(Gegenwind 433, Oktober 2024)

Messer

Messer-Angriffe

Ein paar Anmerkungen zur aktuellen Diskussion

Erst Mannheim, dann Solingen - erst ein Afghane, dann ein Syrer: Wenn es ein Messerattentat eines Flüchtlings gibt, kochen die Emotionen hoch. Grenzen schließen, alle abschieben: Nur wer die radikalsten Forderungen stellt, schafft es in die Nachrichten. An den Äußerungen kann man kaum noch unterscheiden, ob der Sprecher zur SPD, AfD oder CDU gehört.

Innenministerin Nancy Faeser hat angekündigt, das Waffenrecht zu verschärfen. Das Mitführen von Messern mit einer Klingenlänge über sechs Zentimeter und von Springmessern soll verboten werden. Im April 2023 hatte sie schon vorgeschlagen, Messer in öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbieten - nach dem Mord an zwei Fahrgästen im Regionalzug in Brokstedt (Schleswig-Holstein). Seitdem ist die Novelle des Waffengesetzes in der Ressortabstimmung. Insbesondere die FDP macht sich Sorgen, die Freiheit der Bürger:innen allzu sehr einzuschränken.

Wie ist das Waffenrecht aktuell?

Das Waffengesetz ist vom 11. Oktober 2002.

Was sind Waffen? § 1 sagt: Waffen sind Schusswaffen oder ihnen gleichgestellte Gegenstände und tragbare Gegenstände, die ihm Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, insbesondere Hieb- und Stoßwaffen; die, ohne dazu bestimmt zu sein, insbesondere wegen ihrer Beschaffenheit, Handhabung oder Wirkungsweise geeignet sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, und die in diesem Gesetz genannt sind.

Und in § 42 geht es weiter: Wer an öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt, darf keine Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 führen. Das gilt auch für Theater, Kino, und Diskothekenbesuche und für Tanzveranstaltungen. und § 42a dann: Es ist verboten, (3.) Anscheinswaffen, Hieb- und Stoßwaffen nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.1 oder Messen mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser) oder feststehende Messer mit einer Klingenlänge über 12 cm zu führen. Nach der genannten Anlage geht es dabei um Springmesser, Fallmesser, Faustmesser und Butterflymesser.

Dazu ist das Führen von gefährlichen Werkzeugen verboten, die bauartbedingt nicht zum Verletzen bestimmt sind, dafür aber „missbraucht“ werden können. Das Strafrecht rechnet dazu Messer und sonstige Werkzeuge und Mittel. All das darf man kaufen und besitzen, zum Beispiel für den Gebrauch in der Küche, aber nicht bei sich führen, wenn man zu einem Volksfest oder einer Tanzveranstaltung geht.

Jedes „Survival“-Geschäft, auch viele Bundeswehr- oder einfach Reiseläden bieten Messer an. Die benötigt man, um Haie und Bären abzuwehren, auch feindliche Soldaten. Also eigentlich gar nicht, aber viele kaufen sie. Straftaten werden damit übrigens selten begangen, bei häuslicher Gewalt (einer der häufigsten Straftaten) sind oft Messer im Spiel, die in jedem normalen Haushalt vorhanden sind.

Wozu Messerverbote?

Die vorhandenen Messerverbote werden kaum kontrolliert. Auch wenn es bei Volksfesten, zum Beispiel bestimmten Großveranstaltungen während der „Kieler Woche“, Taschenkontrollen gibt, gilt die eher mitgeführten Glasflaschen.

Die vorhandenen Messerverbote geben der Ordnungsbehörde aber eine ausreichende Handhabe. Sie könnten, wenn sie denn personell ausreichend vorbereitet sind, auch die Taschen nach Messern durchsuchen. Und es gibt auch Orte, zum Beispiel Gerichte, wo an der Pforte auch normale Taschenmesser abgegeben werden müssen. Das alles dient dazu, eine abstrakte Gefahr zu reduzieren - nicht dazu, ein einzelnes Attentat zu verhindern.

Beispiel Messerattentat 2017 in Hamburg

Am 28. Juli 2017 erstach der staatenlose palästinensische Flüchtling Ahmad Alhaw bei EDEKA in Hamburg einen Kunden und verletzte vier andere. Das Messer hatte er sich vorher direkt aus dem Regal mit den Küchenmessern genommen.

Er wurde in Saudi-Arabien geboten, ging später aber nach Gaza, danach nach Ägypten. Später stellte er Asylanträge in Norwegen, Schweden, dann in Spanien, danach in Deutschland, die alle abgelehnt wurden. Im Flüchtlingsheim wurde er auffällig, woraufhin die Hamburger Polizei die Sozialbehörde informierte und um eine psychiatrische Begutachtung bat. Das wollte die Sozialbehörde auch machen und suchte dafür eine Arabisch-Dolmetscherin oder -Dolmetscher. Obwohl das Verwaltungsgesetz damals ein Stundenhonorar von 70 Euro vorschrieb, bot die Sozialbehörde in ihrer Mail allen Dolmetscher:innen 20 Euro pro Stunde an, niemand übernahm die Aufgabe, die Begutachtung wurde von der Sozialbehörde abgesagt.

Man kann spekulieren, dass bei gesetzeskonformen Verhalten der Sozialbehörde eine psychische Störung vorher erkannt worden wäre, eine Therapie wäre möglich gewesen. Nach der Tat bestellte die Polizei übrigens mehrere Arabisch-Dolmetscher:innen, die alle die Mail der Sozialbehörde erhalten hatten, und bezahlte ihnen 70 Euro pro Stunde, um alle Chats aus mehreren Handys des festgenommenen Täters zu übersetzen. Er wurde später zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die „Ersparnis“ der Sozialbehörde war also relativ - die Begutachtung und Früherkennung wäre für 350 bis 700 Euro Dolmetschkosten möglich gewesen.

„Messer-Kriminalität“

Nach dem Auftritt von Alice Weidel im Bundestag 2018, wo sie von Messermännern und Kopftuchmädchen gesprochen hatte, wurde ihre Partei AfD in allen Landesparlamenten aktiv und frage nach der „Messer-Kriminalität“. Die war nicht bekannt, weil solch ein Delikt in der Statistik unbekannt war. Aber CDU und SPD reagierten brav und führten die Statistik in allen Bundesländern ein. Wo lokale Statistiken existierten, fragte die AfD zusätzlich nach Vornamen der Täter - bundesweit gewann M„ichael“.

Das liegt daran, weil Messer bei verschiedenen Delikten vorkommen. Die Delikte sind meistens Körperverletzung oder Raub. 2021 gab es dann erstmals eine bundesweite Statistik für „Messerangriffe“, es waren 10.917 Fälle. 2022 waren es bei Körperverletzung 8.160 (2021: 7.071), aber Körperverletzungen gab es mehr als 150.000, die meisten ohne Messer. Bei Raub wurden Messer bei 4.195 Taten 2022 eingesetzt (2021: 3.060), insgesamt wurden aber 50.000 Raubdelikte registriert.

Täter waren fast immer junge Männer. Darunter war die Mehrheit deutsch, aber rund 40 Prozent ausländisch, also mehr als der Ausländeranteil in der Bevölkerung. Die ausländischen Täter waren aber zum Teil nicht aus der Bevölkerung, sondern aus dem Ausland - und in der ausländischen Bevölkerung Deutschlands gibt es einen sehr viel höheren Anteil junger Männer als in der deutschen Bevölkerung. Das verzerrt jede Statistik.

Obwohl es bundesweit jährlich rund 14.000 Straftaten gibt, bei denen ein Messer im Spiel ist, finden sich Berichte dazu nur über drei bis fünf Fälle - nämlich immer dann, wenn ein Ausländer oder eingebürgerter Deutscher in den Öffentlichkeit ein Messer benutzt. Der größte Teil der Straftaten mit einem Messer passiert aber im Haushalt, bei häuslicher Gewalt (gegen Frauen), hat also nichts mit Migration oder Asyl zu tun, sondern mit Männern.

Mitte Mai 2024 wurde in Offenbach eine 54-jährige Frau erstochen. Die Tat geschah in der gemeinsamen Wohnung, der Lebensgefährte wurde festgenommen und gestand. Ende August wurde in Berlin-Friedrichsfeld eine Frau erstochen, der ehemalige Lebensgefährte wurde kurz danach festgenommen. Anfang September wurde in Mühlheim eine Frau erstochen, der Ehemann wurde festgenommen. Diese Fälle haben eines gemeinsam: In keinem Fall forderte die CDU, geschweige denn die AfD sofortige Maßnahmen von der Politik, um die Frauen besser zu schützen.

Es sind nicht führende Politiker, sondern Saskia und Lilly, die einen Instagram-Account eingerichtet haben, der Femizide im Deutschland zählt. Dabei zählen für sie die ermordeten Frauen, unabhängig davon, welche Staatsangehörigkeit die Täter haben und welche Mittel sie für den Mord verwenden.

Asylrecht einschränken?

Die Forderungen der politischen Rechten kreisen nicht in erster Linie um den Islamismus, den man unter Neuankömmlingen wie unter (eingebürgerten) Deutschen nur vereinzelt vorfindet. Sie kreisen um das Thema Asyl: Einzelne Anschläge von Islamisten werden genutzt, um ihre Opfer zu diffamieren und auszugrenzen.

Hauptargument ist, dass „zu viele“ kommen. Nicht erläutert wird, ob es um zu viele Täter oder zu viele Opfer geht. Wirft man einen Blick auf die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Irak oder Russland, lehnen sie in ihrer großen Mehrheit die dortigen Herrschaftsformen ab, ob sie von den Taliban oder Assad, einer korrupten Elite oder einen islamistischen Präsidenten dominiert werden. Eine Begrenzung würde also die Demokratie schwächen und die politische Rechte, die sich dann bestätigt fühlt, stärken.

Allerdings ist es durch das Grundgesetz verboten: Das Asylrecht ist ein Grundrecht, das durch die „Ewigkeits-Klausel“ geschützt ist. Man darf also nicht einen Asylantrag annehmen, prüfen und genehmigen, um im nächsten Moment einen weiteren Asylantrag abzulehnen, weil es Antrag Nummer 120.001 ist. Auch eine Zurückweisung an der Grenze ohne Prüfung der Verfolgung ist natürlich verboten, das wurde auch in der ähnlichen Diskussion 2016 geklärt, damals von der CDU-Bundesregierung (nach entsprechenden Forderungen von AfD und CSU).

Zudem ist die Zahl der Flüchtlinge in den letzten Jahren gesunken. Das betrifft vor allem die Ukraine, wo sich die westlichen Waffenlieferungen positiv auswirken. Es betrifft aber auch Syrien, wo der Krieg selbst durch den Abtransport von russischer Ausrüstung in die Ukraine abgeflaut ist. Zugenommen hat die Flucht aus Afghanistan. Und das liegt nicht an der geringen Anhebung des Bürgergeldes, sondern an den einschränkenden Bestimmungen der Taliban für Frauen. Deshalb kamen wir 2023 auf 329.120 Asyl-Erstanträge, 2024 werden wir nur noch auf weniger als 250.000 kommen. Ukrainische Flüchtlinge kamen 2022 rund 1,1 Millionen, 2023 kamen rund 120.000 dazu.

Messer sind auch eine Frage der Kaufkraft

Oft werden Messer verwendet, weil sie einfach und billig zu besorgen sind. Wer Geld hat, kann sich eine Schusswaffe kaufen - wer kein Geld oder keine Kontakte hat, nimmt ein Messer. Ein islamistisches Attentat mit einem LKW wie 2016 auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin (Breitscheidplatz) erfordert erheblich mehr Vorbereitungen.

Messer sind bei Jugendlichen auch oft ein Statussymbol. Sie nehmen ein Messer mit, um Eindruck zu machen. Bei Auseinandersetzungen ist es das einzige, was griffbereit ist.

Gewalt geht zurück

Insgesamt sinkt die Zahl der Mordopfer seit langem. Gab es kurz nach der Wiedervereinigung noch jährlich fast 1.500 Mordopfer in Deutschland, waren es 2000 noch knapp 500 und 2023 noch knapp 300 im ganzen Jahr. Wenn also die AfD den Eindruck zu erzeugen versucht, es kämen mehr Flüchtlinge (stimmt auch nicht) und damit mehr Gewalt, so ist das erfunden - auch wenn die CDU auf den Zug aufspringt und die SPD sich davon beeinflussen lässt.

Fazit

Islamistische Anschläge kann man nur bekämpfen, indem man islamistische Anschläge bekämpft. Die Bekämpfung von Flüchtlingen oder die Erfüllen rechtsextremer Forderungen nach Einschränkungen der Grundrechte helfen nicht. Zwar wollen islamistische Attentäter auch, dass Grundrechte eingeschränkt werden, nehmen aber den Erfolg ihrer Forderungen eher als Ansporn zu weiteren Anschlägen.

Die Demokratie kann man nur fördern, indem man die Demokratie fördert. Das heißt, dass man rechtsradikalen Forderung nach rassistischen Einreisebeschränkungen entgegentreten muss, auch wenn sie von einzelnen Politikern anderer Parteien übernommen werden. Außerdem sollte man demokratisch gesonnene Flüchtlinge als Verbündete wahrnehmen, sie bemerken die Radikalisierung Einzelner im Flüchtlingsheim oder in ihrer Community weit früher als die Sicherheitsbehörden und sind zu einer Zusammenarbeit meistens gerne bereit, wenn die Sicherheitsbehörden das denn wollen.

Reinhard Pohl

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