(Gegenwind 428, Mai 2024)

Unser Kreuz hat keine Haken

„Rechtgläubig“ - oder „rechts-gläubig“?

Vom Umgang mit Rechtsradikalen in den Kirche

Auf ihrer Frühjahresvollversammlung Ende Februar 2024 in Augsburg befassten sich die katholischen Bischöfe Deutschlands mit dem Thema Demokratie und Frieden. Abschließend veröffentlichten sie eine Erklärung unter dem Titel: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Besonders erfreulich: dieser Erklärung hat sich die „Evangelische Kirche in Deutschland“ (EKD) sofort angeschlossen. Damit haben die beiden großen Kirchen den völkischen Nationalismus deutlich verurteilt und dabei auch die rechtspopulistische AfD klar benannt. Das ist mehr als es die kirchliche und politische Öffentlichkeit in den letzten Jahren von ihnen gewohnt war und daher wert, aus dem verabschiedeten Text zunächst einmal ausführlich zu zitieren.

Erklärung der deutschen Bischöfe

„Wir sehen mit großer Sorge, dass sich radikales Denken verstärkt und sogar zum Hass auf Mitmenschen wird - vor allem aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder Hautfarbe, wegen des Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität.

Gegenwärtig stellt der Rechtsextremismus die größte Bedrohung extremistischer Art für unser Land und für Europa dar. ...Der Rechtsextremismus behauptet die Existenz von Völkern, die angeblich in ihrem ‚Wesen’ und in den kulturellen Lebensgestalten scharf von den anderen Völkern abgegrenzt werden können. Man spricht von ‚natürlichen' und ‚künstlichen' Nationen. Das Volk ist für diese Ideologie eine Abstammungs-, letztlich eine Blutsgemeinschaft. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit und kultureller Prägung wird von diesem Denken deshalb prinzipiell infrage gestellt, wenn nicht gar verworfen. Das Volk wird als ‚Ethnos' gedacht, als Gemeinschaft der ethnisch und kulturell Gleichen oder Ähnlichen. Dies ist die Ideologie des völkischen Nationalismus. Nach den Gräueln des Nationalsozialismus versteht unser Grundgesetz das Volk hingegen aus gutem Grund als ‚Demos', d. h. als Gemeinschaft der Gleichberechtigen, die auf der Grundlage der Menschen- und Bürgerrechte unsere Gesellschaft gemeinsam aufbauen und gestalten...

Für die Kirche aber ist klar: Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis der Menschenrechte. So ist die Menschenwürde der Ausgangs- und Zielpunkt des christlichen Menschenbildes. Dieses Denken hat auch in unserer Verfassung seinen Niederschlag gefunden...

Nach mehreren Radikalisierungsschüben dominiert inzwischen vor allem in der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) eine völkisch-nationalistische Gesinnung. Die AfD changiert zwischen einem echten Rechtsextremismus ... und einem Rechtspopulismus, der weniger radikal und grundsätzlich daherkommt. Der Rechtspopulismus ist der schillernde Rand des Rechtsextremismus. ... Leisten wir alle Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten! ...“

Gegen Traditionalismus - für Menschenrechte

Gemeinhin fordert der christliche Glaube der Katholischen und Evangelischen Kirche heute zu universaler Nächstenliebe und Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Unrecht auf.

Danach stünde sein Menschenbild, die „Gottebenbildlichkeit“ aller Menschen, im Widerspruch zu allen rechten Ideologien, deren Kern die fundamentale Ungleichwertigkeit von Menschen ist. Denn in neuester Zeit hat sich die katholische Kirche im „Zweite Vatikanische Konzil“ (1962 - 1965) darauf festgelegt, dass die international von den Staatengemeinschaften verabschiedeten Menschenrechte auch für sie verbindlich sind. Dazu gehört ebenso ihre grundsätzliche Akzeptanz von Demokratie und Religionsfreiheit.

Vieles von dem, was heute gängige Lehre der Kirchen ist, hätte allerdings noch vor gar nicht so langer Zeit als pure Ketzerei gegolten. Ein Blick in zweitausend Jahre kirchlicher und theologischer Auslegungsgeschichte der Bibel zeigt uns ganz deutlich auch „rechts-gläubige“ Tendenzen. So war zum Beispiel das evangelische wie katholische Glaubensspektrum noch im 19. Jahrhundert vom Antimodernismus geprägt. Die offizielle Katholische Kirche legte damals in dem „Ersten Vatikanischen Konzil“ (1869 - 1870) fest, dass ein religiöser Traditionalismus mit rechten Positionen die Kirche gegen Aufklärung, den Sozialismus und Religionsfreiheit stärken sollte. Hier finden heute innerhalb der Kirche Personen und Gruppen mit geschlossen rechtsextremem Weltbild ihre religiösen Anknüpfungspunkte.

Zu ihnen gehören die vielen neuen evangelikalen und pfingstlerisch-fundamentalistischen Bewegungen, die in erster Linie die Forderung nach Entpolitisierung der kirchlichen Lehre, bzw. des Evangeliums, stellen und sich dabei auf liturgische Ästhetik und eine streng auf das Persönliche begrenzte Individualmoral beschränken. Daneben zeigt sich eine ausgeprägte Betonung von als gottgewollt betrachtete Hierarchie: sie leiten aus der biblischen Schöpfungsordnung kulturelle und rassistische Unterschieden zwischen Menschen ab. Und drittens betonen sie in der exklusiven Stellung der traditionellen Familie eine aus der Schöpfung vorgegebene geschlechtsspezifische Rollenverteilung. In den entsprechenden wirtschaftspolitischen Konzepten ist folgerichtig die Familie als einzig vorgesehene Sozialabsicherung vorgesehen.

Für die Mitglieder und Mitläufer rechtsextremer politischer Gruppen und Parteien führt schließlich die Überzeugung, der eigene Glaube sei der einzig wahre, konsequent dazu, unumwunden in allem „Anderen“ etwas graduell Schlechteres und Minderes zu sehen. Die andere Konfession und Religion wird als „fremd“ und mit dem Eigenen unvereinbar verstanden. Abgewertet werden mit ihr die Menschen, die eine solche Lebensweise praktizieren, sie sind „Ungläubige“ und „Sünder“, die es zu bekämpfen gilt. Die Haltung, in biblischer Weise „den Sünder zu lieben, aber die Sünde zu hassen“, führt gerade nicht dazu, Menschen, die anders leben, als gleichberechtigte Gesprächspartner:innen in einem Streit der Überzeugungen zu akzeptieren. Andersdenkende - das können neben dem islamischen Nachbarn denn auch mal Bischöfe und sogar Papst Franziskus sein - werden nicht nur für einzelne Entscheidungen kritisiert, sondern als Personen verbal abgewertet und möglichst lächerlich gemacht.

Wie umgehen mit den Rechtsradikalen - drinnen und draußen?

Mehr und mehr tritt daher bei den offiziellen Kirchenleitungen angesichts der Wahlerfolge und hohen Umfragewerte der AfD das Problem auf, wie sie mit rechtsradikalen AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen umgehen sollen. Dürfen diese AfD-affinen Leute etwa Ämter in der Kirche erhalten, bzw. behalten? Bedarf es gar eines (neuen) „Radikalenerlasses“ im Raum der Kirche?

Diese Fragen stellt der evangelische Theologe Prof. Dr. Michael Haspel, von der Universität Erfurt, in einem Artikel der Zeitschrift „Feinschwarz“ vom Oktober 2023: „Was bedeutet es für die Kirche, wenn ... 30-50% der Menschen sowohl im gesellschaftlichen Umfeld als auch in den Gemeinden rechtspopulistische und rechtsextremistische Einstellungen haben, die den christlichen Grundüberzeugungen widersprechen? Kann man mit fremden- frauen-, demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Menschen überhaupt noch Kirche sein?“ Und er folgert: „Das ist das wirklich Schlimme: Es ist der Neuen Rechten in Teilen Ostdeutschlands gelungen, Fremden- und Demokratiefeindlichkeit, Anti-Feminismus und Gender-Kritik sowie Klimakatastrophenleugnung in Form des Ressentiments sowie abstruser Verschwörungsmythen und Rassismus als ‚normal' erscheinen zu lassen. Auf Tabubrüche erfolgt keine öffentliche oder kirchliche Reaktion mehr.“

Michael Haspel ruft die Kirchen in seinem Text dazu auf, das Problem konkret zu benennen. Sie sollten laut und deutlich sagen: „Wir haben ein Problem. Das ist groß und braun. Das ist nicht nur draußen vor der Kirchentür, sondern auch in der Kirche. Das wäre ein großer Schritt.“ Es reiche nicht, Verlautbarungen zu verabschieden und Arbeitshilfen online zu stellen, als ginge es nur um den Umgang mit den Rechtsradikalen außerhalb der Kirchen. Vielmehr bedürfe es einer Aktivierung in den eigenen Kirchenkreisen und Gemeinden.

Das Erstaunliche ist, dass über diese Probleme bisher in den Kirchen weitgehend geschwiegen wird. „Die Frage des braunen Elefanten in der Kirche - über den man nicht spricht - ist also nicht nur ein politisches und ethisches Problem ...“ Aus dieser theologischen Analyse folgert Michael Haspel für das alltägliche, praktische Leben der Christen in ihren Gemeinden: „Nach dieser ... Problemanzeige stellt sich natürlich ... die Frage, was man tun kann und was zu tun sei. Und die ist gar nicht trivial. Denn die Gemeinden und Kirchen müssen, wenn sie dieses Thema offensiv oder zumindest offen angehen, damit rechnen, dass es erhebliche Verwerfungen und Austritte, vielleicht sogar Abspaltungen geben wird. Schon bei dem klaren kirchlichen Bekenntnis zur Aufnahme von Geflüchteten 2015 und zur Seenotrettung von Migrant:innen gab es Austritte und Abmeldungen von Jugendlichen von der Konfirmationsvorbereitung (worüber auch nicht gesprochen wird). Vor Ort ist es oft schlicht so, dass die Pfarrpersonen es sich nicht leisten können, Gemeindeglieder oder gar Kirchenälteste zu verlieren und deshalb wegschauen, schweigen oder nur halbherzig reagieren“... Aber, so Michael Haspel: „Nichtstun ist keine Option.“

Die Lage
bei den Katholiken

Der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Joachim Unterländer, betont: „Wir teilen die Auffassung, dass die Ursachen für das Erstarken des Rechtsextremismus in der Gesellschaft im Sinne des christlichen Menschenbildes und der sozialen Gerechtigkeit angegangen werden müssen.“ In der Diözese Würzburg heißt es in einer Passage aus dem Jahr 2021 bereits sehr konkret, dass keine Verantwortung in der katholischen Kirche übernehmen darf, wer„ rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenrechtswidrige Auffassungen öffentlich kundgibt oder vertritt oder Mitglied von Organisationen und Parteien ist oder diese unterstützt, die diese Auffassungen vertreten“. Bisher habe man diese Regelung nicht anwenden müssen, sagt Bistumssprecher Bernhard Schweßinger. Die eigentliche Auseinandersetzung steht ihnen mithin noch bevor.

Die AfD unterdessen lässt auch nicht locker. Sie hat sich über das Bischofswort ganz offiziell beim Vatikan beschwert und dabei sich ausdrücklich auf das Konkordat von 1933, also den nach wie vor völkerrechtlich gültigen Vertrag des Vatikan mit dem Deutschen Reich, bezogen. Mit dem darin enthaltenen Artikel 32 hatte die nationalsozialistische Reichsregierung damals versucht „für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien aus(zu)schließen“. Den Bischöfen also einen Maulkorb angelegt. Man darf gespannt sein, wie sich dieser Widerspruch zum noch gültigen Vertrag aus der Nazizeit entwickelt.

Die Lage
bei den Protestanten

Etwas anders ist die Lage bei den Evangelischen Kirchen. Sie sind nicht in ähnlicher Weise an ein solches Vertragswerk gebunden: So konnte die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) dem Pfarrer Martin Michaelis aus Sachsen-Anhalt, der bei der anstehenden Kommunalwahl am 9. Juni als Parteiloser für den Stadtrat in Quedlinburg auf der AfD-Liste kandidiert, die Beauftragung entziehen und gegen ihn ein Disziplinarverfahren einleiten. Damit sind ihm Predigt und Sakramentsverwaltung (Taufe und Abendmahl) für die Dauer des Disziplinarverfahrens untersagt. Das Portal„ evangelisch.de“ zitiert aus dieser Entscheidung: „Ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer haben sich nicht nur in ihrer Amts-, sondern auch in ihrer Lebensführung so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird. Es handelt sich dabei um die Pflicht, alles zu unterlassen, was die Glaubwürdigkeit des persönlichen Zeugnisses und der Verkündigung der Kirche beschädigt. Wenn sie sich politisch betätigen, müssen sie erkennen lassen, dass das anvertraute Amt sie an alle Gemeindeglieder weist und mit der ganzen Kirche verbindet. Sie haben die Grenzen zu beachten, die sich hieraus für Art und Maß ihres politischen Handelns ergeben.“

Als Pfarrer sei Michaelis verpflichtet, gegen rechtsextremistische Positionen Stellung zu beziehen. Mit der Kandidatur für die AfD, deren Landesverbände in Sachsen-Anhalt und Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft werden, unterstütze Pfarrer Michaelis mutmaßlich die Programmatik der AfD, so heißt es weiter bei der EKM: „Er setzt den Anschein, als sei rechtsextremes Gedankengut, das sich gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und gegen das Rechtsstaatsprinzip richtet, vereinbar mit christlicher Theologie und Haltung. Der Anschein der Pflichtverletzung wird durch das öffentliche Auftreten von Pfarrer Michaelis zusammen mit bekannten Mitgliedern der rechtsextremen und neonazistischen Szene verstärkt.“ Michaelis will nach eigenen Angaben an seiner Kandidatur festhalten. Die Auffassung der EKM, dass die Programmatik der AfD mit christlichen Werten und seinem Amt als Pfarrer nicht vereinbar sei, habe er nicht zu vertreten. So seine Worte.

Die kommende kirchenpolitische und arbeitsrechtliche Entwicklung des Falles wird konfliktreich werden. Die Kirchenleitungen werden sich gehörig wappnen müssen: denn auch die „rechts-gläubigen“ Mitchristen können sich auf eine Menge Theologie und eine vielfältige christliche Tradition berufen. Erfreulicherweise hat in beiden großen Kirchen die theologische und kirchengeschichtliche Auseinandersetzung um die richtige christliche und politische Einstellung der Gemeindemitglieder, PastorInnen und BischöfInnen zu den Menschenrechten begonnen.

Edda und Helmut Lechner

https://www.katholisch.de/artikel/52071-kirchenrechtler-schueller-will-katholischen-radikalenerlass

https://www.feinschwarz.net/der-braune-elefant-kirche-im-rechtspopulismus/

Isabelle Ley, Tine Stein, Georg Essen, Hrsg. „Semper Reformanda; Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften auf dem Prüfstand“, Herder, 2023

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