(Gegenwind 413, Februar 2023)

Mit dem E-Trike auf Verbundzustelltour

Mit dem E-Trike auf Verbundzustelltour

Die Zustellprobleme bei der Post in Deutschland sind eine Folge von Deregulierung und Arbeitsverdichtung. Jetzt, Ende Januar, streiken Postbeschäftigte für eine Lohnerhöhung um 15 Prozent. Ein Blick in die Arbeitswirklichkeit zeigt, wie nötig attraktivere Löhne bei der Post sind, damit mehr Lohnabhängige dort arbeiten wollen, um Pakete und Postsendungen auszutragen. Und damit die hochverdichtete Arbeit besser bezahlt wird.

Beschäftigte der Deutschen Post im Norden haben am 19. und 20. Januar gestreikt. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hatte die Beschäftigten bei der Deutschen Post AG in den Briefzentren und Paketzentren in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zu gezielten Warnstreiks aufgerufen. Im Norden blieben damit bis zu 1 Million Postsendungen ein bis zwei Tage länger liegen. Für den Streik gibt es gute Gründe: „Höchste Zeit, dass die rund 160.000 Tarifbeschäftigten bei der Deutschen Post AG eine ordentliche Tariferhöhung erhalten. Der Konzern erwartet für das Jahr 2022 ein neues Rekordergebnis von etwa 8,4 Milliarden Euro. Diesen Erfolg verdankt das Unternehmen der Arbeit der Beschäftigten. Das werden unsere Mitglieder in den nächsten Tagen deutlich machen“, erklärte der ver.di Fachbereichsleiter Postdienste Hamburg und Nord, Lars-Uwe Rieck unmittelbar vor dem Streik am 19. Januar.

ver.di fordert eine Entgelterhöhung von 15 Prozent sowie eine Erhöhung der Vergütung der Auszubildenden und dual Studierenden um 200 Euro pro Monat, bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Darüber hinaus soll die Postzulage für die verbeamteten Postbeschäftigten fortgeschrieben werden, die es noch aus den Zeiten gibt, als die Post noch ein staatlicher Betrieb war. Die Postzulage ist eine postspezifische Form der Sonderzahlung für Bundesbeamte.

In Hamburg beteiligten sich nach Angaben von ver.di etwa 140 und in Schleswig-Holstein bis zu 100 Postbeschäftigte an dem vorerst punktuellen Streik am 19. und 20. Januar. In Schleswig-Holstein gab es Warnstreiks in den Briefzentren Kiel und Elmshorn sowie dem Paketzentrum Neumünster. In Hamburg wurden im Briefzentrum am Kaltenkirchener Platz im Stadtteil Altona sowie im Briefzentrum Süd in Hausbruch die Arbeit niedergelegt. Effektive Nadelstiche, welche die Auslieferung erheblich lahmlegten. Und den Unmut und die Entschlossenheit unter den Beschäftigten der Post AG zeigten.

Denn bei der Deutschen Post AG müssen Beschäftigte wegen Personalmangels häufig Mehrarbeit erledigen - und die Löhne sind nicht hoch. Bei einem Einstiegsgehalt von 2.400 Euro brutto gibt es andere Jobs, die nicht so anstrengend sind.

Aber in den jetzt laufenden Tarifverhandlungen gibt es derzeit keine Fortschritte, die Arbeitgeberseite mauert. Eine Einigung für die rund 160.000 Tarifbeschäftigten ist nicht in Sicht: „Die Arbeitgeber haben sich sehr deutlich geäußert, dass sie nicht bereit sind, den Reallohnverlust und die Inflation auszugleichen“, erklärte ver.di-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis. Aber die Forderungen seien „notwendig, gerecht und machbar“.

Ver.di kündigte weitere Aktionen vor der nächsten Verhandlungsrunde am 8. und 9. Februar an, um den Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen.

Deren Verweigerungshaltung ist erstaunlich, da die Deutsche Post AG zwar für hohe Einnahmen und Gewinne, aber nicht gerade dafür bekannt ist, zuverlässig zu sein und genügend Beschäftigte zu haben, welche Postsendungen und Paketen tatsächlich reibungslos ausliefern können. Immer wieder gibt es Beschwerden über nicht oder sehr verspätet zugestellte Sendungen. Auch bei der Auslieferung des Gegenwind als Postvertriebsstück ist es schon zu Verzögerungen gekommen. „In den vergangenen Monaten ist es in einzelnen Regionen zu Unregelmäßigkeiten bei der Zustellung gekommen“, so Jessica Balleer von der Deutsche Post DHL Group zum Autor: Das habe vor allem an der angespannten Personalsituation durch Corona und dem dadurch bedingten, hohen Krankenstand gelegen. Und erstmal die offensichtlich unerwartete Häufung von Urlaubs- und Ferienzeiten! Claudia Vitte*, Briefzustellerin und ver.di-Betriebsrätin in einem Zustellstützpunkt in Sachsen-Anhalt, bemerkte im Gespräch mit dem Autor dazu nur: „Schlimm, dass sich die Post mit Corona und Urlaub rechtfertigt - das mögen Indikatoren sein, sind aber längst nicht die Hauptgründe für die Misere bei der Post im Bereich Zustellung“.

Die desolate Lage bei der Post ist denn auch alles andere als nur ein vorübergehendes Problem. So forderten bereits im November 2021 fast zwei Drittel aller Zusteller*innen im Postamt in Harburg, einem Stadtteil im Süden von Hamburg, in einer Beschwerde eine Verbesserung der „gesundheitsgefährdenden Zustände“ durch Arbeitsüberlastung. Weil es zu wenig Briefe zum Zustellen gäbe, hat sich das Postmanagement bundesweit dafür entschieden, Touren zusammenzulegen und zu verlängern. Ende September 2021 wurden die zeitlichen und örtlichen Vorgaben der Touren in Harburg neu bemessen, die angestammten Touren fielen weg, die Zustellung wird flexibilisiert, die Zustellgebiete sind dadurch unbekannt, was Zeit kostet. Der neue Zuschnitt der Zustellbezirke geht mit Arbeitsverdichtung einher, die Touren werden länger, es ist kaum zu schaffen, alles zuzustellen: „Das Jahr 2021 ist von ständigen Übertragungen, Abbrüchen und ständigen Improvisationen geprägt“ heißt es in der Überlastungsanzeige: „Die Krankmeldungen im Umfeld der Kolleginnen und Kollegen steigen an, oder sind auf einem hohen Niveau stabil. Die personelle Verstärkung durch neue Kräfte findet allenfalls im Einzelfall statt.“ Dass die Personaldecke zu dünn war im November 2021 bezeugten die Kolleg*innen durch ihre Unterschrift unter die Überlastungsanzeige - sie persönlich sahen sich in dieser Überlastungssituation: „Jeden Tag planen wir die Zustellung neu, es gibt keine Ablaufroutine mehr, eine Zustellung im Soll-Zustand ist die Ausnahme geworden. Ich fühle mich gestresst, hoch belastet und nicht mehr gesund,“ heißt es in ihrer Überlastungsanzeige, wodurch sich der Krankenstand erhöhe, was den Arbeitsdruck weiter verstärke.

Das „Hamburger Abendblatt“ schrieb: Auf durchschnittlich drei Touren würden es so an manchen Tagen gar keine Post oder nur eine Notzustellung von Paketen, Urkunden und Einschreiben geben: „Andere nicht besetzte Verteilungsgebiete würden auf die Schultern der anwesenden Kollegen aufgeteilt.“ Jörn Borsum, Betriebsratsvorsitzender im Postamt Harburg, erklärte dem „Hamburger Abendblatt“ im November 2021: „Die Verantwortung für die Situation, so wie sie ist, liegt nicht bei den Produktionskräften im Betrieb, sondern bei der Deutschen Post“. Borsum betont: Wenn mal Neueinsteiger*innen kommen, sehen die „gleich am ersten Tag die hohe Arbeitsbelastung. Häufig melden die sich am nächsten Tag schon gar nicht mehr und sind telefonisch nicht erreichbar.“ Aber: Aufgrund der kollektiv eingereichten Überlastungsanzeige wurde die Personallage in dem Postbezirk Hamburg-Harburg durch Einstellungen verbessert.

Inken Grieben*, die seit 22 Jahren als Briefzustellerin in einer ostdeutschen Stadt arbeitet, sieht auch über die Jahre eine gestiegene Arbeitsbelastung, wie sie dem Autor schildert: „Das spiegelt sich auch in einem hohen Krankenstand und einer sehr hohen Fluktuation wider.“ Wer neu anfängt, sei schnell wieder weg. Und: „Immer mehr langjährige Beschäftigte kehren der Post den Rücken.“ Der Grund: „Wir haben einfach zu wenig Beschäftigte an Bord, um die Arbeit zu schaffen. Ständig teilen wir Bezirke auf oder sie bleiben liegen. Das geht schon sehr an die Substanz und an die ‚Zustellerehre’.“ Umso mehr, wenn ausgerechnet die Postangestellten verantwortlich gemacht werden: „Ich kann Kund*innen verstehen die verärgert darüber sind, wenn mit ihrer Post wieder was nicht passt. Allerdings sind wir Zusteller auch keine Fußabtreter“, betont Inken Grieben: „Die wenigsten Zustellprobleme werden von uns Zusteller*innen verursacht, sondern sie sind hausgemacht.“

Inken Griebens Tätigkeit umfasst das Vorsortieren der zuzustellenden Post, das Spind stecken, und die Zustellung von Briefen, Warensendungen und Paketen. Ihre Arbeitsbedingungen haben sich dabei so verändert, dass „immer mehr Warenpost und Pakete mitgenommen werden müssen.“ Dafür wurden zwar neue Transportmittel angeschafft, wie die Deutsche Post DHL Group stolz verkündet: „Seit etlichen Jahren können die Fahrer der gelben Zwei- und Dreiräder auf die Unterstützung eines Elektromotors zurückgreifen“, heißt es auf deren Internetseite, und jetzt: „Nicht zuletzt bieten die neuen Räder Platz für erheblich mehr Sendungen.“ Ein E-Trike ist ein massives dreirädriges Transportrad, dessen Box zwischen den Hinterrädern die Größe eines Autokofferraumes hat. „Ohne den Motor wären die Räder sehr schwer zu bewegen, aber durch die Motorisierung ist das gar kein Problem“, versichert Fabian Morys, Leiter des Zustellstützpunktes Tübingen treuherzig auf der Internetseite der Deutsche Post DHL Group. „Ich bin mit einem sogenannten E-Trike unterwegs“, schildert Inken Grieben, ihre Tour: „Das war schon eine enorme Umstellung für mich und meine Kollegen. Jahrzehntelang mit dem normalen Postfahrrad und jetzt eben mit einem E-Trike.“ Die Post verabschiedet sich immer mehr von der klassischen Briefzustellung, sodass Briefzusteller*innen auch kleine Pakete mitnehmen müssen - im Auto oder auf dem E-Trike. Insbesondere in den Stadtrandgebieten entstehen immer mehr sogenannte Verbundzustelltouren. Aus bis zwei Zusteller*innen - je eine für Briefpost und für Paketpost wird dann eine Verbundzusteller*in. Gerade bei den Verbundzustelltouren gibt es enorme Personalprobleme - es wird immer mehr drauf gepackt auf diese Touren. „Die Verbundzustellung ist die schwierigste Zustellart“, erklärt Thomas Hampel, Gewerkschaftssekretär für die Post bei ver.di im Bezirk Oberfranken West im Gespräch mit dem Autor. Aber der Paketversand boomt, so dass das Management der Deutsche Post DHL Group großes Interesse daran hat, die Briefzusteller in die Paketauslieferung einzubeziehen, trotz Schwierigkeiten. Denn: „Die Verbundzustellung mit dem Auto auch in Ballungszentren verändert teilweise auch den Arbeitsort“, so Thomas Hampel: „Für die Paketbearbeitung, die Sortierung braucht man deutlich mehr Platz.“ Und wer keinen Führerschein hat, müsse teilweise deswegen den Standort wechseln.

Trotzdem gibt es auch Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, betont Thomas Hampel, der früher auch als Zusteller gearbeitet hat. So seien die Stammzustellbezirke in Nürnberg nicht ganz abgeschafft worden: „Der Arbeitgeber versucht da durch die Kündigung der Betriebsvereinbarung Arbeitszeit ranzukommen, allerdings steht der örtliche Betriebsrat stabil!“ Die Arbeitsbelastung steige durch die Bezirksneuschneidungen gefühlt jährlich.

Auch die Personalplanung sei ein Problem: „Anfang des Jahres sind viele Verträge ausgelaufen und neues Personal wurde fast gar nicht eingestellt“, kritisiert Thomas Hampel die kurzsichtige und zu beschränkte Einstellungspraxis: „Jetzt rennt man wieder dem Personal hinterher und versucht Löcher zu stopfen“, aber das klappt oft nicht, zumal, wenn keine Zeit für eine qualifizierte Einarbeitung da sei. „Unzufriedenheit, Unruhe in den Stützpunkten und frustrierte Aussagen von Zusteller*innen erreichen auch mich“, versichert Thomas Hampel.

Auch die Ausbildung leide unter dem Arbeitsdruck: „Wenn der für die Ausbildung zuständige Person zu viel um die Ohren hat, fällt immer was unter dem Tisch.“ Es gibt bei der Deutsche Post DHL Group „eine sinkende Ausbildungsbereitschaft bei der Zustellerausbildung“, so Claudia Vitte: „Dieses Jahr werden rund 360 Auszubildende zur Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen, FKEP, bundesweit eingestellt, bei 40 Betriebsniederlassungen sind das im Durchschnitt neun FKEPs.“ Die niedrige Einstellungsquote begründe die Post mit zu wenig geeigneten Bewerber*innen. Dabei ist Einstellungsvoraussetzung ein Hauptschulabschluss, den fast alle Bewerber*innen vorweisen können, so Claudia Vitte. „Durch die Abschaffung des reinen Ausbilders, wurde die Qualität der Ausbildung nicht gesteigert“, so Thomas Hampel: „Zudem sollen die Azubis immer früher in den sogenannten selbstständigen Einsatz und Bezirke zustellen.“ Also solo arbeiten, ohne Rückfragen stellen zu können.

„Natürlich merken auch wir den Fachkräftemangel, vor allem in einigen Ballungsgebieten“, so Jessica Balleer von der Deutsche Post DHL Group zum Autor, „daher sind wir aktuell auf der Suche nach Personal, sowohl in der Zustellung als auch in anderen Bereichen des logistischen Prozesses.“ Durch „verschiedene Maßnahmen“ sei „die betriebliche Lage aktuell wieder stabil“.

Bei Felix Plogshagen*, der seit fünf Jahren als Postbote in einer westdeutschen Stadt arbeitet, beschreibt im Gespräch mit dem Autor eher eine stetige Verschlechterung: „Dazu gehören Standortzusammenlegungen, Auflösung von Teams, Digitalisierungsmaßnahmen, verschiedene Flexibilisierungsmaßnahmen, dadurch enorme Arbeitsverdichtung und vieles mehr.“ Eine Modernisierung der Arbeit, die auf Arbeitsverdichtung durch Rationalisierung ausgerichtet ist: „Die Arbeitsbelastung ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Besonders deutlich wird das bei der Anzahl an Krankheitsausfällen und der schlechten Personallage.“ Denn im Ergebnis ist die Arbeit für Viele nicht mehr zu schaffen: „Wir bekommen immer wieder neue Aufgaben und Arbeitsschritte dazu, unsere Zustellbezirke werden größer, insgesamt gibt es eine enorme Arbeitsverdichtung.“ Felix Plogshagen, der auch ver.di-Betriebsrat ist, bemerkt: „Aktuell kündigen immer mehr auch langjährige Kollegen, weil sie die körperliche und psychische Belastung nicht mehr aushalten.“ Die wenigen Bewerber*innen, die neu anfingen, würden nicht lange bleiben: „Der Personalmangel verstärkt die Arbeitsverdichtung für diejenigen, die das Unternehmen nicht verlassen wollen oder können.“

Das Management der Deutsche Post DHL Group zeichnet ein anderes Bild: „Dank des außerordentlichen Einsatzes unserer Beschäftigten finden wir auch in volatilen Zeiten zuverlässige Logistiklösungen für unsere Kunden. Diese Stärke spiegelt sich in der hervorragenden Ergebnisentwicklung unserer globalen Logistikaktivitäten wider und wird sich auch zukünftig auszahlen“, so Frank Appel, Vorstandsvorsitzender von Deutsche Post DHL Group Anfang August 2022: „In unsicheren Zeiten bleiben wir dadurch ein Fels in der Brandung.“ Aus der staatlichen Bundespost ist nach mehreren „Postreformen“ genannten Deregulierungswellen von 1989 bis 1996 eine privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft geworden, die durch Zukäufe ein internationaler Logistikkonzern ist: „Resilientes Portfolio ermöglicht Ergebniswachstum trotz weltwirtschaftlicher Unsicherheit“, überschrieb die Deutsche Post DHL Group denn auch im August die Erklärung zur Quartalsbilanz. Durch ein „breites Portfolio von Logistikdienstleistungen“ weltweit „konnte der Konzern seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahresquartal um 23,4 Prozent auf 24,0 Milliarden Euro steigern“, insbesondere durch das internationale Luft- und Seefrachtgeschäft.

Im Bereich „Post & Paket Deutschland“ wird nur ein Teil des Konzernumsatzes erwirtschaftet: „Der Umsatz verringerte sich auf 4,0 Milliarden Euro“. Die Paketmengen hätten sich „weiter normalisiert und lagen etwa auf dem Niveau von 2020“ (nach dem Rekordjahr 2021). Die „Volumina im Briefgeschäft“ seien „entgegen dem langfristigen Trend sogar leicht um 3,7 Prozent“ gestiegen. Hervorgehoben wird „das erfolgreiche Kostenmanagement“. Ein Kernsatz der Erklärung der Chefetage: „Eine hohe Kostendisziplin und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung wirkten sich insgesamt positiv auf die Profitabilität aus.“

Aus Zustellersicht hört sich dies anders an: „Es gibt täglich Konflikte etwa zu Neubemessungen von Bezirken, Sendungsmengensteuerung, Aufteilung von Bezirken aufgrund der schlechten Personallage“, meint Felix Plogshagen: „Der Arbeitgeber plant so, dass wir unsere Arbeit nicht mehr richtig schaffen können“. Dann bleibe nur die falsche Alternative „entweder damit klarkommen, ‚schlechte’ Arbeit zu leisten und eine Scheißegal-Mentalität entwickeln, oder sich langfristig kaputt arbeiten.“ Und weil die Identifikation mit dem Job hoch sei, würden sich Viele selbst überfordern. Protest am Arbeitsplatz gäbe es auch, aber überwiegend auf einer individuellen Ebene: „Es passiert häufiger, dass Kolleg*innen der Kragen platzt und sie dann einfach mal alles rauslassen.“ Andere dagegen „halten sich dann wirklich haarklein an die Betriebsvereinbarung, halten also die Dienst- und Pausenzeiten korrekt ein.“ Dann bleibt eben einiges liegen. Dies können sich nur Festangestellte leisten, aber: „Befristungen spielen eine sehr große Rolle bei uns“ erklärt Felix Plogshagen: „In der Vergangenheit hat der Arbeitgeber oft die gesetzlichen zwei Jahre ausgenutzt und viele gute Kolleg*innen am Ende doch nicht verlängert.“ Der Druck auf die befristeten Kolleg*innen sei sehr groß, da der Arbeitgeber „sehr genau auf Krankheitstage schaut und dann aussiebt“. Auch bei häufigen Abbrüchen von Touren wegen zu hoher Anzahl an zuzustellenden Sendungen „müssen befristete Kolleg*innen befürchten, nicht verlängert zu werden“. Hier komme dann häufig das Argument vom Arbeitgeber, dass sie nicht ins Unternehmen passen würden oder für den Job ungeeignet seien. Dabei sei die Arbeit aber oft einfach nicht zu schaffen. „In a nutshell: befristete Beschäftigungsverhältnisse erhöhen den Arbeitsdruck massiv“, fasst Felix Plogshagen dieses Problem zusammen. Etwa 15 Prozent der Beschäftigten bei der Post haben keine unbefristete Anstellung, so Thomas Hampel. Dagegen habe ver.di in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten aber die Kampagne „Unbefristet!“ gestartet, durch die schon zahlreiche Entfristungen erreicht werden konnten.

Aber auch für Festangestellte verschlechtere sich die Lage, so Felix Plogshagen. Gefragt, was ihnen am meisten Spaß macht an ihrem Job, sei die erste Antwort oft: der Kontakt mit den Kund*innen. Gerade die älteren Kolleg*innen würden sich ihren Kund*innen verpflichtet fühlen, und hätten eine engere soziale Bindung zu ihrem Bezirk. Nicht mehr die Zuverlässigkeit und Qualität erbringen zu können, die man früher leisten konnte, sei gerade dort sehr unbefriedigend. „Aber auch insgesamt kratzt das unrealistische Arbeitspensum und dadurch mangelnde Zuverlässigkeit am Selbstbild der Beschäftigten“, betont Felix Plogshagen: „Besonders frustrierend ist es, wenn sich der Arbeitgeber seine Statistiken so hinbiegt, dass Qualitätsverluste gar nicht oder nur marginal ausfallen, oder wenn er auf öffentliches Nachfragen Personalmangel und Corona als Gründe für die mangelnde Zuverlässigkeit anführt. Viele von uns fühlen sich dann einfach nur noch verarscht.“

Gaston Kirsche

* Namen redaktionell geändert.

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