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Aufruf zum Prozeßauftakt Redebeitrag der autonomen Gruppe KAGON zum Prozeßauftakt Redebeitrag des Lübecker Bündnis gegen Rassismus zum Prozeßauftakt "Sanierte Geschichten" - Echos (Lübeck AG) "Brandanschlag, 10 Tote - unaufklärbar?" - Reinhard Pohl im Gegenwind 138 |
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3.9.1999: Auftakt zum neuen Prozeß gegen Safwan Eid "Modell Lübeck" - die Fortsetzung Am 3.9.1999 beginnt vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Kiel die Neuauflage des Prozesses gegen den libanesischen Flüchtling Safwan Eid. Ihm wird vorgeworfen, in der Nacht zum 18.1.1996 den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße begangen zu haben. Damals starben zehn Menschen, 38 der BewohnerInnen wurden zum Teil schwer verletzt. Bis heute ist dieser folgenschwerste rassistische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik unaufgeklärt geblieben, gegen die mutmaßlichen deutschen Täter aus der Naziszene Mecklenburg-Vorpommerns unterblieben staatliche Verfolgungsmaßnahmen. Statt dessen wurde mit Safwan Eid einer der Überlebenden des Brandes zum Täter gemacht. Eid wurde durch die Lübecker Staatsanwaltschaft der Brandstiftung bezichtigt, nachdem der Sanitäter Leonhardt behauptet hatte, von ihm in der Brandnacht die Worte "Wir warn’s" gehört zu haben. Er mußte deshalb fast sechs Monate in Untersuchungshaft verbringen. Der Prozeß gegen Eid vor dem Landgericht Lübeck endete am 30.6.97 mit einem Freispruch "in dubio pro reo" (Im Zweifel für den Angeklagten). Eine Tatbeteiligung konnte Eid nicht nachgewiesen werden. Es gab kein Motiv, es fanden sich keine Spuren von Brandbeschleunigern an Körper oder Kleidung und Eid selber schlief in der Brandnacht im Zimmer bei seinen Brüdern. Dennoch hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil auf und verwies das Verfahren zur Neuverhandlung an das Landgericht Kiel. Nach Auffassung der Bundesrichter hätte das Landgericht Lübeck die während der Untersuchungshaft Eids abgehörten und mitgeschnittenen Gespräche zwischen ihm und seinen Besuchern verwerten müssen. Das Landgericht Kiel muß nun den Prozeß vollständig neu aufrollen. So findet ein deutscher Ermittlungs- und Justizskandal ersten Ranges seine Fortsetzung. Das Verhalten der Akteure nach dem Lübecker Brandanschlag hatte exemplarischen Charakter. Deutsche Eliten und die Mehrheit der Bevölkerung waren erleichtert, daß der unmittelbar nach dem Brandanschlag weltweit geäußerte Verdacht einer deutschen Täterschaft und der darin enthaltene Rassismusvorwurf gegenüber Deutschland abgewehrt werden konnte. In einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß wurden die Opfer eines rassistischen Anschlags durch Justiz und Medien zu potentiellen Mittätern und Mitwissern stilisiert, traten die Ermittler im Wechselspiel mit Teilen der deutschen Medien eine rassistische Schmutzkampagne gegen die BewohnerInnen los. Gleichzeitig hielten Lübecks Staatsanwaltschaft und Kripo stets ihre schützende Hand über die vier tatverdächtigen Nazis aus Grevesmühlen. Das Prinzip, die Opfer zu Tätern zu machen und gleichzeitig die Täter zu schützen, wurde in Lübeck modellhaft durchgesetzt. Seit Lübeck sind Brände in Flüchtlingsunterkünften kaum noch einer Erwähnung wert, schlagzeilenträchtig sind sie jedenfalls nicht mehr. Ein bestimmtes Maß an alltäglicher rassistischer Gewalt und die Existenz "Ausländerfreier Zonen" in Teilen Deutschlands werden als Normalität akzeptiert. Die Botschaft aus Lübeck, "daß die Ausländer sich selbst anzünden", hat zudem ihre Wirkung getan. Wenn in Deutschland Flüchtlingsheime brennen, wird in der Öffentlichkeit jedenfalls nicht mehr selbstverständlich von einem rassistischen Anschlag ausgegangen. Bereits im Vorwege des neuen Prozesses sorgte die Lübecker Staatsanwaltschaft dafür, daß die vier Nazis auch weiterhin nicht mit einer Anklage wegen 10-fachen Mordes zu rechnen haben. Sie stellte das Ermittlungsverfahren erneut ein. Nicht einmal das dreifache Geständnis des Maik Wotenow, den Brandanschlag gemeinsam mit seinen Kumpanen begangen zu haben, veranlaßte die Ermittler, ihre Linie zu verlassen. Sie behaupteten schlicht, der von Wotenow geschilderte Tathergang stimme mit ihren Erkenntnissen nicht überein. Einmal mehr verbreitete Oberstaatsanwalt Schultz die Lüge, daß drei der Nazis ein Alibi für den Tatzeitpunkt gehabt hätten. Bis heute steht jedoch der genaue Zeitpunkt des Brandausbruchs gar nicht fest, so daß es ein Alibi schon denklogisch nicht geben kann. Unbestreitbar ist dagegen, daß drei der Nazis brandstiftertypische Versengungsspuren im Gesicht hatten, die definitiv aus der Brandnacht stammten. Safwan Eid ist damit der einzig verbliebene Verdächtige, was dem Prozeß gegen ihn eine zusätzliche Brisanz gibt. Würde er erneut freigesprochen, bliebe die Tat nach derzeitigem Stand unaufgeklärt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung durch das Kieler Landgericht. Denn dieser Prozeß ist kein gewöhnlicher Kriminalfall, sondern war von Beginn an ein politisches Verfahren, das der Entlastung Deutschlands dienen sollte. Es ist zu befürchten, daß die Staatsanwaltschaft und Teile der Medien erneut versuchen werden, Safwan Eid, die weiteren Überlebenden des Brandanschlags und die Verteidigung zu diskreditieren und auf eine Verurteilung zu drängen. Das Kieler Landgericht wird dagegen voraussichtlich alles versuchen, das Verfahren als einen "ganz normalen Strafprozeß" darzustellen. Es hat bereits Weichenstellungen vorgenommen, die Befürchtungen wecken müssen. So wurden die meisten der Überlebenden, die am ersten Prozeß als Nebenkläger teilnahmen, dieses mal vom Verfahren ausgeschlossen. Das Landgericht begründete dies ausschließlich damit, daß sie sich von Anfang an auf die Seite Safwan Eids gestellt hätten, womit sie ihre Rechtsposition quasi verwirkt hätten. Am Verfahren teilnehmen darf daher nur die Familie El Omari, die sich im Laufe des Prozesses fast vollständig von der Staatsanwaltschaft hat instrumentalisieren lassen. Sie sorgte durch ihre Revision auch erst für Fortführung des Prozesses. Die Chance auf einen Freispruch für Safwan Eid wird nicht zuletzt davon abhängen, daß der Verdacht gegen die vier Nazis nicht gänzlich aus den Köpfen verschwindet, sondern weiter thematisiert wird. Es wird vor allem Sache der UnterstützerInnen Safwan Eids und der übrigen Überlebenden sein, die politische Dimension des Prozesses deutlich zu machen, die rassistischen und nationalen Konstrukte der Ermittlungsbehörden immer wieder aufzuzeigen und diese nicht als Normalität zu akzeptieren.
Kundgebung vor dem Landgericht Kiel Schützenwall/Ecke Harmsstraße Freitag - 3.9.1999 um 8.15 Uhr Ab 10.00 Uhr Info-Stände in der Innenstadt Ab 12.30 Uhr Infos und Kulturprogramm vor dem Landgericht Es rufen auf: Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen, Avanti – Projekt Undogmatische Linke, enlightenment factory, Enough Is Enough (Antifaschistische Zeitschrift), FrauenLesbenplenum Hamburg, Ghana Burg e.V., Glasmoorgruppe Hamburg, hochschulantifa hamburg, KAGON- Autonome Gruppe, Köxüz (Redaktion), Lübecker Flüchtlingsforum, Lübecker Bündnis gegen Rassismus, Sokoni e.V., Türkische Initiative |
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Redebeitrag der autonomen Gruppe KAGON Der Prozeß gegen Safwan Eid ist kein Justizskandal, sondern Normalzustand! Normalzustand der deutschen Justiz, die sich so verhält , wie Staat und Gesellschaft die Zustände haben wollen. Die Justiz ist eine vom Staat bzw. von der Legislative eingerichtete Institution, die die Einhaltung der Gesetze des Staates überwacht und Übertritte im Sinne des Staates sanktioniert. Dabei wird sie ausschließlich ausführend aktiv und nicht produktiv. Sie wirkt an ihren eigenen Arbeitsbedingungen im Prinzip nicht mit. Noch plumper heißt das, die deutsche Justiz, wie jede staatliche Justiz, kann nur auf Einhaltung der Gesetze achten und die Nichteinhaltung entsprechend bestrafen, die ihr eine Legislative, als höchste Autorität des Staates, vorgibt. Und das Anliegen dieses Staates ist es, im Fall von rassistischen Brandanschlägen, die eigene Urheberschaft zu bestreiten. Dies begründen wir mit vitalen Erhaltungs- und Ausweitungsinteressen dieser Gesellschaft: Innen- wie Außenpolitisch ist die BRD interessiert ein möglichst sauberes Bild von sich zu projizieren. Dies zum einen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, um auch ausländischem Kapital ein investitionsfreundliches Klima und eine weltoffene, konsumbestrebte Bevölkerung zu bieten. Zum Anderen, um international, bei der bereits begonnenen Ausweitung der deutschen Großmachtrolle einen möglichst aufgeräumten Eindruck zu machen. Aufgeräumt in diesem Fall, von historischen antihumanistischen Altlasten. Nach dem Motto: Rechtsextremismus existiert hier nicht mehr.
Wie verhalten sich jetzt die Zusammenhänge mit dem Lübecker Brandanschlag? Ein völlig überbelegtes Wohnhaus, daß ausschließlich von MigrantInnen bewohnt wird, brennt ab. Die ganze Welt geht zurecht selbstverständlich von einem rassistisch motiviertem Brandanschlag aus. Aufgrund dieses nationalen wie internationalen Aufschrei des Entsetzens wird von Politik und Medien ein Täter konstruiert. Nicht wie mensch nun vermuten würde einer mit "Motiv", sondern ein Bewohner des Hauses. Damit Deutschland sich international nicht mit dem Vorwurf von Rassismus, Faschismus usw. belasten muß. In der Öffentlichkeit hat sich das Stimmungsbild gegenüber Rassistischen Übergriffen verändert. Die gerechtfertigte Selbstverständlichkeit mit der bisher nach solch entsetzlichen Ereignissen, wie der am 18.01.1996 in der Hafenstraße/Lübeck von rassistischer Urheberschaft ausgegangen wurde, ist heute nach und wegen des Lübecker Prozesses gegen Safwan Eid nicht mehr vorhanden. Gewichen ist sie einer generellen Annahme, daß durch konstruierte ethnische Spannungen, südländisches oder sonstwie exotisches Temperament innerhäusliche Auseinandersetzungen im Zweifelsfall halt schon einmal bis zur Brandstiftung eskalieren können. Darüber hinaus kann im Notfall auch noch von der technischen Unbelecktheit von MigrantInnen im allgemeinen ausgegangen werden, wenn Erklärungsnotstand herrscht. Bei denen brennt schon mal ein Toaster ab. Wir gehen davon aus, daß Grundlagen für rassistische Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Egal, ob Rassisten Brandsätze werfen, ob sie dafür sorgen, daß vielzuviele Menschen in zu kleine Unterkünfte eingepfercht werden oder ob sie schweigend zustimmen bzw. billigen. Solange in dieser Gesellschaft Rassismus, Faschismus, Männerherrschaft und Männergewalt, Militarismus u.s.w. .... Normalzustand ist, sind Prozesse wie der gegen Safwan Eid kein Skandal, sondern traurige Normalität. Diese Gesellschaft wird mit System betrieben und dieses System ist es, das angegriffen werden muß. Nicht nur heute und hier heißt der Täter Deutschland!!! |
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Kundgebung zum Prozessauftakt gegen Safwan Eid, 3.9.99 Redebeitrag des Lübecker Bündnis gegen Rassismus Liebe Freundinnen und Freunde, in dem Buch "Brandherd" von Andreas Juhnke lautet der letzte Absatz. "Es gab vorher und nachher in der Welt größere Massenmorde, gnadenlosere Vertuschungen, weniger Hilfe als nach dem Mord an Monica und Suzanna Bunga, Francoise, Christine, Miya, Christelle, Legrand und dem kleinen Jean Daniel Makodila, Sylvio Amoussou und Rabia El Omari. Aber es ist an der Zeit aufzuwachen in Lübeck, wenn nicht wieder eine lange Liste ausländischer Namen in den Todesanzeigen erscheinen soll. Dieser Prozess vor dem Kieler Landgericht wird daran nichts ändern. Denn er beschäftigt sich nicht mit der Wahrheitssuche. Sonst würde auf der Anklagebank nicht Safwan Eid sitzen. Vielmehr wird dieser Prozess nur den Effekt haben, das Märchen von den Ausländern, die sich jetzt selber die Häuser anzünden, weiter in den Köpfen der Menschen festzusetzen. Daran haben das falsche Alibi der Grevesmühlener Nazis, ihre versengten Haare, ihre Geständnisse nichts geändert. Daran hat auch Safwans Freispruch im ersten Prozess nichts geändert, genauso wenig, wie es der zweite Freispruch tun wird, wenn die Kieler Richter nicht eindeutig öffentlich erklären, dass sie eine Verhandlung gegen einen Unschuldigen geführt haben. Aber die Courage, die peinlichen Ermittlungskonstrukte und die verlogenen Interpretationen der Indizien ihren Justizkollegen, der Staatsanwaltschaft um die Ohren zu schlagen, hatten auch die Lübecker Richter nicht. Safwan und die anderen Überlebenden des Brandanschlages haben nur eine Chance auf Rehabilitation: wenn endlich die Wahrheit aufgedeckt wird. Aber dazu brauchte es, 3˝ Jahre nach dem Anschlag, ein Wunder: Es müssten sich Ermittlungsbeamte finden, die nicht für das öffentliche Ansehen der Republik und für das Image der Lübecker Polizei und der Staatsanwaltschaft arbeiten, sondern ihrer Arbeit nachgehen, nämlich ein Verbrechen aufzuklären. Sollte dieses Wunder geschehen, hätten die Ermittler es dennoch nicht leicht: Sehr gründlich haben Staatsanwaltschaft und Polizei die Rolle der Strafverteidiger für die Nazis gespielt, Spuren verwischt, Beweismittel weggeworfen, sich Erklärungen und Alibis ausgedacht, ihren Mandanten den Rat gegeben, bloß ja keine Geständnisse mehr abzulegen. Diese Arbeit wurde auch aus Eigenutz verrichtet. Der Beweis, dass die Grevesmühlener vielleicht doch für den Anschlag verantwortlich sind, wäre auch der endgültige Beweis, dass unser Vorwurf der in ihrer Einseitigkeit rassistischen Ermittlungen vollauf berechtigt war und berechtigt ist. Die Anklage gegen Safwan und die Ignoranz gegenüber dem Tatverdacht der Nazis ist Willkürjustiz. Wir kämpfen dagegen nicht nur aus Solidarität mit den Flüchtlingen, sondern auch aus Solidarität mit uns selber. Denn es besteht die Gefahr, dass sich diese Willkür ausdehnt. Willkür und Ungerechtigkeit prägen auch den Umgang mit den Brandüberlebenden in anderen Fragen: Das Kieler Gericht hat den meisten Überlebenden den Status als NebenklägerInnen geraubt. Eine Nebenklage soll nur erlaubt sein, wenn die Opfer den Staatsanwälten vertrauen, statt den Fakten und den Erfahrungen als Safwans Nachbarn in der Zeit vor dem Brandanschlag. Und willkürlich hat das Innenministerium entschieden, dass Victor Attoe, der 1996 abgeschoben wurde und diesen Mai wieder in die BRD eingereist ist, das Bleiberecht, das alle anderen Brandopfer gewährt bekamen, nicht erhält. Er sitzt zur Zeit in einem Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt. Seine Zeugenaussage wurde ihm in Kiel abgenommen – damit haben die Richter ihn quasi zur Deportation nach Nigeria freigegeben. Wir müssen diesen Zynismus stoppen, dürfen nicht schlafen, dürfen nicht vergessen, dürfen nicht zulassen, dass die Mörder, die in Springerstiefeln und die in Krawatten, sagen können, gut, lasst es so bleiben. Dazu wird es mehr bedürfen als dieser Kundgebung heute. In diesem Sinne wünsche ich uns allen kämpferische und erfolgreiche kommende Wochen und Monate! |
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Echos (Lübeck AG) Sanierte Geschichten (JK Langford, Rede gehalten am 24. Sept. 1999 am Hackeschen Markt, Berlin) Es ist passend, daß wir heute abend vor den Hakeschen Höfen stehen - im sanierten Scheunenviertel, in der sanierten Mitte der sanierten Berliner Republik, am Puls des sanierten Europas, ja der sanierten Zivilisation. Es ist passend, weil diese Schichten von Sanierungen -Sanierung von Spuren, Sanierung von Geschichten, Sanierung von Unerwünschten - weil Sanierungen alles mit den unterschiedlichen Gewalten zu tun haben, die zu den Prozeßen gegen Safwan Eid, zu der Kriminalisierung von den Überlebenden, geführt haben. Der reinigende Krieg des Notwehrs, der gerechten Grenz-Krieg der inneren Sicherheit, der sanierende Krieg der Zivilisation an gefährlichen Orten, an gefährdeten Orten. Es ist die Logik der Sanierung, die meint, daß Flammen unsere bedrohte Landschaft von Parasiten, Primitiven und Kriminellen reinigen, uns vor den schützen im Krieg gegen das Verbrechen. Flammen sanieren. Die Gewalt der Sanierung hat Geschichte und sie lebt in den reinigenden Flammen der Gegenwart. Die Hakesche Höfe und das Scheunenviertel erinnern uns daran, daß Spuren - und insbesondere Brandspuren -- die Landschaft stören, die Landschaft der Sanierer beschmutzen. Wo sind die Brandspuren? Die Spuren der Flammen - Flammen des Hetzens, Flammen der Öfen -- die die Einwohner des Scheunenviertels wie ein Geschwür aus der Geschichte herausgebrannt haben? Saniert, sind diese Brandspuren, saniert durch den Schlußstrich des "wir waren es nicht" , durch den Schlußstrich des Leidens der christlichen Deutschen, das Leiden das aus dem "wir waren es nicht" hallt - Hitler war es, die Eltern waren es, die Großeltern waren es, die Nazis waren es -- "die waren es" und wir, wir wurden befreit, weil wir damals gelitten haben; und wir, wir Demokraten heute, wir müssen uns heute wieder davon befreien, weil wir immer noch darunter leiden, daß "die es waren". Spuren saniert, durch den Schlußstrich, durch das Lied des Leidens, durch die befreiete Auferstehung von den eigentlichen Opfern -- Brandspuren saniert. Die sanierte Geschichte der Befreiung, die sanierte Geschichte der Republik. Aber das Reich der Sanierung reicht weiter zurück. Trotz allen Rufen des "nie wieders", war 1933 keine Stunde Null in der modernen Geschichte der Sanierung. Wo z.B. sind die Funken der Kugeln und der Fackeln geblieben, die die Herero und Nama 1904/1907 in Deutsch-Südwestafrika vernichtet haben? General von Trotha erklärte1904: "Diese kühne Unternehmung zeigt die rücksichtslose Energie der deutschen Führung bei der Verfolgung des geschlagenen Feindes in glänzendem Licht. Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um dem Feinde den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetzes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes." Funken der Vernichtung gereinigt durch die Wässer, vollendet in der Zwangslaüfigkeit der Natur und ihrer Gesetze. Funken der Vernichtung, Spuren des totalen Sieges, beseitigt durch Deportationen, besänftigt in den liebenden, stabilisierenden Bemühungen der Missionaren, in deren Sammellagern. Brandspuren der Gewalt burokratisiert durch Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen, zivilisiert durch die totale ökonomische und politische Herrschaft, die "Wilden" zu Arbeiter macht und sich "Fürsorgepolitik" nennt. Spuren der Geschichte damals inszeniert auf der Hauptbühne des deutschen Tourismus, hier in der pulsierenden Mitte der Hauptstadt Berlin auf der damals berühmten Revue-Bühne des Metropol Theaters. Hier wurde diese Geschichte der Vernichtung inszeniert und zelebriert als Sieg gegen die Wilden, als Sieg der Notwehr, gesungen als Lied des Leidens von deutschen Opfern im Krieg gegen die heidnische Barbarei in gefährlichen Orten, in gefährdeten Orten. Die sanierte Spuren der Zivilisation, die inszenierte Geschichte der Notwehr. 1980 thematisiert die BRD in der Generalversammlung der UNO die "Internationale Zusammenarbeit zur Vermeidung von neuen Flüchtlingsströmen". 1999 diskutiert die EU-Kommission "Ein Nachkriegssystem für Südosteuropa" und konstatiert: "In Hinsicht auf Südosteuropa steht die EU vor dem politischen Dilemma, sich vor einer Flut von Flüchtlingen und illegalen Migranten sowie ¼vor der organisierten Kriminalität schützen zu wollen, ohne einen Eiserenen Vorhang zwischen sich und den Ländern, die integriert werden sollen, zu schaffen." (Helmut 15.9.99) Und wir wissen wie in der Zeit zwischen 1980 und 1999 die expandierenden Außen-Grenzen Europas Schritt für Schritt immer dichter, immer koordinierter, immer militarisierter, immer technologisierter geworden sind. Und wir wissen wie in der Zeit zwischen 1980 und 1999 durch Ausländergesetze, Asylbewerberleistungsgesetze, Rücknahmeabkommen, Abschiebungen, Baseballschläger, Brandanschläge -- wie, durch die Flammen der rassischen Bekämpfung des Verbrechens -- von innen gereinigt wurde, gereingt wird. Rassistische Angriffe unterschiedlicher institutionalisierter Varianten werden heute als Notwehr, als verzweifelte Hilferufe, verstanden. Die Grenzen der Zivilisation, hören wir immer wieder, stehen auf dem Spiel. Der Krieg, der gegen "Fremde", gegen "organisierte Kriminalität" wütet, wird als "gerechter Grenz-Krieg" geführt. Wieviele ertrunken in der Oder-Neiße? Brandspuren der Flammen des Hetzens gereinigt in den Wässern der inneren Sicherheit. Wieviele in den Tod, in die Hände der Folterer, in die Verzweifelung des Selbstmords, in die durch Kapital bestimmten Armut vertrieben? Geschichte saniert durch die Fackeln der Notwehr. Die Flammen kamen von innen, stellte der Richter damals fest, als er Safwan Eid freigesprochen hat, aber nicht als Unschuldiger. Die Flammen kamen von innen, sagte er -- von Eid, von seiner Familie, von den Überlebenden - die Flammen kamen vom primitiven, kriminellen Kollektiv. Die waren es. Aber Beweise, Beweise brauchen wir, lamentierte er. Und da konnte der Bundesgerichtshof behilflich sein, ja , der hat sogar dem Richter eine Lektion erteilt: wie das neue Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität bestätigte, müssen wir alle Mittel der Überwachung, der Kontrolle einsetzen dürfen, um genau diese Art von Beweisen sammeln zu können. Der Krieg gegen das Verbrechen kennt keine Grenzen. Wo sind die versengten Haare der Männer aus Grevesmühlen? Wo ist die Fußbodenplatte, die beweisen sollte, daß das Brandherd im ersten Stock war? Wo sind die wiederholten Geständnisse aus Grevesmühlen? Wo ist das Haus in der Hafenstraße? Wo sind die Erklärungen für die erfundenen Sätze die bis jetzt als Wahrheit in den Akten standen: Wir haben die all zum Schweigen gebracht? Existiert nicht. Wenn ich gestehen würde? Existiert nicht. Wo ist Böckenhauer, der Staatsanwalt der für die Ermittlungenverantwortlich war? Wo sind die Brandpuren, wo sind die Spuren der Brandmarkierung, wo sind die Spuren der Geschichte - verschwunden, saniert. Es mag ein Zufall der Geschichte sein, daß die zentrale Lüge, die gegen Eid verwendet wurde -- nämlich das angebliche Geständnis "wir war'n es" - von einem Sanitäter geliefert wurde. Aber Zufälle der Geschichte werden zu Zeichen und Träger der Geschichte wenn die hallen, wenn die Echos auslösen. "Wir war'n es", der Sanitäter zitierte, und die Wörter hallten durch die deutsche Öffentlichkeit, von links nach rechts und zurück, und zurück. Die sanierenden Wörter des Sanitäters wurden mit der Leidenschaft einer Heimkehr in die Arme geschlossen. Erleichterung. Empörung. Bestätigung. "Wir war'n es", zitierte der Sanitäter, und dieser Funk entfachtete sich wie ein Feuersbrunst, weil dies war - und ist - eine Landschaft in Brandgefahr. Der einzelne Sanitäter kann nicht verstanden werden ohne die größere Familie der Sanierer, die ihn als eine von denen aufnimmt, die seinen Wörtern eine Bedeutung geben. Die Würzeln, die den Sanitäter mit der Sanierung verbinden, sind nicht nur etymologisch. Vertraute Echos westlicher Geschichten hallen durch die Sanierungen. Hier stehen wir heute abend, im sanierten Scheunenviertel in der sanierten Mitte der sanierten Berliner Republik am Puls des sanierten Europas, und wenn wir hier, heute, ganz genau hinhören würden, ja, lauschen würden, welche Echos durch die Schichten von Sanierungen flüstern, würden wir nicht Klezmer hören, sondern einen anderen, viel vertrauteren Ton, der die Zivilisation ins humanitäre Jahrhundert trägt. Die Töne der Flammen. [TON:gregorianische Gesänge im Hintergrund] |
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In Sachen Hafenstraße Lübeck Brandanschlag, 10 Tote – unaufklärbar? "Der Angeklagte hat gegenüber dem Sanitäter Leonhardt kein Geständnis abgelegt." - So heißt es in der schriftlichen Urteilsbegründung des Landgerichts Kiel, das Safwan Eid am 2. November 1999 freisprach. Da alle Beteiligten das Urteil anerkannten, ist es seit dem 10. November rechtskräftig. Eigentlich, so sollte man meinen, ist die Justiz Schleswig-Holsteins daran interessiert, einen Brandanschlag mit zehn Toten aufzuklären. Und wenn ein Verdächtigter vom Landgericht als unschuldig erkannt wird, müsste die intensive Suche nach den wahren Tätern beginnen. Doch die Justiz bleibt nicht nur passiv, sie verhindert geradezu eine Aufklärung des Verbrechens. Freispruch "erster Klasse" Die schriftliche Urteilsbegründung befasst sich mit zwei wesentlichen Bereichen des Prozesses: Hauptsächlich geht es um die Tonbänder, die bei der Überwachung des Besucherraums im Lübecker Gefängnis zwei Monate nach der Tat aufgenommen worden sind. Das Kieler Gericht begnügt sich nicht damit, die von der Staatsanwaltschaft Lübeck als "belastend" herausgegriffenen Sätze zu beurteilen, die allesamt auf den Bändern nicht existieren bzw. falsch übersetzt wurden. Ein Drittel der 45-seitigen Urteilsbegründung widmet sich der Wiedergabe aller aufgezeichneten Gespräche. Gerade im Zusammenhang ergibt sich die Absurdität der Vorwürfe, durchzieht doch alle Diskussionen des Angeklagten mit Vater, Bruder oder Freund eine Vielzahl von Unschuldsbeteuerungen und Spekulationen über Brandausbruch, Brandverlauf und Ermittlungsmethoden. Gerade diese Spekulationen "sprechen insgesamt eher dafür, dass der Angeklagte keine eigene Kenntnis von der Brandlegung hatte", so das Landgericht. "In eindrucksvoller Weise spricht zudem eine Passage dafür, dass der Angeklagte vom Ausbruch des Feuers völlig überrascht gewesen war, was kaum der Fall gewesen sein kann, wenn er mit der Feuerlegung etwas zu tun gehabt hätte." Das Gericht schlussfolgert: "Unter Berücksichtigung aller Umstände gibt es nach Auffassung der Kammer daher gewichtige Argumente, die für die Unschuld des Angeklagten sprechen." Es handelt sich also ausdrücklich nicht um einen Freispruch "mangels Beweisen". Relativ kurz, aber nicht minder deutlich geht das Gericht auf das angebliche Geständnis gegenüber dem Sanitäter Leonhardt ein, das es – so das Ergebnis der Verhandlung – nie gegeben hat. Abgesehen von der Diskussion, wer bei einem eventuell geäußerten "Wir warn’s" denn "wir" gewesen sein mag, hatte Leonhardt ja schon bei seiner Zeugenaussage in Kiel relativiert, es könnte auch sein, dass das angebliche Geständnis "man war’s" gelautet habe. Außerdem sei die Gesprächswiedergabe durch Leonhardt (Safwan Eid hat diese Behauptungen immer bestritten) eher eine Entlastung für den Angeklagten: "Wenn der Angeklagte trotz der Warnung des Zeugen Leonhardt »Er rede sich um Kopf und Kragen« weitergeredet haben sollte, spricht dies auch eher dafür, dass er an der Tat nicht beteiligt war. Es bestand für ihn in diesem Falle nicht die Gefahr, dass er sich um Kopf und Kragen redet", so die schlichte Einsicht des Gerichts. Wohlgemerkt: Wenn Leonhardt glaubwürdig ist, was das Gericht zu beurteilen für überflüssig hielt. Zum Brandgeschehen selbst äußert sich das Gericht nur sehr spärlich, da das kaum Gegenstand des Prozesses war. Da sehr schnell klar war, dass ein Unschuldiger vor Gericht saß, hielt das Landgericht Kiel es nicht für nötig, weiter in die Materie einzusteigen. So wurde lediglich festgestellt: "In den frühen Morgenstunden des 18. Januar 1996 wurde vor 3.30 Uhr in dem Haus ein Brand gelegt, so dass das Haus um ca. 4.00 Uhr voll brannte (...). Ein Brandausbruchsort befand sich im ersten Obergeschoss in dem zur Hafenstraße hin gelegenen Flur zwischen den Türen des von der Konstinstaße aus gesehen zweiten und dritten Zimmers. Ob es weitere Brandlegungsorte im ersten Obergeschoss oder im Erdgeschoss insbesondere im Bereich des Vorbaus gegeben hat, hat die Kammer nicht festgestellt. Bei Ausbruch des Brandes war die Haustür verschlossen. Die Fenster im Vorbau waren geschlossen." Damit hält sich das Gericht im Wesentlichen raus: Der Angeklagte ist unschuldig, was wirklich geschehen ist, müsste die Staatsanwaltschaft aufklären und in einem Prozess gegen andere Tatverdächtige belegen. Das Landgericht Kiel lehnt sich zurück und kümmert sich um die eigenen Aufgaben. Die Spur führt nach Grevesmühlen Bereits in der Nacht des Brandes fielen drei, später vier junge Männer aus Grevesmühlen als Verdächtige auf. In der Folge konnte man einen sehr merkwürdigen Verlauf der Ermittlungen beobachten. Die Verdächtigen wiesen Spuren wie Verbrennungen im Gesicht auf, die typisch für Brandleger sind, es gab ZeugInnen, die die Ankündigung des Brandanschlages gehört hatten, in der Folge legte zumindest einer von ihnen mehrfach Geständnisse ab. Andererseits bemühten sich Polizei und Staatsanwaltschaft um Entlastung: Allen Verdächtigen wurden Alibis nachgesagt, die Prüfungen nicht standhielten, Spuren wurden ignoriert oder vernichtet. Die Verdächtigen wurden zunächst festgenommen, dann entlassen, das Ermittlungsverfahren mehrfach eröffnet und am 8. Mai 1996, 14. August 1996 und 2. Juni 1999 wieder eingestellt. Gegen diese letzten Einstellung hat Gabriele Heinecke als Anwältin von Safwan Eid, der Geschädigter des Brandanschlages und damit möglicher Nebenkläger in einem Prozess gegen die Grevesmühlener ist, Beschwerde beim Generalstaatsanwalt in Schleswig eingelegt. Während die Beschwerde vom 16. Juni 1999 stammt, wurde sie erst jetzt unter Berücksichtigung des schriftlichen Urteils des Landgerichts Kiel, dem Freispruch von Safwan Eid, begründet. Die Anwältin geht von einer massiven Vertuschung aus: Die Staatsanwaltschaft Lübeck hatte erkennbar kein Interesse an den typischen Brandlegerspuren und den Geständnissen, auch zum Beispiel der Tod von Sylvio Amoussou, einem der Hausbewohner, unmittelbar vor dem Brandausbruch wurde nicht weiter untersucht. Zum Brandausbruch gibt es Zeugen, insbesondere Frau Makodila und ihre Tochter, die beide bei der Polizei anriefen und – in Panik und bruchstückhaft – Informationen gaben (3.41 Uhr: "Kommt schnell, wir werden hier im Haus von Nazis attackiert, mein Gott."). Diese werden bis heute nicht verwendet, sind nicht einmal vom Tonband des Polizeinotrufs ordnungsgemäß übersetzt worden. Frau Makodila wurde mit ihren Kindern gegen 4 Uhr vom Feuer getötet. Allerdings wohnte sie nicht über dem von der Staatsanwaltschaft behaupteten Brandausbruchsort, den das Landgericht Kiel auch als "mindestens einen Brandausbruchsort" relativiert. Auch viele andere Spuren und Zeugenaussagen sprechen für einen (bzw. einen zweiten) Brandausbruchsort im Vorbau des Hauses. Der im Vorbau gefundene Sylvio Amoussou könnte erwürgt worden sein (volle Blase, kleine Milz), er ist auf jeden Fall vor dem Brand gestorben. Konsequenz der Lübecker Staatsanwaltschaft: Die Leiche wird ohne Spurensicherung weggeschafft, der Tatort gefegt, die Todesursache nicht weiter untersucht. Dadurch, dass Amoussous damalige Freundin ohne sein Wissen als Spitzel für die Lübecker Polizei arbeitete, hätte die Staatsanwaltschaft sehr viele Ermittlungsmöglichkeiten gehabt. Dass in den Wochen zuvor zwei Brandanschläge auf das Haus dieser Freundin verübt wurden, interessiert aber nicht weiter. In Bezug auf die vier Grevesmühlener stellt die Anwältin in ihrem Schriftsatz zu allen wichtigen Punkten (Sengspuren, Benzinspuren an der Kleidung, mitgeführte Gegenstände in den Autos) Nicht-Ermittlungen fest. Versengte Haare werden erst sichergestellt, dann verschwinden sie, dann leugnet die Polizei, sie sichergestellt zu haben, die Staatsanwaltschaft zeigt sogar die Ärztin, die sich abgeschnitten und in eine Tüte gepackt hat, wegen Falschaussage an (sie wurde gerade freigesprochen). Aktiv wird die Staatsanwaltschaft lediglich im Konstruieren von Alibis, wobei die Zeugen dafür wohlweislich nicht genau befragt, schon gar nicht den Verdächtigen gegenübergestellt werden. In der Folge legen die Verdächtigen nicht nur Geständnisse ab, Maik Wotenow sogar in einem Spiegel-Interview, sie offenbaren auch Wissen, dass mit dem behaupteten Ablauf der Ereignisse überhaupt nicht vereinbar ist. So haben sie eine verbrannte Leiche (Sylvio Amoussou) vor Eintreffen der Polizei gesehen, waren also eindeutig im Haus, im Vorbau, und sie können beschreiben, wie Monica Bunga mit ihrer Tochter Nsuzanna im Arm aus dem Fenster sprang, auch vor Eintreffen der Polizei. Diese behauptet trotzdem in der Einstellung des Ermittlungsverfahrens, die Polizei wäre vor den Verdächtigen am Tatort gewesen. Ein ganz eigenes Kapitel sind die verschiedenen Geständnisse gegenüber Bekannten, Fremden, der Staatsanwaltschaft und im öffentlichen Interview, die nicht nur massiv bearbeitet werden, um die Rücknahme zu veranlassen, sondern zwischenzeitlich auch zu einer ersten Verurteilung geführt haben. Februar 2000: Wotenow verurteilt Seit Sommer 1997 sitzt Maik Wotenow, der mehrfach die Brandstiftung in der Lübecker Hafenstraße gestanden hat, in Haft. Seine Verurteilung beruht auf mehreren Autodiebstählen, Raub, Betrug, Körperverletzung, mehrfacher sexueller Nötigung, begangen an einem Mithäftling. Im Januar 2000 stand er in Neustrelitz erneut vor Gericht, kurz vor der Haftentlassung aus dem Gefängnis vorgeführt. Der Vorwurf: Mit seinen Geständnissen, zusammen mit drei Kompanen das Asylheim in Lübeck angezündet zu haben, habe er drei Unschuldige falsch beschuldigt und die Behörden irregeführt. Im Namen des Volkes entschied das Gericht am 1. Februar 2000: Es sei erwiesen, dass die vier Grevesmühlener das Feuer nicht gelegt haben, deshalb seien die Geständnis erwiesenermaßen falsch, also sei der Angeklagte schuldig – und verurteilte ihn zu weiteren sechs Monaten Haft. Übrigens: Entstanden sein soll das Geständnis, weil Mitgefangene über ihn hergefallen und ihn zum Geständnis gezwungen hätten. Verurteilt ist aber Maik Wotenow wegen mehrfacher und brutaler sexueller Nötigung von Mitgefangenen – nicht Opfer, sondern Täter ist er "im Namen des Volkes". Oder wird alles zweimal gedreht, bis es eben passt? Aufklärung nie? Der Generalstaatsanwalt in Schleswig hat jetzt erstmal angekündigt, die Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen umfassend zu prüfen. Wenn er an einer Aufklärung des zehnfachen Mordes interessiert ist, macht ihm das jüngste Urteil aus Neustrelitz seinen Job nicht leichter. Wenn weiterhin kein Interesse besteht, und dafür spricht leider viel, die wahren Brandstifter zu finden, hat das Amtsgericht ihm eine nette Vorlage geliefert. Das Justizministerium in Kiel, das ein neues Vermittlungsverfahren anordnen könnte, hat im Innenausschuss des Landtages schon klar gesagt, dass seitens der rot-grünen Landesregierung kein Interesse besteht, die Ermittlungen neu aufzunehmen. Reinhard Pohl |
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