(Gegenwind 431, August 2024)
Die USA wollen erstmals seit dem Kalten Krieg wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Gedacht ist dabei an US-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern. Außerdem sollen nach einer deutsch-amerikanischen Vereinbarung Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu zu entwickelnde Überschallwaffen in Deutschland gen Osten in Stellung gebracht werden.
Parallel dazu und eingebettet in die Neujustierung der us-amerikanischen Globalstrategie erleben wir aktuell, dass die Bundesregierung einen Aufrüstungskurs in bisher nicht gekanntem Ausmaß verfolgt. Unterstützt von CDU/ CSU und AfD, verkleinert dieses Hochfahren der Rüstungsausgaben finanzielle Spielräume für die Bekämpfung von Armut, den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und notwendige Investitionen im Kampf gegen den Klimawandel.
Massive Unterstützung erfährt dieser Kurs seit Monaten auch von Moritz Schularick (Foto rechts unten), seit einem Jahr Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (Foto nächste Seite oben). Aktuell bemängelt er, dass eine rasche Erhöhung der Militärausgaben unterbleibt aufgrund von Parteiengezänk, wahltaktischen Erwägungen und der 2009 eingeführten Schuldenbremse. Sollten eines Tages russische Truppen in ein NATO-Land einmarschieren, wird es ein schwacher Trost sein, dass die Deutschen immerhin ihre Schuldenbremse eingehalten haben. Deshalb ist die Zeit gekommen, die Schuldenbremse zu lösen und aufzurüsten
. Noch mehr Geld für Rüstung auszugeben hätte nach seiner Sicht zudem „positive Spillover-Effekte“ für die gesamte deutsche Wirtschaft. Damit könnte sie endlich einen Teil ihres technologischen Rückstandes im Weltmaßstab aufholen. So war es kein Zufall, dass das westdeutsche Wirtschaftswunder der 1950er Jahre von der Aufrüstung nach Ausbruch des Korea-Krieges profitierte.
Diesen Denkansatz weiter gedacht hieße also, dass der Ukraine-Krieg im Grunde genommen nicht nur für Rheinmetall & Co sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland eigentlich einen Glücksfall darstellt.
„Globalisierung verstehen und gestalten“ steht an der IfW-Fassade auf einem großen Plakat. Und zu Amtsantritt verkündete der neu ernannte IfW-Präsident: Wir befinden uns in einer global vernetzten, hochintegrierten Weltwirtschaft, und jetzt gibt es viele Tendenzen und den politischen Willen, Dinge, die politisch, strategisch oder militärisch sinnvoll sind und zur Grundversorgung gehören, wieder stärker im nationalen oder europäischen Kontext umzusetzen.
Es gebe zu viel glaubensbasierte Politikberatung, kritisierte er. Wir sind aber nicht in der Kirche.
Binnen eines Jahres ist Moritz Schularick nun aber offensichtlich zu einem gläubigen Anhänger von Aufrüstung und militärischen Abschreckung-Phantasien geworden.
Im März 1961, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges und des Wettrüstens zwischen NATO und UdSSR, hatte der damalige IfW-Präsident Fritz Baade einen bemerkenswerten Versuch unternommen. Er brachte die renommiertesten Wirtschaftsforscher der Welt in Kiel an einen Tisch, um über Abrüstungsmöglichkeiten zu diskutieren. Unter den Teilnehmern waren u.a. Wassily Leontief (Havard), Rubinstein (Moskau), Jackson (Oxford) Gunnar Myrdal (Schweden) und Jürgen Kuczynski (DDR). Die Forscher gelangten während ihres Meinungsaustausches in Kiel zu dem Ergebnis, dass Abrüstung erheblichen Nutzen für alle Länder der Welt hätte, nicht zu Massenarbeitslosigkeit führe und Mittel frei für Kultur, Sozialausgaben und für das Gesundheitswesen mache. Wenn auch der praktische Nutzen dieses Treffens gering blieb, öffnete es doch zumindest ein faktenbasiertes, visionäres Fenster für alternative Politikmodelle.
Vom 3. bis zum 8. September wollen sich hunderte Aktivist:innen zu einem Aktionscamp in Kiel versammeln. Dort sollen Strategien des antimilitaristischen Kampfes diskutiert und direkte Aktionen gegen Militär- und Rüstungsindustrie durchgeführt werden
In dem Aufruf heißt es u.a.: Unsere Welt droht im Krieg zu versinken und Deutschland ist Teil dieses global eskalierenden Kriegsregimes. In Kiel produzierte Kriegstechnik und Waffen verbreiten unsägliches Leid. Das massenhafte Morden an den Kriegsfronten in der Ukraine, der zehntausendfache Tod und die Vertreibung in Gaza, das Leid in Kurdistan sind nur wenige Beispiele für die Folgen der globalen Aufrüstung des kapitalistisch patriarchalen Systems. Und selbst dort, wo kein „heißer“ Krieg ausgefochten wird, wird offensichtlich alles dafür getan, um ihn herbeizuführen, durch eine beispiellose Militarisierung, flankiert von erstarkendem Nationalismus und den Profitinteressen riesiger Konzerne.
Auch in Deutschland ist diese Dynamik ganz eindeutig: das 100 Milliarden Euro schwere Aufrüstungspaket der Ampelregierung wird finanziert durch soziale Kürzungen. (...) Wir werden zusammen mit unterschiedlichen Gruppen und Bewegungen für eine gerechte, ökologische und feministische Welt kämpfen, uns internationalistisch vernetzen und die Kriegsindustrie konkret stören. Dabei werden wir, das antimilitaristische Bündnis "Rheinmetall Entwaffnen", an Kämpfe hier und weltweit anknüpfen. Wir stehen an der Seite aller Unterdrückten und wollen die Spaltung zwischen Gesellschaften, Geschlechtern, Religionen und Regionen überwinden. Nur gemeinsam können wir eine andere Welt erschaffen.
War starts here - let's stop it here
Kiel ist der passende Ort für unser Vorhaben: Nur in wenigen Gegenden in Deutschland finden sich so viele Orte von Bundeswehr, Marine und Rüstungsindustrie. Gleichzeitig ist Kiel ein Ort des Widerstands, mit beeindruckender revolutionärer Geschichte wie dem Matrosenaufstand von 1918. Und auch heute gibt es zahlreiche Widerstandsbewegungen und Verbündete vor Ort.
Lasst uns gemeinsam ein Camp gegen Krieg, Aufrüstung und Abschottung gestalten! Für ein solidarisches Miteinander und eine gemeinsame widerständige Praxis gegen das globale Kriegsregime. Wir sehen uns vom 3. bis 8. September in Kiel.
Günther Stamer