(Gegenwind 415, April 2023)
Seit dem 31. Dezember 2022 gibt es einen neuen Aufenthaltstitel: Das Chancen-Aufenthaltsrecht, das die Ampel-Regierung in Berlin entworfen hat. Der Bundestag hat es noch etwas großzügiger gestaltet als im Regierungsentwurf vorgesehen, und der Bundesrat hat es passieren lassen.
Nach dem neuen Aufenthaltsrecht können alle Menschen mit einer Duldung, die am 31. Oktober fünf Jahre oder länger in Deutschland lebten, eine Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate bekommen. Die üblichen Voraussetzungen (Pass, Visum, Arbeit, Deutschkenntnisse) gelten dafür nicht. Allerdings wird der Aufenthaltstitel nicht verlängert: Innerhalb dieser 18 Monate müssen die ehemals Geduldeten also die „normalen“ Voraussetzungen schaffen. Und nach dem Willen des Gesetzgebers wird dieses Chancen-Aufenthaltsrecht danach auch wieder komplett abgeschafft.
Begünstigt werden übrigens auch Familienangehörige, die im gleichen Haushalt leben, aber kürzer als fünf Jahre hier sind. Und ausgeschlossen sind Straftäter:innen sowie alle, die über ihre Identität getäuscht haben und nur deshalb noch geduldet hier leben, aber bei Klarheit über ihre Identität abgeschoben worden wären.
In Schleswig-Holstein leben rund 12.000 Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis, von denen rund die Hälfte länger als fünf Jahre hier sind.
Wie erfahren die Betroffenen davon? Geduldete können oft nicht zu Sprachkursen, weil die subventionierten Plätze meistens eine Aufenthaltserlaubnis voraussetzen. Im besten Fall informiert sie die Ausländerbehörde, die ja weiß, wer eine Duldung hat und länger als fünf Jahre hier lebt. Das kann aktiv per Brief geschehen oder auch beim nächsten Verlängerungstermin. Wie es in Schleswig-Holstein läuft, haben wir die Kreise und kreisfreien Städte am 7. März gefragt.
Aus dem Rathaus in Flensburg informiert uns Clemens Teschendorf, Pressesprecher der Stadt:
„Das Einwanderungsbüro Flensburg hat direkt zum Jahresanfang alle potentiell anspruchsberechtigten geduldeten Personen über die Möglichkeiten des neuen Chancen-Aufenthaltsrechtes proaktiv schriftlich informiert. Es wurde zudem ein sehr schlankes Antragsverfahren entwickelt, für das wir von den Migrationsberatungsstellen sehr positives Feedback erhalten haben.
Aktuell befinden sich knapp 100 Anträge in Prüfung - in Kürze wird es die ersten Bewilligungen geben.“
Aus dem Kreishaus in Eutin informiert uns Pressesprecher Thomas Jeck:
„Alle Geduldeten, die die Bedingungen erfüllen, werden bei Ablauf der bisherigen Duldung im Zuge der Verlängerung der Duldung über die Möglichkeit der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG informiert.
Es sind bereits Aufenthaltserlaubnisse nach § 104c AufenthG vergeben worden. Nähere Zahlen können ggf. nach Abschluss des 1. Quartals zur Verfügung gestellt werden.“
Aus dem Kreishaus in Itzehoe informiert und Pressesprecherin Britta Glatki:
„Da Duldungen regelhaft für einen kurzen Zeitraum ausgestellt werden, haben wir uns entschieden, den Hinweis und die Beratung zu § 104c AufthG jeweils individuell mit dem nächsten Termin des Kunden zu verbinden, um die Möglichkeiten aktiv und konkret einzelfallbezogen aufzuzeigen.
Bisher sind etwa 40 Anträge/Verfahren in Prüfung bzw. stehen vor der Bewilligung.“
Aus dem Kreishaus in Bad Segeberg informiert uns Pressesprecherin Sabrina Müller:
„Es wurden und werden alle in Betracht kommenden Personen informiert, die nicht nur die zeitlichen, sondern auch die gesetzlichen Voraussetzungen in Gänze erfüllen können.
Es konnten bereits einige der neuen Aufenthaltstitel erteilt werden. Die konkrete Zahl kann aufgrund eines hohen Krankenstandes in der Ausländerbehörde derzeit aber nicht umfassend abgefragt werden.“
Aus dem Kreishaus in Plön informiert uns Pressesprecherin Nicole Heyck:
„Ausländische Bürgerinnen und Bürger wurden allgemein durch die Presse, durch die ehrenamtlichen Betreuer, die Beratungsstellen, z. B. AWO Migrationsberatung in Preetz und Plön, über die Möglichkeit des Chancenaufenthaltsrechts informiert. Von Seiten der Ausländerbehörde wird bei der Verlängerung der Duldung die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht summarisch geprüft und die Personen werden dann entsprechend beraten. Bisher haben sich auch schon einige Duldungsinhaber bei der Ausländerbehörde eigenständig gemeldet und diese Aufenthaltserlaubnis beantragt bzw. sich darüber im Vorwege informiert.
Bisher wurden noch keine Aufenthaltstitel nach § 104 c AufenthG erteilt, da für die Antragsteller andere Aufenthaltstitel, bspw. gem. § 25 a oder b AufenthG, zur Anwendung kamen. Durch das Chancen-Aufenthaltsrecht wurde nämlich nicht nur der § 104 c AufenthG neu eingeführt, sondern es wurden auch die bestehenden Regelungen in den §§ 25 a und b AufenthG angepasst und die erforderlichen Aufenthaltszeiten verkürzt.“
Aus dem Kreishaus in Bad Oldesloe informiert uns Pressesprecher Michael Dreckhahn:
„Gesonderte Informationen (z.B. Infoschreiben an potentielle Antragsteller) wurden nicht verschickt. Wir beraten aber im Rahmen der regelmäßigen Vorsprachen und die Erfahrung zeigt, dass unsere Kundinnen und Kunden gut vernetzt und informiert sind.
49 Aufenthaltstitel nach § 104c wurden bereits erteilt; insgesamt sind bislang hier 104 Anträge eingegangen, 55 noch in Bearbeitung.“
Aus dem Kreishaus in Ratzeburg informiert uns Pressesprecher Tobias Frohnert:
„Im Kreis Herzogtum Lauenburg gibt es ca. 1200 Personen, die in Betracht kommen. Um eine Antragsflut zu vermeiden erfolgt die Information schrittweise und nicht gleichzeitig an alle.
Bisher wurde ein Aufenthaltstitel nach § 104 c AufenthG erteilt, 123 Anträge befinden sich noch in der Bearbeitung.
Ergänzende Informationen:
53 Beratungstermine zum Thema sind bisher vergeben worden, 32 fanden bereits statt. In 4 Fällen wurde direkt ein Titel nach § 25a bzw. § 25b AufenthG erteilt. Ein Antrag wird voraussichtlich abgelehnt (Anhörungsverfahren läuft, Voraussetzungen sind nicht erfüllt), ein Antrag wurde wegen eines laufenden Asylverfahrens zunächst zurückgestellt.
Die Betroffenen haben ab Stichtag 3 Jahre Zeit zur Antragstellung. In einigen Fällen, kann es für die Betroffenen von Vorteil sein, den Antrag nicht sofort zu stellen. Der Titel nach 104c ist gesetzlich auf 18 Monate befristet und kann nicht verlängert werden. Während dieser Zeit müssen die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a oder 25 b durch die Betroffenen geschaffen werden (falls diese Aufenthaltserlaubnis erreicht werden möchte). Das sind unter anderem Deutschkenntnisse mit Niveau A2 und die Sicherung des Lebensunterhaltes durch Erwerbstätigkeit. Wer seinen Antrag also etwas später stellt, hat mehr Zeit um diese Voraussetzungen zu erfüllen. Meine Ausländerbehörde berät hierzu auch entsprechend.
Meine Ausländerbehörde ist seit Beginn der Fluchtbewegungen aus der Ukraine im vergangenen Frühjahr stark ausgelastet. Nichtsdestotrotz werden die 104c-Fälle bearbeitet. Jedoch kann es hier durchaus zu Wartezeiten und Verzögerungen kommen.“
Aus dem Kreishaus in Elmshorn informiert uns Pressesprecherin Katja Wohlers:
„Alle geduldeten Personen, die für das Chancenaufenthaltsrecht in Frage kommen, werden im Rahmen der regelmäßigen Terminvorsprachen zur Verlängerung der Duldung systematisch auf diese Möglichkeit hingewiesen. Auf Wunsch wird die erforderliche Antragstellung hierbei sofort in die Wege geleitet. Bei zu erwartenden 500 bis 600 Antragstellenden ist eine Umsetzung aufgrund der vorhandenen Terminkapazitäten nicht anders möglich.
Es wurden seit Anfang Februar bisher rund 130 Aufenthaltserlaubnisse nach §104c erteilt. Der Aufenthaltstitel kann aber erst nach Ausfertigung durch die Bundesdruckerei nach ca. 6 bis 8 Wochen ausgehändigt werden. Daher sind die Betroffenen meist noch im Besitz ihrer Duldungen.“
Aus dem Kreishaus in Husum informiert uns Pressesprecher Hans-Martin Slopianka:
„Alle rund 300 im Kreis Nordfriesland in Betracht kommenden Personen sind bereits informiert. Bislang haben 181 Personen einen Antrag auf das Chancen-Aufenthaltsrecht gestellt. Zwölf Termine zur Biometriedaten-Aufnahme haben stattgefunden. Zahlreiche weitere Anspruchsberechtigte haben Termine für die kommenden Wochen erhalten. Im Anschluss an einen solchen Termin kann der Aufenthaltstitel bei der Bundesdruckerei bestellt werden.
Die tatsächliche Aushändigung eines Aufenthaltstitels hat jedoch noch nicht stattgefunden, weil eine Bestellung bei der Bundesdruckerei erst seit Mitte Februar technisch möglich ist und die Lieferzeit ca. drei Wochen beträgt.“
Aus dem Kreishaus in Schleswig informiert uns Pressesprecher Marco Wolter:
„Über das Chancen-Aufenthaltsrecht wurde auf der Homepage des Kreises informiert, zusätzlich erfolgte eine entsprechende Pressemitteilung.
Bislang wurde noch kein Aufenthaltstitel nach § 104 c Aufenthaltsgesetz erteilt.“
Aus dem Kreishaus in Heide informiert uns Pressesprecherin Melanie Kaacksteen:
„Potenziell begünstigte Personen nach § 104c AufenthG werden im Rahmen der Duldungsverlängerung über das Chancen-Aufenthaltsrecht informiert und gebeten bei Interesse einen Termin für ein ausführliches Beratungsgespräch zu buchen. Laut Erlasslage des Landes Schleswig-Holstein ist die Ausländerbehörde nicht verpflichtet, alle potenziell begünstigen Personen sofort, also nach Inkrafttreten des Gesetzes, zu informieren. Dies wäre auch nicht praktikabel.
Es wurden bisher 4 Fälle positiv entschieden.“
Aus dem Rathaus der Hansestadt informiert uns die Pressesprecherin Nicole Dorel:
„Jede Person, die in der Ausländerbehörde vorspricht und unter die neue Norm fallen wird, wird von uns darauf hingewiesen. Einen entsprechenden Antrag lassen wir ggf. vor Ort direkt ausfüllen.
Mit Stichtag 14. März wurden bereits 31 Aufenthaltstitel nach dieser Norm erteilt.“
Aus dem Kreishaus informiert uns Christian Ströh aus der Zuwanderungsabteilung:
„Die Zuwanderungsbehörde des Kreises Rendsburg-Eckernförde schreibt aktuell und in den kommenden Wochen alle (potentiellen) Antragstellenden an und informiert über die Möglichkeit der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Aufenthaltsgesetz. Der Personenkreis der potentiellen Antragstellenden wurde vorab anhand der bekannten Erteilungskriterien (Besitz einer Duldung, ununterbrochener Aufenthalt seit 5 Jahren - Stichtag 31.10.2022, keine strafrechtlichen Vorverurteilungen) ermittelt.
Es wurde bisher in 15 Fällen, den gestellten Anträgen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 104c AufenthG entsprochen. Die entsprechenden Aufenthaltstitel wurden bei der Bundesdruckerei in Berlin bestellt.“
Aus dem Rathaus informiert uns Pressesprecherin Kerstin Graupner:
„Der Personenkreis wird bei Vorsprache über die Möglichkeit der Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG informiert. Sofern die Verlängerung von bereits bestehenden Aufenthaltstiteln ausgeschlossen ist, wird in den Anhörungen und Bescheiden auf die Möglichkeit der Antragstellung nach § 104c AufenthG nach Ablauf der Ausreisefrist hingewiesen, da erst dann die materiellen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Seit Inkrafttreten am 31.12.2022 wurden bisher 174 Anträge auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gestellt. Davon wurden 139 Anträgen stattgegeben, 10 weitere wurden abgelehnt. Die Different der Anträge befindet sich noch in der Prüfung bzw. im Anhörungsverfahren.“
Aus Neumünster bekamen wir keine Antwort.
Die Landesregierung hat diesmal ausführlich vorgegeben, dass Betroffene informiert und beraten werden sollen. Uns wurde von Beratungsstellen gesagt, dass diese Beratung teils sehr ausführlich ist und über das hinausgeht, was die Kreise oder Ausländerbehörden oben mitteilen. So wird nicht nur über das Chancen-Aufenthaltsrecht informiert, sondern auch über die Altfallregelung oder das Aufenthaltsrecht für gut integrierte Jugendliche.
Für die Ausländerbehörde zahlt sich diese Beratung auch aus: Während Geduldete alle drei oder sechs Monate vorsprechen müssen, vereinbaren die Inhaber:innen einer Aufenthaltserlaubnis den nächsten Termin erst in 18 oder 36 Monaten, je nach Laufzeit. Und sie müssen auch sonst weniger Anträge stellen, die Verwaltung wird einfacher.
Es ist zu hoffen, dass sich die Zahl der Geduldeten - jetzt rund 12.000 in Schleswig-Holstein, fast 250.000 bundesweit - signifikant verringert. Bei guter Beratung ist es auch möglich, dass die Inhaber:innen eines Chancen-Aufenthaltsrechts 18 Monate später das vorgesehene „richtige“ Aufenthaltsrecht erhalten.
Ein Manko der Regelung bleibt der feste Stichtag: Nur wer am 31. Oktober 2022 fünf Jahre hier war, kann diese Chance nutzen. So ist es gut möglich, dass wir in drei Jahren wieder die hohe Zahl von 250.000 Geduldeten erreichen und die Diskussionen über eine neue Regelung starten.
Reinhard Pohl
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