(Gegenwind 436, Januar 2025)

Mädchen mit syrischer Flagge

Assad, Putin und Ali Chamenei haben verloren:

Ist Syrien frei?

Diktatur ist Geschichte, Zukunft ungewiss

Am Schluss dauerte es nur ein paar Tage: Am 28. November griffen Milizen aus Idlib Richtung Aleppo an, am 8. Dezember floh Präsident Bashar al-Assad aus Syrien, gemeinsam mit sehr wenigen Getreuen. Die kurze „Spezialoperation“ war möglich, weil die russischen Truppen sofort flohen, die syrischen Truppen lösten sich auf. Die Hisbollah war schon weitgehend weg. Die iranischen Truppen kämpften anfangs, nach dem Tod ihres Oberbefehlshabers in Aleppo gaben sie auch auf.

Assad hatte 54 Jahre lang diktatorisch regiert: Der Vater seit seinem Putsch 1970 dreißig Jahre lang, der Sohn seit dem Krebstod des Vaters von 2000 bis zum Dezember 2024. In der Zeit wurden vermutlich über eine Million Menschen, mehr als 500.000 seit dem Beginn des „Arabischen Frühlings“ 2011 ermordet. In Hama wurde ein syrischer Pilot aus dem Gefängnis befreit, der sich beim Aufstand 1982 geweigert hatte, die Stadt mit zu bombardieren. Seitdem saß er ohne Prozess und ohne Urteil im Gefängnis, 42 Jahre lang, inzwischen in alter Mann.

Präsident Assad war bei allen verhasst. Entsprechend heterogen waren die Milizen, die ihn letztlich stürzten.. Ob das Bündnis jetzt hält, ist unwahrscheinlich. Die ursprünglich stärksten Gruppen von Oppositionellen, die „Freie Syrische Armee“, besteht praktisch nicht mehr. Sie wurde von Islamisten im Bündnis mit der Assad-Armee zerschlagen und aus Syrien vertrieben, die meisten Mitglieder leben heute als Flüchtlinge im Ausland.

Wie der Aufstand begann

Der Aufstand von 2011 war nicht der erste Aufstand gegen die Diktatur. Aufstände zuvor, am größten war der von den Muslimbrüdern angeführte Aufstand von Hama 1982, wurden blutig niedergeschlagen. 2011 begann der Aufstand mit einer Protestaktion von Schülern in Daraa. Sie wurden verhaftet. Als die Eltern nach ihren Kindern fragte, sagten ihnen Assads Geheimdienstler, sie sollten neue Kindern produzieren, die Geheimdienstler könnten das auch mit den anwesenden Müttern sofort starten.

Das löste nach Bekanntwerden Proteste in der ganzen Stadt aus, die rasch auf die anderen Städte übergriffen. Präsident Assad setzte sofort die Armee und Luftwaffe ein, die auf die Demonstrierenden schossen. Syrien hatte damals eine Wehrpflichtigen-Armee. Viele Soldaten, deren Familienangehörige demonstrierten, desertierten und bildeten die „Freie syrische Armee“. Es handelte sich dabei nicht wirklich um eine Armee, sondern um viele Gruppen desertierter Regierungssoldaten, die in kleineren oder größeren Gruppen gegen Polizei und Armee kämpften, oft ohne ausreichende Koordinierung untereinander.

Da der Aufstand alle Gesellschaftsschichten erreichte, entschloss sich Präsident Assad zu einer riskanten und zunächst erfolgreichen Taktik: Er initiierte die Bildung islamistischer Milizen.

Neu-Gründung des „Islamischen Staates“

Am 20. März 2003 marschierte die USA-Armee, gemeinsam mit britischen und polnischen Soldaten, in den Irak ein. Es ging um den Sturz des Diktators Saddam Hussein, der auch schnell gelang. Anschließend aber entstanden islamische und islamistische Widerstandsgruppen, vor allem aus ehemaligen arabischen Afghanistan-Kämpfern.

Präsident Assad unterstützte diesen Widerstand genauso wie die iranische Regierung. Beide fürchteten, der schnelle Sieg der USA könnte sie dazu verleiten, die große Truppenpräsenz für einen zweiten Angriff zu nutzen, der sich gegen die Regierung in Teheran oder Damaskus richtet. So ließ Präsident Assad „Freiwillige“ über Damaskus einreisen, in einem Militärlager an der Grenze zum Irak ausbilden und ausrüsten und in den Irak weiterreisen.

Die USA hatten zu Beginn große Probleme mit den Widerstandsgruppen, die sich zu al-Qaida rechneten. Doch allmählich gelang es, Milizen sunnitischer Stämme zu mobilisieren, die im Irak die US-Armee sehr effektiv gegen die „Ausländer“ unterstützten. Nach und nach wurden die Gruppen, die sich inzwischen „Islamischer Staat“ nannten und versuchten, mit Anschlägen auf schiitische Heiligtümer einen Bürgerkrieg auszulösen, besiegt.

Die internationalen Kämpfer, deren Gruppen zerschlagen waren, retteten sich wieder über die Grenze nach Syrien. Doch dort durften sie keineswegs wieder ausreisen, sondern wurden eingesperrt. So konnte Präsident Assad im Laufe des Jahres 2011 ungefähr 7.000 Kämpfer in Syrien freilassen. Er vereinbarte mit ihnen, dass sie gegen die kurdische Miliz YPG und die FSA kämpften, nicht aber gegen Regierungssoldaten.

Die Kalkulation von Assad war einfach: Wenn es gelang, die demokratische Opposition zu zerschlagen, würde die Unterstützung des Westens für sie aufhören. Und dann könnte er die Welt vor die Wahl „Die oder ich“ stellen: Er wollte sich dann als Alternative zum „Islamischen Staat“ darstellen und so sein Regime retten. Anfang Dezember versuchte er das tatsächlich: Er bat erst die Türkei, dann Israel um Unterstützung, aber beide lehnten ab.

Nach dem Sieg der Islamisten über demokratische Opposition griffen die Regierungstruppen eben diese Islamisten an. Hier gab es die „Nusra-Front“, die sich zu al-Qaida zählte, aber auch viele anderen Gruppen. Sie wurden nach und nach besiegt, aber nicht vernichtet, sondern bekamen entsprechend den Vereinbarungen bei der Freilassung aus dem Gefängnis jetzt „freies Geleit“ nach Idlib. Hier entstand ein eigenes Herrschaftsgebiet der Islamisten, die sich allerdings 2016 von al-Qaida trennten. Die „Nusra-Front“ nannte sich um in „Hai'at Tahrir asch-Scham“, Komitee zur Befreiung der Levante. Unter „Levante“ versteht man seit den Zeiten des Propheten das Gebiet der Staaten Irak, Syrien, Libanon, Palästina und Jordanien.

Herrschaft in Idlib

In Idlib errichtete die HTS eine eigene Herrschaft. Ein paar Jahre tobte ein Bürgerkrieg gegen den „Islamischen Staat“, viele IS-Kämpfer sitzen in Idlib im Gefängnis. Gegenüber anderen gab sich HTS vergleichsweise tolerant, zumindest im Vergleich mit anderen islamistischen Milizen. Christen durften Gottesdienste feiern, allerdings nicht die Glocken läuten, auch keine Kreuze zeigen. Auch Schiiten und Alawiten wurden weitgehend in Ruhe gelassen, Frauen durften in Idlib arbeiten. Das wäre auch nicht anders gegangen, da viele viele Männer tot oder auf der Flucht waren, mussten Frauen für den Unterhalt der Familie sorgen.

In diese Provinz rückte dann 2020 die türkische Armee ein, um einen Waffenstillstand zu erzwingen, nachdem die russische Armee ins Regierungsgebiet eingezogen war. Da die HTS keine Luftabwehr hatte, war sie den russischen Luftangriffen schutzlos ausgesetzt. Russland griff in Syrien über 1.000 Krankenhäuser an, die in den letzten Jahren in Idlib deshalb nur noch unterirdisch angelegt werden konnten.

Die Türkei konnte letztlich mit Russland einen Waffenstillstand vereinbaren. Sie führte aber in Idlib die türkische Währung ein und riegelte die Grenze zur Türkei ab. Idlib blieb eine Provinz, in der nicht nur islamistische Milizionäre sich drängten, sondern auch mehr als eine Million Flüchtlinge aus anderen Regionen Syriens. Die ursprüngliche Bevölkerung von 1,8 Millionen wuchs so auf über 3 Millionen, weitgehend abhängig von internationaler Hilfe.

Narco-Staat

Der Krieg kam somit um 2020 zum Erliegen. Im Osten hatten die kurdischen Milizen das Land östlich des Euphrat erobert, mit den arabischen Milizen im Süden des Gebietes wurden die gemeinsamen Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) gebildet, die die Unterstützung der USA erhielten. Im jahrelangen Krieg konnten die kurdische YPG und dann die gemeinsame SDF den „Islamischen Staat“ besiegen. Die überlebenden Milizionäre flohen teils ins Regierungsgebiet, wo sie bis heute eigene Gebiete kontrollieren, teils in die Türkei.

Die Türkei marschierte 2018 ins kurdische Afrin im Nordwesten Syriens ein. Dabei wurden sie von einer neu gebildeten Miliz, der „Syrischen Nationalen Armee“ (SNA) begleitet, die vor allem aus (ehemaligen) Kämpfern des IS bestanden. Sie kämpften gerne gegen die kurdischen Milizen, die sie zuvor besiegt und vertrieben hatten, denn im Bündnis mit den türkischen Soldaten konnten sie jetzt Rache nehmen.

2019 erfolgte ein erneuter türkischer Einmarsch, ein Gebietsstreifen im Norden Syriens wurde besetzt, die dort lebenden Kurdinnen und Kurden vertrieben. Diese Offensive diente offiziell den Zielen, eine „Pufferzone“ zu Kurdistan (Rojava) einzurichten, andererseits ein Gebiet zu halten, in das syrische Flüchtlinge aus der Türkei abgeschoben werden können.

Die türkische Offensive wurde gestoppt, als die SDF und die Regierung von Rojava die Assad-Armee und russische Soldaten dazu aufforderten, sich zwischen türkische und kurdische Truppen zu stellen. Das erhielt einen Waffenstillstand bis jetzt. Mit dem Vorrücken der Milizen aus Idlib ab Ende November 2024 sind die russischen Truppen allerdings geflohen.

Das alles interessierte Assad nicht mehr. Er baute eine Produktion von „Captagon“ auf. Fenetyllin, wie die Droge offiziell heißt, wurde 1961 in Deutschland von „Degussa“ erfunden und konnte bis 2003 hier auch verkauft werden. Es handelt sich um ein Aufputschmittel, das insbesondere in arabischen Ländern sehr populär ist. Captagon hilft, eine Party bis morgens durchzuhalten, wird aber auch von Student:innen genommen, um vor einer Prüfung länger lernen zu können. Außerdem nimmt die Droge die Angst und wird deshalb in Milizen wie der Hisbollah gerne verteilt.

Seit 2019 war für Assad der Erlös im Drogenhandel höher als die Einnahmen aller legalen Exporte Syriens zusammen - zwischen 5 und 10 Milliarden Euro nahm der Diktator Jahr für Jahr mit den Drogen ein. Sie wurden in zwei Fabriken produziert, die von der 4. Division der syrischen Armee unter dem Befehl von Maher al-Assad, dem jüngeren Bruder des Diktators, bewacht werden. Besser: Bewacht wurden, denn auch Maher al-Assad ist am 7. oder 8. Dezember aus Syrien geflohen.

Im Regierungsgebiet, das ungefähr 60 Prozent von Syrien ausmacht, regierte Assad zwar formell in den letzten Jahren - er hielt sogar Wahlen ab, bei denen er im Mai 2021 mehr Stimmen bekam als es Einwohner:innen gab. Zwei zugelassene Gegenkandidaten seiner eigenen Partei bekamen zusammen 600.000 Stimmen, Assad rund 15 Millionen.

Ansonsten regierte Assad nicht, jedenfalls kümmerte er sich nicht um Schule, Gesundheitssystem oder Ernährung der Bevölkerung. Viele Menschen lebten und leben von Überweisungen ihrer Familienangehörigen in Europa oder Hilfslieferungen der UNO. Rund 95 Prozent sind von solchen Hilfen abhängig. „Regieren“ taten nur die Milizen: Milizen der Regierung von Russland oder dem Iran ausgebildete syrische Milizen, Hisbollah aus dem Libanon, die Fatamiyya-Milizen aus dem Iran (vor allem Afghanen) und andere. Allerdings beschäftigten sie sich vor allem damit, zu plündern und zu vergewaltigen. Das führte dazu, dass Präsident Assad Ende 2024 in Syrien keine Anhänger:innen mehr hatte, nicht mal seine eigenen Soldaten.

Der Zusammenbruch

Am 1. Oktober hat Israel die Hisbollah im Libanon angegriffen, die seit dem 9. Oktober 2023 Nordisrael mit Raketen beschossen hatte. Zuvor hatte Israel die mittlere Führungsebene der Hisbollah durch manipulierte Pieper, die am 17. September 2024 explodierten, weitgehend handlungsunfähig gemacht.

Die Hisbollah-Miliz, eine der wichtigsten Stützen der Assad-Regierung, zogen anscheinend weitgehend aus Syrien ab, um sich im Libanon gegen die israelischen Truppen zu verteidigen.

Russland war 2014 mit Truppen und Luftwaffe in den Krieg eingestiegen. Grund war damals, dass Präsident Assad mit dem Rücken zur Wand stand und die iranische Regierung mitgeteilt habe, man können ihn mit den iranischen Milizen nur noch einige Wochen an der Macht halten. Für Russland war Syrien wichtig, weil sich dort der einzige russische Marinestützpunkt am Mittelmeer befindet, und zwar in der Hafenstadt Tartus. Zusätzlich bauten sie jetzt einen Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim bei Latakia, ebenfalls an der Küste des Mittelmeers in dem Gebiet, in dem die alawitische Minderheit lebt. Die Alawiten sind eine Abspaltung von den Schiiten, die es nur in Syrien gibt. Die Familie Assad ist alawitisch.

Mit den riesigen Verlusten in der Ukraine wurde es für Russland immer dringender, alle Leute und alle Waffen in den dortigen Krieg zu holen. Eine ganze Reihe von Frachtern verließ Syrien. Aufgrund der ukrainischen Seedrohnen konnten sie nicht mehr über das Schwarze Meer russische Häfen erreichen, sondern fuhren über Gibraltar und den Ärmelkanal durch die Nordsee, um über die Ostsee Kaliningrad zu erreichen. Beim Passieren der deutschen Küste wurden die Frachter stets von einer russischen Fregatte begleitet, was bedeutet: Sie transportierten Waffen, vermutlich vor allem Panzer und Schützenpanzer, vielleicht auch zerlegte Hubschrauber und Flugzeuge.

Als jetzt die HTS-Milizen aus Idlib angriffen, flohen die russischen Soldaten sofort. Sie ließen Panzer, Schützenpanzer, Flugzeuge und Hubschrauber zurück - hatten aber wohl die Einschätzung, das die übrig gebliebenen Waffen nicht mehr ausreichten.

Der Iran setzte eine Vielzahl von Milizen an, 2018 wurde die Gesamtzahl der Söldner auf 80.000 geschätzt. Zu ihnen gehörten schiitische Milizen aus dem Irak, die Fatimiden mit vor allem afghanischen Hazara, außerdem natürlich die vom Iran finanzierte Hisbollah aus dem Libanon. Hiervon waren wohl Ende 2024 nur noch kleine Kontingente in Aleppo, auch weil sich der Iran nach zwei Auseinandersetzungen mit Israel (April und Oktober 2024) wohl auf seinen eigenen Krieg konzentriert und den Krieg in Syrien und im Libanon vernachlässigt, den in Gaza sowieso.

Insgesamt zeige sich, dass Russland und Iran sich übernommen haben. Russland wollte 2014 und 2022 zwar die Ukraine angreifen, aber schnell siegen und war auf einen langen Krieg nicht vorbereitet. 2014 klappte es mit der Besetzung der Krim und kleineren Gebieten der Ostukraine, 2022 klappte es dann nicht, weil die Ukraine sich erfolgreich wehrte. Die Verluste Russlands wurden höher und höher, seit Anfang 2024 konnte Russland sie auch nicht mehr durch Rekrutierungen neuer Soldaten ausgleichen. Söldner aus Syrien, Äthiopien und Indien füllten die Reihen auf, dann seit Mitte 2024 Soldaten aus Nordkorea. Anscheinend will Russland noch bis zum 20. Januar hohe Verluste in Kauf nehmen, um dann Präsident Trump zu überreden, die Hilfe für die Ukraine einzustellen. Ob die Rechnung aufgeht, die zur Zeit mehr als 50.000 russische Soldaten monatlich das Leben kostet, ist nicht klar.

Aber für die Unterstützung von Präsident Assad reicht es einfach nicht mehr. Russland und Iran verabredeten zwar Assads Rettung, hielten sich aber beide Ende November nicht an ihre Zusagen. So musste Assad fliehen, denn eigene Soldaten hatte er nicht mehr. Am 3. Dezember erhöhte er noch den Sold für syrische Soldaten und Offiziere um 50 Prozent. Niemand reagierte.

Wie geht es weiter?

Diese Antwort ist natürlich reine Spekulation.

Vermutlich will oder muss die (türkische) SNA das kurdische Gebiet angreifen, das der türkischen Regierung ein Dorn im Auge ist. Bei Manbidsch geschah das bereits am Tag, als Assad floh. Zwar sind die kurdischen SDF-Kräfte mit den USA verbündet, die das Bündnis aber nur geschlossen haben, um bei der Bekämpfung des „Islamischen Staates“ zu helfen. Vorerst haben US-Truppen die geflüchteten russischen Truppen in Kobane ersetzt, so sich die YPG internationale Präsenz wünscht, um die Türkei von einem Angriff abzuschrecken.

Bereits in seiner letzten Präsidentschaft hatte Donald Trump angeordnet, die US-Truppen aus Kurdistan abzuziehen. Das US-Oberkommando verzögerte und sabotierte den Abzug, weil sie es günstig fanden, mit relativ geringen Mitteln zwischen Iran / Irak und Syrien / Hisbollah zu stehen und damit die iranische Politik stark zu behindern.

Donald Trump hat Anfang Dezember bekanntgegeben, die Situation in Syrien interessiere ihn nicht. Da der Einfluss des Iran jetzt beseitigt scheint, könnte es sein, dass die USA diesmal die kurdischen Kräfte wirklich im Stich lassen - sie müssten ja jetzt gegen ehemalige IS-Kämpfer vorgehen, die in der Uniform des türkischen NATO-Verbündeten angreifen. Wenn die SDF allein kämpft, wird es schwer. Fraglich ist, wie die HTS sich positioniert. Sie ist zwar schon gegen die SDA vorgegangen, aber zunächst nur, weil die mit LKWs im befreiten Aleppo auftauchte, um dort zu plündern. Die Plünderer wurden festgenommen, die Plünderungen unterbunden.

Für die Regierungsbildung hat HTS die Ausarbeitung einer Verfassung mit Minderheitenschutz abgekündigt. Sie haben ebenfalls angekündigt, ein Syrien für alle Syrer zu schaffen, unter Einschluss aller religiöser und anderer Minderheiten. Ob HTS das nur ankündigt, um sich die internationale Unterstützung nicht so zu verscherzen wie die Taliban, bleibt vorerst unklar. HTS hat vorgeschlagen, Rojava aufzulösen, die SDF (aus der die meisten arabischen Milizen ausgetreten sind) in die Freie Syrische Armee zu integrieren und ein föderales Syrien zu gründen.

Dieser Artikel muss am 14. Dezember abgeschlossen werden.

Am 27. Dezember um 18.00 Uhr können wir bei ZOOM die aktuelle Situation besprechen.

Und die Flüchtlinge?

In Deutschland leben rund eine Million Flüchtlinge aus Syrien. Wie geht es mit ihnen jetzt weiter?

Viele sind inzwischen eingebürgert. In den letzten Jahren stellten Syrer:innen in den letzten Jahren die meisten Einbürgerungskandidat:innen. In diesem Falle sind sie Doppelstaatler. Sie können, wenn sie wollen, versuchsweise oder endgültig nach Syrien zurückkehren.

Soweit sie eine Niederlassungserlaubnis haben, behalten sie die normalerweise. Sie können Syrien besuchen. Die Niederlassungserlaubnis erlischt, wenn sie nach Syrien umziehen (hier ihre Wohnung kündigen) oder wenn sie länger als sechs Monate wegbleiben.

Haben sie eine Aufenthaltserlaubnis nach einem erfolgreichen Asylantrag, kann das Bundesamt (BAMF) theoretisch ein Widerrufsverfahren einleiten. Die im Asylantrag beschriebene Gefahr ist jetzt möglicherweise vorbei. Der Schutz (Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz, Abschiebungsschutz) kann aber nur widerrufen werden, wenn der Schutz in Syrien durch eine stabile Ordnung gewährleistet ist. Also: So einfach, wie die AfD denkt, ist der Schutz nicht zu widerrufen. Außerdem wird in einem Widerrufsverfahren auch die Integration in Deutschland als schutzwürdig berücksichtigt.

Syrer:innen sollten jetzt versuchen, eine Niederlassungserlaubnis oder Einbürgerung zu erreichen, damit ihr Aufenthalt gesichert ist. Sie können auch, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, eine Aufenthaltserlaubnis wegen der Beschäftigung oder aus familiären Gründen beantragen, die kann man auch zusätzlich erhalten.

Wer jetzt im Asylverfahren ist, hat es vermutlich schwerer. Denn die Fluchtgründe können jetzt nicht mehr zur Anerkennung führen. Das BAMF hat die Entscheidungen ausgesetzt und will das auch der EU melden, die nach ihren Verfahrensrichtlinien ein schnelles Asylverfahren vorschreibt. Man hofft auf eine Stabilisierung Syriens, um Asylanträge rechtssicher ablehnen zu können.

Neue Flüchtlinge?

Es hängt stark von der weiteren Entwicklung in Syrien ab, ob weitere Menschen fliehen. Zur Zeit versuchen ehemalige Assad-Soldaten und andere Angestellte der Diktatur zu fliehen. Sie fürchten Bestrafung oder Rache. Vermutlich ist das Willkommen in Deutschland ihnen gegenüber eher reserviert.

Ansonsten hängt es von der Politik der jetzt siegreichen Milizen ab. Noch wissen wir nicht, ob sie zusammen arbeiten oder gegeneinander kämpfen. Wir wissen auch nicht, ob HTS das Versprechen einer pluralistischen Gesellschaft tatsächlich umsetzt oder es nur vorläufig die internationale Gemeinschaft beschwichtigen sollte.

In Afghanistan haben die Taliban die Beschränkungen für Frauen in vielen kleinen Schritten eingeführt. Die Zahlen der Asylanträge stieg von 30.000 im Jahr 2022 auf 50.000 im Jahr 2024. So könnte es in Syrien auch aussehen, nur dass aus Syrien schon jetzt viel mehr Flüchtlinge bereits im Libanon oder der Türkei oder anderen europäischen Ländern, es könnten dann sehr schnell über 100.000 Flüchtlinge im Jahr werden.

Möglich ist es auch, dass in Syrien alles zur Ruhe kommt und viele Flüchtlinge zurückkehren wollen - vor allem solche, die erst kurz hier sind oder denen es nicht gelungen ist, hier Fuß zu fassen.

Wie es hier weitergeht, hängt auch von der neuen Bundesregierung ab. Sie könnte hier lebende Flüchtlinge seriös beraten (lassen), damit sie den für sich besten Weg finden. Sie könnte auch Druck ausüben, der AfD nachlaufen, um möglichst viele Familien loszuwerden.

Reinhard Pohl

Einladung: Syrien. Die Zukunft des Landes und die Zukunft der Flüchtlinge hier. 27. Dezember, 18.00 Uhr, Zoom Anmeldung: reinhard.pohl@gegenwind.info

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