(Gegenwind 429, Juni 2024)

Kundgebung
Die Fotos zeigen zwei von drei Kundgebungen vom Steindamm am 11. Mai. Die einzigen Frauen auf den Bildern von der Veranstaltung von „Muslim Interaktiv“ sind Medienschaffende oder Beobachterinnen.
Die Gegenkundgebung ist leicht erkennbar.

Hamburg am 11. Mai:

Verbot der Demonstration diskutiert

Die Islamisten von „Muslim Interaktiv“ inszenierten sich als Opfer

Die Kundgebung der Salafisten am 11. Mai 2024 zeigte erneut, dass auch legal auftretender Islamfaschismus die Gewalt der Sharia, die Misogynie und den Antisemitismus in sich trägt wie die Wolke den Regen.

In eng geschlossenen Reihen standen sie da, 2.300 Männer, und sprachen wie in einer Moschee oder Kirche geübt synchron Glaubenssätze, wenn Joe Adade Boateng, auch als Raheem Boateng bekannt, in seiner Rede kurze Pausen dafür ließ. Unter strengen Auflagen rief die Vorfeldorganisation der in Deutschland seit 2003 verbotenen salafistischen Bewegung Hizb-ut-Tahrir, „Muslim Interaktiv“, zwei Wochen nach ihrer medial viel beachteten letzten Kundgebung erneut auf den Steindamm am Hamburger Hauptbahnhof. Am Rande der Versammlung, die unter dem Titel „Gegen Zensur und Meinungsdiktat“ angekündigt war, standen sechs Hundertschaften der Polizei in Kampfmontur sowie zwei Wasserwerfer bereit. Stärke zeigen, um den strengen Auflagen durch die Versammlungsbehörde Nachdruck zu verleihen. Und der Öffentlichkeit zu zeigen: obwohl kein Demonstrationsverbot verhängt wurde, habe der Rechtsstaat die Lage im Griff. Nachdem insbesondere die CDU, aber auch zahlreiche Medien es skandalisiert hatten, dass am 20. April mit der Losung „Das Kalifat ist die Lösung“ nach Geschlechtern getrennt und mit einheitlich uniform gekleideten Männern aufmarschiert worden war, gab es diesmal strenge Auflagen, nachdem bis drei Tage vorher auch eine Demonstrationsverbot im Gespräch war: Das Kalifat dürfe weder in Bild, Ton oder Schrift gefordert werden, eine Herabsetzung von Menschengruppen nach religiösen oder ethnischen Kriterien war verboten - ebenso wie die Trennung in Männer und Frauen.

Nachdem eine viertel Stunde lang die Kundgebung nur schweigend dastand, wurden wie auf Kommando plötzlich weiße Schilder hochgehalten, auf denen „Banned“ oder „Zensiert“ stand. Auch in seiner Rede, die zeitgleich begann, inszenierte Joe Adade Boateng die „wahren Moslems“ als Opfer einer kolonialen Meinungsdiktatur. Geschickt wird, an reale Diskriminierungserfahrungen anknüpfend, ein islamistischer, identitärer Fundamentalismus propagiert.

Wie das Verbot der Geschlechtertrennung eingehalten wurde, sagt viel aus über „Muslim Interaktiv“ und ihre Anhänger*innen: In engen Reihen, wie bei einer disziplinierten Demonstration, standen über 2.300 Männer auf der Straße. Sehr viele mit Bärten und Undercut-Frisuren im Wehrmachts-Look, von der Erscheinung her durchtrainiert. Dazwischen Jungen, auch ein paar Männer mit längeren Haaren, auch Ältere. Aber keine Frauen, in keiner Reihe. Auf den Bürgersteigen saßen und standen dafür ringsherum mehr Frauen mit Hijab als sonst auf dem Steindamm. Auch vollverschleierte Frauen mit Nigab standen am Rand außerhalb der Männerreihen und der Begrenzung durch zahlreiche (ausschließlich männliche) Ordner. So wurde dem Verbot der Geschlechtertrennung formal entsprochen - es wurde umgangen.

Kundgebung

„Ob eine Gesellschaft frei ist, ist daran zu sehen, ob es Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe gibt“, so Birgit Ebel vom Verein „Frauenheldinnen“ im Gespräch mit dem Autor: „und in der Demo waren keine Frauen zu sehen, nur am Rand“. Damit Männer Politik nicht allein undemokratisch unter sich regeln, veranstaltete der neugegründete Verein, der aus „Terre des Femmes“ entstanden ist, eine Gegenkundgebung: „Frauen gegen das Kalifat - für Freiheit und Menschenwürde“. 100 Frauen und wenige Männer beteiligten sich daran, der Tenor: „Freiheitlich-demokratische Grundordnung anstatt Kalifat und Scharia“. Die „Frauenheldinnen“ stehen für eine Kritik am Islamismus, die dazu tendiert, die Religion Islam insgesamt als intolerant zu begreifen.

So erklärte ihr Gründungsmitglied Astrid Warburg-Manthey eine Woche zuvor in einer Rede: „Falsch verstandene Toleranz hat zu diesen Auswüchsen geführt, und wird uns als ‚Schwäche’ ausgelegt. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Islam eine zutiefst patriarchal-archaische, misogyne Religion ist, die nur dann, wenn sie reflektiert und der modernen Gesellschaft angepasst gelebt wird, im privaten Leben ihren spirituellen Platz haben kann. Denn viele der Muslime, die hier leben, stammen aus autoritären, ja oft fundamentalistischen Systemen, und sind qua Erziehung und Sozialisation darauf gedrillt, Toleranz erst einmal als Schwäche auszulegen. Wer im Jugendamt oder sozialen Bereich tätig ist, wird von entsprechenden Erfahrungen berichten können.“

Etwas anders positionierte sich Ute Lefelmann-Petersen, die sowohl Mitglied des Vereins „Säkularer Islam“ als auch Mitglied des Vereins Frauenheldinnen ist: „Hiesige Parteien, die in einer seltsamen Komplizenschaft den Akteuren und Akteurinnen des fundamentalistischen Islam den roten Teppich ausrollen, begehen Verrat an uns Frauen und gefährden den eigentlichen ideellen Exportschlager Europas. Die Rechte und den sozialen Status der Frauen.“ Kurzfristig innerhalb von drei Tagen wurde die Kundgebung am 11. Mai organisiert, spontan. Ohne Unterstützung durch Parteien oder etablierte Organisationen. Das Bedürfnis, sich gegen das Kalifat und gegen die Abschaffung von Frauenrechten auszusprechen ist groß, erklärte eine Teilnehmerin im Gespräch mit dem Autor. „Aber es ist ein Unding, dass wir allein mit unseren geringen Mitteln so etwas organisieren“, so Birgit Ebel nach der Kundgebung: „Gegen die AfD demonstrieren Tausende, aber die Islamisten sind auch Rechtsextreme, wo bleibt da der Protest?“

Auf der anderen Seite der Islamistenkundgebung wehten israelische Fahnen, es wurde gesungen. Unter dem Motto „Gegen Kalifat und Vaterland - Für eine Welt, in der wir ohne Angst verschieden sein können“ waren etwa 50 Leute dem Aufruf des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, DIG, und der Hamburger Initiative gegen Antisemitismus, HIgA zur Gegenkundgebung gefolgt. „Unsere Botschaft lautet - wir lassen uns nicht einschüchtern“, so Yonny Meyer, DIG, zum Autor: „Uns hält euer Allahu Akbar nicht davon ab uns die Straße zu nehmen, die ihr für euer Territorium haltet“.

Marly Dietrich von der HIgA ergänzt im Gespräch mit dem Autor: „Deshalb wollten wir so nah wie möglich an die Islamisten ran.“ Hier hat die Polizei durch die Verlegung der Kalifatskundgebung auf den Kreuzweg einen Strich durch die Rechnung gemacht, auch ein Aufschließen wurde untersagt. In 300 Meter Abstand wurde der Protest kaum wahrgenommen. Aber: „Letztendlich kam unsere Botschaft doch noch an die Adressaten“, betont Yonny Meyer: „Hunderte Teilnehmer der Kalifatskundgebung sind in unsere Richtung abgezogen, die älteren Kader von Muslim Interaktiv hatten sichtlich Mühe ihren aufgebrachten Nachwuchs im Griff zu halten.“

Wie bei der Frauenkundgebung gibt es auch hier Kritik an der Passivität der deutsche Bevölkerung - mit und ohne Migrationshintergrund - gegenüber islamistischen Kundgebungen: „Wir haben gesehen, wie ihr zu Zehntausenden gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gegangen seid“, so Marly Dietrich: „Wir haben auch die Schilder gesehen, auf denen ihr davon phantasiert habt, ihr wüsstet jetzt endlich, was ihr 1933 gemacht hättet - wir sehen jetzt hauptsächlich euer Fehlen und wir hören euer Schweigen.“ Sie kritisieren dies auch vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer Angriffe auf Menschen: „Die Eskalation der Brutalität ist erschreckend und die deutsche Mehrheit schweigt“, kritisiert Marly Dietrich: „Über euer schulterzuckendes Wegschauen, wenn auf den Straßen dieser Stadt offen gegen Queerness gehetzt wird und Geschlechtertrennung vollzogen wird, können wir uns nur noch wundern.“

Warum gab es zwei Kundgebungen? „Mit den Frauenheldinnen hatten wir uns im Vorwege nicht so intensiv beschäftigt“, so Marly Dietrich: „Wobei wir uns schon wundern, warum sie das Selbstbestimmungsgesetz dahingehend zu kritisieren versuchen, dass dem Vaterland die Männer davonstöckeln könnten.“ Und Yonny Meyer betont: „Sie hatten ihre Demo unseres Erachtens schlicht am falschen Ort, zu weit weg von der Kalifatskundgebung, angemeldet - für uns ist nämlich klar, wir haben eine Botschaft, die die Islamisten auch sehen sollen.“

Die islamistischen Ziele von „Muslim Interaktiv“ werden deutlich erkennbar, wenn genau hingeschaut und hingehört wird. In seiner Rede hat Joe Adade Boateng dafür ein bekanntes Muster der Demagogie immer wieder ausgereizt: Indem er etwas behauptet, was stark übertrieben oder einfach falsch ist, um sich dann davon abzugrenzen. So behauptete Boateng, es gäbe eine staatlich festgelegte Leitkultur (und nicht etwa nur ein CDU-Programm), welche friedliebenden Muslimen Werte aufzwingen würde, was ihre Identität zerstören würde. Den Umkehrschluss spricht er nicht aus, aber er ist klar: Es gäbe eine feststehende muslimische Identität. Und die würde beispielsweise von der Infragestellung der „natürlichen Geschlechterordnung“ gestört. Oder, wenn er behauptet, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr, weil es verboten sei, das Kalifat zu propagieren. Sie, „Muslim Interaktiv“, würden das Grundgesetz verteidigen gegen die Meinungsdiktatur. Und selbstverständlich seien sie im Herzen bei den Brüdern in Gaza und für ein Ende des Vernichtungsfeldzugs - aber keine Antisemiten: „Die Juden“ sollen in Europa leben können - aber nicht im Nahen Osten, Israel muss weg, so die unausgesprochene Schlussfolgerung. Ein Kalifat dürfe er nicht für Deutschland fordern - aber für den Nahen Osten. Dort würde es „Frieden“ bringen, beschwört Joe Adade Boateng. Dass dies ein Frieden wäre, in dem Juden und Christen als minderwertig angesehen werden würden, und auch mörderische Pogrome durchgeführt werden können, sagt er nicht. Ein Frieden ohne den Staat Israel wäre so ein mörderischer Frieden. Aber davon - kein Wort. Auch wer als Muslim gilt, aber sich nicht wie ein „wahrer Muslim“ verhält, verhalten kann, hat vom Kalifat keine Toleranz zu erwarten.

Es ist eine Rede, wie von der identitären Bewegung und andere intellektuellen Nazis abgekupfert. Nur, dass nicht ein deutsches Volk bedroht sei, sondern „die Muslime“. Wie zum Hohn, um zu zeigen, dass sie sich nach der Kundgebung nicht mehr an das Verbot, ein Kalifat zu propagieren gebunden fühlen - welches ja auch nur für die Kundgebung galt, repostete „Muslim Interaktiv“ Samstagabend auf dem Kurznachrichtendienst X: Von einer „Initiative für Palästina“, @Initiative4p, diese Kurzbotschaft: „Während Europa einen Aufstieg nach der Abkehr von der katholischen Kirche erlebte, genoss die gesamte islamische Welt unter der Regierung des Kalifats, einschließlich der ansässigen Juden und Christen, ihre goldene Zeit. Daher ist es natürlich, dass wir Muslime zu diesen goldenen Zeiten zurückkehren wollen!“

Die Veranstaltungstechnik für ihre Kundgebung hat „Muslim Interaktiv“ offensichtlich bei „Music-24 event resource group-Veranstaltungstechnik“ gemietet. Diese Firma von Steven Wiechoczek hat ihren Sitz in Wismar in Mecklenburg. Wie es der Zufall so will, stand auch bei der zweiten islamistischen Kundgebung, die am 11. Mai 2024 in Hamburg stattfand, ein Technikwagen der gleichen Firma: Die neue Partei DAVA veranstaltete eine Kundgebung zu ihrer Kandidatur für die Europawahlen auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz: „Für Frieden und Familie ins Europaparlament!“ Oder wie Ali Ertan Toprak, Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde, auf X in seinem Account, @toprak_aliE, schrieb: „Am Samstag finden in Hamburg ZWEI islamistische Kundgebungen statt! Einmal eine extremistisch-islamistische und eine legalistisch-islamistische. Die Extremisten von „Muslim Interaktiv“ treffen sich auf dem Steindamm. Die legalistischen Islamisten von DAVA treffen sich am Rathaus“. Und vielleicht gibt es sogar eine Verbindung zwischen Beiden.

Kein Kalifat in Hamburg und auch nicht anderswo!

Gaston Kirsche

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