(Gegenwind 438, März 2025)
Smart und hart arbeiten ist der Schlüssel zum Erfolg
Jedes Jahr verleiht die Initiative „Kluge Köpfe“ Auszeichnungen an junge Menschen afrikanischer Herkunft in Schleswig-Holstein, die besondere Erfolge in ihrer Bildung erreicht haben. Eine der Preisträgerinnen war 2024 Aichatou Moussa Bilim, die aus Kamerun stammt und mit ihrer Familie in Neumünster lebt.
Gegenwind:
Kannst Du Dich als erstes vorstellen?
Aichatou Moussa Bilim:
Ich heiße Aichatou Moussa Bilim. Ich komme aus Kamerun. Ich bin seit 13 Jahren in Deutschland. Ich habe Wirtschaft und Politik in Deutschland studiert. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.
Gegenwind:
Warum bist Du nach Deutschland gekommen?
Aichatou Moussa Bilim:
Ich habe einen Onkel, der hier lebte. Er hat mir immer gesagt: Wenn Du sehr gut in der Schule bist, dann kommst Du mit mir nach Deutschland. Ich war sehr fleißig, und nachdem ich mein Abitur gemacht habe, fragte er: Hast Du Lust? Ich habe ja gesagt. Ich bin dann zum Studium hergekommen.
Gegenwind:
In Kamerun sprichst Du ja Deine eigene Sprache und Französisch.
Aichatou Moussa Bilim:
Ja, meine Muttersprachen kann ich leider nicht so gut, aber ich bin mit Französisch aufgewachsen. Aber inzwischen kann ich außer Deutsch auch Englisch, und zwar wegen meines Mannes.
Gegenwind:
Wäre es nicht einfacher gewesen, in Frankreich zu studieren?
Aichatou Moussa Bilim:
Ja, meine Integration in Frankreich oder in Belgien wäre viel einfacher gewesen. Aber ich dachte, wenn mein Onkel es hier in Deutschland geschafft hat, kann ich das auch.
Gegenwind:
Wenn man sich die Zahlen der afrikanischen Studentinnen und Studenten aus Afrika an den deutschen Universitäten ansieht, ist immer Kamerun die Nummer eins. Weißt Du, warum das so ist? In Ägypten oder Äthiopien oder Nigeria leben viel mehr Menschen. Ist Deutschland in Kamerun so beliebt?
Aichatou Moussa Bilim:
Ja, ich denke schon. Die Kameruner, die hier studieren, werden oft Elektrotechniker, IT-Experten oder Ingenieure im Bau. Die Löhne in diesen Bereichen sind in Deutschland nicht so schlecht. Das ist bei uns sehr beliebt. Seit einigen Jahren gibt es eine hohe Nachfrage nach Ärzten und Fachkräften im Gesundheitswesen, sodass viele Kameruner davon angezogen werden. Kameruner studieren gerne. Bei uns ist es normal, dass jeder, der sich ein bisschen anstrengt, das Abitur schafft, und unser Abitur ist international anerkannt. Es ist kein schwaches Abitur. Die meisten wollen dann an die Universität, das ist normal. Nur wer in Kamerun dringend auf Geld angewiesen ist, muss etwas anderes machen als studieren, aber die Universität ist die normale Richtung.
Gegenwind:
Was wusstest Du über Deutschland, bevor Du herkamst?
Aichatou Moussa Bilim:
Ich wusste nur, dass hier die Elektronik eine gute Qualität hat, aber ich wusste nicht besonders viel. Ich dachte, es wäre ein Land wie Kamerun mit mehr politischer Stabilität und technischer Entwicklung, ich hatte aber wenig recherchiert. Ich dachte, wenn mein Onkel hier lebt, ist es bestimmt gut, und er hat zu uns nie etwas Schlechtes über Deutschland gesagt.
Gegenwind:
Warst Du über irgendetwas enttäuscht, als Du herkamst? Gab es etwas, was Du nicht erwartet hast?
Aichatou Moussa Bilim:
Ja, ein bisschen. ich gemerkte, wie schwierig es ist, wenn man die Sprache nicht fließend spricht. Man ist tagtäglich gestresst. Das war ein Punkt, der mir sehr schwer gefallen ist. Dann war da die Kälte, vor allem in den ersten Jahren. Man unterschätzt sie, man sieht immer nur den Schnee, und ich wollte irgendwann mal Schnee anfassen. Aber ich erinnere mich, dass es im ersten Winter Tage gab, an denen ich geweint habe, weil es so kalt war. Ich wollte nicht nach draußen gehen, aber man muss zur Arbeit oder woanders hin. Außerdem ist es schwer, in Deutschland deutsche Freunde zu finden. Das habe ich nach einer Weile auch gemerkt. Man kann Kontakte knüpfen, Bekannte haben, aber es ist schwer, echte Freunde zu finden. Man möchte auch enge Freundschaften schließen, was hier in Deutschland schwierig ist. Das gesellschaftliche Leben ist ganz anders als das, was man aus Kamerun kennt.
Gegenwind:
Hast Du das inzwischen geschafft?
Aichatou Moussa Bilim:
Ach, ein bisschen. Aber eigentlich nicht so. Ich habe viele Kontakte, aber wirklich enge deutsche Freunde nicht. Vielleicht liegt das an mir. Vielleicht haben andere eine andere Erfahrung.
Gegenwind:
Du hast in Neumünster bei „Lichtblick“ gearbeitet. Hast Du da mehr über das Leben in Deutschland erfahren?
Aichatou Moussa Bilim:
„Lichtblick“ ist ein Verein, der unterstützt Eltern mit behinderten Kindern. Es geht um die Betreuung, und die Begleitung, man trifft sich regelmäßig. Es sind Kinder und junge Erwachsene. Man macht da viele Sachen gemeinsam. Ja, ich konnte dadurch viel lernen. Wie Kinder mit Behinderung unterstützt werden damit sie ein normales Leben wie alle anderen haben können. Die meisten haben sogar Jobs und leben einigermaßen selbständig. Ich kann mir nur das Gleiche für die Kinder in der gleichen Situation in Kamerun wünschen.
Gegenwind:
Da hast Du ja auch Probleme kennen gelernt, die deutsche Eltern mit Behörden haben. Hattest Du erwartet, dass Du hier in Deutschland Deutschen helfen kannst, auch gegen den Staat etwas durchzusetzen?
Aichatou Moussa Bilim:
Nein. Als ich herkam, wollte ich nur Buchhalterin werden. Das hat nicht so geklappt, wie ich wollte. Und langsam habe ich gemerkt, ich bin ein sehr empathischer Mensch. Und ich arbeite gerne mit Kindern. Das ist interessant, denn dadurch kenne ich die deutsche Kultur ein bisschen mehr. Du musst auch Kinder in der Wohnung der Eltern betreuen, so lerne ich auch Deutsche kennen, Kindererziehung in Deutschland, das ist sehr interessant.
Gegenwind:
Sind deutsche Wohnungen anders? Hast Du etwas entdeckt, was Du nicht erwartet hast?
Aichatou Moussa Bilim:
Ja sehr. Die Essgewohnheiten sind sehr anders. Das Verhalten zwischen Kinder und Eltern ist anders. Respekt gegenüber erwachsene besonders die Eltern ist das A und O in Kamerun. Das Wort des Eltern hat sehr viel Wert im Kamerun. In Deutschland hat „Respekt“ eine andere Bedeutung.
Gegenwind:
Was hast Du jetzt studiert?
Aichatou Moussa Bilim:
Ich habe in Berlin Wirtschaft und Politik studiert. Zur Zeit bewerbe ich mich, Ich möchte Bildungswissenschaft online studieren.
Gegenwind:
Wie hast Du das Projekt „Kluge Köpfe“ kennengelernt?
Aichatou Moussa Bilim:
Wir hatten eine Veranstaltung, das war vor ungefähr zwei Jahren. Es ging um das Thema „Erfolge von Kindern mit Migrationshintergrund in der Schule“. Rose Sekoh hatte diese Veranstaltung organisiert, ich war dort mit meiner Kollegin. Da habe ich Rose kennen gelernt, und seitdem sind wir in Kontakt geblieben. Dadurch habe ich auch von den „Klugen Köpfen“ erfahren.
Gegenwind:
Gefällt Dir das Projekt?
Aichatou Moussa Bilim:
Das ist ein sehr wichtiges Projekt. Ich finde es schade, dass es nicht mehr solcher Projekte in ganz Deutschland gibt. Ich erinnere mich noch daran, als ich neu in Deutschland war, hatte ich große Angst davor, zu sprechen. Und wenn man zu introvertiert ist, hat man damit besondere Probleme. Sprechen ist ohnehin ein Problem, und in einer Fremdsprache zu sprechen, macht es noch schwieriger. Ich hatte immer Jobs, in denen ich kaum mit Menschen sprechen musste. Aber ich wurde immer ermutigt, mir wurde gesagt, dass ich mehr mit anderen Menschen in Kontakt treten sollte. Aber ich dachte immer, wenn ich nicht gut Deutsch spreche, kann ich mich nicht gut mit denen unterhalten, die gut Deutsch sprechen. Aber wenn man Vorbilder hat, wie im Projekt „Kluge Köpfe“, wo auch Leute, die nicht gut Deutsch sprechen, etwas erreichen, dann gewinnt man Selbstvertrauen und sagt: Das kann ich auch.
Smart und hart arbeiten ist die Schlüssel zum Erfolg. Wir planen auch in diesem Jahr weitere Veranstaltungen. Wir haben in Neumünster einen Verein, den „Afrikanisch-Deutschen Verein“. Wir versuchen, die afrikanische Community in Neumünster zu sammeln und zu stärken. Zu dieser Veranstaltung möchten wir in diesem Jahr auch einige Kinder, also Schüler, mitnehmen. Dann sehen die Schüler, dass afrikanische Wurzeln und nicht perfekt die Sprache zu beherrschen nicht bedeuten, dass man kein Professor Doktor oder noch besser werden kann.
Gegenwind:
Wenn Du bei der Preisverleihung auf der Bühne stehst und eine Rede hältst, ich das einfacher? Im Publikum sind neunzig Prozent aus Afrika.
Aichatou Moussa Bilim:
Ich war trotzdem aufgeregt. Aber ich denke, ich hätte noch mehr Mut gehabt, wenn ich mehr Schülerinnen und Schüler mit afrikanischen Herkunft gesehen hätte. Dann hätte ich das Gefühl, ich rede mit meinem kleinen Bruder.
Gegenwind:
Du möchtest also, dass mehr junge Leute und Kinder zur Preisverleihung eingeladen werden?
Aichatou Moussa Bilim:
Natürlich. Und das mache ich auch jetzt schon. Ich mache schon Werbung in meiner Umgebung. Das ist sehr wichtig für die Kinder. Ich meine unsere Kinder, die hier leben und aufwachsen.
Gegenwind:
Hast Du vor allem mit anderen aus Kamerun Kontakt? Oder hast Du auch Bekannte aus anderen Ländern?
Aichatou Moussa Bilim:
Viele aus anderen Ländern. In Neumünster sind Leute aus allen afrikanischen Ländern im Verein - noch nicht so viele, aber es ist schon sehr divers. Sie kommen aus Eritrea, aus Uganda, aus Ghana, aus Nigeria, aus Kenia. Sie sind schon sehr unterschiedlich.
Gegenwind:
Gibt es hier in Deutschland Rassismus?
Aichatou Moussa Bilim:
Ja. Es gibt hier Rassismus. Aber wenn ich überlege, es gibt auch viel Rassismus, der nicht unbedingt gewollt ist. Deutschland ist ein Land, das noch nicht so lange mit Migranten zu tun hat. Es braucht Zeit, damit die Leute sich umstellen. Die Leute hier müssen die anderen Kulturen richtig kennen lernen. Durch den Kontakt mit den Leuten lernen sie andere kennen. In Berlin hatte ich weniger Diskriminierung erlebt als in Neumünster, Manche Städte sind mit institutioneller Diskriminierung und Benachteiligung mehr betroffen als andere - leider.
Gegenwind:
Hilft dabei ein Projekt wie „Kluge Köpfe“? Damit erfährt man ja, dass Leute aus Afrika hier studieren und gute Arbeit finden.
Aichatou Moussa Bilim:
Ich denke schon. Mein Mann und ich haben in Neumünster die Erfahrung gemacht, dass viele Deutsche überrascht sind zu sehen, dass ein Afrikaner in Deutschland studiert hat. Das kommt so oft vor. Mein Mann ist Dozent an der Uni, wenn wir das sagen, gucken die Leute überrascht. Manchmal habe ich das Gefühl, sie glauben das gar nicht. Ich denke, das Projekt hilft auf jeden Fall, dass mehr Leute wissen: Nicht alle Afrikaner brauchen Sozialhilfe oder sind faul. Viele arbeiten, sie studieren, sie sind erfolgreich. Es sind normale Menschen, sie sind so wie die Deutschen.
Gegenwind:
Machst Du in Euren Verein in Neumünster, der „Afrikanisch-deutschen Gemeinschaft e.V.“, auch Werbung für die „Klugen Köpfe“? Guckst Du auch, welche Jugendlichen später einen Preis bekommen sollen?
Aichatou Moussa Bilim:
Ja, auf jeden Fall. Das hatte ich schon letztes Jahr gemacht. Unser Verein ist neu. Wir haben erst im letzten Jahr unser erstes Projekt organisiert. Ich mache auf jeden Fall Werbung für „Kluge Köpfe“. Und wir kommen in diesem Jahr mit einer Delegation nach Kiel, zur nächsten Veranstaltung der „Klugen Köpfe“. Und ich will besonders Schülerinnen und Schüler mitbringen.
Gegenwind:
Vielen Dank für das Interview!
Interview: Reinhard Pohl