(Gegenwind 159, Dezember 2001)
Nach monatelangen Diskussionen fiel am 15. November in der Kieler Ratsversammlung eine Grundsatzentscheidung für einen Ausbau der Start- und Landebahn des Flughafens Holtenau. Über die allgemeine Willensbekundung hinaus sagt der Beschluss aber wenig Konkretes aus.
Am Wochenende zuvor protestierten über 3000 Menschen in der Kieler Innenstadt für einen Stopp der Ausbauplanungen. Die Ausbau-KritikerInnen greifen immer wieder die dürftige Informationsgrundlage an, auf der die Planungen beruhen - und die Informationspolitik der Stadt, die kritische Stellungnahmen unter Verschluss halten möchte.
alle Bilder auf dieser Seite: Demonstration gegen den Flughafenausbau am 10. November in Kiel
Die Stadt Kiel hat die Absicht, ein Planfeststellungsverfahren mit dem Ziel einer Flughafenerweiterung in Holtenau einzuleiten. Soviel steht nun fest, die Ratsversammlung hat es mit großer Mehrheit (SPD, CDU, Stadt-Union) beschlossen. Die Grünen stimmten dagegen, ebenso eine einzelne SPD-Ratsfrau. Die Entscheidung ist inhaltlich dürftig. Die Länge der Startbahn wird mit 1600 bis 1800 Meter, eventuell zuzüglich 300 Meter "Overrun", angegeben, ob die B 503, die der Verlängerung im Weg ist, nach Westen oder mittels eines Tunnels nach unten verlegt wird, wird ebenfalls offen gehalten. Als "substanzlos" und ein bloßes "Meinungsbild mit Signalwirkung an das Land" bezeichnete Grünen-Ratsherr Lutz Oschmann den Beschluss: "Entschieden ist noch gar nichts."
Die Grünen hoffen weiterhin, dass der Einstieg in ein förmliches Planfeststellungsverfahren noch verhindert werden kann. Bevor im Frühjahr 2002 ein solches Verfahren eröffnet wird, soll nach dem Willen der Ratsmehrheit die Finanzierung des insgesamt über 100 Millionen DM teuren Ausbaus stehen. Und die steht zur Zeit - noch in den Sternen.
Der eigentliche Ausbau des Flughafens schlägt mit mindestens 60 Millionen DM zu Buche. Und die sollen - so stellt es die Stadt Kiel sich vor - aus sogenannten "Gemeinschaftsaufgabe-Mitteln" des Regionalprogramms kommen. Der SSW-Landtagsabgeordnete Lars Harms schlug bereits Ende Oktober Alarm: Kiel wolle das "Regionalprogramm plündern". Wenn tatsächlich über 40 Millionen DM aus dem "Regionalprogramm 2000" in den Kieler Flughafen flössen, dann könnten nach Angaben von Harms "andere Projekte nicht mehr durchgeführt werden".
Dabei seien die wirtschaftsfördernden Effekte einer Startbahnverlängerung "in keinster Weise nachgewiesen"; andere Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung der strukturschwachen Regionen mit "nachhaltigeren positiven Effekten" seien jedoch nicht mehr finanzierbar, wenn die Startbahn auf diese Weise bezahlt wird. Insbesondere befürchet Harms eine weitere Benachteiligung des Landesteils Schleswig, deshalb hat Harms an die Landräte von Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und Rendsburg-Eckernförde sowie an den Oberbürgermeister von Flensburg geschrieben und sie gebeten, sich dafür einzusetzen, dass keine Regionalfördermittel in den Kieler Flughafenausbau gesteckt werden.
Für den notwendigen Umbau der B 503, also eine Verlegung oder gar eine Tunnellösung, rechnet die Stadt mit Bundesmitteln. Dabei brächte diese Baumaßnahme überhaupt gar keine positiven Effekte für den Straßenverkehr, eher im Gegenteil, warum also sollte sie aus Bundesfernstraßen-Mitteln bezahlt werden, so fragen Kritiker.
Fast alles bleibt also weiterhin unklar. Die Proteste werden nach der ersten Entscheidung des Kieler Rates wohl eher noch zunehmen. Am 10. November, also fünf Tage vor der Ratssitzung, brachte die Bürgervereinigung gegen die Startbahnverlängerung schon mal über 3000 Menschen auf die Beine, viele davon aus dem Kieler Umland, die gegen den geplanten Flughafenausbau protestierten und mit Transparenten und Parolen ("Hopp, hopp, hopp, der Ausbau ist ein Flop") durch die Innenstadt zogen (siehe Fotos auf diesen Seiten).
Die wesentliche Befürchtung der DemonstrantInnen ist, dass der verlängerte Startbahn gar nicht dazu dienen wird, den bisherigen Flugverkehr - fast ausschließlich Linienflüge für Geschäftsreisende - abzusichern, sondern mit einem vielleicht lukrativen Charter-Urlaubsverkehr den Flughafen aus den roten Zahlen zu bringen. Das wäre dann mit einer erheblichen Erhöhung der Flugbewegungen, der Lärm- und Umweltbelastung verbunden. Und dafür braucht man auf jeden Fall eine Start- und Landebahn, die lang genug für die entsprechenden Jet-Typen ist.
Alle Befürworter des Ausbaus auf der politischen Seite betonen zwar, sie wollten keinen Charterverkehr, wie man ihn jedoch angesichts der bestehenden Bedienpflicht des Flughafens sicher verhindern könnte, kann niemand sagen. In dem Beschluss der Kieler Ratsversammlung ist von einer Verhinderung des touristischen Charterverkehrs überhaupt nicht die Rede.
Die Bürgerinitiativen kritisierten in den vergangenen Monaten auch immer wieder die dürftige Informationsgrundlage, auf der diskutiert und jetzt auch entschieden wird. Die Anfang des Jahres veröffentlichte Potentialanalyse erwies sich schnell als hinfällig, die nachgeschobenen "Gutachten" (die teilweise nur Vermerke weisungsabhängiger Amtsmitarbeiter sind) wurden von den Kritikern ebenfalls schnell als inhaltlich dünn hingestellt und quasi in der Luft zerrissen (siehe dazu auch die ausführliche Stellungnahme der Bürgervereinigung im Gegenwind 158).
Was jedoch nicht der offiziellen Linie entspricht, soll am liebsten gar nicht an die Öffentlichkeit. Da gab es bereits im Frühjahr ein Schreiben des Flugzeugherstellers ATR, der mitteilte, dass die Produktion der Turbopropmaschinen keineswegs am Ende sei, sondern ausgeweitet werde. Ein Hauptargument der Ausbaubefürworter lautet, dass die Propellermaschinen von den Fluglinien ausgemustert und durch Düsenjets ersetzt würden, welche eine längere Startbahn benötigten. Das ATR-Schreiben wurde von der Flughafengesellschaft (die dem Land und der Stadt Kiel gehört) zunächst zurückgehalten und sickerte nur zufällig an die Öffentlichkeit durch.
Im September war es das Kieler Umweltschutzamt, das die Argumente der KritikerInnen bestärkte. Es schrieb eine Stellungnahme mit dem Titel "Mögliche Erweiterung des Flughafens Kiel-Holtenau: Bewertung der Umweltauswirkungen auf Grundlage der Immissionsgutachten". Das Umweltamt bezeichnet darin die Behauptung, der Ausbau bringe werde keine Mehrbelastung an Lärm und Schadstoffen mit sich bringen, als "nicht nachvollziehbar". In den vorliegenden Gutachten wird keine Grundlage für eine derartige Schlussfolgerung gesehen. Wörtlich heißt es: "Insbesondere das Lärmgutachten erfüllt nicht die grundlegenden Anforderungen, die die Stadtverwaltung üblicherweise an derartige Gutachten stellt, um die Auswirkungen städtischer Großvorhaben auf die Umwelt und auf die weitere Stadtentwicklung abzuschätzen."
Vor allem stört sich das Umweltschutzamt daran, dass die Gutachter lediglich ein vorgegebenes Szenario zu untersuchen hatten (Ausbau ohne Anstieg des Pauschalreiseverkehrs), alle anderen Möglichkeiten (insbesondere die Variante mit einem deutlichen Anstieg der Flugbewegungen durch Pauschal-Charterverkehr) blieben unberücksichtigt. Außerdem seien bei den Lärmemissionen die Vorbelastung und Gesamtbelastung (aus allem Lärmquellen) vernachlässigt worden. Im Fazit der Stellungnahme ist die Rede von "lückenhaften Immissionsprognosen", "Wahl eines »optimistischen« Szenarios" und "großzügigen Bewertungsmaßstäben".
Auch dieses Papier sollte - wenn es nach dem Willen des Kieler Oberbürgermeisters Gansel und seines Wirtschaftsdezernenten Rethage gegangen wäre - nicht an die Öffentlichkeit gelangen, lediglich verwaltungsintern sollte es, wie auch immer, berücksichtigt werden. Es kam aber anders. Und selbst als die Umweltamts-Stellungnahme unter der Hand verbreitet und in der Presse zitiert worden war, als wirklich jeder, der sich dafür interessierte, sie sich "schwarz" besorgen konnte, weigerte sich Anfang November der OB standhaft, das Papier herauszugeben. Selbst dem grünen Ratsherrn Rainer Pasternak wurde auch zu dem Zeitpunkt noch eine "offizielle" Kopie des Papiers verweigert.
Henning Hofmann
Außerdem im Gegenwind 159, November 2001: "Verkalkuliert oder getäuscht?" - der Flughafen Lübeck-Blankensee als Millionengrab.