(Gegenwind 435, Dezember 2024)
Das weltgrößte Denkmal für Reichskanzler Otto von Bismarck wurde von 2020 bis 2023 aufwendig saniert. Aus diesem Anlass wurde letztes Jahr ein begleitender Wettbewerb ausgeschrieben: Die Wahrnehmung des Denkmals soll gebrochen werden, um ihr Spannungsverhältnis zu den Vorstellungen von Demokratie, Diskurs und Pluralität in unserer offenen Gesellschaft, stellvertretend für hunderte weiterer Bismarck-Denkmäler in Deutschland, zu verdeutlichen.
Das Bismarckdenkmal ist mittlerweile fertig saniert, erstrahlt weiß - und wo ist die Brechung?
Eine Bastion am Elbufer. Die Wallanlagen umschlossen die wehrhafte Stadt Hamburg seit 1624 in einem Halbkreis, der jeweils am Ufer des breiten Flusses Elbe endete. Im Dreißigjährigen Krieg schützten die Wallanlagen die Stadt vor der Eroberung. Ganz im Westen befand sich auf dem Erdwall die Bastion Casparus. Genau hier wurde von 1901 bis 1906, geplant von dem Architekten Emil Schaudt und dem Bildhauer Hugo Lederer, ein monumentales Denkmal für den langjährigen Reichskanzler Otto von Bismarck errichtet.
Der riesige Bismarck aus Granit steht bis heute unverrückt auf der Anhöhe der ehemaligen Bastion und schaut von dort Elbabwärts auf alles, was von der Nordsee in den Hafen kommt. Unten geht ein Fußweg lang, und eine Straße, die so breit ist, dass zu beiden Seiten Reisebusse von Tourismusbetrieben parken können. Genau dort, wo früher der Wassergraben verlief. Rund um das Bismarckdenkmal ist selbstverständlich unbebautes Gelände, um die Monumentalität noch zu unterstreichen. Die Grünanlage heißt Alter Elbpark. Aber obwohl dort mittlerweile Bäume hochgewachsen sind - der Bismarck aus Granit ist so hoch, dass er alles überragt. Das bis heute unangefochten monumentalste Bismarck-Denkmal Deutschlands ist insgesamt 34 Meter hoch. Auf einem enor-men Sockel steht die 15 Meter hohe Bismarckfigur. Die ist im Roland-Stil erbaut: ein stämmiger Krieger in Rüstung, vor sich ein Schwert aufgepflanzt, auf dessen Griff beide Hände liegen. Das Schwert ist 10 Meter hoch.
Der Granit ist selbstverständlich deutscher Herkunft, kommt aus dem Schwarzwald. Am Sockel symbolisieren acht - ausschließlich männliche - Figuren germanische Stämme. In Kaiserreich, während der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus war das Denkmal Ziel völkischer deutscher Aufmärsche. i
Ab 1939 wurden die Hohlräume im Denkmalsockel, die bei der Konstruktion zur Entlüftung des Bauwerks gedacht waren - direkt an der Elbe ist der Boden feucht - zu einem großen Luftschutzbunker mit 960 Plätzen umgebaut. Dafür wurden Trennwände eingezogen, am Eingang eine Gasschleuse errichtet - wovon noch die entsprechende Inschrift zeugt. Der Zugang zum Sockel ist versperrt, aber bei Sanierungsmaßnahmen wurde gelegentlich Zugang gewährt. So 2013, als Mitarbeiter:innen des Norddeutschen Rundfunks, NDR, an einem Rundgang teilnehmen konnten - vermutlich, damit der Sanierungsbedarf thematisiert wird, was im „Hamburg Journal“ dann auch stattfand. Risse und Schäden an den Wänden wurden gezeigt, aber auch die nationalsozialistische Ausgestaltung war Thema. Eichenkränze, stilisierte Bäume und Girlanden: In jedem Raum zieren mehrere Meter große Zeichnungen die Wände, darunter sind Texte in gotischer Schrift mit martialischen Inhalten zu lesen
, berichtete der NDR ii: Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um unsere Schuldigkeit zu tun
, lautete eine der martialischen Inschriften. Daneben Zitate von Bismarck, Durchhalteparolen, Aufrufe zu Disziplin und Loyalität konnten die Hamburger:innen während der Bombennächte lesen, wenn sie unter Bismarcks Schwert im Luftschutzbunker Schutz suchten. Desweiteren ist ein Reichsadler mit gezogenem Schwert in den Krallen in dem Bericht zu sehen, ebenso Hakenkreuze.
Nachdem das Deutsche Reich am 8. Mai 1945 besiegt war, lebten einige Jahre lang Wohnungslose in den Bunkerräumen im Sockel von Bismarck, 1950 schloss die Stadtverwaltung den Zugang zum Sockel. Der Sieg der Alliierten über Deutschland wirkte noch nach, die Ehrung eines kriegerischen Nationalisten, Antidemokraten und Kolonialisten wie Otto von Bismarck wurde nicht offen betrieben. Die britische Besatzungsmacht hatte erwogen, das Bismarckdenkmal zu sprengen, war dann aber angesichts der massigen Monumentalität davor zurückgeschreckt. 1960 schließlich wurde im Rahmen der Planung für die Internationale Gartenschau 1963 in Hamburg die Idee erwogen, das Denkmal zu demontieren und an seiner Stelle einen Aussichtsturm zu errichten. Aber so viel Bürgersinn soll nicht sein - die Stadt stellt das Bismarckdenkmal unter Denkmalschutz, woran bis heute jegliche radikale Änderung scheitert. Gleichwohl gibt es in Hamburgs Sozialdemokratie durchaus noch historisch Interessierte, die sich an die von Bismarck engagiert betriebene Verfolgung und Unterdrückung der Sozialdemokratie erinnern, wo für das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ steht, das von 1878 bis 1890 im Deutschen Reich galt und als „Sozialistengesetz“ bekannt ist. Aufgeklärte Zeitgenoss:innen lehnen eine Ehrung Bismarck auch ab, weil Bismarck 1884 der Gastgeber der „Kongokonferenz“ in Berlin war, auf welcher die europäischen Militärmächte Afrika als Beute unter sich aufgeteilt haben - dies ist etwa schon seit vielen Jahren Thema im „Eine Welt Netzwerk Hamburg“ gewesen. Dessen Geschäftsführer Heiko Möhle kritisierte das Bismarckdenkmal schon seit 1989 auf seinen Stadtrundgängen und Hafenrundfahrten zu Kolonialismus, Migration und Globalisierung in Hamburg. Nachzulesen in dem von Heiko Möhle herausgegebenen Buch Branntwein, Bibeln und Bananen: Der deutsche Kolonialismus in Afrika - eine Spurensuche
iii.
Die Hamburgische Bürgerschaft beschloss 2014 (Drucksache 20/13930) und 2019 (Drucksache 21/18360), das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark zu sanieren und instand zu setzen. Sogar die Mittel wurden schnell bewilligt: Der Bund übernimmt den größten Kostenanteil von 7,7 Millionen, Hamburg von 1,2 Millionen für die Denkmalsanierung, während die Stadt weitere 6,4 Millionen für die Revitalisierung des umgebenden Alten Elbparks bezuschusst, der zu einem „Gartendenkmal“ umgebaut werden soll. Im Sockelinneren des Denkmals soll eine Ausstellung eingerichtet werden. Die Sanierungsmaßnahme begann im März 2020.
2020 entsteht zeitgleich aber auch eine transnationale Protestwelle gegen die Verherrlichung des Kolonialismus - in mehreren Ländern werden Denkmäler bekannter Kolonialisten gestürzt. In der Hamburger Stadtgesellschaft melden sich postkoloniale Initiativen zu Wort, welche die Verherrlichung von Otto von Bismarck mit Denkmälern kritisieren. An einem kleineren Denkmal von Bismarck mit Pickelhaube im Schlee-Park in Hamburg-Altona wurde, unmittelbar nachdem er von einem Überzug aus roter Farbe gereinigt worden war, am Sockel die unmissverständliche Botschaft „Fuck You“ aufgesprüht. iv
Und die Kritik wird ausführlich begründet. Die Initiative Decolonize Bismarck veröffentlichte beispielsweise am 20. Juni 2020 die Analyse: Dekolonisierung des öffentlichen Raums: Das Hamburger Bismarck-Denkmal ist auch ein Kolonialdenkmal
v: Mit den o.a. Beschlüssen haben die Entscheidungsträger:innen festgestellt, ‚dass das innen- und außenpolitische Wirken Otto von Bismarcks ... stets umstritten war und bleiben wird’ und dass sein Standbild von Anfang an polarisiert habe
(Drucksache 21/18360). So hat das Monument Konjunkturen von Verehrung und Verachtung, Rehabilitation und Dekonstruktion durchlaufen. Der Einweihung 1906 blieb die Hamburger Arbeiterschaft ostentativ fern, während rechte Verbände Bismarck in seinem Denkmal zum heldenhaften Mythos hochstilisierten und den Alten Elbpark über Jahrzehnte für ihre ritualisierten Versammlungen okkupierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Parkanlage eine große Anzahl fast ausgewachsener Bäume angepflanzt, bloß um das überkommene deutschnationale und antidemokratische Symbol den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen.
Nachdem die SPD 2001 abgewählt worden war: In der Ära des CDU-Schill-Senats sorgte der geschichtsrevisionistische Bund für Denkmal-Erhaltung für die Illumination des Standbildes aus privaten Spendengeldern. Dabei ließen die Bismarck-Verehrer die hoch gewachsenen Bäume für Sichtachsen wieder kürzen. Zur Einweihung der Neugestaltung 2003 kam es dann zu einem martialischen Aufmarsch von rechten Burschenschaftern und Neonazis. 2015 machte sich eine Künstlergruppe über die Figur lustig, in dem sie ihr eine Steinbock-Skulptur auf den Kopf setzte. 2020 lässt die Stadt die Denkmalfigur neu erstrahlen und die Bäume so kürzen, dass das umstrittene Zeichen erneut zur Geltung und Würdigung kommt.
2020 war die Sanierung des weltgrößten Bismarckdenkmals und des Alten Elbparks nicht mehr aufschiebbar. Damit drängte die Frage öffentlich auf die Tagesordnung: Was tun mit dem Bismarckdenkmal? Ulrich Hentschel, engagierter Pfarrer im Ruhestand, kritisierte das Bismarckdenkmal 2020 gleichfalls vi: Als Zeichen seiner Politik- und Herrschaftsmethoden hält er ein großes Schwert bereit. Krieg war ein Mittel seiner Politik: Vor allem gegen Polen, Dänemark und Frankreich setzte er den deutschen Herrschaftsanspruch und die Gründung des Deutschen Reiches durch. Sein Kulturkampf richtete sich nicht nur gegen die katholische Kirche, sondern vor allem gegen das katholische Nachbarland Polen. Ziel war die Germanisierung im Zentrum Europas. Um deutsche Einflussnahme und deutsche Profite ging es dem Kanzler auch bei der von ihm einberufenen Kongo-Konferenz 1884, auf der die europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent zum Zweck von Ausplünderung und Herrschaft unter sich aufteilten und damit auch die Grundlagen für die deutsche Kolonialpolitik gelegt wurden. Trotz seiner anfänglichen Skepsis folgte Bismarck dabei dem Drängen Hamburger Kaufleute wie Adolf Woermann, die prächtige Gewinne machten. Auch wenn Otto von Bismarcks Kolonialpolitik nicht von persönlichen rassistischen Einstellungen, sondern von klaren politischen Interessen geleitet wurde, befeuerte der Kolonialismus doch die Entwicklung von antihumanen rassistischen Ideologien. Und umgekehrt stärkte rassistische Propaganda die Akzeptanz mörderischer Kriegseinsätze in den Kolonien.
Eine kritische Intervention zur Kritik des deutschen Kolonialismus müsste so noch über Bismarck hinausgehen an viele Orte des Kolonialismus und des Profitierens an ihm, da er zur Initiative für die Kongokonferenz gedrängt wurde: Gesichert ist, dass die Hamburger Handelskammer bei ihm darauf gedrängt hatte, um die Landübernahmen einiger Hamburger Kaufleute wie Adolph Woermann in Afrika abzusichern.
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Die gegenüber dem Bismarckdenkmal kritischen Initiativen wurden aus unterschiedlichen Gründen nicht zusammen aktiv, aber in der zuständigen Kulturbehörde versuchte der Senator Carsten Brosda die Kritik einzufangen. In einem Interview mit dem NDR viii erklärt er am 29. Juni 2020 auf die Frage, wie eine Bearbeitung oder Verfremdung des Bismarckdenkmals aussehen könnte: Es wäre nicht gut, wenn die Stadt das dekretiert. Von Anfang an war ja klar, dass es im Sockelgeschoss des Denkmals eine kommentierende Ausstellung geben soll. Wichtig ist aber, dass wir das durch etwas ergänzen, das im öffentlichen Raum einfach klarmacht, dass dieser Bismarck eine Geschichte hat und für eine autoritäre und koloniale Tradition steht, die aber Teil unserer Geschichte ist und zu der wir uns verhalten müssen.
Was hier erstmal nach einem interessanten, offenen Findungs- und Entscheidungsprozess aussieht, hat aber einen großen Haken, wie Senator Brosda auch erklärt: Der Bismarck steht da, und er ist insofern auch Teil unserer Geschichte. Die Frage ist, wie wir mit dieser Geschichte vernünftig umgehen und wie wir dafür sorgen können, dass wir ein Gefühl dafür bekommen, aus welcher Zeit er stammt.
Bismarck ist nun mal da - unklar bleibt in diesem Interview, ob Senator Brosda zu diesem Zeitpunkt schon darum weiß, dass das Bismarckdenkmal unter Denkmalschutz steht - und jede künstlerische Veränderung dies berücksichtigen müsste. 2020 jedenfalls erklärt der Kultursenator Carsten Brosda: Ich hätte eine große Sympathie für einen künstlerischen Wettbewerb, der danach fragt, wie man das Denkmal konterkariert.
Er wolle einen Wettbewerb ausschreiben, und: Am Ende muss es darum gehen, wie wir das notwendige Störgefühl an dieser Stelle erzeugen, damit jeder, der an dem Denkmal vorbeigeht, nicht einfach ungerührt weitergeht, sondern weiß, dass es hier etwas gibt, womit er sich auseinandersetzen muss. Und das Ziel ist, dass wir es parallel zum Sanierungsprozess hinbekommen, dass wir dann nicht nur den sanierten Bismarck haben, sondern auch eine vernünftige Einordnung.
So weit so gut klingend der Start des Wettbewerbs 2020. Nach verschiedenen Workshops, die 2021 stattfanden und in denen gemeinsam mit internationalen Expert:innen über Möglichkeiten des zukünftigen Umgangs mit dem Denkmal diskutiert wurde, war es Anfang Januar 2023 soweit: Der Wettbewerb „Bismarck neue Denken“ wurde ausgeschrieben - damit alles richtig offen abgeht, gleich zweisprachig auch als „Rethinking Bismarck“. ix
In den in fünf Sprachen abrufbaren Ausschreibungsunterlagen heißt es zum Bismarckdenkmal: Heute wird es von vielen als Ausdruck einer autoritären und kolonialen Tradition verstanden, die Teil unserer Geschichte ist und zu der wir uns verhalten müssen und wollen. Eine Neurahmung des weithin sichtbaren Denkmals ist notwendig, weil es in Setzung, Nutzung und Bedeutung komplexe Bezüge zu Kolonialismus, Nationalsozialismus, Diskriminierung und Fragen der sozialen Gerechtigkeit aufweist, die bislang unsichtbar bleiben.
Die Einladung klingt vielversprechend: Nun sind Künstler:innen und Architekt:innen dazu aufgefordert, im Rahmen eines Wettbewerbs Ideen zur Kontextualisierung des Denkmals zu entwickeln: Die Wahrnehmung des Denkmals soll gebrochen werden, um ihr Spannungsverhältnis zu den Vorstellungen von Demokratie, Diskurs und Pluralität in unserer offenen Gesellschaft, stellvertretend für hunderte weiterer Bismarck-Denkmäler in Deutschland, zu verdeutlichen.
Ganz explizit wird dazu aufgerufen, die bisherige Wirkung des monumentalen Bismarckdenkmals zu konterkarieren: Ziel des Wettbewerbes ist es, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Informationen und künstlerische Interventionen sollen eine kritische Auseinandersetzung mit dem massiven Denkmal und seiner Geschichte eröffnen.
Dies rief die Anhänger:innen der kritiklosen Huldigung von Bismarck auf den Plan - nicht nur die AfD, sondern auch die CDU, deren Landesausschuss sich am 10. Juli 2023 dieser Resolution der Jungen Union anschloss: „Bismarck Denkmal erhalten“. x Darin wird gefordert, dass das umfassend sanierte Bismarck Denkmal im Alten Elbpark in seiner Form erhalten bleibt, und nicht, wie derzeit geplant, umgestaltet und neu kontextualisiert wird. Die Auseinandersetzung mit der Ära Bismarck soll stattdessen über Infotafeln erfolgen.
Im Gegensatz zur Haltung der CDU, die Kritik an Bismarck als Nebensache auf einige Infotafeln zu beschränken, versprach die Zusammensetzung der Jury die Auswahl von drei erstplatzierten und prämierten Arbeiten, die eine nicht zu übersehende kritisch-künstlerische Intervention planen würden: Eine 13-köpfige unabhängige Fachjury, bestehend aus Expertinnen und Experten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft, darunter Vertreterinnen und Vertreter diasporisch-migrantischer Initiativen, die sich seit langem kritisch mit Hamburgs kolonialer Vergangenheit auseinandersetzen, hatte sich in einem zweistufigen Wettbewerbsverfahren intensiv mit den eingereichten Vorschlägen befasst: Im ersten Schritt konnten alle Interessierten Ideen entwickeln und kurze Konzeptskizzen einreichen. Aus den 76 eingereichten Entwürfen wurden von der unabhängigen Jury acht ausgewählt und ihre Urheber aufgefordert, eine differenzierte Ausarbeitung für eine zweite Wettbewerbsrunde einzureichen.
Alle eingereichten Entwürfe wurden in einer Broschüre ganz partizipativ zugänglich gemacht. xi Kritisch aufhorchen ließ die recht kurze Zeitspanne von der Ausschreibung am 20. Januar zur ersten Einreichungsfrist am 16. März, sowie bis zur Abgabefrist für die zweite Wettbewerbsrunde am 25. Mai 2023, um die Arbeiten einzureichen. xii Die Beiträge kommen aus einem breiten Spektrum von Zugängen, sind teilweise sehr originell und einige lösen der Aufgabe der kritischen Neuverortung des Denkmals auf interessante Weise. Eine Brechung des Bismarcks-Kults scheint in vielen Beiträgen und Ideen auf. Der Größe und Masse des Denkmals angemessen vorzugehen, ist dabei keine leichte Aufgabe: Einige Beiträge verlieren sich im Klein-Klein und sind nicht weit von den von der CDU-Opposition favorisierten, rein alibimäßigen „Infotafeln“ entfernt. Andere agieren der Masse uns Symbolik gegenüber angemessen radikal. Etwa der Beitrag „Köpfe rollen lassen!“ von Kai Haberland und Ann-Christin Neugebauer: Der Entwurf geht von der Überzeugung aus, dem monumentalen Denkmal nur durch eine drastische Intervention beikommen zu können. Dazu wird dem Bismarck insofern an den Leib gegangen, als sein Kopf fallen und rollen wird, wozu die Höhe der Statue und die Topographie der Umgebung beste Voraussetzungen bieten.
So vielversprechend waren einige der Arbeiten, dass einer Umsetzung des ausgeschriebenen Ziels nichts im Wege zu stehen schien: Die Wahrnehmung des Denkmals soll gebrochen werden.
Die von der Jury acht vorausgewählten Vorschläge und ihre Urheber konnten eine differenzierte, ausführlichere Ausarbeitung für eine zweite Wettbewerbsrunde einreichen.
Zu den acht Beiträgen, wie sie im letzten Abschnitt der Broschüre BISMARCK NEU DENKEN! Internationaler offener Ideenwettbewerb
ab Seite 266 dokumentiert sind xiii:
Gedenkstätte Kolonialismusvon FFFW - Ferrari & Walter Architekturpartnerschaft mbB:
Für eine non-invasive Umdeutung des Bismarck-Denkmals im Alten Elbpark muss dessen Rahmung konzeptuell erweitert werden, um es in eine meta-perspektivische Betrachtung zweiter Ordnung zu ziehen.Als Rahmung des Denkmals werden eine Plattform neben der Statue und ein Kommunales Zentrum mit einer Vielzahl von Räumen zur Interaktion vorgeschlagen, in denen „Dekolonisation als Diskurs“ stattfinden kann:
Die Plattform am Bismarck-Denkmal entfaltet ihr volles Potenzial ausschließlich im Einklang mit den Aktivitäten im Kommunalen Zentrum und der Gedenkstätte Kolonialismus´ als Ganzes. Nur, wenn die Zivilgesellschaft und Hamburgs kulturpolitische Institutionen von diesen Einrichtungen auch Gebrauch machen, werden die Besucher:innen Bismarcks Denkmal auch aus einer kritischen Perspektive zweiter Ordnung wahrnehmen (lernen) können.Während dieser Entwurf die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung so an die Nutzenden abgibt, positioniert sich der zweite Vorschlag, eingebracht von einer langjährig aktiven Kritikerin des Kolonialismus, klar:
Zutexten - Anschlag einer resilienten Weltvon Hannimari Jokinen:
Dem gigantischen Solitär auf dem Sockel, aus Granit für die Ewigkeit gebaut, setzt das Projekt ZUTEXTEN resiliente und empowernde Stimmen, Erinnerungen und Poesie von Kollektiven aus der ganzen Welt entgegen. Anknüpfend an Graffiti, die immer wieder neu am Sockel der Statue angebracht wurde, wird in diesem Vorschlag das Denkmal mit Gedichtfragmenten „zugetextet“:
Der großflächige Textüberzug der Sockelfigur und seiner kolonialen Umgebung gewährt einen maximalen Verfremdungseffekt, beschädigt aber das Monument in seiner Substanz nicht.Beteiligt werden sollen Schreibende aus den ehemaligen deutschen Kolonien. Dieser Beitrag setzt sich bereits mit den Einwänden des Denkmalschutzamtes auseinander.
Work-In-Progressist der dritte Vorschlag von Delventhal Martin Architects. Ähnlich wie der erste Vorschlag wird setzt auch dieser darauf, einen Raum zu öffnen für die Interaktion der Zivilgesellschaft. Das Denkmal wird komplett und dauerhaft eingerüstet, daneben gibt es offenen, zur Straße hin geschützten Raum zur Begegnung:
Decolonising is a process. For this reason, this proposal cannot suggest a solution for a complex and complicated monument but instead proposes a place and space to support, encourage, sustain, and advocate a public and open process of decolonizing. To mark the evolving, work-in progress nature of this process, we propose to encase the Bismarck Monument in scaffolding which will expand the visibility of the monument while making itself invisible. The scaffolding will not completely hide the monument but will suggest an instability and volatility of hiding while revealing.Das Luftige des offenen Gerüstes nimmt dem Denkmal die massige, einschüchternde Schwere.
Bismarck auf Augenhöhevom Atelier Sigma Talberg. Die Idee: Der Kopf von Bismarck wird temporär für zwei Jahre abgenommen und auf Reise geschickt:
Mit erweitertem Horizont und neuen Perspektiven kehrt der Kopf zurück an die Elbe, seine Erlebnisse berichtend. Er wird wieder behutsam und denkmalgerecht auf den Körper gesetzt. Der Kopf war fast zwei Jahre unterwegs. Reiste als Privatmann, Staatsmann und Mythos an die Orte des Geschehens und suchte den Dialog - einen Dialog auf Augenhöhe. Er traf auf Experten, Historiker, Aktivisten und Künstler; wurde reflektiert, neu eingeordnet und künstlerisch befragt. Aufgrund der Erfahrungen der Reise entsteht eine Graphic Novel, sowie ein Augmented Reality Geschichtspfad. Interaktivität spielt in diesem Vorschlag auch eine große Rolle, die allerdings im fünften Vorschlag noch mehr im Zentrum steht:
Bismarck erkletternvon der noroomgallery. Das Denkmal wird hier als Klettermonolith begriffen und zur Nutzung zur Verfügung gestellt:
Durch die Erkletterung des granitenen Monolithen möchten wir Jung und Alt dazu einladen, deutsche Geschichte neu wahrzunehmen, Diskussionen anzustoßen und eine moderne Stadt mit reicher und komplizierter Geschichte aktuell zu erfahren. Unsere Vision ist es, Schulklassen, Gruppen und Einzelpersonen eine buchstäblich neue Perspektive auf das Denkmal zu ermöglichen. Wir wollen die Bewohner und Besucher dieser Stadt dazu einladen, die starre und militärische Härte des Denkmals spielerisch zu überwinden und neu zu sehen. Wer möchte, kann Bismarck etwas ins Ohr flüstern, den beeindruckenden Ausblick genießen, die Adlerköpfe erklimmen und durch das Erklettern des Monumentes die absurden Ausmaße des Personenkultes unmittelbar erfahren.Dieser Vorschlag orientiert sich am sozialen Freizeitbedarf der umliegenden Stadtteile, die nur wenig Sport-Erholungsflächen aufweisen. Und vielleicht die effektivste Art, Bismarck durch Freizeit-Klettern umzuwidmen.
bismarck auf augenhöhevom Studio M8s. Auch hier wird die Monumentalität und Herrschaftlichkeit des Denkmals intelligent gebrochen: Ein rundes Stahlgerüst rund um das Bismarck-Denkmal, besteigbar bis auf eine Plattform, die sich in Höhe des Kopfes befindet, und sowohl den Blick auf Bismarcks Kopf als auch von seiner Blickhöhe auf die Umgebung freigibt:
Die Architektur basiert auf einem kreisförmigen Stahlgerüst, das verschiedene Ebenen um die Bismarck-Statue herum aufweist. Es ist so gestaltet, dass es sich aufgrund seiner Proportion harmonisch in die umgebende Stadtlandschaft und den Alten Elbpark einfügt und einen Kontrast zur Massivität der Bismarck-Statue aufbaut. Durch die Lamellen ermöglicht es eine teilweise Verhüllung des Denkmals, wodurch eine veränderte Wahrnehmung geschaffen wird.
Leinwand - Bismarck neu denkenvon Naomie Chokoago. Eigentlich ein multimedialer Vorschlag: Wer auf das Denkmal zugeht, kommt an QR-Code-Informationssäulen vorbei. Rund um den Sockel stehen große LED-Wände rund um den Denkmalsockel herum, auf denen ein Newsticker läuft. Hinter der 15 Meter hohen Bismarckfigur wird eine ebenso hohe Leinwand angebracht, zu der ein leistungsstarker Projektor gehört:
Um den Schatten der Bismarck-Statue auf die Leinwand zu projizieren und mit historischen Bildern und Zitaten zu überlagern, muss die Leinwand groß genug sein, um den projizierten Schatten in angemessener Größe darzustellen und genügend Fläche für die Darstellung der Bilder und Zitate zu bieten.
Hamburgs dunkle Seitenvon Sima Deigert. Dieser Vorschlag greift die Innenräumlichkeit des Sockels auf, in dem sich ja auch dunkle Seiten aus der Zeit der NS-Diktatur befinden:
Im Inneren des Bunkers werden die Bismarcksprüche, die in den einzelnen Zellen des Bunkers sichtbar sind, durch Audioinstallationen kontextualisiert. Kürzeste Beiträge geben den Kontext der Bismarcksprüche wieder. In drei Räumen wird zudem die Nutzung als Bunker thematisiert. Durch die Beleuchtung, die die Sprüche nur im Gegenlicht wahrnehmbar werden lässt, werden diese als dunkle Seiten der Bismarckschen Geschichte wahrnehmbar.Für die Außenseite des Sockels wird auch hier die eh schon stattfindende Nutzung als Sprayfläche aufgegriffen:
Deshalb sehen wir hier vor, den Sockel mit einem Schutzanstrich zu versehen der eine Beseitigung von Graffitis zulässt. In Abstimmung mit den zuständigen Stellen der Stadt Hamburg soll hier allerdings eine permanente und veränderliche künstlerische Auseinandersetzung mit dem Denkmal geschehen können. Wir regen hier an, alle fünf Jahre eine neue künstlerische Auseinandersetzung mit dem Denkmal durch Graffitis zu schaffen. Dies kann jeweils ein neuer Wettbewerb sein, oder aber ein Zulassen neuer Graffitis nach einer Reinigung. So wird auch sich wandelnden Überlegungen zu Person und Wirkung Bismarcks Raum gegeben werden können.Eine bestechende Idee, weil so die Neugestaltung durch Graffitikunst fokussiert an einem Zeitpunkt alle fünf Jahre stattfinden könnte, verbunden mit einer kritischen Reflektion über Bismarck und das Denkmal.
In ihrer Sitzung am 5. Juli 2023 hatte die Jury einstimmig entschieden, dass durch eine einzelne künstlerische Intervention die Aufgabe in ihrer Komplexität und mit all ihren Facetten nicht erfüllt wurde und empfohlen, in einem aufbauenden nächsten Verfahrensschritt, den Schwerpunkt des Prozesses stärker auf Vermittlung und gesellschaftlichen Diskurs zu verlagern.
Ganz so überraschend kam diese Selbstaufgabe der Jury nicht für alle Beteiligten. Aber es zeigte sich bald, dass ein ergebnisoffener Diskussions- und vor allem Entscheidungs-Prozess nicht erwünscht war
, erklärte Ulrich Henschel am 5. März in einer Kritik xiv: Hamburgs Regierung und ihr Kultursenator folgten vielmehr dem Prinzip, mit dem sie sich auskennen: Top-Down statt Bottom-Up. So wurde die Bismarck-Aufhübschung weiter vorangetrieben. Gleichzeitig lud die Kulturbehörde zu einer zeitlich auffällig gestreckten Reihe von Veranstaltungen ein, auf denen KünstlerInnen aus aller Welt ihre Projekte und mögliche Ideen zum Bismarck vorstellen durften. Aber erst jetzt im Januar 2023 wurde die Ausschreibung für eine ergänzende Gestaltung des Denkmals von der Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH) gemeinsam mit der Kulturbehörde veröffentlicht, Motto: „Bismarck neu denken“. Das klingt gut, ist aber wohl nicht so ernst gemeint. Denn die Ausschreibung enthält neben einem durchaus kritischen Blick auf die Gestalt des Reichsgründers einige bemerkenswerte Details, die die weniger von einem neuen Denken als vielmehr vom faktischen Festhalten am alten Monument zeugen.
Aber vor allem, so Henschel, legt es die Ausschreibung fest, darf das 35 Meter hohe Denkmal nicht angetastet werden
. Hamburgs Kultursenator machte bereits am 22. Januar im Deutschlandfunk klar: Der Bismarck selber ist ein Denkmal, und ist geschützt. Insofern geht es auch nicht darum, den Bismarck in seiner Substanz zu verändern [...] Es geht auch nicht darum, den Bismarck zu ummanteln oder was ich da alles von hübschen Sachen gelesen habe.
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Solche ‚hübschen Sachen’ waren allerdings ausführlich in der vom Kultursenator selbst verantworteten Veranstaltungsreihe präsentiert worden, wie zum Beispiel die Ummantelung von Kolonialdenkmälern mit einheimischen Stoffen oder eine langsam das Denkmal zuwuchernde Begrünung. Alles Pillepalle, macht sich der Senator nachträglich lustig
, so Henschel in seiner Kritik: Kommt natürlich nicht infrage, ist ja Denkmalschutz. Mit dem Senatoren-Diktum von der Unberührbarkeit des Denkmals sind viele der in den letzten beiden Jahren eingebrachten Ideen vom Tisch, wie zum Beispiel die, das gesamte Denkmal schräg zu stellen, oder es mit Stacheldraht einzuzäunen.
Doch was brachte die Jury dazu, aufzugeben? Jürgen Zimmerer, selbst Mitglied der Jury, seit 2010 Professor im Arbeitsbereich Globalgeschichte an der Universität Hamburg und seit 2014 Leiter der Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe, redet Klartext: Es ist absurd, dass die Institution des Denkmalschutzes die Grenzen der Dekolonisierung eines Denkmals definiert, denn das bedeutet automatisch, dass die imperiale Einrichtung des Denkmals auf ewig verewigt wird.
Es habe so - ohne Schuld der beteiligten Künstler:innen - kein überzeugender Entwurf entstehen können: "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass unter den Bedingungen dieses Wettbewerbs eine künstlerische Intervention nicht möglich erscheint.
xvi Gegenüber dem Sender Euronews erklärte er weiter: Ich habe während der ersten Phase (des Wettbewerbs) protestiert
, sagte Jurymitglied Jürgen Zimmerer. xvii Der Wettbewerb war offensichtlich eine Farce. Der grundsanierte Bismarck erstrahlt mittlerweile so weiß wie nie und wacht über die Elbe. Wobei: Eigentlich schaut er wie ein überdimensionaler Zuhälter genau die Reeperbahn hoch und wacht über die sexuelle Ausbeutung dort. Was es auch alles nicht besser macht.
Gaston Kirsche
Gaston Kirsche läuft seit seiner Kindheit unter dem Bismarckdenkmal längs, hat Drucker gelernt, Ethnologie studiert, kennt Verlage und Gewerkschaftsarbeit von innen, ist Journalist, aber kein Bildender Künstler.