(Gegenwind 428, Mai 2024)
Der Bundespräsident hat das „Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“ unterschrieben und am 26. März veröffentlicht. Damit tritt es am 27. Juni in Kraft. Anträge auf Einbürgerung, die danach entschieden werden, werden nach dem neuen Recht beurteilt - unabhängig davon, wann der Antrag gestellt wurde. Für die meisten hält die Gesetzesänderung Verbesserungen bereit. Für einige verschlechtern sich die Möglichkeiten.
Bei ausländischen Eltern, die das Kind in Deutschland zur Welt bringen, hat das Kind in bestimmten Fällen durch die Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Bisher war die Bedingungen, dass mindestens ein Elternteil acht Jahre hier lebt und einen unbefristeten Aufenthaltstitel hat, also eine Niederlassungserlaubnis oder einen Daueraufenthalt-EU. In Zukunft reichen fünf Jahre Aufenthalt, aber der unbefristete Titel bleibt. Insofern wird sich wenig ändern.
Allerdings bekommt das Kind auch die Staatsangehörigkeiten, die die Eltern vererben. Bisher musste sich das Kind in bestimmten Fällen als junge/r Erwachsene/r für eine Staatsangehörigkeit entscheiden, das entfällt jetzt ersatzlos.
Bisher gab es erst nach acht Jahren Aufenthalt einen Anspruch auf Einbürgerung - das ist jetzt schon nach fünf Jahren der Fall. Als Ehepartner:in einer oder eines Deutschland und bei besonders guter Integration (Sprachkenntnisse auf dem Niveau C1) ist die Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich.
Die bisher mögliche Verkürzung durch den erfolgreichen Besuch eines Integrationskurses entfällt. Der wird aber für die Einbürgerung vorausgesetzt, Ausnahmen gibt es für ehemalige Gastarbeiter:innen und Vertragsarbeiter:innen. Das gilt insbesondere für Sprachkenntnisse und den Bezug von SGB-II- und SGB-XII-Leistungen (Bürgergeld oder Grundsicherung).
Die Aufenthaltszeit darf nicht unterbrochen sein, wobei Auslandsaufenthalte unter sechs Monaten unschädlich sind. Ist man länger weg, kann man sich das auch vorher erlauben lassen.
Die bei der letzten Veränderung geforderte „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ wurde wieder gestrichen. Dafür muss man sich jetzt zur „historischen Verantwortung Deutschland für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges“ bekennen. (§ 10, Absatz 1, Punkt 1a)
Allerdings sollen Antisemit:innen und Rassist:innen nicht eingebürgert werden: „Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes.“ (§ 10, Absatz 1, Punkt 7)
Bisher musste man auch schon den Lebensunterhalt selbst sichern, außer man hatte den Bezug von Leistungen nicht zu vertreten. Diese Ausnahme wurde jetzt gestrichen. Stattdessen ist die Einbürgerung bei Leistungsbezug möglich, wenn man (1) ehemals Gastarbeiter:in oder Vertragsarbeiter:in ist oder (2) in den letzten 24 Monaten mindestens 20 Monate in Vollzeit gearbeitet hat oder (3) mit einem Erwerbstätigen und einem Kind in Lebensgemeinschaft oder verheiratet zusammen lebt.
Die Möglichkeiten für Kranke, eingebürgert zu werden, sind also ebenso gesunken wie für Alleinerziehende. Da das in den Anhörungen im Bundestag thematisiert wurde, aber die Mehrheit es nicht ändern wollte, ist es offensichtlich gewollt.
Für ehemalige Gastarbeiter:innen oder Vertragsarbeiter:innen reicht es, wenn sie sich „ohne nennenswerte Probleme im Alltagsleben“ auf Deutsch verständigen können. Ansonsten muss man, wenn man das B1-Zertifikat nicht vorlegen kann, nachweisen, dass man sich ernsthaft und nachhaltig bemüht hat.
Die Einbürgerung soll abgelehnt werden, wenn das Bekenntnis zum Grundgesetz zwar abgegeben wird, aber inhaltlich unrichtig ist - die Antragstellerin oder der Antragsteller also nicht ehrlich ist.
Außerdem soll es abgelehnt werden, wenn der Antragsteller mit mehreren Ehegattinnen verheiratet ist und/oder durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet. (§ 11)
Wie das konkret ausgelegt wird, muss die Zukunft zeigen. Es ist noch ein Prozess beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, weil ein Bewerber abgelehnt wurde, der sich weigerte, der Sachbearbeiterin beim Überreichen der Einbürgerungsurkunde die Hand zu geben.
Neu ist, dass die Einbürgerungsurkunde im Rahmen einer öffentlichen Einbürgerungsfeier ausgehändigt werden soll. Soll, nicht muss. Aber bisher war es oft so, dass Eingebürgerte die Urkunde sofort bekamen. Einige brauchen die auch schnell, weil sie Arbeit in Aussicht haben oder aus anderen Gründen die deutsche Staatsangehörigkeit nachweisen müssen.
Einbürgerungsfeiern liefen bisher meistens so ab, dass der Oberbürgermeister sich ein paar Ukrunden der letzten Monate nochmal auslieh und sie für das Foto „offiziell“ überreichte. So fand zum Beispiel in Kiel mit knapp 1.000 Einbürgerungen im Jahr nur eine Feier im Februar (für alle Eingebürgerten des Vorjahres) statt, so lange darauf zu warten ist nicht zumutbar.
Alle Regelungen, die die Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit oder den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung woanders vorsahen, sind schlicht aus dem Gesetz gestrichen worden. Es gibt in Bezug auf mehrere Staatsangehörigkeiten von deutscher Seite keinerlei Vorschriften mehr.
Das war bisher für viele Einwanderer aus Russland oder der Türkei ein Hindernis. EU-Ausländer:innen und solche aus Marokko, Tunesien, Afghanistan, Iran oder Syrien konnten auch bisher schon problemlos Doppel-Staatler:innen werden - jetzt also alle.
Der Verlust ist ähnlich wie bisher, aber komplett neu formuliert. Man verliert die Staatsangehörigkeit, wenn man sich einer fremden Armee oder einer Terrortruppe anschließt, sofern man eine andere Staatsangehörigkeit hat.
Man verliert sie aber auch, wenn man sie durch Vaterschaftsanerkennung oder Adoption erhalten hat, das aber später widerrufen wird.
Und man verliert sie, wenn man nur durch Täuschung oder Betrug eingebürgert wurde.
Um eingebürgert zu werden, muss man als Ausländer:in einen „passenden“ Aufenthaltstitel haben. Im Gesetz werden die Aufenthaltstitel aufgezählt, die nicht reichen.
Das sind die §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f - also Auszubildende oder Student:innen.
Dann sind es 17, 18f, 19, 19b, 19e oder 20, das sind Arbeitssuchende, Austausch-Wissenschaftler:innen und so weiter.
Dann sind es die §§ 22, 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und 104 c, das sind aufgenommene Flüchtlinge, Ukraine-Flüchtlinge, Flüchtlinge mit abgelehntem Asyl, aber humanitärer Aufenthaltserlaubnis.
Die müssen alle zunächst einen anderen Aufenthaltstitel bekommen, zum Beispiel zur Arbeit oder als Familienangehöriger, oder einen unbefristeten Titel (Niederlassungserlaubnis).
Eingebürgert wird nur, wer die eigene Identität belegen kann. Wer mit Pass und Visum eingereist ist, hat meistens keine Probleme. Probleme haben viele, die als Flüchtlinge gekommen sind - sie müssen nachträglich Geburtsurkunde und Pass beantragen und vorlegen, was oft schwierig ist. Einige Staaten geben solche Dokumente an Oppositionelle nicht heraus, andere können es nicht (wie Afghanistan oder Somalia).
Es gibt auch Ausländer:innen, denen der Staat abhanden gekommen ist, wie Staatsbürger:innen der Sowjetunion, Jugoslawiens oder der Tschechoslowakei.
Und dann gibt es auch Ausländer:innen, die die „eigene“ Botschaft nicht aufsuchen wollen, wie Flüchtlinge aus Eritrea, Jemen oder Iran.
Wer keine Dokumente hat, kann es auch mit anderen Unterlagen oder Zeugenaussagen versuchen. Es gibt laut einem Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgericht sogar die Möglichkeit, die eigene Identität selbst überzeugend zu erklären.
Viele Einbürgerungsbehörden waren schon bisher überfordert, weil die Zahl der Antragsteller:innen sieben Jahre nach der großen Flüchtlingsankunft 2015/16 stark zugenommen hat. Schon 2023 kamen mehr Anträge an als bearbeitet werden konnten, oft wurden Nachfragen gar nicht mehr beantwortet.
Jetzt wird sich die Zahl der Anträge verdreifachen oder vervierfachen. Das liegt an der Verkürzung der Aufenthaltszeiten. Und es liegt an der Hinnahme der Mehrstaatlichkeit. Viele, die bisher den Antrag nicht stellen konnten oder wegen der geforderten Aufgabe der Staatsangehörigkeit nicht wollten, stellen jetzt ihr Anträge - und überfordern die Behörde noch weiter.
Vielleicht wird sich der Verkürzung der geforderten Aufenthaltszeiten von acht auf fünf Jahre gar nicht auswirken, weil die Bearbeitungszeit entsprechend länger wird. Dann werden sich die neuen Regeln erst 2026 positiv auswirken.
Reinhard Pohl