(Gegenwind 424, Januar 2024)

Willkommenspaket von Holstein Kiel

Wohin wollen wir?

Hagebaumarkt Eckernförde richtet Storchenparkplatz ein

Brauchen wir in Schleswig-Holstein wieder mehr Geburtsstationen?

Über hundert Krankenhäuser gibt es in Schleswig-Holstein - aber nur noch sechzehn bieten eine Geburtsstation an. Vor zwanzig Jahren gab es noch 25 Geburtsstationen, vor 45 Jahren waren es 40 Kliniken. Von den verbliebenen Geburtsstationen sind nur zwei Drittel für Risikogeburten oder Mehrlingsgeburten qualifiziert, die anderen dürfen nur Schwangere aufnehmen, bei denen keine Komplikationen zu erwarten sind.

Die vielen Schließungen von Geburtsstationen in den letzten 20 Jahren führen für viele Schwangere dazu, dass die Wege länger werden. 2020 gab es nur noch 10 Geburtsstationen, die in diesem Jahr mehr als 1.000 Geburten betreuten:

Diako Flensburg (1842), Westküstenklinik Heide (1033), Imland-Klinik Rendsburg (1041), Städtisches Krankenhaus Kiel (1732), UKSH Kiel (1773), Sana Eutin (1003), Klinikum Itzehoe (1635), Regio Pinneberg (1164), UKSH Lübeck (1705) und Marienkrankenhaus Lübeck (1435). Kleine Geburtsstationen gibt es noch in Husum, Schleswig-Neumünster, Reinbek, Geesthacht und Bad Segeberg.

Die Liste der Schließungen in den letzten Jahren ist lang:

Die Schließungen wurden meistens finanziell begründet, das Vorhalten einer Geburtsstation lohnt sich nur bei einer ausreichenden Zahl von Geburten. Die Zahl der Geburten geht in Schleswig-Holstein seit langem zurück. Und viele Frauen bevorzugen vor allem bei Risikogeburten, die durch das steigende Durchschnittsalter der Mütter zunehmen, ein größeres Krankenhaus.

Die Krankenkassen übernehmen inzwischen auch Fahrtkosten und Unterbringung für die Geburt, zum Beispiel von Föhr oder Sylt nach Husum. Auf Sylt wird von der Landesregierung auch eine 24-Stunden-Bereitschaft von Hebammen gemeinsam mit den Gemeinden finanziert.

Außerdem sollen Hebammen besser ausgebildet werden, an der Uniklinik Lübeck wird eine akademische Ausbildung angeboten, 20 Studienplätze wurden dort neu geschaffen.

Vier Stufen

Geburtsstationen gibt es in vier Stufen.

Die Level-1-Stationen müssen alle Komplikationen und auch Mehrlingsgeburten ab drei Kindern bewältigen. Sie müssen mindestens sechs Intensivplätze für Neugeborene bereit halten. Davon haben wir fünf: Diako Flensburg, Klinikum Itzehoe, UKSH Kiel, UKSH Lübeck und Westküstenklinik Heide. Hier finden 60 % aller schleswig-holsteinischen Geburten statt.

Die Leven-2-Stationen müssen Frühgeburten ab 1250 Gramm bewältigen und vier Intensiv-Plätze bereithalten. Davon haben wir drei: FEK Neumünster, Imland Rendsburg und Städtisches in Kiel.

Die Level-3-Stationen müssen Frühgeburten ab 1.500 Gramm bewältigen und Neugeborene beatmen können, brauchen aber keinen Intensivplatz. Davon haben wir drei: Helios Schleswig, Regio Pinneberg und Sana Eutin.

Level-4-Stationen müssen keine Risikogeburten bewältigen können, sondern nur normale Geburten. Das sind immerhin 90 Prozent aller Geburten in Schleswig-Holstein, die ohne Komplikationen verlaufen. Davon haben wir fünf: Johanniter Geesthacht, Marien in Lübeck, Klinik Husum, St. Adolf in Reinbek und Am Kurpark in Bad Segeberg. Die geschlossenen Stationen in Ratzeburg, Eckernförde, Preetz und Henstedt-Ulzburg gehörten ebenfalls in diese Kategorien.

Ärztekammer und Kinderärteverband: Nur große Stationen erhalten

Die Ärztekammer und der Kinderärzteverband plädieren dafür, alle Geburtsstationen zu schließen, die weniger als 500 Geburten im Jahr haben. Da fehlt die Finanzierung für eine ausreichende Ausstattung, auch fehlt es an Routine.

Hebammen: Kleine Stationen bezuschussen

Dagegen plädieren die meisten Hebammen für den Erhalt kleinerer Stationen, die dann eher nahe an den Wohnorten der Mütter liegen. Sie haben auch letztes Jahr mehrere tausend Unterschriften für den Erhalt der Geburtsstation in Henstedt-Ulzburg gesammelt.

Krankenhausgesellschaft:
Fachkräftemangel

Die Krankenhausgesellschaft weist darauf hin, dass der Fachkräftemangel zunehmen wird. Da hätten kleinere Stationen für bestimmte Aufgaben nur noch ein oder zwei Fachkräfte, bei Krankheit von einer oder zwei Angestellten müsste dann die ganze Station schließen. Beispiele dafür sind Eckernförde und Preetz. Deshalb plädiert die Krankenhausgesellschaft für wenige, dafür größere Geburtsstationen.

40 Minuten

Es gibt einen Gemeinsamen Bundesausschuss, in dem Krankenkassenärzte und -zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen zusammen sitzen (www.g-ba.de). Dieses Selbstverwaltungsgremium empfiehlt, das Schwangere bis zu 40 Minuten Fahrt zumutbar ist, um eine Geburtsstation zu erreichen. Wie diese „40“ zustande gekommen ist, lässt sich kaum rekonstruieren, es ist eher eine politische Entscheidung.

In Schleswig-Holstein verzeichnen die Kliniken in Husum und Heide mit durchschnittlich 54,5 und 52,7 Minuten die höchsten Anfahrtswege. In Flensburg sind es immer noch 35 Minuten. Aber fast 96 Prozent aller Schwangeren sind tatsächlich in 40 Minuten oder schneller im Krankenhaus, durchschnittlich dauert es in Schleswig-Holstein 21 Minuten, nur 1,6 Prozent brauchen mehr als eine Stunde.

Für Schwangere auf Föhr oder Sylt bedeutet das, dass nach der Schließung der Geburtsstation in Niebüll die letzte Geburtsstation des Kreises in Husum nur mit dem Rettungshubschrauber in 40 Minuten erreichbar ist. Ein Rettungswagen, der auf die Fähre angewiesen ist, ist mindestens zwei Stunden unterwegs. Es gibt deshalb dort das Angebot, rechtzeitig vor der Geburt in eine klinik-eigene Wohnung in Husum, Heide oder Flensburg zu ziehen, um dann schnell ins Krankenhaus zu kommen, wenn es soweit ist.

Ähnlich die Situation in Schwansen: Nachdem die Geburtsstationen in Kappeln und Eckernförde geschlossen sind, braucht man als Schwangere von Brodersby an der Ostsee zur Uniklinik Kiel eine Stunde, das lässt sich mit einem Martinshorn auch nur um einige Minuten verkürzen.

Deshalb hat der Hagebaumarkt in Eckernförde, auf dessen Parkplatz nach der Schließung der Geburtsstation in der dortigen Imland-Klinik zweimal Rettungswagen Station machten, weil ein Baby sich nicht an die Vorgaben des Ausschusses halten wollte, dort ein Schild aufgestellt: „Storchenparkplatz“. Inzwischen hat dort fast die vierte Geburt stattgefunden. Jaro wollte am 1. Februar auch kommen, der Rettungswagen stand auf dem Storchenparkplatz. Dann sah es doch so aus, als würde man des noch zur Uniklinik in Kiel schaffen, und der Fahrer schaltete das Blaulicht ein und sprintete los. Er schaffte es fast - die Geburt erfolgte dann auf dem Standstreifen der B76 beim Holstein-Stadion in Kiel, was den Eltern noch ein „Willkommenspaket“ von Holstein Kiel einbrachte. Wohnort der Eltern ist übrigens Rabenkirchen-Faulück im Kreis Schleswig-Flensburg - 30 Minuten zur Imland-Klinik Eckernförde, aber 60 Minuten bis zur Uni-Klinik in Kiel. Und 50 Minuten bis zum Holstein-Stadion.

Die örtlichen Hebammen wiesen zwar darauf hin, dass ein Rettungswagen auf dem Parkplatz eines Baumarktes die Geburtsstation nicht ersetzt, leisteten aber trotzdem die nötige Unterstützung.

Problem für die Eltern und Großeltern

Eine weite Entfernung bedeutet dann für die Väter, Großeltern und alle anderen, die das neue Baby und dessen Mutter besuchen wollen, auch eine kleine Weltreise. Hier muss das Parlament, das den Haushalt beschließt, der Kreistag und auch die Steuerzahler:innen entscheiden, was ihnen eine wohnort-nahe Geburt wert ist.

Auf jeden Fall reichen die Fallpauschalen der Krankenkassen nicht aus, wenn eine Geburtsstation weniger 500 Geburten im Jahr abwickelt. Um eine solche Geburtstation zu erhalten, ist der politische Wille, verbunden mit Zuschüssen nötig. Der Wille und die Mittel fehlen im Moment, die Privatisierung der Kliniken wie zuletzt im Kreis Rendsburg-Eckernförde weisen eher in die genau umgekehrte Richtung: Private Kliniken bieten nur das an, was sie lohnt.

Überfüllte Kreißsäle

Die Schließung kleiner Stationen kann auch zu einer Überfüllung der nächsten größeren oder übrig gebliebenen Geburtsstation führen. Normalerweise soll es dort eine „Eins-zu-Eins-Betreuung“ der werdenden Mutter geben.

Schließungen werden aber nicht mit den größeren Stationen in der Umgebung abgesprochen. Es ist eher umgekehrt: Als sich die Probleme der Imland-Klinik ankündigten, schickten das Städtische Krankenhaus in Kiel und vermutlich auch das UKSG „Headhunter“, also Kopfjäger los, um Fachkräfte abzuwerben. Das bedeutet: Schon die Diskussion über eine Schließung kann die Abwerbung der knappen Fachkräfte bedeuten und damit die Schließung unabwendbar machen, so war es wohl in Preetz oder auch in Henstedt-Ulzburg. In Preetz handelt es sich nach der Lesart des Krankenhauses nur um eine „vorübergehende Schließung der Geburtsstation“, was in Zeiten des Fachkräftemangels ein frommer Wunsch bleiben dürfte - weg ist weg, denn die Fachkräfte müssen sich nirgends bewerben, sie werden von den Headhuntern gejagt. Sie werden bestimmt nicht so einfach zurückkehren, wenn über eine Wiedereröffnung diskutiert wird.

Mehr Geburten?

Durch die Aufnahme von Flüchtlingen kommen seit Jahren immer mehr junge Familien nach Schleswig-Holstein. Tendenziell wollen sogar mehr kommen, allerdings sind die Behörden bei der Bearbeitung von Visumanträgen oder auch Anerkennungen mitgebrachter Qualifikationen noch zu langsam, um alle Einwanderungswünsche wahr werden zu lassen.

Hatten wir 1991 in Schleswig-Holstein noch fast 29.000 Geburten, 1997 sogar über 29.000, sank die Zahl bis 2013 auf unter 22.000. Bereits 2016 waren es wieder mehr als 25.000, gerade Flüchtlingsfamilien bringen oft ältere Kinder mit, und nach ein paar Monaten in der Sicherheit Schleswig-Holsteins wächst der Wunsch nach einem neuen Kind. Auch 2021 gab es noch über 25.000 Geburten im Bundesland, 2022 sankt die Zahl leicht auf fast 24.000.

Im laufenden Jahr gab es bisher nur im Juli mehr als 2.000 Geburten, in allen anderen Monaten waren es leicht unter 2.000.

Übrigens: 2021 wurden von 25.000 Kindern, die im Bundesland geboren wurden, rund 21.400 in schleswig-holsteinischen Krankenhäusern zur Welt gebracht. Die übrigen kamen entweder zu Hause auf die Welt, in selten Fällen auf dem Parkplatz eines Baumarktes, aber dann oft auch in einem Krankenhaus in Hamburg, das viele Schwangere in Südholstein auch in weniger als einer Stunde erreichen können.

Rund 3000 Mütter gingen aus dem Kreis Segeberg in Hamburger Kliniken, 2400 aus dem Kreis Segeberg, 2600 aus Stormarn und 1000 aus dem Herzogtum Lauenburg.

Wer Einwanderung will, wer die Aufnahme von Flüchtlingen will, bekommt bei Erfolg junge Familien und mehr Kindern. Man muss dann nicht nur Wohnungsbau, Kitaplätze und Schulen mit planen, sondern auch Geburtsstationen.

Die zur Zeit gültigen Prognosen sagen allerdings, dass die Geburten die 25.000 im Jahr nicht mehr erreichen, sondern bis 2035 auf 22.600 im Jahr zurückgehen.

Reinhard Pohl

Die meisten Zahlen finden sich im Umdruck 20/1789 des Landtags Schleswig-Holstein.

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum