja Luka. Die Zeitschrift erschien bis 1999, dann löste sie sich auf. Allerdings nicht in Nichts, heute erscheinen zwei Nachfolgeprojekte, Kollaps und iza.
Im Jugendzentrum Sarajevo fanden Wochenendseminare statt, wobei sich Borjana Garkovic hauptsächlich der Medienarbeit verbunden fühlte. 10 Zeitschriften, alles kleine "selbstgemachte" Jugendzeitschriften, wurden ausgewählt, die einzelnen Seminare richtete sich nacheinander an Chefredakture (Konzept/Struktur einer Zeitschrift), an Journalisten (Schreibwerkstatt), an Fotografen und so weiter. Diese Seminare sollen jetzt, wo sie in Deutschland arbeitet, mit anderen Zeitschriften wiederholt werden.
Außerdem finden Theaterseminare, auch politische Wochenenden statt, letzte meistens mit Referenten der Sozialdemokratischen Partei SDP, die sich, in Bosnien ein seltener Fall, nicht national, als Vertretung einer Volksgruppen, sondern als übergreifende bosnische Partei definiert.
Probleme zwischen den Jugendlichen der verschiedenen Volksgruppen gibt es eigentlich weniger, zumindest bei denen, die ins Jugendzentrum kommen bzw. an den Seminaren teilnehmen. Probleme machen eher Lehrer und Eltern, die die Jugendlichen davor warnen, an gemeinsamen Veranstaltungen teilzunehmen. Eine Freudin von Borjana aus Visegrad bekam schon von serbischen Lehrern zu hören, wenn sie Freitag nach Sarajevo wollte, sie solle doch sicherlich zum moslemischen Freitagsgebet. Sorgen machen Borjana auch die Lehrpläne: Bosniakische, serbische und kroatische Jugendliche lernen drei verschiedene Geschichtsschreibungen, auch die Erdkunde ist unterschiedlich - so fließt in kroatischen Erdkundebüchern der Fluss, der die Stadt Mostar in einen großen kroatischen und einen kleinen moslemischen Teil teilt, an der Stadt vorbei, Moslems gibt es in diesen Schulbüchern in Mostar nicht.
Hört sich dieser Werdegang, den sie mir an einem Vormittag in der SHL-Geschäftsstelle in Neumünster erzählt, einigermaßen natürlich und logisch an, so war er doch nicht geplant. Es ist einfach so gekommen - in Sarajevo lernte Borjana die SHL-Freiwilligen Christian, Alex und Michael kennen. Und da sie nicht Serbokroatisch sprachen, musste Borjana Deutsch lernen. Sie blieb am Verein "hängen", aus dem Zusammen-Arbeiten wurde ein Zusammen-Leben. Hatte sie bis 1999 noch nebenbei studiert, hörte sie damit auf und arbeitete 2000 und 2001 nur noch für den Verein. Sie lebte bei der Oma, bekam von SHL als Projektleiterin ein kleines Taschengeld - und kam vor vier Monaten nach Deutschland.
In Neumünster arbeiten momentan fünf Jugendliche, Borjana ist für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Florian hält die Kontakte mit den Schulen, Louis mit UnterstützerInnen und Sponsoren. Dennis ist für Niedersachsen zuständig, Timo für die Technik, hauptsächlich Druck, Versand und die Bürokommunikation.Auch hier ist es so, dass die fünf zusammen arbeiten und zusammen leben. Der geplante Soziale Tag 2002, zu dem erstmals alle Schulen Niedersachsens einbezogen werden sollen, macht schon jetzt so viel Arbeit, dass kaum Kontakte außerhalb des Vereins entstanden ist. An freien Wochenenden besucht Borjana dann auch meistens ehemalige Freiwillige aus Bosnien, die sie aus deren Zeit dort kennt, wohnt bei ihnen. In vielen deutschen Städten hat sie Bekannte aus dem Verein, wo sie jederzeit auch ein paar Tage wohnen kann. Insofern ist sie auch noch gar nicht dazu gekommen, hier in Deutschland andere Kontakte aufzubauen. Aber das kommt sicherlich noch.
Reinhard Pohl