(Gegenwind 432, September 2024)

Hagenbeck tariffrei? Das ist jetzt vorbei!

Hagenbeck: Zoo ohne Tarifvertrag

Ein Jahr nach dem Streik im September 2023

In Hamburgs privatem Tierpark Hagenbeck wurde im September 2023 vier Wochen für einen Rahmentarifvertrag gestreikt. Der Streik wurde unterbrochen - wie ist jetzt der Stand, ein Jahr danach? Ein Abschluss wurde noch nicht erreicht. Seit Jahren weigert sich die Geschäftsführung, mit der Gewerkschaft zu verhandeln, obwohl 90 der 160 Beschäftigten Mitglied der IG BAU sind.

Der Streik ist unterbrochen, erläutert der Gewerkschaftssekretär Dirk Johne im Gespräch im Juli 2024 mit dem Autor. Wir haben letztes Jahr vier Wochen durchgestreikt, aber die Geschäftsführung hat sich überhaupt nicht bewegt, so der stellvertretende Regionalleiter Nord der IG BAU: Die haben die Gehälter jetzt wohl ein bisschen angehoben, angeblich hat niemand weniger als 15 Euro die Stunde. Ob das so ist, weiß ich nicht, jeder hat ja seinen individuellen Arbeitsvertrag. Als Tierpfleger kannst du auf 3.400 Euro brutto kommen, also kein reiner Billiglohn. Aber in den Kassenbereichen und auch in anderen Bereichen werden zunehmend Leiharbeiter eingesetzt.

Ohne Tarifvertrag gibt es keinen festen Rahmen für die Gehälter - die gleiche Arbeit kann unterschiedlich bezahlt werden, Urlaubstage, Zulagen, Arbeitszeiten - alles individuell vereinbart. Und auch der Betriebsrat kann sich nicht darauf verlassen, seinen Aufgaben und Pflichten ohne Störungen nachkommen zu können. Bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Hamburg am 11. April 2024 ging es um die erneute Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden Thomas Günther durch die Geschäftsleitung in Person von Dr. Dirk Albrecht, Geschäftsführer der gemeinnützigen Tierpark GmbH. Der Tierpark Hagenbeck ist der einzige Großzoo Deutschlands, der in privater Hand ist und keinen Tarifvertrag hat. Und einen selbstbewussten Betriebsrat, der der Kündigung seines Vorsitzenden widersprochen hat - weshalb der Vorgang vor dem Arbeitsgericht gelandet ist. Die Richterin empfahl eine Mediation.

Sollte diese keine Einigung bringen, würde ein Kammertermin vor dem Arbeitsgericht für den zweiten September festgesetzt. Der Anlass der Kündigung: Mir wird vorgeworfen, dass ich als Mitarbeiter und Vorsitzender des Betriebsrats für mich und für den Betriebsrat gegen den Geschäftsführer, Herrn Dr. Dirk Albrecht, wegen des Verdachts des Betruges gemäß Paragraf 263 Strafgesetzbuch Anzeige erstattet haben soll, so Thomas Günther im Gespräch mit dem Autor. Dabei wurde die Strafanzeige wegen möglicher Fehler beim Corona-Kurzarbeitergeld 2022 durch den Betriebsrat gestellt und Thomas Günther erstattete die Anzeige in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender. Ich nehme meine Rolle als Betriebsrat, zu der es auch gehört, die Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze zu überwachen, sehr ernst, so Thomas Günther. Dabei kann es vorkommen, dass wir als Betriebsrat Entscheidungen treffen, die dem Arbeitgeber nicht zusagen. Der Betriebsratsvorsitzende wird von seinen Betriebsratskolleg:innen herausragend unterstützt, wie er betont: Wir sind ein großartiges Team, das auch schon eine Menge für die Belegschaft erreicht hat.

Als im September 2023 die Staatsanwaltschaft Hamburg das aufgrund der Anzeige des Betriebsrates eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer Dr. Albrecht einstellte, drohte dessen Strafverteidiger Otmar Kury öffentlich mit Konsequenzen - die Strafanzeige des Betriebsrats sei mit falschen Verdächtigungen überladen gewesen, erklärte er dem Hamburger Abendblatt. Wenig später folgte die Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden.

Aber die Beschäftigten, die seit mehr als zwei Jahren für tarifvertragliche Regelungen kämpfen, und ihr Betriebsrat erfahren Unterstützung aus den Gewerkschaften. Am 1. Juli 2024 haben die DGB-Gewerkschaften aus Hamburg eine Solidaritätsaktion für die Beschäftigten gemacht. Unterstützung vor Ort gab es außerdem durch die Grünen, die Linke und die SPD. Da waren im Kassenbereich während der Dschungelnacht nur Leiharbeiter, hat Dirk Johne beobachtet: Die Geschäftsführung hatte wohl Angst, dass wir wieder zum Streik aufrufen, dann wären die Kassenbeschäftigten wieder dabei gewesen.

Auch Hamburgs DGB-Vorsitzende war vor Ort und hielt eine kämpferische Rede. Die Geschäftsführung von Hagenbecks Tierpark versucht, die Beschäftigten, die für einen Tarifvertrag kämpfen und für gute Arbeitsbedingungen einstehen, zu spalten, betont Tanja Chawla im Gespräch mit dem Autor. Wir haben am Samstag deutlich gemacht, dass das inakzeptabel ist und dass sich die Kolleg:innen auf die volle Solidarität der gesamten Gewerkschaftsfamilie verlassen können.

Die wird auch gebraucht, denn gleich am nächsten Tag, nachdem der Streik beendet war, ging es los mit Druck, so Dirk Johne: Als die zuvor Streikenden sich wieder zur Arbeit gemeldet haben, wurden sie nach Hause geschickt. Es gibt ein paar Leute am Eingang, die Portiers, welche die Besucher empfangen. Die haben Verträge, wo keine feste Arbeitszeit eingetragen ist, so Abrufverträge. Die hatten aber vor dem Streik in der Regel so 160 Arbeitsstunden im Monat. Denen wurden zuerst gar keine Einsätze mehr gegeben, später dann nur etwa 80 Stunden im Monat, was einen massiven Einkommensverlust bedeutet. Umstritten ist auch die Urlaubsgewährung - der Geschäftsführer will nach Gutsherrenart alleine über alle Urlaubsanträge entscheiden, die Abteilungsleiter bleiben dabei außen vor: Wenn ein Antrag von ihm nicht bewilligt wird, sei er eben abgelehnt, verkündete Dr. Albrecht laut Dirk Johne.

Gegenüber der Hamburger Morgenpost erklärte Andreas Kilian, Anwalt des Betriebsrates, im Juli, in seiner Kanzlei seien alleine in diesem Jahr bereits 43 Aktenzeichen in Sachen Hagenbeck angelegt worden: Es geht um Dienstpläne, die Arbeitszeit, Mitbestimmungsrechte, Urlaube, Kündigungen und die Arbeitsbedingungen insgesamt. Fast alle Konflikte der Geschäftsführung mit Beschäftigten gehen vor Gericht. Das Klima im Betrieb ist entsprechend.

Dann hat man den Leuten im Kassenbereich gesagt, sie sollen alles dokumentieren, im Viertelstundentakt: Was sie tun, welche Anrufe reingehen, was dabei rausgekommen ist, wie viele Leute eine Jahreskarte haben wollten, oder, oder... kommt Dirk Johne darauf zurück, wie die am Streik Beteiligten danach behandelt wurden. Das mussten sie am Feierabend zur Leitung schicken. Am nächsten Tag bekamen sie dann eine E-Mail mit bis zu 35 Fragen zu dem, was sie vorher dokumentiert hatten. Dass waren schon sehr massive Kontrollen, einschließlich persönlicher Gespräche dazu.

Gewerkschaft und Betriebsrat stehen den Kolleg:innen zur Seite, aber verhindern können sie das Agieren der Geschäftsführung nicht.

Am Streik beteiligte Beschäftigte werden ohne ersichtlichen Grund versetzt, kritisiert auch Tanja Chawla im Gespräch: Mit völlig überzogenen Dokumentationspflichten über ihre Arbeit sollen die Beschäftigten mürbe gemacht werden. Aktuell klagt eine Beschäftigte, weil sie trotz einer ärztlichen Krankschreibung keine Lohnfortzahlung in ihrem Krankheitsfall erhalten hat. Die Geschäftsführung von Hagenbecks Tierpark versucht wirklich mit allen Mitteln die Beschäftigten einzuschüchtern und legt dabei eine bemerkenswerte Kreativität an den Tag.

Gleichzeitig werden von der Geschäftsführung Pläne für große Umstrukturierungen in den betrieblichen Arbeitsabläufen entwickelt. Wir haben den Eindruck, es dreht sich viel in Richtung Abwertung, es gibt zwei Entwürfe der Geschäftsführung für eine Umstrukturierung - einmal für den Kassenbereich, das geht in Richtung Automatisierung, Digitalisierung und Arbeitsplatzabbau, erklärt Dirk Johne. Was dann übrigbleibt, wollen sie vermutlich mit Leiharbeitern machen. Zu diesem Entwurf hat die IG BAU bereits eine Mitgliederversammlung organisiert, zum zweiten Entwurf ist eine weitere geplant: Dann gibt es noch die Idee von Großrevieren - das heißt aber nicht, dass die Tiere zusammengesteckt werden, sondern dass die Tierpfleger für mehrere Reviere zuständig sein sollen, erläutert Dirk Johne weiter: Das wäre gut, wenn es darum ginge, dass die Tiere mehr Bezugspersonen haben, oder im Krankheitsfall, aber es geht eher darum, den Anteil der qualifizierten Arbeitnehmer zu beschränken, also derjenigen, die eine Tierpflegeausbildung haben. Die werden dann als Oberbau genutzt. Und darunter hole ich mir so viel wie möglich an Gehilfen. Die verdienen weniger als ausgebildete Tierpfleger, da wird dann Lohn gespart werden.

Bei der Durchsetzung solcher Sparprogramme will die Geschäftsführung die Gewerkschaft aus dem Betrieb raushalten - einmal mehr ein bitteres Beispiel dafür, dass die Arbeitsbedingungen in Betrieben ohne Tarifvertrag und gewerkschaftliche Mitsprache in der Regel schlechter abgesichert sind. So hat Hagenbeck im Stadtstaat Hamburg auch eine symbolische Bedeutung über den Betrieb hinaus: Dass sich immer mehr Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung entziehen, macht uns große Sorgen - in Hamburg sind nur noch 46 Prozent der Beschäftigten von einem Tarifvertrag geschützt, analysiert Tanja Chawla: Wir erwarten, dass dieser gefährlichen Entwicklung ein Riegel vorgeschoben wird. Mit Hagenbecks Tierpark haben wir sicherlich einen Extremfall vorliegen, bei dem offensichtlich das große Besteck des Union Busting angewandt wird. Der Tierpark ist ein Wahrzeichen dieser Stadt, Hamburg muss Stadt der Guten Arbeit werden und genau deswegen braucht es jetzt bei Hagenbeck den Tarifvertrag!

Die Beschäftigten von Hagenbeck, ihr Betriebsrat und ihre Gewerkschaft - sie sind bei der Durchsetzung eines Rahmentarifvertrags auf Solidarität gegen das selbstherrliche Agieren der Geschäftsführung angewiesen. Die Solidaritätskundgebung im Juli war dafür ein guter Auftakt, die IG BAU will wieder stärker in die Öffentlichkeit gehen. Die tonangebenden Medien in der Stadt gegen gerne die Sicht der Geschäftsführung wieder und bringen am liebsten niedliche Tiergeschichten aus dem Zoo. Anders als in klassischen Industriearbeitskämpfen hängt ein Erfolg - neben der großen Streikbereitschaft der Belegschaft - vor allem an einer Mobilisierung der Basis der Gewerkschaften in Hamburg. Und da scheint einiges möglich: So gibt es im Hafen, wo die Beschäftigten gegen die Teilprivatisierung des städtischen Hafenbetriebs HHLA protestieren, oder bei den Erzieher:innen der städtischen Kitas, Aufmerksamkeit für Hagenbeck.

Gaston Kirsche

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