(Gegenwind 438, März 2025)

Ferdinand Lassalle
Ferdinand Lassalle

Wer kennt heute noch Lassalle und Bernstein?

Die SPD-Ahnherren haben selbst bei den Sozialdemokrat:innen weitgehend ausgedient

16 Prozent und Platz drei hinter CDU/CSU und AfD - das desaströs schlechteste Bundestagswahlergebnis der SPD. Die Enttäuschung bei den Genoss:innen wird sicher tief und nachhaltig sein und mit Olaf Scholz ein erstes Bauernopfer fordern. Denn: Wahlen und Parlamentsarbeit waren und sind für die Sozialdemokratie von je her Dreh- und Angelpunkt ihrer politischen Arbeit - so die offizielle SPD-Erzählung, die dabei die anfängliche revolutionäre sozialdemokratische Linie gerne unter den Tisch fallen lässt.

Auch aus Anlass der „runden“ Geburtstage zweier prägender Personen aus der SPD-Ahnengalerie lohnt ein Blick auf SPD und Wahlen.

Sowohl Ferdinand Lassalle, der vor 200 Jahren (am 10.4.1825) als auch Eduard Bernstein, der vor 175 Jahren (am 6.1.1850) geboren wurde, waren der festen Überzeugung, dass die Sozialdemokratie und damit „der Arbeiterstand“ mithilfe des allgemeinen Wahlrechts über kurz oder lang die Macht im Staate übernehmen würde. Ein Blick auf das Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts schien ihnen Recht zu geben. Bei der ersten Wahl im Deutschen Reich 1871 (bei der nur Männer wahlberechtigt waren) erhielten die beiden sozialdemokratischen Parteien ADAV und SDAP zusammen 3,2 % der Wählerstimmen, 1912 erhielt die SPD bereits 35 %. und 1919 nach der Novemberrevolution kamen die sozialdemokratischen Arbeiterparteien auf insgesamt 45,5 % (SPD: 37,9% / USPD 7,6%). Die Wahlen von 1920, bei denen SPD, USPD und KPD zusammen zwar noch auf 41,6% der Wählerstimmen kamen, die SPD aber nur noch knapp 22% erreichte, markiert aber schon das Ende dieses Trends.

Lassalles und Bernsteins theoretische Annahmen, sich vor allem auf Wahlen zu konzentrieren, hatten innerhalb der Sozialdemokratie namhafte Widersacher:innen, vor allem August Bebel und Wilhelm Liebknecht sowie Rosa Luxemburg. Innerhalb der SPD in Hamburg und Schleswig-Holstein waren die Ideen Lassalles und Bernsteins immer die vorherrschenden.

1863: Arbeitervereine schließen sich zu einer Partei zusammen

Nicht zählen wir den Feind,
Nicht die Gefahren all',
Der Bahn, der kühnen, folgen wir,
Die uns geführt Lassalle.

So heißt es in einem der früher beliebtesten deutschen Arbeiterlieder, die sogenannter „Arbeiter-Marseillaise“. Mit ihr klangen bis zum Beginn der Weimarer Republik die meisten Parteitage der SPD aus. Und noch bei der 1917 gegründeten USPD galt es als Hauptaufgabe, die SPD auf den Weg zurückzuführen, den Marx, Engels und Lassalle bewiesen, auf den uns August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Paul Singer jahrzehntelang ruhm- und siegreich geführt haben.

Am 23. Mai 1863 hatte der Rechtsanwalt Ferdinand Lassalle in Leipzig gemeinsam mit Delegierten von Arbeitervereinen aus elf deutschen Städten, darunter Hamburg, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) gegründet. Dieses Datum gilt den Sozialdemokraten bis heute als das Gründungsdatum der SPD.

Anknüpfend an das, was der Marxsche „Bund der Kommunisten“ während der 48er-Revolution gefordert hatte, aber über kurzzeitige Ansätze nicht hinaus kam, will Lassalle in einem erneuten Anlauf in die Tat umsetzen: Dass sich „der Arbeiterstand als selbstständige politische Partei konstituiert“. Als Zweck legten die Delegierten auf dem Gründungskongress im Statut fest, dass nur durch das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht eine genügende Vertretung der sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes und eine wahrhafte Beseitigung der Klassengegensätze in der Gesellschaft herbeigeführt werden kann. Der Verein verfolgt dieses Ziel auf friedlichem und legalem Wege, insbesondere durch das Gewinnen der öffentlichen Überzeugung. Mit Hilfe dieses Wahlrechts - so Lassalle - werde über kurz oder lang eine Umgestaltung des reaktionären preußischen Klassenstaates zum „reinen Staat der Arbeiterschaft“ erfolgen. Dieser Staat werde dann einen Aufschwung des Geistes, die Entwicklung einer Summe von Glück, Bildung, Wohlsein und Freiheit herbeiführen, wie sie ohne Beispiel dasteht in der Weltgeschichte.

Mit Hilfe von staatlich finanzierten Produktionsgenossenschaften wollte Lassalle das sog. „eherne Lohngesetz“ aushebeln und den Arbeitern ihren „vollen Arbeitsertrag“ ohne Abzug des Unternehmergewinns garantieren. Nach diesem „Gesetz“ zahle der Unternehmer - so Lassalle - dem Arbeiter im Durchschnitt immer nur das Minimum dessen an Lohn, was dieser zur Erhaltung seines Lebens und seiner Arbeitskraft sowie zur Reproduktion der Arbeiterschaft benötige. Selbst wenn der Lohn für eine kurze Zeit steige, sinke er bald wegen des Überangebots an Arbeitskräften wieder auf den ursprünglichen Stand zurück. Veränderlich sei also innerhalb des kapitalistischen Systems jeweils nur die aktuelle Lohnhöhe. Auf die Dauer werde das Existenzminimum, das allerdings von der kulturellen Entwicklung eines Volkes abhängig sei, keineswegs überschritten. Die Konsequenz dieser Anschauung ist, dass Lohnkämpfe und die Gewerkschaftsbewegung im Grunde sinnlos seien.

Die Mitgliederzahl des ADAV blieb nach anfänglicher Euphorie überschaubar. 1864 zählt der ADAV nicht mehr als 3.000 Mitglieder, die hauptsächlich im Rheinland, in Hamburg/Altona sowie in Sachsen arbeiteten. Als Erfolg des ADAV ist aber zu werten, dass es gelang, eine neue, klassenbewusste Kaderschicht in der werdenden Arbeiterklasse zu schaffen.

Nach dem Tod Lassalles (er stirbt in einem Duell aufgrund einer amourösen Affäre) mehrt sich die Kritik am ADAV: Es gebe zu wenig innerparteiliche Demokratie und zu wenig Nähe zu den entstehenden Gewerkschaften. 1869 kommt es in Eisenach auf Initiative von August Bebel und Wilhelm Liebknecht zur Gründung einer zweiten sozialdemokratische Partei, der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP)“, die sich marxistische Erkenntnisse zur theoretisch-praktischen Grundlage zu eigen macht. Bis zu ihrer Vereinigung in Gotha sechs Jahre später (1875) konkurrieren ADAV und SDAP somit fortan um die Vorherrschaft innerhalb der Arbeiterschaft.

Lassalle war Preußen-Fan und hegelianischer Staatsverehrer. So verwundert es nicht, dass zu Beginn des ersten Weltkriegs viele SPD-Obere vom „deutschen Kriegssozialismus“ schwärmten und sich dabei auch ausdrücklich auf Lassalle beriefen.

Eduard Bernstein
Eduard Bernstein (1930)

Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) in Altona

Von 1864 an gab es in Altona eine einflussreiche ADAV-Gruppe. Von hier aus wurde die politische Agitation auch in der Provinz Schleswig-Holstein geleitet, sodass Altona als „Bollwerk der Sozialisten des Nordens“ bezeichnet wurde.

Der Wahlkampf 1874 in Altona, Hamburg und Schleswig-Holstein war von gerichtlichen Verfolgungen der Agitatoren begleitet, vor allem wegen kritischer Äußerungen über das preußische Dreiklassenwahlrecht. Deshalb enthielten die programmatischen Grundsätze des ADAV für die Wahl vor allem die Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht. Ebenso wurden die Pressefreiheit und ein freies Vereinsrecht und Versammlungsrecht gefordert. Einen wichtigen Bereich des Wahlprogramms bildeten auch Punkte, die in einem angestrebten Arbeitsschutzgesetz verwirklicht werden sollten; Abschaffung der Frauen- und Kinderarbeit und die gesetzliche Festlegung eines Normalarbeitstages wurden dabei besonders hervorgehoben. Die Errichtung von Produktivassoziationen mit Staatshilfe sollten als Mittel zur Beseitigung von wirtschaftlichen Missständen dienen.

Die Wahl vom 10. Januar 1874 zeigte, welche Stärke der ADAV in Altona inzwischen erreicht hatte. Hasenclever wurde für viele überraschend schon im ersten Wahlgang mit 11.658 Stimmen zum Abgeordneten gewählt. Als sensationell muss die Wahl von Reimer in Ostholstein gewertet werden. Hier hatte der ADAV mit gezielter Agitation die Stimmen der Landarbeiter und Insten (= Landarbeiter ohne Lohn) erhalten.

Obwohl pseudo-religiöser Lassalle-Kult, agitatorische Einheitssprache und die mit der Theorie des ADAV - Gründers zusammenhängende Ablehnung von Gewerkschaften natürlich auch in Altona existierten, entstand durch die Tätigkeit der ADAV-Gemeinde bei den Arbeitern und Handwerkern doch eine dauerhafte politische Bindung an die Arbeiterbewegung. Der pseudo-religiöse Kult um den Gründer des ADAV fand seinen jährlichen Höhepunkt in den Gedenkfeiern zum Geburts- und Todestag von Lassalle. Molkenbuhr (Vorsitzender ADAV Altona, G.St.) beschreibt diese Feiern als eine Art Gottesdienst. Der Saal ganz in Schwarz ausgeschlagen. Auf der Bühne ein schlecht gemaltes Transparent, welches Lassalle auf dem Totenbett darstellte. Vorn auf der Bühne eine Büste Lassalles. Wie der fromme Katholik seine Kirche, so musste der Lassalleaner zwei mal in der Woche Versammlungen besuchen. Bernstein: Vordenker einer „modernen Sozialdemokratie“?

Eduard Bernstein (1850-1932) wird als einer der Begründer des Revisionismus/Reformismus in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gesehen, der sich nach dem Tod von Friedrich Engels im Jahr 1895 gegen zentrale Grundgedanken des für sie bis dahin grundlegenden Marxismus wendet. Nach der auch organisatorischen Spaltung der Arbeiterbewegung in eine weltkommunistische und weltsozialdemokratische Parteitradition dient er der Sozialdemokratie als „Vater“ für ihren „Reformismus“. Von der Sozialdemokratie, die sich nach 1918 ganz zum Reformismus bekennt, den revolutionären Sozialismus als „Bolschewismus“ bekämpft und mit dem „Godesberger Programm“ von 1959 endgültig den Übergang von der Klassen- zur Volkspartei vollzieht, wird Bernstein lange zum Säulenheiligen erklärt.

In den 70er Jahren gab es eine kurzlebige Bernstein-Renaissance in der SPD. Es war der Versuch, Bernstein gegen die seinerzeitige kurze Welle der Begeisterung für einen angeblich dogmatischen Marxismus in der Folge der Studentenbewegung in Stellung zu bringen. Die damaligen Stamokap-Helden Gerhard Schröder und Olaf Scholz haben aber alsbald ihren Bernstein schnell wieder zugunsten ihrer Karriereplanung entsorgt. In der SPD, die sich zwar stolz auf ihre Geschichte beruft, aber ihre „Historische Kommission“ abgeschafft hat, gerät Bernstein nun weitgehend in Vergessenheit.

Wie wollte Bernstein die SPD erneuern? Bernstein unterstützt zunächst Bebel und Liebknecht bei den Vorbereitungen der Vereinigung der SDAP mit dem von Lassalle gegründeten ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Nach dem Tod von Friedrich Engels (1895) schreibt Bernstein in dem SPD-Theorieorgan „Neue Zeit“ eine Reihe von Artikeln zu „Problemen des Sozialismus“, die 1899 in seinem Buch Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie zusammengefasst erscheinen.

Insbesondere die Vorstellung, dass der Kapitalismus aufgrund ökonomischer Gesetze notwendig irgendwann zusammenbreche und die Sozialdemokratie nach diesem „Kladderadatsch“ das politische Erbe auf sozialistischer Grundlage antreten werde, bezeichnete er darin als politisch irreführend. Mit seiner Absage an eine angeblich determinierte Entwicklung zum Endziel des Sozialismus forderte Bernstein nichts Geringeres als eine Revision der offiziellen Parteiideologie. So ist für Bernstein das, was man gemeinhin das Endziel des Sozialismus nennt nichts, die Bewegung alles. Als vordringlich erscheint nicht der Kampf um den Sozialismus, sondern um die Erweiterung praktischer politischer Rechte, insbesondere in der Erweiterung der Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden.

Nachdem Bernstein für seine Vorstellungen innerparteilich scharf kritisiert wird, gelingt es Bebel, dass der „Dresdner Parteitag“ 1903 mit großer Mehrheit eine Resolution gegen Bernsteins Reformismus beschließt. In ihrem 1904 erschienen Artikel „Sozialdemokratie und Parlamentarismus“ weist seine Parteigenossin Rosa Luxemburg nach, dass es eine Illusion sei, dass das Parlament die Zentralachse des sozialen Lebens, die treibende Macht der Weltgeschichte sei. Erfolgreich werde der Kampf der Arbeiterklasse nur sein, wenn nicht allein auf das Parlament, sondern auch auf die direkte Aktion der proletarischen Masse orientiert werde.

Gleichzeitig fordert sie die Sozialdemokratie auf, den bürgerlichen Parlamentarismus vor der Bourgeoisie und gegen die Bourgeoisie zu retten. Es sei deren Pflicht, diese verfallene Ruine der bürgerlich-demokratischen Herrlichkeit in einer solchen Weise zu schützen und zu unterstützen, die zugleich den schließlichen Untergang der gesamten bürgerlichen Ordnung und die Machtergreifung des sozialistischen Proletariats beschleunigt. Doch die Bernsteinsche Linie setzte sich mehr und mehr vor allem in der Parlamentsarbeit der SPD durch. Offenkundiger Höhepunkt der Anpassungstendenzen der SPD-Reichstagsfraktion war, als es - noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs - zum Kompromiss mit der Rüstungspolitik der Reichsregierung kam. Die „Wehrbeitragsvorlage“ der Reichsregierung wurde 1913 auch von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion angenommen. Damit wurde zum ersten Mal von ihren Prinzip Diesem System keinen Mann und keinen Groschen (Bebel) abgewichen.

1901: „Wehr und Waffen“. Kommunalprogramm der schleswig-holsteinischen SPD

In seinem Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ widmete Bernstein gleich mehrere Passagen der Gemeindepolitik, der er eine wichtige Aufgabe als Hebel zur sozialen Evolution und politisch-kulturellen Emanzipation der Arbeiter zuschrieb. Von daher verwundert es nicht, dass die Beschäftigung mit kommunalen Angelegenheiten um die Jahrhundertwende innerparteilich brisant und strittig war. Namentlich die Anhänger der marxistischen Lehrmeinung sprachen sich gegen eine Priorisierung einer sozialdemokratischen Gemeindepolitik aus; sie wollten die Energien weiterhin auf die allgemeine Sozialrevolution als Mittel zur Erreichung des sozialistischen Ziels gebündelt wissen.

Kennzeichnend für die Entwicklung der sozialdemokratischen Gemeindepolitik war also der enge Zusammenhang mit der Entstehung und Ausbreitung revisionistischer Ideen innerhalb der SPD. Von daher erklärt sich auch, dass die frühen kommunalpolitischen Impulse weniger vom Parteivorstand oder von anderen zentralen Einrichtungen der SPD ausgingen als vielmehr von einzelnen Bezirks- und Landesvertretungen. Die Sozialdemokraten Schleswig-Holsteins gehörten im Deutschen Reich mit zu den ersten in der Partei, die kommunalpolitische Initiativen ergriffen. So stellten sie bereits 1901 ein eigenes Kommunalprogramm auf, an dem der Hamburger Sozialdemokrat Karl Frohme maßgeblichen Anteil hatte. Frohme, Mitglied des Reichstags für den schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreis Altona-Stormarn und leitender Redakteur des „Hamburger Echo“, war eine der wenigen norddeutschen Persönlichkeiten, der es verstand, revisionistische Ideen in konkrete Parteipolitik umzusetzen. Frohme leitete die Kommission, die nach dem schleswig-holsteinischen Provinzialparteitag von 1899 zur Ausarbeitung eines Kommunalprogramms eingesetzt worden war. Schließlich verfasste er ausführliche Erläuterungen zum ersten Kommunalprogramm der schleswig-holsteinischen SPD unter dem Titel „Wehr und Waffen“.

In der Einleitung dieses Programms heißt es: In Rücksicht auf die stetig wachsenden großen sozialen Aufgaben des Gemeinwesens ist es Pflicht der arbeitenden Klassen, alles aufzubieten, maßgeblichen Einfluß auch in den Gemeindevertretungen zu gewinnen (...), ihre ökonomische und politische Leistungsfähigkeit zu erhöhen. In Punkt 1 wird die volle Selbstverwaltung der Gemeinde auf Grundlage eines allgemeinen, direkten und geheimen Wahlrechts ohne Unterschied des Geschlechts, des Standes und der Steuerleistung gefordert. Eine Forderung, die erst die Novemberrevolution einlösen sollte. Es folgen eine Vielzahl sinnvoller Einzelforderungen bis hin zum Expropriationsrechts (Enteignungsrechts) im Rahmen der Pflicht der Wohnungsfürsorge. Überhaupt ist der Punkt zur „Gemeinnützigen Wohnungspolitik“ recht ausführlich dargestellt. Darin heißt es u.a.: Einführung kommunaler Bauordnungen in der Richtung einer energischen Bekämpfung der Mietkasernen. Verhinderung der Bauspekulation und des Wohnungswuchers durch vollständige Einstellung des Verkaufs von Bauland an Private.

Die historische Bedeutung des sozialdemokratischen Kommunalprogramms lag trotz vieler richtiger Forderungen vor allem aber darin, dass es ein wichtiges Mittel für den Zweck war, auf den die Revisionisten indirekt zielten: auf die Einbeziehung der Arbeiter in das bestehende Staats- und Gesellschaftssystem auf lokaler und regionaler Ebene.

Zum Schluss des Godesberger Programms der SPD von 1959 halten die sozialdemokratischen Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus zumindest noch die rote Fahne als Phrase hoch, wenn sie schreiben: Die sozialistische Bewegung erfüllt eine geschichtliche Aufgabe. Sie begann als natürlicher und sittlicher Protest der Lohnarbeiter gegen das kapitalistische System. Die gewaltige Entfaltung der der Produktivkräfte durch Wissenschaft und Technik brachte einer kleinen Schicht Reichtum und Macht. (...) Die Vorrechte der herrschenden Klassen zu beseitigen und allen Menschen Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu bringen - das war und das ist der Sinn des Sozialismus. Selbst das ist heute obsolet

In diesem Wahlkampf - 65 Jahre nach dieser Erkenntnis - war jedoch weder von der SPD noch von der LINKEN etwas in Richtung einer „anderen Gesellschaftsordnung“ zu hören. Schade eigentlich. Aber: Machen wir nicht den Fehler, von Parteien etwas wünschen zu wollen, was sie längst aufgegeben und entsorgt haben.

Apropos: Warum das SPD-Kommunalprogramm von 1901 mit „Wehr und Waffen“ betitelt wurde weiß ich nicht (militärische Fragen kommen darin nicht vor). Heute hat die Losung jedenfalls gerade wieder Konjunktur - auch unter Sozialdemokraten.

Günther Stamer

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