(Gegenwind 429, Juni 2024)
Gegenwind:
Kannst Du Dich als erstes vorstellen?
Marie-Louise Bando:
Ich bin Marie-Louise Bando, geboren 1991 in Kamerun. Ich werde morgen 33 Jahre alt. Ich bin vor 12 Jahren als Au-Pair-Mädchen nach Deutschland gekommen. Das habe ich ein Jahr gemacht, und danach habe ich mich für ein Studium entschieden. Ich bin nach Kiel umgezogen, das Au-Pair-Jahr war in Hamburg. Ich habe mit dem Deutschkurs ganz von vorne angefangen. Ich habe dazu drei Semester gebraucht, dann habe ich das DSH bestanden. Ich musste dann noch im Lektorat bleiben, weil der Studiengang erst im Herbst startete.
Ich habe dann im Wintersemester 2014 mit Wirtschaftsinformatik angefangen. Ich habe fünf Jahre Wirtschaftsinformatik studiert. Ich habe gedacht, es wird lockerer, aber man muss viel mehr Vorkenntnisse haben als ich dachte. Es war mein Fehler, dass ich einfach reingesprungen bin, ich musste zuerst alle Fachwörter lernen. Und es gab Rechenformate, die ich auf Französisch nicht kannte, und das auf Deutsch zu lernen war sehr kompliziert. Ich habe fünf Jahre zwischen den Semestern gependelt, dann habe ich gemerkt: Wenn Du im ersten Semester bist, du schreibst die Prüfung und schaffst es nicht,es lohnt sich einfach nicht die Prüfung im 3 Semester zu schreiben, da die Semester verbunden sind d.h. gerade Semester mit gerade Semester und ungerade Semester mit ungerade. Denn da darfst Du keine Prüfung schreiben, obwohl du die Vorlesungen besuchen kannst.
Letztlich musste ich das Studium verlassen, wegen des Moduls Algorithmen und Datenstruktur. Das war im Juli 2019. Ich habe mich gefragt: Was machst Du jetzt? Ich musste mir bis Ende Juli was Neues suchen. Ausbildung? Oder ein anderes Fach? Ich war in der Beratung. Die sagten mir, du kannst Deutsch, du bist schon Studentin bei uns, such ein anderes Fach aus. Ich habe trotzdem über eine Ausbildung nachgedacht, aber in welchem Bereich? Schon am Anfang, als Au-Pair-Mädchen, wollte ich eine Ausbildung machen. Denn alle meine Vorgängerinnen in der Familie haben eine Ausbildung im Pflegebereich gemacht. Das wollte ich nicht.
Ich habe dann mit Freunden an der Uni diskutiert, und sie haben BWL empfohlen. Aber sie sagten mir auch, das ist nicht so einfach, eine Freundin hatte es angefangen und musste dann raus, sie hat zu VWL gewechselt. Sie hat mir geraten, VWL, also Volkswirtschaftslehre zu studieren. Sie sagte auch, ich bin fleißig genug, ich schaffe das. Ich habe mich für VWL entschieden, habe nochmal von vorne mit Studium angefangen, und mit Glück habe ich nach genau drei Jahren die Bachelor-Prüfung bestanden.
Später habe ich das bedauert. Wenn ich von Anfang an VWL studiert hätte, hätte ich in der Zeit mindestens den Master gemacht. Ich war fünf Jahre in der Wirtschaftsinformatik, ich habe drei Jahre VWL gemacht, vielleicht hätte ich einen Doktor gemacht, wenn ich gleich mit VWL gestartet hätte.
Gegenwind:
Kann es sein, dass Du das später nachholst?
Marie-Louise Bando:
Nein, ich habe keinen Bock mehr. Ich bin schon 12 Jahre hier, und immer studieren geht nicht. Ich will jetzt mein Leben anfangen, später Kinder kriegen. Es wird langsam Zeit, ich bin schon 33. Die Uhr tickt.
Gegenwind:
Gehen wir noch mal zum Anfang: Du bist als Au-Pair nach Deutschland gekommen. Warum Deutschland?
Marie-Louise Bando:
Ich bin sehr neugierig. Bei uns in Kamerun lernen wir in der Schule die Geschichte der Welt. Wir haben auch den Zweiten Weltkrieg durchgenommen. Nicht nur ein Jahr, fast drei Jahre lang, bis zum Abiturjahr. Ich fand das nicht gut, aber ich wollte das Land sehen. Deutschland ist das Land des Zweiten Weltkriegs, ich war einfach neugierig, dieses Land zu besuchen.
Außerdem fand ich die Sprache sehr komisch. Im Gymnasium habe ich Spanisch zwei Jahre gelernt. Ich fand es auch super-schön, aber auf Deutsch war ich super-neugierig.
Gegenwind:
Wie viel Deutsch konntest Du, als Du nach Deutschland kamst?
Marie-Louise Bando:
Ich konnte schon viel, denn ich hatte schon mein Zertifikat Deutsch, bevor ich herkam. Ich konnte mich vorstellen, ich konnte nach dem Weg fragen, ich konnte schon viel. Meine Gastmutter meinte, von allen ihren Au-Pair-Mädchen, ich war die einzige, mit der sie sich unterhalten konnte. Die anderen haben nur Englisch gesprochen, und wir mussten uns mit Handzeichen verständigen, aber mit mir war es einfacher.
Gegenwind:
Hier in Deutschland kommen unter den afrikanischen Studentinnen und Studenten die meisten aus Kamerun, aus Ägypten oder Marokko oder Nigeria kommen weniger. Ist Deutschland in Kamerun besonders populär?
Marie-Louise Bando:
Ich glaube, es gibt eine gute Partnerschaft zwischen Deutschland und Kamerun. Deswegen kommen viele nach Deutschland. Die anderen Länder, die nach Deutschland kommen, um zu studieren, wie Nigeria, Ghana und andere, kommen nur, um ihren Master zu schreiben, da in Deutschland auch Englisch gesprochen wird und sie als englischsprachige Länder nicht verpflichtet sind, Deutschkurse zu machen. Das Deutsch, das sie lernen, wenn sie ankommen, ist nur, damit sie sich mit denjenigen, die kein Englisch sprechen, ein wenig ausdrücken und einkaufen gehen können.
Gegenwind:
Hast Du in Hamburg oder Kiel viele andere aus Kamerun kennen gelernt?
Marie-Louise Bando:
Ja, wir hatten ja eine Gemeinschaft hier. Der Verein existiert jetzt nicht mehr. Aber da habe ich die meisten kennen gelernt. Dadurch habe ich auch eine schöne Zeit in Kiel gehabt, und ich habe viele aus Kamerun erst in Deutschland kennen gelernt.
Gegenwind:
Helfen sich Menschen aus Kamerun gegenseitig?
Marie-Louise Bando:
Ja, sehr viel. Es gibt immer jemanden, der bei den ersten Schritten in Deutschland hilft, z. B. sich bei der Stadt anmelden, sich bei der Einwanderungsbehörde melden, einen Job suchen und vieles mehr.
Gegenwind:
Haben die Diskussionen mit der Ausländerbehörde immer geklappt?
Marie-Louise Bando:
Bei mir war es bis jetzt einfach. Ich habe Glück gehabt. Ich habe keine Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde gehabt. Beim Wechsel habe ich eine E-Mail geschickt, ich war fast zehn Jahre hier, und ich habe mitbekommen, dass man nur zehn Jahre dafür bekommt. Ich war als Au-Pair-Mädchen ein Jahr hier, für den Deutschkurs eineinhalb Jahre, fünf Jahre für das Studium der Wirtschaftsinformatik. Das sind schon siebeneinhalb Jahre, es blieben also für das nächste Studium nur zweieinhalb Jahre. Aber ich habe auch mitbekommen: Wenn Du beim Studium kurz vor dem Abschluss bist, stören sie Dich nicht. Sie lassen Dich dann alle Prüfungen schreiben. Also schickte ich lieber eine Mail, dass ich mein Fach wechseln muss, dass ich beraten wurde. Ich hatte Glück, sie haben nicht reagiert. Dann habe ich mein Ding durchgezogen. Irgendwann haben sie sich bei mir gemeldet. Aber ich war schon im dritten Semester, denn sie haben mir ein paar Fächer aus dem ersten Studium anerkannt. Ich hatte schon Punkte, bevor ich bei VWL eingestiegen bin. Ich war also im dritten Semester, aber nach den Papieren war ich schon im fünften Semester. Ich war kurz vor dem Bachelor. Sie schrieben, ich hätte gewechselt, warum ich nicht gefragt habe. Ich sagte, ich habe damals eine E-Mail geschickt. Ich habe im Postfach nachgesehen, ich hatte die Mail noch, ich habe sie nochmal geschickt und habe geschrieben, keiner von Euch hat mir geantwortet. Sie sagten dann okay, das war eine Erleichterung für mich.
Gegenwind:
Du hast ja Fächer gewählt, in denen mehr Jungs als Mädchen studieren.
Marie-Louise Bando:
Ja, ich lerne aber auch lieber mit Jungs als mit Mädchen.
Gegenwind:
Es gibt ja Studienfächer, die typisch für Jungs oder typisch für Mädchen sind. Aber das war nicht Dein Interesse?
Marie-Louise Bando:
Nein, ich habe mich entschieden.
Gegenwind:
Gab es denn Unterstützung? Konntest Du mit anderen zusammen lernen?
Marie-Louise Bando:
Nein. Es ist nicht einfach, mit Deutschen Kontakt zu bekommen. Ich habe ein Fach gewählt, wo ich fast die einzige Schwarze war. Und die Menschen hier haben eine andere Kultur. Wenn jemand neu ist, gehen in Kamerun alle zu dieser Person, wollen wissen, wer Du bist und woher Du kommt und warum Du da bist. Das ist in Deutschland nicht das Gleiche. Dir bleibt nur Deine eigene Gemeinschaft, jeder bleibt in seiner Gemeinschaft. Sie arbeiten nur mit denen zusammen, die sie von der Grundschule und vom Gymnasium kennen. Eine neue Person ist nicht willkommen. Ich war fast immer allein. Ich habe in der Uni maximal zwei oder drei Bekannte. Ich habe mich daran gewöhnt.
Gegenwind:
Wie war es dann zu Anfang in Hamburg? Hast Du da außerhalb der Familie Leute kennen gelernt?
Marie-Louise Bando:
Nein, nur die Familie habe ich kennen gelernt. Aber danach habe ich Leute aus Kamerun kennengelernt. Es ist sehr wichtig, dass unsere Gemeinschaft weiß, wer wir sind, damit sie im Falle von Problemen leicht mit unseren jeweiligen Familien in Kamerun in Kontakt treten können.
Gegenwind:
Aber jetzt hast Du es geschafft und hast Arbeit gefunden. Hattest Du eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche?
Marie-Louise Bando:
Ich habe ein bisschen getrickst, ich habe die Aufenthaltserlaubnis für das Studium länger behalten. Aber ich habe nach dem Studium nicht lange gesucht. Ich habe mein Bachelor im letzten Jahr am 13. Juli bestanden. Und schon im Juni habe ich eine Stelle an der Universität bekommen. Ich kam zur Vorstellung und sagte, ich studiere hier. Sie sagen, dann verstehst Du ja unser System besser, also kannst Du hier arbeiten.
Gegenwind:
Fühltest Du Dich in Hamburg und in Kiel willkommen?
Marie-Louise Bando:
Ja. Ich habe nie Probleme gehabt.
Gegenwind:
Ist Hamburg internationaler als Kiel?
Marie-Louise Bando:
Ja, Hamburg ist eine multikulturelle Stadt. Aber ich war nicht so viel unterwegs mit Menschen. Ich war viel mit der Familie unterwegs, in meiner Freizeit mit Bekannten aus Kamerun.
Gegenwind:
Hast Du noch Kontakt zu der Familie?
Marie-Louise Bando:
Ja. Die Kinder sind keine Kinder mehr. Der Junge ist jetzt selbst Student, der hat mit Jura angefangen, aber jetzt macht er VWL. Das Mädchen ist noch im Gymnasium. Sie kommen ohne mich klar, aber Kontakt habe ich immer noch.
Gegenwind:
Hast Du auch Bekannte außerhalb der kamerunischen Szene?
Marie-Louise Bando:
Ja, durch die Beschäftigung an der Uni habe ich einige Bekannte, nicht nur deutsche, aber es gibt hier viele gute Menschen.
Gegenwind:
Wie bist Du in Kontakt mit dem Projekt „Kluge Köpfe“ gekommen?
Marie-Louise Bando:
Den Kontakt hat eine Bekannte von mir hergestellt, Solange Mbih. Sie hat mich angerufen und gesagt: Marie, ich habe mitbekommen, dass Du Deinen Bachelor bestanden hast. Ich sagte: Ja, habe ich. Sie sagte, es gibt ein Projekt. Sie hatte eine Ausbildung gemacht und hatte am Projekt teilgenommen. Dann gab es ein Vorstellungsgespräch in der Nähe von Bahnhof, da war Rose Sekoh und noch zwei Frauen, eine war aus Kamerun und die andere aus Togo. Sie haben mich viel gefragt, woher ich komme, was ich studiert habe, sie fragten nach dem Lebenslauf. Und dann gab es die Preisverleihung.
Gegenwind:
Wie hat Dir die Veranstaltung gefallen?
Marie-Louise Bando:
Solch ein Projekt finde ich supergut. Es ist ein Projekt zur Motivation. Es ist für schwarze Menschen, die gebildet sind. Wir merken, wir sind alle gleich. Wir haben die Chance, hier zu sein, nütz die Chance, mach was Gutes für Dein Leben. Das ist für mich der Sinn dieses Projektes.
Gegenwind:
Willst Du weiter in Kontakt bleiben? Du ziehst ja für Deine neue Arbeit nach Baden-Württemberg.
Marie-Louise Bando:
Ja, Kontakt behalte ich natürlich.
Gegenwind:
Vielen Dank.
Interview: Reinhard Pohl