(Gegenwind 409, Oktober 2022)

Zhanna Baghdasaryan

„Was Frauen nicht brauchen,

... sind Männer, die sie retten möchten und sie damit bevormunden und unterschätzen.“

Interview mit Zhanna Baghdasaryan aus Rendsburg

In dem Film „Geschlechtergerechtigkeit - das schaffen wir nur gemeinsam“, der am 31. August in Rendsburg uraufgeführt wurde, spielt Zhanna Baghdasaryan eine der Hauptrollen. Und im Verein „Wüstenblumen e.V.“ gehört sie dem Vorstand an. Grund genug, sie nach ihren Motiven zu fragen.

Gegenwind:

Auf Youtube machen viele schöne Frauen Filme mit Schminktipps oder Modetipps, sie verdienen viel Geld damit. Du hast einen Film über Geschlechtergerechtigkeit gedreht und auf Youtube gestellt, verdienst damit aber kein Geld. Warum hast Du Dich dazu entschlossen?

Zhanna Baghdasaryan:

Es gibt Frauen, die möchten Geld mit Schminktipps verdienen, und es gibt Frauen, die in die Politik gehen oder ihr Geld als Lehreri*innen, Anwält*innen, KFZ-Mechatroniker*innen oder Ärzt*innen verdienen. Für mich ist es erstmal wichtig, die Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft darzustellen und mein Beitrag dazu geben, sie zu verändern. Ich komme aus einem Land, in dem die Männer das Sagen haben und man oft „nur“ (eine Frau) hinzu fügt, wenn man das Wort Frau benutzt. Wir von „Wüstenblumen - Teilhabe für Zugewanderte im Kreis Rendsburg Eckernförde e.V.“ versuchen das zu verändern. Wir möchten, dass die Frauen aus Armenien und auch aus allen anderen Ländern, wo die Rechte der Frau mit Füßen getreten werden, lernen, dass eine Frau zu sein viel mehr ist als putzen, Kinder kriegen und Männer bedienen. Frauen sind auf der Welt, um sich zu entfalten, für sich selbst Entscheidungen zu treffen, für sich selbst da zu sein. Was Frauen nicht brauchen, sind Männer, die sie retten möchten und sie damit bevormunden und unterschätzen.

Gleichstellung ist in einigen Ländern noch weit, weit weg von der Realität der Frauen entfernt. Die Mitglieder des Teams, die das Drehbuch geschrieben und den Film gedreht habt, kommen aus verschiedenen Ländern (Afghanistan, Armenien, Brasilien, Syrien, Deutschland und Ukraine) und wir haben die Blickwinkel der Teilnehmer*innen berücksichtigt.

Der Film soll auf die Geschlechterungerechtigkeit hinweisen, die Rollenzuweisung an/ von Männer/n und Frauen hinterfragen, Mut machen, damit Männer und Frauen in ihren Beziehungen gemeinsam Verantwortung übernehmen und sich in ihrer Entwicklung fördern, soll Möglichkeiten für die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit anderen und unterstützt in der Befreiung von gesellschaftlichen patriarchalischen Konstrukte zeigen.

Unser Film zeigt die Auseinandersetzung und Zerrissenheit von Frauen und Männer auf dem Weg zu sich selbst, deren Selbstverwirklichung und deren Entfaltung.

Gegenwind:

Wenn man Politiker Deines Herkunftslandes fragt, sagen sie, dass Frauen vollständig gleichberechtigt sind. Armenien gehörte ja auch zur Sowjetunion dazu, da durftest Du nicht einmal öffentlich daran zweifeln, dass Frauen gleichberechtigt sind. Wie sind denn die wirklichen Verhältnisse in Deinem Herkunftsland?

Zhanna Baghdasaryan:

Es gibt viele Definitionen für das Wort „Gleichberechtigung“. Die Definition von der alten Sowjetunion und Armenien ist ganz anders als meine und auch als die Definition hier in Deutschland. Die Politiker sagen, was die Welt hören möchte. In einem Land wo es Gleichstellung gibt, müssen die Frauen nicht nach der Erlaubnis des Mannes fragen, um die Haare zu färben oder schneiden, oder um zu arbeiten. In so einem Land muss die Frau nicht abtreiben, wenn sie wissen, dass es ein Mädchen wird, weil die Familie des Mannes Druck machen wird, dass der Mann seine Frau verlässt. Ja, das Gesetz sagt, dass der Arzt das Geschlecht des Babys den Eltern erst nach 5 Monaten Schwangerschaft verraten darf. Aber diese Untersuchung kann man in jeder Ecke machen. Das trägt nur dazu, dass Frauen bei der Abtreibung zu Hause oder in den Händen von Scharlatanen sterben. In einem Land mit Gleichstellung von Mann und Frau wäre es kein Problem, als alleinerziehende Mutter zu leben.

Wir können auch über Demokratie reden. In einem demokratischen Land darf man seine Meinung sagen, ohne Angst, dass man von der Gesellschaft ausgestoßen wird. Meiner Meinung nach ist Gleichberechtigung in Armenien noch nicht Realität, und die Situation der Frauen ist wirklich so weit weg von Gleichberechtigung entfernt, wie es nur möglich ist.

Alle denken, der Mann muss das Sagen haben, der Mann ist der Chef zu Hause. Es wird gemacht, was er will. Ich habe neulich von einer Freundin, die in Armenien lebt, gehört: „Wenn Dein Mann sagt, der Joghurt ist schwarz, sollten wir sagen, ja der Joghurt ist schwarz.“ Früher habe ich das nicht als inakzeptabel empfunden, aber heute ist solche Bemerkungen für mich unerträglich.

Gegenwind:

Du hast diesen Film ja in Deutschland gedreht. Hier würden Politiker das Gleiche sagen: Hier sind Frauen gleichberechtigt, nicht so wie in Armenien oder in Syrien. Du hast aber in dem Film auch die Verhältnisse in Deutschland kritisiert.

Zhanna Baghdasaryan:

Ich bin sehr dankbar, dass ich in Deutschland leben darf. Hier ist es tausendmal besser als in Armenien. Trotzdem haben wir hier noch viel zu verändern. Die Armut in Deutschland ist weiblich. Warum bekommen Frauen in einigen Berufen weniger Geld als Männer? Warum deckt die Öffnungszeit in der Kita nicht die Bedürfnisse berufstätiger Frauen? Warum übernehmen meistens die Frauen die Sorgearbeit in der Familie? Das bedeutet sie arbeiten nicht. Im Falle einer Scheidung bleibt die Frau ohne Arbeit mittellos. Deutsche Frauen haben ähnliche Probleme wie wir. Bei der Premiere ist eine deutsche Frau mitten in der Vorstellung weg gegangen. Sie konnte es nicht mehr ertragen, sagte sie mir später, weil sie sich und ihr Leben auf der Leinwand wiedergespiegelt gesehen hat.

Gegenwind:

Wie habt Ihr das Drehbuch geschrieben? Im Film geht es ja nicht speziell um eine Armenierin, sondern um eine Frau und einen Mann.

Zhanna Baghdasaryan:

Genau. Uns war es wichtig, wenn Leute den Film sehen, dass sie sich wiedererkennen. Es geht nicht um eine Armenierin, es geht um jede Frau. Jede Frau kann sich in dem Film wieder finden. Egal, ob sie aus der Ukraine kommt, aus Armenien, aus der Türkei, Aserbaidschan, Syrien, dem Irak oder Afghanistan - egal woher. Rosana Trautrims ist Psychotherapeutin und hat das Drehbuch geschrieben mit der Erfahrung, die sie gesammelt hat während der Jahre. Viele Sätze stammen von Frauen in der Beratung. Man kann sagen, hunderte von Frauen haben das Drehbuch durch viele Jahre gemeinsam geschrieben. Wir, unser Team, hat dann über jeden Satz diskutiert. Wir haben diskutiert, ob das in meinem Land oder in seinem Land so ist. Wir haben drei Monate lang den Text immer wieder gelesen, sieben Mal haben wir vieles geändert, und erst dann hatten wir das Drehbuch.

Gegenwind:

Konntest Du auch eigene Erfahrungen unterbringen? Du bist ja auch alleinerziehend und hast einige Erlebnisse hinter Dir.

Zhanna Baghdasaryan:

Ja, klar. In dem Film stecken auch viele von meinen Erfahrungen. Und es waren auch Sätze drin, die galten für mich. Und ich habe gekämpft, damit einige dieser Sätze bleiben, wie sie sind. Denn ich habe so was jeden Tag erlebt.

Gegenwind:

Wie weit hat Dein Gegenspieler Muhammad mitdiskutiert? Wollte er so sein, wie es im Drehbuch steht?

Zhanna Baghdasaryan:

Muhammad Alhussain ist ein großartiger Mensch. Er ist ein Mann, der Gleichberechtigung erlebt. Muhammad hat sich nicht geäußert, wenn die Frauen über das was sie denken oder fühlen gesprochen haben. Er denkt, er hat dieses Recht nicht, er kann nicht wissen, wie wir uns fühlen oder wie wir denken. Er hat über sich, seine Gefühle und Gedanken gesprochen und über die Rolle des Mannes in Syrien und über den Druck seiner Gesellschaft auf Männer.

Gegenwind:

Fiel es Muhammad denn schwer, gegen Dich zu sein? Oder fiel es ihm schwer, sich am Schluss wieder mit Dir zu vertragen?

Zhanna Baghdasaryan:

Die Rollen, die wir gespielt haben, haben sich vertragen. Ich kann mir vorstellen, es wäre für den Mann, den er gespielt hat, doch schwer. Nicht weil es keine Liebe und Respekt füreinander gab, sondern weil er sich die Rollenzuweisung seiner Gesellschaft, total untergeordnet hat. Die Auseinandersetzung von seiner Rolle mit meiner, wenn in der Wirklichkeit stattfindet, braucht Zeit, Reife und Ehrlichkeit. Dann geht das doch.

Wir haben die Männer nicht nur kritisiert, sondern wir haben auch deren Blick dargestellt. Für Muhammad und auch für jedes Mitglied des Teams war es sehr wichtig, die Situationen wie sie sind darzustellen und zwar, die patriarchalische Rollenzuweisungen von Frauen und Männer lernen wir durch die Erziehung unserer Eltern und der Kultur in der wir aufwachsen. Hinzu kommt der Druck des Umfeldes, Verwandte und Nachbarschaft, damit die vorgegebenen Regeln eingehalten werden. So unterliegen Frauen und Männer Zuständigkeiten und Zwängen, denen beiden nicht gerecht werden.

Gegenwind:

Wie viele Männer und Frauen haben am Drehbuch mitdiskutiert?

Zhanna Baghdasaryan:

Das Team bestand hauptsächlich aus vier Männer und fünf Frauen.

Gegenwind:

Ihr habt ja vorher schon kurze Filme gemacht. Du hast ja auch mal eine unfreundliche Arbeitgeberin gespielt, die eine Bewerberin mit Kopftuch auseinandergenommen hast. Warum traut Ihr Euch plötzlich, so einen langen Film zu machen? Wusstet Ihr vorher, wie lange das dauert und wie oft man Szenen wiederholen muss, bis alle zufrieden sind?

Zhanna Baghdasaryan:

Wir wussten, dass das natürlich viel Arbeit mit sich bringen würde, aber das Ausmaß wurde uns nur während der Dreharbeit klar. Wir haben grob geschätzt, dass der Film 30 Minuten lang sein würde. Aber während der Diskussionen wurde uns allen klar, wir haben zu viel zu sagen und alle diese Aspekte des Themas war uns sehr wichtig darzustellen. Mit denen konnten wir Frauen und Männer Argumente in die Hand geben, damit sie zurechtkommen, wenn sie sich mit ihrer Familie, Nachbarschaft oder Freunden rechtfertigen müssen.

Gegenwind:

Kannst Du schätzen, wie viele Stunden Du gespeichert hast, um eine Stunde Film auf Youtube rauszukriegen?

Zhanna Baghdasaryan:

Oh ja. Wir haben täglich fünf Stunden gearbeitet. Denn Deutsch ist nicht meine Muttersprache, und bei Mohammad ist es genauso. Wir haben hart gearbeitet, immer wieder Sprechen geübt, wir mussten alles auswendig lernen. Und manchmal mussten wir wegen eines Wortes alles nochmal machen, wegen eines Wortes alles wiederholen. Manchmal haben wir beim Drehen nicht gemerkt, dass es Fehler gab, und dann haben wir alles wiederholt. Acht Monate Arbeit sind es für diesen Film. Das waren acht Monate jeden Tag, manchmal auch Samstag und Sonntag. Und manchmal nicht nur abends, sondern bis ein Uhr Nachts waren wir beim Drehen. Das, weil wir alle im Team berufstätig sind und alles ehrenamtlich gemacht haben, weil uns das Thema so wichtig ist und weil wir was in der Gesellschaft verändern möchten.

Gegenwind:

Wenn Du bei der Premiere im Raum mit über hundert Zuschauern sitzt und Deinen eigenen Film siehst, wie oft hast Du gesagt: Oh, das hätten wir eigentlich nochmal drehen und korrigieren müssen?

Zhanna Baghdasaryan:

Oh, oft. Ich habe immer gedacht, ist das richtiges Deutsch? Und manchmal hat mir meine Stimme nicht gefallen. Aber vor allem das Deutsch. Wir haben es so oft geprobt, so oft versucht, und trotzdem gibt es immer noch Fehler. Aber ich möchte das so sehen, wir haben unser Bestes gegeben, wir sind noch dabei diese Mittel, also Film oder Videos benutzen zu lernen. Unser Team ist perfektionistisch und ich denke, wir werden nie total zufrieden sein, egal wie gut das wird, was wir machen, und das finde ich gesund.

Gegenwind:

Wie viele Fehler haben denn die Zuschauer bemerkt?

Zhanna Baghdasaryan:

Alle haben mir gesagt, es war alles gut. Niemand hat eine Bemerkung darüber gemacht. Niemand hat gesagt, ich hätte etwas falsch gesagt. Es gab nur eine Bemerkung, dass es manchmal zu künstlich war, als ob die Sprache uns nicht gehört. Wir haben Wörter benutzt, die wir im Alltag nicht benutzen. Aber wir wissen, warum wir das gemacht haben. Dafür gibt es auch Argumente. Viele erwarten von Migranten ein schlechtes Deutsch, oder ein mittelmäßiges Deutsch. Wir wollten zeigen, dass wir auch ein akademisches Deutsch reden können. Die Wörter wurden gezielt gewählt und da steckt eine subliminale Botschaft: Migrant*innen können auch sehr gutes Deutsch sprechen.

Gegenwind:

Kannst Du die Gruppe beschreiben, die die ganze Arbeit gemacht hat? Was ist das für ein Verein, den Ihr gegründet habt? Du bist ja auch im Vorstand.

Zhanna Baghdasaryan:

Das Team für den Film bestand aus 5 Frauen aus Armenien, Brasilien, Deutschland und der Ukraine und viel Männer aus Afghanistan, Syrien und Deutschland. Es ist ein Team von intellektuellen, die sich als Aufgabe gemacht hat, Migrant*innen eine Stimme zu geben, für Gleichstellung von Frau und Mann zu kämpfen und Migrant*innen und Aufnahmegesellschaft ins Gespräch zu bringen. Das Drehbuch hat Rosana Trautrims geschrieben und wir alle haben es dann bearbeitet. Rosana und Ramez haben die Inszenierung geleitet. Ramezs Einsatz war grundlegend für den Erfolg des Filmes. Er hat immer dafür gesorgt, dass die Details zusammen passen: Haben wir die gleiche Kleidung, Friseur, Accessoires, alles andere auch wie an den vorherigen Tagen? Wo genau standen wir bei der letzten Szene? Dann hat Rosana den Film geschnitten und vertont.

Über unseren eingetragenen gemeinnützigen Verein: der Name ist „Wüstenblumen - Teilhabe für Zugewanderte im Kreis Rendsburg Eckernförde e.V.“, uns gibt es als Verein seit 2018, aber wir sind schon länger als Gruppe in den Bereich tätig. Aktuell sind wir 173 Mitglieder aus 39 Ländern und wir sprechen 42 Sprachen.

Wir wollen in der deutschen Gesellschaft selbstbestimmt leben, die Sprache lernen, einen Beruf erlernen, arbeiten, Freunde finden, uns politisch engagieren und unsere Kinder fördern. Wir werden an dieser Gesellschaft teilhaben und hier aktiv sein.

Wir finden, dass die Gesetze, besonders das Grundgesetz und die Deklaration der Menschenrechte, eine sehr gute Grundlage für das hiesige Zusammenleben bieten.

Wir wollen uns integrieren, nicht assimilieren. Das Kopftuch ist ein Beispiel. Einige von uns tragen es, andere nicht. Dies wollen wir ohne jede Bevormundung und Diskriminierung selbst entscheiden.

Unsere Ziele sind: Vorurteile Migrant*innen/ Muslimen und Muslimas gegenüber abzubauen, die Aufnahmegesellschaft und Migrant*innen ins Gespräch bringen, Gleichstellung von Mann und Frau zu fördern, Diskriminierung zu bekämpfen, unsere Kinder zu fördern, uns politisch zu engagieren und an der Gesellschaft und ihren Möglichkeiten teilzuhaben.

Von uns - für uns: Unsere Ziele wollen wir durch Projekte und Aktionen erreichen, die den Bedürfnissen von uns als Zugewanderte entsprechen. Diese Projekte möchten wir selbst konzipieren und durchführen, weil wir am besten wissen, was wir brauchen.

Ja, ich bin im Vorstand, zusammen mit Muhammad Alhussain aus Syrien, Agnieszka Kozinski aus Polen, Ramez Sarwary aus Afghanistan und Rosana Trautrims aus Brasilien.

Gegenwind:

Was macht der Verein sonst noch?

Zhanna Baghdasaryan:

Wir haben eine Selbsthilfegruppe für Männer aus Afghanistan „TSCHEI KHANA“, eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit Migrationshintergrund „IMRA A“, ein Integrationscafé „Tschei Khana Treffpunkt“, ein Mehrgenerationstreff „MIASSIN“, eine Theatergruppe, eine Cricket Mannschaft und You Tube Kanal „Szol ha“, unter anderen Projekten und Aktionen, die wir gerade durchführen. Mehr Informationen über unsere Projekte findet man auf unserer Internetseite: https://wuestenblumen-ev.wixsite.com/rd.eck.

Gegenwind:

Was bedeutet der Name „Wüstenblumen“ für Dich?

Zhanna Baghdasaryan:

„Wüstenblumen“ steht für Widerstand und für Entwicklung, auch unter schwierigsten Bedingungen. Wir wollen und wir werden „blühen“ - egal, welchen Widrigkeiten wir uns gegenüberstehen.

Gegenwind:

Hast Du den Film „Wüstenblumen“ mal gesehen?

Zhanna Baghdasaryan:

Ja. Er ist sehr traurig.

Gegenwind:

Als Du nach Deutschland kamst: Hast Du hier sofort eine Aufenthaltserlaubnis bekommen?

Zhanna Baghdasaryan:

Oh, nein. Ich habe erst jetzt meinen Aufenthaltstitel bekommen, das war im Februar 2022 nach sieben Jahren Kampf. Die Aufenthaltserlaubnis habe ich nur bekommen, weil ich eine Ausbildung gemacht habe und zwei Jahre in diesen Beruf gearbeitet habe. Ich habe ein abgeschlossenes Studium als Philologin, hier wurde ich gern Psychologie oder Sozialarbeit studieren. Es war nicht möglich, wenn ich studieren würde, würde ich abgeschoben werden. Der einzige Weg für Armenier*innen hier zu bleiben, ist eine Ausbildung zu machen. Damals dachte ich, wenn das der Preis ist, ok, ich bezahle. Heute bin ich Philologin und Friseurin. Jetzt bereite ich mich vor, um das zu machen, was ich hier immer machen wollte, studieren, Psychologie oder Sozialarbeit.

Gegenwind:

Also erst Duldung, dann Ausbildungsduldung, dann Aufenthaltserlaubnis?

Zhanna Baghdasaryan:

Ja, genau.

Gegenwind:

Warum hast Du Dir von allen Städten in Deutschland Rendsburg ausgesucht?

Zhanna Baghdasaryan:

Ehrlich gesagt, habe ich das nicht ausgesucht. Ich bin transferiert worden. Ich war in Baden-Baden, wurde von dort nach Schleswig-Holstein geschickt. Ich war dann in Kronshagen, musste ins Frauenhaus Kiel, und die Frauen, die in Frauenhaus arbeiten, sagten, ich muss zu einem Frauenhaus im Kreis Rendsburg-Eckernförde, deshalb bin ich nach Rendsburg gekommen. Deswegen bin ich jetzt in Rendsburg.

Gegenwind:

Bist Du mit dem Schicksal zufrieden?

Zhanna Baghdasaryan:

Ja, wirklich. Ich denke, es war alles nicht so einfach. Wenn ich nicht hierher gekommen wäre, hätte ich Rosana nicht kennen gelernt. Das hat mein ganzes Leben geändert. Sie hat mir gezeigt, dass eine Frau stark sein kann, sie hat mir gezeigt, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Ohne all das, was passiert ist, würde ich nicht das sein, was ich bin.

Gegenwind:

Ich habe neulich im Internet gesehen, dass Du Kindern zeigst, wie man aus Luftballons Wasserbomben baut. Freuen sich die anderen Mütter, wenn Du ihren Kindern sowas beibringst?

Zhanna Baghdasaryan:

Was du gesehen hast, war, wie wir Luftballons an einen Sommer-Sonnentag mit Wasser gefüllt und gespielt haben. Ja, die Mütter und Väter waren sehr zufrieden und viele haben mitgemacht. Für uns ist sehr wichtig draußen zu spielen, sich nicht so ernst nehmen, zusammen mit den Kindern spielen. Es war für viele ein magischer Moment. Wir, bei jeder Aktion, tragen dazu bei, dass unsere Mitglieder ein stärkeres Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinsamkeit bekommen, was sehr wichtig für die Entwicklung von unserem Verein ist.

Gegenwind:

In der Einladung hattet Ihr ja geschrieben, alle Mütter müssen für ihre Kinder Kleidung zum Wechseln mitbringen. Waren sie gewarnt?

Zhanna Baghdasaryan:

Ich habe allen gesagt, es wird nass. Bringt genug Kleidung mit. Sie haben gedacht, nur für die Kinder, die Mütter sind ohne Kleidung zum Wechseln gekommen. Aber sie haben mitgemacht. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, und sie konnten mitmachen, einfach schreien, einfach laut werden und lachen. Und sie hatten alle Spaß mit ihren Kindern und Lust, das zu machen. Sie waren alle motiviert, es war ja nicht nur ich da, auch Mohammed, Ramez, Wolfgang und Rosana, und wir wollten den Frauen und Männer zeigen, dass das Spaß machen kann. Wir haben angefangen mit den Kindern zu spielen, die Mehrheit ist dann dazu gekommen. Und ich habe gesehen, wie glücklich die Mütter dabei waren.

Gegenwind:

Wie weit ist Dein Kind armenisch, wie weit ist Dein Kind deutsch?

Zhanna Baghdasaryan:

Mein Sohn spricht vor allem Deutsch. Er versteht armenisch sehr gut, aber für ihn ist es viel leichter, immer auf Deutsch zu antworten und alles auf Deutsch zu beschreiben. Seit er ein Jahr alt ist, arbeite ich. Und ich arbeite nicht Teilzeit, sondern Vollzeit. Er war während ich gearbeitet habe bei Tageseltern, und sie sprechen Deutsch. Er hat schon als Baby Deutsch gehört, und für ihn ist das einfacher.

Gegenwind:

Willst Du ihm irgendwann Armenien zeigen?

Zhanna Baghdasaryan:

Ja, klar. Ich will das. Ich weiß, dass Armenien viele Probleme hat, und ich bin mit vielem nicht einverstanden. Besonders jetzt, weil ich vieles gesehen habe. Ich kann jetzt Sachen sehen, die damals normal für mich waren und jetzt für mich inakzeptabel sind. Aber ich möchte, dass er weiß, wo wir herkommen, welche Wurzeln wir haben. Wir haben ein wunderschönes Land, und meine Wurzeln sind ja dort. Und ich meine, es ist sehr wichtig, dass er weiß, woher wir kommen.

Gegenwind:

Plant Ihr noch weitere Filme? Oder reicht Dir die Arbeit?

Zhanna Baghdasaryan:

Nein, wir haben viele Pläne. Ich weiß nicht, ob es wieder so ein großer Film wird, aber wir haben noch viel vor.

Interview: Reinhard Pohl

Wüstenblumen - Teilhabe für Zugewanderte im Kreis Rendsburg Eckernförde e.V.

Kontakt: wuestenblumen.rd.eck@gmail.com / 0152 - 5620 0756 oder 04331 - 945 3637

Internetseite: https://wuestenblumen-ev.wixsite.com/rd-eck

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