(Gegenwind 414, März 2023)


Das Städtchen Marjinka wurde von der russischen Armee im März 2022 angegriffen. Die ungefähr 10.000 russisch-sprachigen Einwohner:innen flohen. Im September hatte die russische Armee das Städtchen ungefähr zur Hälfte, bis zur Hauptstraße, erobert.. Bis Februar 2023 gelang es den russischen Truppen trotz hoher Verluste nicht, weiter vorzurücken. Seit Februar 2023 zerstört Russland mit Panzern Haus für Haus und versucht so, jede Woche 20 Meter vorzurücken. Die Front verläuft seit einem Jahr quer durch die Stadt, die etwas südlich von Bachmut liegt. (Das Foto veröffentlichte „Mischa“, ein russischer Freiwilliger, bei „telegram“.

Putin Krieg schon länger als ein Jahr:

Nun also Panzer

Friedensdemonstrationen fordern: Kein Tag länger

Am 24. Februar 2022 hat die russische Armee die Ukraine angegriffen. Rund 40 % des Landes wurde besetzt, danach könnte die Ukraine sich erfolgreich wehren. Bis zum Sommer 2022 wurde ungefähr die Hälfte des besetzten Gebietes wieder befreit. Besetzt blieben grenznahe Regionen im Osten des Landes und Teiles des Küstengebietes am Schwarzen Meer sowie die Halbinsel Krim.

Die Unterstützung der Ukraine durch die Demokratien Westeuropas war von Anfang an umstritten. Insbesondere in Deutschland war die Bundeswehr der Meinung, eine Unterstützung würde sich nicht lohnen: Die Ukraine wäre zu schwach, um der russischen Armee Widerstand zu leisten. Diese Meinung änderte sich schon im März. Er zeigte sich, dass die russische Armee von Korruption zerfressen war und über eine vollkommen veraltete Kommandostruktur verfügte, die es der Ukraine erleichterte, den Angriff zu zerschlagen.

Die Unterstützung der Ukraine wurde Schritt für Schritt gesteigert. Anfangs wurden nur leichte Waffen geliefert, darunter aber sehr moderne und effektive Panzer-Abwehrraketen. Der Einsatz wurde erleichtert durch die völkische Ideologie der russischen Führung, die in allen Ukrainer:innen „Kleinrussen“ sah. Man rechnete damit, die vorrückenden Truppen würden begrüßt.

Als der Angriff im April scheiterte, konzentrierte sich die russische Armee im zweiten Anlauf auf den Süden und Osten der Ukraine. Dort ist die Bevölkerung überwiegend russisch-sprachig. Doch man wählte die Taktik, nur sehr sehr langsam vorzurücken und das Gebiet, das man besetzen wollte, mit der Artillerie vorher gründlich zu zerstören. 40.000 Granaten und Raketen pro Tag wurde auf die ukrainischen Orte in Frontnähe abgefeuert, bevor die Soldaten langsam nachrückten.

Die Demokratien lieferten der Ukraine jetzt auch Artilleriegeschütze. Deutschland lieferte Panzerhaubitzen, Gepard-Luftabwehrpanzer und MARS-Raketenwerfen. Alle haben den Vorteil, dass man Lenkgeschosse einsetzen kann. Man braucht also viel weniger Munition und kann gegnerische Fahrzeuge und Befehlsstände punktgenau treffen. Der Ukraine gelang es so, die Nachschublinien, Munitionslager und Befehlsstände der russischen Armee zu vernichten und dann schnell vorzurücken - südlich von Charkiv oder auch rund um Cherson brachen die russischen Besatzungstruppen schnell zusammen und flohen.

Leopard-Panzer

Ab März 2023 sollen Leopard-Kampfpanzer geliefert werden, nachdem schon Marder-Schützenpanzer zugesagt wurden. Das ist logisch, denn beide gehören zusammen. Die Bundesregierung zögerte, bis auch Großbritannien und die USA Panzer zugesagt hatten - was politisch begründet ist. Militärisch ergibt es keinen Sinn, weil die ukrainische Armee gleichartige Panzer (Leopard-I und Leopard-II) einfacher einsetzen kann als verschiedene Modell. Vom britischen Challenger-Panzer werden aber nur wenige geliefert, vom us-amerikanischen Abrams-Panzer ebenfalls, diese werden auch 2023 erst hergestellt.

Die russische Führung reagierte auf die Ankündigungen zwiespältig. Einerseits wurde gesagt, das habe keine Bedeutung, weil insbesondere die Leopard-I-Panzer zu alt wären. Das wurde von einigen Anhänger:innen unreflektiert wiederholt, es stimmt nämlich nicht: die von Russland eingesetzten sowjetischen Panzer sind natürlich älter oder gleich alt.

Andererseits wurde insbesondere die Bundesregierung von Russland, das den Krieg ohne jede Provokation begonnen hatte, der Verschärfung des Krieges beschuldigt. Das ist unsinnig und passt auch nicht zusammen. Aber die wirkliche Meinung der russischen Führung zeigte sich darin, dass sie eine offenbar für März geplante Offensive im Donbass um einen Monat vorzog, was im Februar zu hohen Verlusten unter den schlecht vorbereiteten russischen Truppen führte.

Wie steht es um die russischen Panzer?

Zu Beginn des Krieges hatte Russland rund 3.000 Kampfpanzer, zumeist sehr alte. Davon hat die russische Armee die Hälfte verloren, über 1.000 wurden zerstört, über 500 von der Ukraine erbeutet, sie werden jetzt gegen die russische Armee eingesetzt.

Musste die Ukraine Armee im März und April vorigen Jahres die russischen Panzer einzeln mit Anti-Panzer-Raketen abschießen, bekam sie im Sommer 155-mm-Artillerie aus westlicher Produktion und im September RAAM-Granaten. Damit werden Bereitstellungsräume von Panzern angegriffen, nachdem die ukrainischen Anwohner:innen in den besetzten Gebieten sie gemeldet haben. Jede RAAM-Granate setzt neun Anti-Panzer-Minen frei. Dohnen-Aufnahmen und Satelliten-Bilder zeigen, dass im Januar und Februar viele russische Panzer in den Bereitsstellungräumen zerstört wurden, also gar nicht bis zur Front kamen.

Außerdem zeigen die russischen Panzer eklatante Schwächen. Das ist auf die hohe Korruption zurückzuführen. Viele Modernisierungen und Wartungen wurden wohl bezahlt, aber nicht ausgeführt. So kündigte das Oberkommando (die russische Armee hat seit Februar 2022 den siebten Oberkommandierenden) im Januar 2023 an, neue T14-Panzer an die Front in der Ostukraine liefern zu wollen. Die meisten Kommandeure an der Front lehnten das ab, weil diese Panzer viel zu oft liegen bleiben.

Das größte Problem kann man in den Videos des österreichischen Bundesheeres sehen, dort wird der Krieg beobachtet und regelmäßig Drohnen-Aufnahmen von der Front kommentiert. Die russischen Panzerkommandanten fahren und schießen nur auf Befehl. Wird das Führungsfahrzeug getroffen, agieren die übrigen Panzer der Kolonne „kopflos“. Dagegen sind die ukrainischen Soldaten im Westen ausgebildet, um selbständig zu agieren. In der Bundeswehr wurde ein Video rumgereicht, das die Begegnung eines Gepard-Panzers mit einem russischen T72-Panzer zeigte. Der Gepard-Kommandant feuerte eine Flugabwehrgranate direkt auf den russischen Panzer ab, der explodierte, während der russische Panzer ohne Befehl nicht schoss.

Verluste

Russland setzt im Moment die wenigen verbliebenen ausgebildeten Soldaten ein, davon stehen vermutlich noch 50.000 in der Ukraine rund 290.000 ukrainischen Soldaten gegenüber. Die russischen Soldaten werden von 300.000 nicht ausgebildeten Reservisten unterstützt, außerdem von rund 50.000 freigelassenen Häftlingen („Wagner-Söldner“), die ebenfalls nicht ausgebildet sind.

Die Satellitenaufnahmen zeigen, dass die russische Armee seit September 2022 im Donbass langsam vorrückt, Ziel ist zum Beispiel die Besetzung von Bachmut. Hier verlor Russland bisher rund 40.000 Soldaten, die Ukraine rund 5.000 Soldaten. Der Ort selbst ist fast vollkommen zerstört, die Ukraine verteidigt ihn nach eigenen Angaben nur, weil er von so vielen schlecht oder gar nicht ausgebildeten Soldaten angegriffen wird.

Der britische Geheimdienst hat nach Auswertung aller Aufnahmen ausgerechnet, dass die russische Armee für das Vorrücken um 100 Meter durchschnittlich 2.000 Soldaten verliert.

Wie kann man den Krieg beenden?

Zur Zeit lehnt Putin alle Verhandlungen ab. Präsident Selenskyj bietet in regelmäßigen Abständen Verhandlungen an, auch Olaf Scholz und Emmanuel Macron telefonieren regelmäßig mit Putin, um eine Verhandlungsbereitschaft rechtzeitig zu erkennen.

Die Verluste Russlands sollen nach den Plänen Putins durch die Rekrutierung neuer Soldaten und die Aufbereitung alter Panzer ausgeglichen werden, bis 2024 will man die Armee um 500.000 Soldaten verstärken und jeden Monat 200 der rund 9.000 eingelagerten Panzer aus den 1960er Jahren wieder instand setzen.

Die Ukraine setzt darauf, nach der Lieferung von westlichen Panzern wieder die russische Front durchbrechen zu können, wie schon im Juli und Oktober letzten Jahren, und dadurch weitere besetzte Gebiete zu befreien. Das ist besonders wichtig, weil dort mindestens 31 große Lager existieren, in denen gefangene Ukrainer:innen gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden. Mindestens 16.000 Kinder wurden bisher entführt und von russischen Familien adoptiert.

Falls bis Mai oder Juni genug westliche Waffen da sind, könnte es der Ukraine gelingen, weitere Gebiete zu befreien und dem Morden und der Entführungen ein Ende zu setzen. Die Bundesregierung hofft zusätzlich, dass sich durch ukrainische Erfolge die Haltung der russischen Führung ändert und man in Moskau doch zur Verhandlungen bereit ist.

Diskussion in Deutschland

In Deutschland gibt es eine stabile Mehrheit für die Unterstützung der Ukraine. Zwei Drittel der hier lebenden ukrainischen Flüchtlinge kommen aus den russisch besetzten Gebieten, sie wissen und berichten, wie es dort steht.

Die Unterstützer Putins wie die AfD-Führung oder Teile der Linken um Sahra Wagenknecht sind inzwischen dazu übergangen, den russischen Angriff zumindest mit einem Satz zu verurteilen, bevor sie dann fordern, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben (dann könnte Russland auch wieder Panzer herstellen) oder auch die Unterstützung der Ukraine zu beschränken.

Im Ergebnis würde das den Krieg unabsehbar verlängern: Wenn es gelingt, die überlegene ukrainische Armee zu schwächen und es gleichzeitig Russland ermöglicht, wieder neue Waffen herzustellen, kann Russland bis 2024 oder 2025 wieder ein Gleichgewicht herstellen und vielleicht weitere Gebiete in der Ukraine erobern.

1941 bis 1945 hatte Deutschland die Ukraine besetzt und dort mindestens 3 Millionen Menschen ermordet. Von den „sowjetischen“ Zwangsarbeiter:innen in Deutschland waren rund zwei Drittel Ukrainer:innen. Insofern ergibt sich aus der Geschichte die Pflicht, jetzt der Ukraine beizustehen.

Da sich der Zweite Weltkrieg auch gegen Russland richtete, hat Deutschland mit der Ukraine vereinbart, dass die Leopard-Panzer zwar geliefert werden, aber nicht gegen Russland eingesetzt werden dürfen. Das ist auch für die anderen Waffen vereinbart worden, und die Ukraine hat sich peinlich genau an diese Vereinbarung gehalten.

Reinhard Pohl

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