(Gegenwind 437, Februar 2025)
Bei allen Jugendorganisationen sind Koalitionen eine Herausforderung
Im September 2024 gab es Unruhe in der „Grünen Jugend“: Auf Bundesebene und in mehreren Bundesländern traten nicht nur Vorstandsmitglieder zurück. Sie verließen auch die Partei und kündigten ein „neues Projekt“ an. Dagegen formierte sich eine Strömung unter dem Titel „Wir bleiben“. Zu ihnen gehörten und gehören Jacqueline Kühl und Marcel Beutel, die in Schleswig-Holstein Ende Oktober 2024 zur Sprecherin und Sprecher der Jugendorganisation gewählt wurden. Wir trafen uns Mitte Januar zum Interview.
Gegenwind:
Marcel, kannst Du Dich vorstellen? Wie bist Du zu den Grünen gekommen?
Marcel Beutel::
Ich bin Marcel Beutel, ich bin 21 Jahre alt und aus Ostholstein. Lebe dort seit 20 Jahren und bin inzwischen auch Kieler, da ich an der CAU Politik/Geschichte studiere. Arbeiten tue ich in Hamburg, an einem internationalen Uni-Standort im Bereich Public Affairs.
Zu den Grünen bin ich 2021 gekommen. Ich habe damals schon länger mit dem Gedanken gespielt politisch aktiv zu werden, hatte einen sehr politischen Freundeskreis, eine politische Familie. In unserer Gemeinde gab es gleichzeitig noch verschiedene Herausforderungen, wo ich vor den Grünen aktiv war. Es hat sich also länger abgezeichnet, dass ich politisch starten möchte. Ich war damals sehr davon geprägt, dass im Land nicht wirklich was vorangeht, es war Stillstand. Ich war unzufrieden damit, wie unter Angela Merkel und der GroKo Politik gemacht wurde. Klimaschutz, Optimismus, Veränderungen, Gerechtigkeit waren mir wichtig, und da waren die Grünen die einzigen, die wirklich ein vernünftiges Angebot gemacht haben. Dazu kam die Außenpolitik, welche bis heute mein Herzensthema bleibt. Hier für Werte einzustehen, die Bedrohungen durch autokratische Regime ernst zu nehmen, dass haben die Grünen verkörpert und dadurch für mich einen entscheidenden Unterschied gemacht.
Deshalb bin ich dann eingetreten, habe begonnen mich kommunalpolitisch zu engagieren und die Entscheidung nie bereut.
Gegenwind:
Im September sind eine Reihe Vorstandsmitglieder bei der Grünen Jugend ausgetreten, auf Bundesebene und bei mehreren Landesverbänden, auch hier. Warum bist Du da nicht mitgezogen?
Marcel Beutel::
Ich habe nicht die gleiche politische und strategische Analyse wie diejenigen, die gegangen sind. Ich glaube, das ist auch völlig in Ordnung. Alle entwickeln sich über die Jahre politisch weiter und für sie sind die Grünen/Grüne Jugend nicht mehr der richtige Ort. Für mich und uns allerdings schon. Gleichzeitig hat die Art und Weise des Austrittes des Bundesvorstandes meinem Verständnis von Fairness widersprochen.
Die Grünen bleiben die Kraft für unsere Ziele, die Grüne Jugend der Ort, um unsere Positionen in die Partei zu tragen und um uns politisch weiterzuentwickeln. Man könnte tiefer einsteigen, sie haben ja auch sehr lange Erklärungen dazu abgegeben. Aber das unterscheidet uns wohl grundlegend.
Gegenwind:
Warum bist Du Ende Oktober gewählt worden?
Marcel Beutel::
Dadurch, dass ich die Analyse nicht geteilt habe und für mich klar war, ich bleibe, und auch schon in verschiedenen Sachen bei der GJ aktiv war, im Kreisverband, im Social-Media-Team, habe ich dann bei unserer „Wir bleiben“-Aktion mitgemacht (www.wir-bleiben-sh.de). Da waren viele mit an Bord. Da habe ich nochmal gemerkt, wie wichtig mir die Grüne Jugend ist und dass es genau der richtige Ort bleibt für Veränderungen zu streiten. Und bei den vielen Gesprächen haben mir viele gesagt, wir brauchen jetzt einen Neustart: Wäre das nicht was für Dich? Dadurch bin ich dann mit meinen Inhalten und meiner Strategie angetreten, und bei der Landesmitgliederversammlung fanden das genug Leute scheinbar ganz cool. Gleichzeitig haben wir als Verband eine Art Fahrplan entwickelt, welchen wir als Versprechen umsetzen wollen. So ist es gekommen.
Gegenwind:
Jacqueline, wie hat Dein Engagement angefangen?
Jacqueline Kühl:
Im März 2021, kurz vor der Bundestagswahl, habe ich angefangen, mich politisch zu engagieren. Schon als ich 13 Jahre alt war, wurde ich durch „Fridays for Future“ politisiert. Es war eine prägende Erfahrung, die mir gezeigt hat, dass auch Jugendliche aktiv werden und etwas verändern können. Besonders während der Corona-Pandemie, als ich viel Zeit hatte, mich intensiver mit politischen Themen auseinanderzusetzen, wurde mir bewusst, wie wenig sich in Deutschland unter den Kanzlerschaften von Merkel, Schröder und Kohl in Bereichen wie Soziales, Infrastruktur und Digitalisierung getan hat. Das hat mich darin bestärkt, mich stärker politisch zu engagieren. Daher habe ich mir zwei linke Jugendorganisationen angeschaut, die Jusos und die Grüne Jugend und schnell festgestellt, dass die Grüne Jugend am besten zu mir passt. Besonders überzeugt haben mich die klare Haltung zum Klimaschutz, der intersektionale Feminismus und die sozialen Ziele der Grünen.
Parallel zu meinem Engagement bei der Grünen Jugend war ich auch aktivistisch bei „Fridays for Future“ aktiv, sowohl lokal in Rendsburg als auch auf Landesebene, insbesondere bei der Landtagswahlkampagne. Der Übergang zur Grünen Jugend kam dann durch meine Arbeit im Bildungsteam, in dem ich fast zwei Jahre aktiv war und welches ich mittlerweile betreue.
Als ein Mitglied des Landesvorstands aufgrund eines Studienortswechsels den Vorstand verließ, wurde der Posten der Beisitzerin nachgewählt. Ich habe mich daraufhin beworben und wurde gewählt. Es war eine sehr schöne Zeit, ich hatte schon viel von der Landesvorstandsarbeit gelernt. Es war aber auch für mich klar, dass ich weiterhin Teil der Grünen Jugend bleiben möchte. Ich bin also die Einzige, die nicht aus dem Landesvorstand ausgetreten ist.
Gegenwind:
Was war für Dich ausschlaggebend, zu bleiben und nicht mit auszutreten? Das waren alles Leute, die Du gut kanntest. Und Du gingst vermutlich nicht davon aus, dass die mit allem Unrecht haben, was sie sagen.
Jacqueline Kühl:
Egal, wer ausgetreten ist, wir bleiben immer noch Freunde. Wir haben uns nicht persönlich zerstritten, sondern es gibt einfach unterschiedliche politische Ansichten. Für mich persönlich ist die Grüne Jugend ein Ort, an dem ich mich wohlfühle, und deshalb habe ich mich entschieden zu bleiben. Ich wollte lieber von einer Jugendorganisation aus in die Partei wirken, weil ich überzeugt bin, dass man von innen meistens mehr bewegen kann als von außen, vor allem, wenn man eine laute linke Stimme hat, die Veränderung fordert. Eine neue, kleine linke Splittergruppe zu gründen, erschien mir einfach nicht so effektiv. Das Opportunismus-Phänomen, das viele linke Menschen teilen und die Neigung, bei Wahlen Kleinparteien zu unterstützen, führt außerdem oftmals zu einer Zersplitterung der linken Kräfte. Im Gegensatz dazu haben die konservativen, neoliberalen und rechtsextremen Kräfte dieses Problem nicht, sie können sich hinter Parteien wie der CDU oder der AfD vereinen und Kräfte bündeln.
Vielleicht können die neuen linken Gruppen irgendwann einmal als Bündnispartner interessant werden, denn die Grüne Jugend ist immer offen für demokratische linke Bündnisse. Für mich bleibt die Grüne Jugend auf jeden Fall mein Zuhause, und deshalb halte ich die Austritte für eine falsche Entscheidung und habe mich bewusst entschieden, nicht mitzugehen!
Gegenwind:
Ihr seid ja im Vorstand eines Landesverbandes, der in einer Koalition mit der CDU ist. Ich das bei Euch umstritten? Tauscht Ihr Euch mit der „Jungen Union“ aus?
Marcel Beutel::
Ich glaube, es ist erstmal so: Ob bei der Grünen Jugend oder bei der Jungen Union, bei allen Jugendorganisationen sind Koalitionen eine Herausforderung. Jede Jugendorganisation geht mit Maximalforderungen in die Diskussion, wir sind ja nicht die Partei und auch nicht in einer Koalition. Wenn dann eine Landesregierung oder auch eine Bundesregierung Entscheidungen fällt, dabei Kompromisse finden muss, die wir nicht gut finden, ist es unsere Aufgabe zu kritisieren und zu verändern. Eine der ersten Sachen, die wir als Landesvorstand gemacht haben, war die Unterzeichnung des Offenen Briefes gegen die Verwaltungsgebühr. * Die Landesregierung führt sie ein, und das ist ein perfektes Beispiel für solch einen Kompromiss. Unsere grünen Abgeordneten sagen, wir wollen das nicht einführen, wir müssen das aber, da dies der Ministeriums-Vorschlag war, um Haushaltslöcher zu schließen. Wir sagen: Nein, wir sehen das anders. Wir glauben schon, dass es da Alternativen gibt. Wir wollen das Bestmögliche mit der Partei für die Menschen erreichen, und wir sehen schon, dass die CDU hier in Schleswig-Holstein deutlich kompromissbereiter ist. Die Landesregierung hat daher auch richtige Entscheidungen getroffen, aber wir müssen weiter Druck machen.
Zur Jungen Union SH haben wir Kontakt und tauschen uns aus. Aber natürlich sind auch hier die Unterschiede offensichtlich, daher sind die Diskussionen groß. Am Ende nach dem Motto „hart aber fair“.
Gegenwind:
Ihr habt es ja auch mit einer Bildungsministerin der anderen Partei zu tun. Funktioniert das denn im Allgemeinen, oder kritisiert Ihr sie ständig?
Jacqueline Kühl:
Ich bin jetzt schon länger dabei und habe den Eindruck, dass in Schleswig-Holstein die politische Stimmung ruhiger ist als in anderen Bundesländern, auch wenn das mal anders war. Man streitet sich, aber nicht allzu laut. Was Karin Prien betrifft, kritisieren wir vor allem die Sparpolitik. Es ist einfach traurig, was passiert: Bildung wird kaputtgespart, das Stundenkontingent für Wirtschaft/Politik und Geografie wird reduziert. Das sind aus meiner Sicht Dinge, die nicht passieren sollten. Die Jugend wächst heute mit den sozialen Medien auf, und es ist einfach wichtig, Informationen und Wissen zu haben. Wir brauchen mehr Informationen über Politik und politische Institutionen. Ein weiteres Problem ist die Schuldenbremse. Wir brauchen Investitionen, besonders in Bildung und Infrastruktur, um gut vorbereitet in die Zukunft zu gehen. Die Schuldenbremse verhindert das, weil sie den Handlungsspielraum stark einschränkt. Wir streiten uns, finden manchmal Kompromisse, aber manchmal finden wir auch keine. Und genau an diesen Punkten wünsche ich mir, dass die Fehler, die mit solchen Kompromissen gemacht werden, mehr eingesehen werden. Denn oft führen sie zu Entscheidungen, die aus Sicht der eigenen Wählerschaft schwer nachvollziehbar sind.
Gegenwind:
Seid Ihr mit den eigenen Ministerinnen und dem Minister zufrieden? Oder machen sie zu viele Kompromisse?
Marcel Beutel::
Es kommt sehr auf die Themen an. Die drei haben auch sehr verschiedene Herausforderungen, und es gab durch den Ruhestand von Monika Heinold auch noch einen Wechsel im Finanzministerium. Wir müssen immer entscheiden, was aus unserer Sicht gut oder schlecht läuft. Bildungspolitik ist ein Beispiel: Das ist nicht unser Ministerium, und man sollte manchmal mehr gegenhalten, weil sehr viele Vorschläge aus dem Haus von Prien kommen, die so nicht in Ordnung sind. Aber wir haben natürlich im Landtag nicht 50 Prozent oder 66 Prozent, wir können Maximalforderung nicht durchsetzen. Wir erwarten dennoch in der Sozialpolitik, in der Bildungspolitik, im Klimaschutz und der Finanzpolitik, die ja über allem steht, deutlich mehr progressive Politik, wobei auch hier vieles im Bund entscheidend bleibt.
Gegenwind:
Mit den 50 Prozent, die man braucht, ist die andere Seite ja weiter. Der CDU fehlt nur ein einziger Abgeordneter zur absoluten Mehrheit. Sie kann also mit jeder anderen Partei im Landtag auch koalieren. Kriegt Ihr das zu spüren?
Jacqueline Kühl:
Im Moment verfolgen wir vor allem die Diskussionen auf Bundesebene. Es ist nicht zu übersehen, dass Ministerpräsident Söder bei jeder Gelegenheit gegen uns schießt. Und Daniel Günther knickt nicht direkt ein, aber er streitet auch nicht dafür, es mit den Grünen zu machen.
Marcel Beutel::
Auf der Ebene von Schleswig-Holstein spürt man es auch: Seit die Haushaltsprobleme angefangen haben, merken wir medial und auch in den Kreisen der Grünen, dass die Differenzen deutlicher werden. Das wird in CDU-Kreisen auch so sein. Der Druck wird daher sicherlich dort sein, aber wir schätzen es auch nicht so ein, dass man daran eine Koalition scheitern lassen wird. Es stimmt zwar, dass die CDU theoretisch so stark ist, dass sie auch mit jeder anderen der drei Parteien im Landtag koalieren könnte. Aber Du löst eben eine Koalition nicht mal eben von heute auf morgen auf. So funktioniert das nicht. Es gab schließlich auch gute Gründe, warum es überhaupt zu Schwarz-Grün gekommen ist. Aber es wäre naiv zu denken, dass es nicht im Hintergrund immer mitspielt.
Gegenwind:
Wie viele Mitglieder hattet Ihr denn im letzten August? Und wie viele Mitglieder heute? Sind nur Vorstandsmitglieder ausgetreten, oder haben sie viele mitgezogen?
Jacqueline Kühl:
Soweit ich weiß, sind ausschließlich Vorstandsmitglieder sowie eine kleine Zahl an Mitgliedern in Flensburg und Kiel und vereinzelt auch in einigen kleineren Kreisverbänden, ausgetreten. In den großen Unistädten haben wir ohnehin eine sehr starke Mitgliederbasis. Im Gegenteil: Wir haben seit dem Koalitionsbruch in Berlin einen enormen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnet und das zeigt, dass viele junge Menschen unsere Werte und Ziele teilen und weiterhin hinter uns stehen, wir haben ca. 80 neue Mitglieder dazugewonnen und damit die Marke von 700 Mitgliedern geknackt!
Gegenwind:
Bekommt Ihr denn als Vorstand Druck von Mitgliedern, das grüne Element stärker zu betonen, der CDU stärkeres Contra zu geben? Oder sind sie zufrieden, wie Ihr das macht?
Marcel Beutel::
Ich glaube, die Zeit mit dem neuen Vorstand und mit uns ist noch zu kurz. Im Moment ist alles auf die Bundestagswahl ausgelegt. Wir haben die Kampagne gegen die Verwaltungsgebühr, da haben wir sehr positive Signale bekommen, dass wir da die richtige Forderung stellen. Aber durch den Focus auf die Bundestagswahl konnten wir bisher kaum in der Landespresse Punkte setzen, da wollen wir nachlegen. Mit dem Austritt hat man gemerkt, dass viele Mitglieder, die geblieben sind, motiviert wurden mehr zu machen. Und ich habe auch das Gefühl, dass viele sich bewusst überlegt haben, warum bleibe ich in der Grünen Jugend, welche Punkte halten mich hier, aber welche Punkte muss man auch verändern. Auf der Mitgliederversammlung, wo wir gewählt wurden, haben wir auch einen großen Antrag zur Verbandsarbeit beschlossen. Der Focus wird nach der Bundestagswahl daraufgelegt werden. Ich hoffe und denke, wenn unsere Mitglieder etwas stört, dass sie sich sofort an uns wenden können.
Gegenwind:
Wie seid Ihr mit der Sozialministerin und der Sozialpolitik zufrieden? Die Sozialpolitik war auch ein Thema bei den Austrittserklärungen.
Jacqueline Kühl:
Es gibt einige Punkte, bei denen es positive Entwicklungen gegeben hat. So konnte zum Beispiel der Abschiebestopp für die Jesiden durchgesetzt werden. Auch die psychosoziale Prozessbegleitung, die ursprünglich gestrichen werden sollte, blieb glücklicherweise erhalten. Das war vor allem der hartnäckigen Arbeit von „Pro Familia“, den Frauen*häusern und anderen feministischen Organisationen zu verdanken, die durch ihren Einsatz die Streichung verhindern konnten. Allerdings zeigt sich auch, dass durch die Sparpolitik extrem an der Daseinsvorsorge gespart wird. Die Privatisierung von Krankenhäusern und der schleppende Ausbau von Sozialwohnungen sind nur zwei Beispiele, wie grundlegende gesellschaftliche Bedürfnisse immer weiter auf der Strecke bleiben.
Marcel Beutel::
Auch das ist eine Frage, die kann man nicht so einfach mit ja oder nein beantworten. Ich glaube, die Kritik der Ausgetretenen legt an die Regierungsbeteiligung fundamentalere Aspekte. Aber mit unserer Regierungsbeteiligung kann man nicht automatisch alle Probleme lösen. Es ging in die Richtung von Systemkritik und um den Wunsch nach Systemveränderung. Es ist aber klar, dass eine schwarz-grüne Landesregierung keinen „System-Change“ herbeiführen wird. Das war aber schon beim Eintritt in die Koalition klar. Es sind aber dennoch wichtige Punkte umgesetzt worden. Wir haben das große Projekt der Kita-Reform. Da kann man sicherlich auch kritisieren, aber es wird endlich gemacht, und es gibt endlich klare Parameter, was passieren soll. Eine klare Perspektive zum Ganztag, zum Fachkräftemangel und verschiedenes mehr. Gleichzeitig muss mehr getan werden, um die sozialen Folgen der Inflation und wirtschaftlichen Entwicklung abzufedern. Hohe Mieten und die Wiedereinführung der Mietpreisbremse ist ein wichtiges Beispiel dafür.
Gegenwind:
Habt Ihr als Grüne Jugend einen größeren Einfluss auf eine grüne Sozialministerin als andere politische Gruppen? Liest sie Eure Kritik? Redet sie mit Euch?
Marcel Beutel::
Man muss sich das erarbeiten. Wir sind zwar die Jugendorganisation und haben viele Möglichkeiten, aber wir beide sind im Amt der Sprecher:innen völlig neu. Diese Möglichkeiten müssen wir als Jugendorganisation richtig nutzen, dann bekommen wir auch mehr Einfluss. Es ist nicht festgeschrieben, dass das auch so ist und damit liegt es an uns gemeinsam mit allen Mitgliedern dafür zu sorgen. Wir treffen uns demnächst zu einem Gespräch mit Aminata Touré und Lasse Petersdotter, wir sind auch bei den Fraktionssitzungen dabei, wir haben Nelly Waldeck und Jasper Balke im Landtag für die Grüne Jugend. Mit den beiden Landesvorsitzenden Anke Erdmann und Gazi Freitag haben wir einen guten Start hingelegt, wir tauschen uns regelmäßig aus. Jetzt streiten wir gemeinsam im Bundestagswahlkampf und danach werden wir über unsere Verbandsarbeit wieder stärker in die Partei arbeiten.
Jacqueline Kühl:
In den letzten Jahren wurde auf unsere Stimmen leider oft zu wenig gehört. Außerparlamentarische Proteste zeigten nicht immer die gewünschte Wirkung, da unsere Forderungen von den Verantwortlichen häufig ignoriert wurden. Der Austausch mit den Abgeordneten war zu selten direkt, wodurch wichtige Anliegen von jungen Menschen nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Nach einer Phase mit weniger Kontakt zu den Abgeordneten suchen wir jetzt bewusst den direkten Dialog mit den Landes-, Bundes- & Europapolitiker:innen. Jugendliche, FSJler:innen, Azubis und Studierende sind besonders stark von Armut betroffen. Themen wie Mieten, Bafög und die Ausbildungsvergütung stehen daher für uns klar im Fokus. Es ist offensichtlich, dass in diesen Bereichen dringend Veränderungen nötig sind, und wir müssen klar sagen, dass es so nicht weitergehen kann.
Gegenwind:
Ist Bildungspolitik eine Art natürliches Thema für die Jugendorganisation? Ihr seid ja direkt betroffen, andere hören das nur über ihre Kinder.
Jacqueline Kühl:
Ja, das beeinflusst uns ganz direkt! Bei Schüler:innen beeinflussen alle Entscheidungen in der Bildungspolitik auch unsere Schullaufbahn. Steht da noch der Overheadprojektor in der Ecke, der schon brandgefährdet ist? Oder haben wir schon eine digitale Tafeln und können die Schüler:innen mit einem Tablet arbeiten? Welche Themen werden im Unterricht behandelt, warum muss ich mich zwischen Geografie- und Wirtschaft/Politik-Unterricht entscheiden, wenn beides wichtig ist?
Wir jungen Menschen interessieren uns für alle Themen, die unsere Zukunft betreffen. Wenn heute nicht in die Zukunft investiert wird, wird morgen an unserer Zukunft gespart. Wenn in der Wirtschafts-, Umwelt-, Sozial- oder eben auch in der Bildungspolitik nichts vorangeht, wenn notwendige Investitionen in die Infrastruktur ausbleiben, dann wird unsere Zukunft aufs Spiel gesetzt. Das können wir so nicht akzeptieren!
Gegenwind:
Umstritten war ja auch die Asylpolitik, die Migrationspolitik. Wie seht Ihr das, wenn die Grünen nachgeben bei der Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten, bei der Verteilung von Bezahlkarten, bei der Zustimmung zu Grenzkontrollen, bei der Einrichtung eines Abschiebegefängnisses? So richtig populär ist es in der Partei ja nicht.
Marcel Beutel::
Und das aus gutem Grund! Man merkt schon, dass sich auch bei den Grünen etwas verändert hat. In solchen Zeiten, wo sich gerade auch in der Gesellschaft beim Thema Migration viel verschoben hat, auch eine CDU deutlich wieder konservativer auftritt, als sie es vorher getan hat, insbesondere in der Migrationspolitik, zieht dies nicht an den Grünen vorbei. Die CDU in Schleswig-Holstein, die CDU im Bund, die SPD im Bund, die FDP im Bund - alle demokratischen Parteien, die sogenannten Parteien der Mitte, haben angefangen, bei der Migration und beim Thema Asyl restriktiver zu werden. Der Druck durch Rechtsaußen ist enorm und dort wird leider nachgegeben. Natürlich muss man Problemen/Herausforderungen in Regierungsverantwortung begegnen aber wir glauben nicht, dass der restriktive Kurs aktuell zum Erfolg führt. Wir sagen das unseren Grünen immer wieder, die Grünen wissen das auch. Die aktuelle politische Stimmung trägt aber leider dazu bei. Solange die sich nicht dreht, wird es sehr schwer, mit einer progressiven Migrationspolitik wirklich zu punkten. Dennoch werden wir weiter dafür streiten und haben als Grüne Jugend klare Rote Linien. Wir sehen hier die Chance vor allem in der Integrationspolitik progressiv unser Land offen und gerecht zu gestalten.
Gegenwind:
Wie steht Ihr zu den konkreten Maßnahmen? Lassen die sich nicht verhindern? Oder wollt Ihr es trotzdem versuchen? Wie steht Ihr zur Bezahlkarte und zur Abschiebehafteinrichtung?
Jacqueline Kühl:
Wir fordern ein Ende der rassistischen Grenzkontrollen und einen sofortigen Abschiebestopp. Es ist untragbar, dass Migrant:innen nach wie vor diskriminiert und ihre Rechte systematisch verletzt werden. Jeder Mensch, der Asyl sucht, muss dieses Recht erhalten, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe. Wir lehnen die unmenschliche Abschottungspolitik ab und setzen uns für eine offene, gerechte Gesellschaft ein, in der alle Menschen die Chance auf Schutz, Sicherheit und ein besseres Leben haben. Migration ist kein Verbrechen, sondern ein Recht. So sehen wir das als Grüne Jugend auf Landes- & Bundesebene. Und wir kritisieren die untragbaren Verhältnisse in der Abschiebehafteinrichtung in Glückstadt, die Menschenrechte der dort inhaftierten Migrant:innen massiv verletzen. Besonders alarmierend ist die psychische Belastung für die Menschen, die aufgrund des Personalmangels in der Einrichtung nicht ins Freie dürfen oder gar eingesperrt werden. Anstatt ihrer grundlegenden Menschenrechte, wie der Bewegungsfreiheit, zu respektieren, werden sie in ihrer Freiheit massiv eingeschränkt. Wir sind weiterhin im Kontakt mit Bündnispartner:innen und werden alles dafür tun, diese menschenunwürdige Politik zu beenden und für die Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen einzutreten.
Marcel Beutel::
Man kann nicht sagen, ein Verband kann alles verhindern. Die Beispiele von Jacky unterstreichen dies. Damit würde man sich zu viel politische Macht zuschreiben. Was man bei der im Grundsatz falschen Bezahlkarte dann machen kann, ist, die Möglichkeiten zu nutzen, sie anders und bestmöglich auszugestalten. Wenn man sich die Bundesländer anguckt, wie sie das gemacht haben, erkennt man schon, wo die Grünen mit am Tisch saßen. Wenn wir Fälle mitbekommen, wo eine Person aus unserer Sicht zu Unrecht abgeschoben werden soll, oder vom Staat falsch behandelt wird, diskriminiert wird, können wir eine laute Stimme sein. Persönlich kenne ich aus Schleswig-Holstein, aber auch aus anderen Bundesländern mehrere „Einzelfälle“, wo der Protest Erfolg hatte. Diese Erfolge und Geschichten können wir dann dazu nutzen grundlegende positive Veränderungen für alle herbeizuführen.
Gegenwind:
Vielen Dank!
Das Interview führte Reinhard Pohl
* Die Landesregierung hat beschlossen, von allen Studierenden ab 2026 pro Semester 60 Euro "Verwaltungsgebühr" zu verlangen. Dadurch sollen pro Jahr 7 Millionen Euro zusammen kommen.