(Gegenwind 409, Oktober 2022)

Laura Boachie

„Ich habe noch nie eine schwarze Lehrerin gesehen“

Interview mit Laura Boachie aus Flensburg

Gegenwind:

Kannst Du Dich als erstes vorstellen?

Laura Boachie:

Mein Name ist Laura Boachie. Ich bin 25 Jahre alt und ich wurde in Hamburg geboren. Meine Wurzeln liegen jedoch in Ghana. Momentan studiere ich Sonderpädagogik in Flensburg.

Gegenwind:

Wie beschreibst Du als Hamburgerin Deine afrikanische Herkunft?

Laura Boachie:

In Hamburg geht es sehr multikulturell zu. In Hamburg leben viele Leute, die aus Ghana kommen, das ist was ganz Normales, in Hamburg ghanaisch zu sein.

Gegenwind:

Warst Du selbst schon mal in Ghana?

Laura Boachie:

Ja, sehr sehr häufig. Nach meinem Bachelor war ich sogar für sechs Monate in Ghana und habe dort in einer Schule mit beeinträchtigten Kindern gearbeitet. Das war eine Art Freiwilligenarbeit.

Gegenwind:

Wirst Du in Ghana als Ghanaerin gesehen oder als Deutsche?

Laura Boachie:

In Ghana merken sie sofort, dass ich aus dem Ausland komme. Ich werde eher als Deutsche gesehen.

Gegenwind:

Woran merken sie es, dass Du keine Ghanaerin bist?

Laura Boachie:

Das ist schwer zu sagen. Ich dachte erst, es liegt an meiner Aussprache, dass ich vielleicht einen deutschen Akzent habe. Aber auch wenn ich nicht spreche, merken sie sofort, dass ich aus dem Ausland komme. Ich weiß aber nicht, woran sie das merken.

Gegenwind:

Mit welcher Sprache versuchst Du es in Ghana?

Laura Boachie:

Mit Twi. Das ist meine Muttersprache.

Gegenwind:

Wirst Du denn in Hamburg oder in Flensburg als Deutsche anerkannt?

Laura Boachie:

Nein, in Deutschland bin ich die, die aus Ghana kommt. In Ghana bin ich die, die aus Deutschland kommt.

Gegenwind:

Ist das für Dich ein Problem?

Laura Boachie:

Ein Problem nicht. Aber als ich jünger war, fand ich es schwierig, dass ich mich nicht mit Deutschland und nicht mit Ghana identifizieren kann. Ich habe mit einigen Freunden darüber gesprochen, die hatten genau das gleiche Problem.

Gegenwind:

Inzwischen sieht man ja häufiger Schwarze in irgendwelchen Positionen. Wenn Du nicht mehr in Hamburg, sondern in Schleswig-Holstein lebst, hast Du auch eine schwarze Ministerin, die zum Beispiel eine Urkunde für Dich unterschrieben hast. Wird es normaler, nach Deinem Eindruck?

Laura Boachie:

Ich finde, es ist langsam an der Zeit. Ich weiß aber nicht, ob das jetzt normal wird. Es ist ja nur eine kleine Minderheit schwarzer Menschen, die solche Positionen haben. Aminata Touré ist eine von wenigen. Ich hoffe, dass es irgendwann zur Normalität wird.

Gegenwind:

Erinnerst Du Dich, wann Du als Kind gemerkt hast, dass Du anders bist? Oder haben andere es Dir gesagt?

Laura Boachie:

Ich bin ja in Hamburg aufgewachsen und bin da auch zur Schule gegangen. Da war es nie ein Thema. In der Grundschule waren es vier Schwarze mit mir, auch auf dem Gymnasium war ich nicht die einzige Schwarze. Aber ich glaube, in Flensburg in der Uni, in einer Vorlesung ist es mir zum ersten Mal richtig bewusst geworden. Ich habe registriert, die sehen alle gleich aus, ich bin die einzige Schwarze. Und da hat der Dozent auch gleich einen rassistischen Kommentar gemacht, und ich war die einzige Person, der es aufgefallen ist. Es ist mir wirklich erst in Flensburg in der Vorlesung zum ersten Mal aufgefallen, dass ich schwarz bin.

Gegenwind:

Willst Du den Kommentar wiederholen?

Laura Boachie:

Das war in der Statistik-Vorlesung, und da hatte er ein Fallbeispiel, und im Beispiel kam das Wort „Neger“ vor. Ich war ein bisschen schockiert, habe mich umgeschaut und dachte, die anderen reagieren auch, aber ich war die einzige, der es aufgefallen ist.

Gegenwind:

Hast Du etwas gesagt?

Laura Boachie:

Ich wollte nach der Vorlesung noch zum Dozenten gehen und ihn darauf einsprechen, aber dann dachte ich, das bringt sowieso nichts, und habe es einfach gelassen.

Gegenwind:

Hast Du sonst schon solche Erfahrungen gemacht?

Laura Boachie:

In der Uni werde ich oft gefragt „Woher kommst Du?“, und wenn ich sage „aus Hamburg“ - „nein, woher kommst Du wirklich?“. Und wenn ich sage, ich komme aus Ghana, sind sie zufrieden. Und in der Stadt, in Flensburg, waren meine Schwester und ich Einkaufen. Und da hat ein weißer Mann uns angesprochen und meinte, dass wir zurück in unser Land gehen sollen. Und er hat uns auch beschimpft. Das ist uns in Flensburg dreimal passiert. Aber sonst habe ich ja auch in der Veranstaltung „Kluge Köpfe“ gesagt: Bei meiner ersten Vorlesung an der Uni, da dachte der Dozent sofort, dass ich eine Austauschstudentin bin, und gar kein Sonderpädagogik studiere. Er hat mich auf Englisch angesprochen und meint, dass die Seminare für die Austauschstudenten woanders sind. So ein Alltagsrassismus ist mir schon häufig in der Uni begegnet.

Gegenwind:

Aber Englisch verstehst Du notfalls auch?

Laura Boachie:

Ja, Englisch verstehe ich auch.

Gegenwind:

Hast Du trotzdem auf Deutsch geantwortet?

Laura Boachie:

Ja, ich habe sehr selbstbewusst auf Deutsch geantwortet. Ich meinte: Ich spreche Deutsch und ich bin hier im Seminar richtig. Er hat sich dann noch bei mir entschuldigt, und bei ihm hatte ich auch in meiner ersten Hausarbeit eine 1,0. Ich glaube, er wollte sich bei mir entschuldigen.

Gegenwind:

Wie war denn überhaupt Dein Bildungsweg? Hattest Du den Eindruck, Dir wird nicht zugetraut, was anderen zugetraut wird?

Laura Boachie:

Meine Grundschule war in einem sozialen Brennpunkt. Und da waren eigentlich nur Ausländer und ganz, ganz wenige Deutsche. Meine Grundschullehrerin mochte mich sehr und hat mir sehr viel zugetraut. Und als ich auf dem Gymnasium war, war es etwas anders. Da waren wir als Ausländer eher die Minderheit. Meine Klassenlehrerin hat mir mal einen Kommentar gegeben, ich weiß das jetzt nicht mehr wörtlich, aber ungefähr „Du bist ja gar nicht so dumm wie Du aussiehst“. Sie hat mich sehr unterschätzt, das werde ich nie vergessen. Sonst war mein Bildungsweg eigentlich ganz gut. Manchmal musste ich mich mehr anstrengen als meine Mitschüler, ein bisschen mehr arbeiten, aber letztlich war mein Abitur auch ganz gut.

Gegenwind:

Hast Du denn schon mal eine schwarze Lehrerin gesehen?

Laura Boachie:

Leider noch nicht. Ich habe es mir immer gewünscht, aber ich habe nie eine schwarze Lehrerin gesehen. Das ist auch ein Grund, weshalb ich jetzt Lehrerin werden möchte.

Gegenwind:

Wie ist Dein Wunsch entstanden, genau das zu studieren, was Du studierst? Du studierst ja nicht Pädagogik, sondern Sonderpädagogik.

Laura Boachie:

Nach meinem Abitur habe ich ein FSJ in Hamburg gemacht, weil ich nicht wirklich wusste, ob ich studieren oder eine Ausbildung machen wollte. Und dann habe ich in Hamburg am BZBS, das ist das Bildungszentrum für blinde und sehbehinderte Kinder, ein FSJ gemacht. Und direkt am ersten Tag wusste ich, ich möchte mit Kindern und mit Menschen arbeiten, die eine Beeinträchtigung haben. Deshalb habe ich angefangen, Sonderpädagogik zu studieren.

Gegenwind:

War sonst Dein Bildungsweg unproblematisch? Hast Du alles geschafft, was Du wolltest?

Laura Boachie:

Ich habe einen Dickkopf. Und wenn ich mir Ziele setze, dann kriege ich das auch hin. Kann sein, dass ich mich manchmal mehr anstrengen musste. Aber ich habe bis jetzt, alles geschafft, was ich mir vorgenommen habe.

Gegenwind:

Wie ist es in Deiner Familie? Wie viele größere und kleinere Geschwister hast Du?

Laura Boachie:

Ich habe eine ältere Schwester und dann noch zwei jüngere Geschwister. Meine ältere Schwester kennst Du ja, sie war auch auf der Veranstaltung. Sie war die erste in unserer Familie, die Abitur gemacht hat. Sie war auch die erste, die studiert hat. Und ich habe alles ein Jahr nach ihr gemacht.

Gegenwind:

Hilft es, wenn man eine ältere Schwester hat?

Laura Boachie:

Ja, man hat immer eine Art Vorbild.

Gegenwind:

Wie bist Du in Kontakt mit der Initiative „Kluge Köpfe“ gekommen?

Laura Boachie:

Meine Schwester kannte Rose Sekoh, Rose hat ihr gesagt, dass wir uns anmelden sollen. Wir haben noch ein Interview mit der Jury geführt und wurden dann auch angenommen.

Gegenwind:

Wie hat Dir die Veranstaltung hier in Kiel gefallen?

Laura Boachie:

Sehr gut! Es war auch interessant, die ganzen Geschichten zu hören. Ich war auf jeden Fall nach der Veranstaltung sehr inspiriert und motiviert.

Gegenwind:

Wie fanden Deine Eltern das, ihre Töchter vorne stehen zu sehen?

Laura Boachie:

Meine Eltern waren sehr, sehr stolz. Sie haben uns auch gesagt, wie stolz sie auf uns sind. Sie fanden die Veranstaltung auch richtig klasse. Und meine kleinen Geschwister auch, die waren sehr begeistert. Auch von den Reden, die wir gehalten haben.

Gegenwind:

Wollen Deine kleinen Geschwister auch irgendwann vorne stehen?

Laura Boachie:

Ich hoffe es. Sie machen nächstes Jahr ihr Abitur. Sie sind sich noch nicht sicher, ob sie studieren oder eine Ausbildung machen wollen. Aber sie wollen auf jeden Fall auch etwas in Deutschland erreichen.

Gegenwind:

Studium oder Ausbildung ist für die Initiative „Kluge Köpfe“ egal, sie wollen junge Menschen auszeichnen, die etwas erreicht haben. Hast Du die Wirkung auf die kleineren Kinder bei Deinem kamerunischen Urkundenempfänger gesehen?

Laura Boachie:

Ja, es war richtig süß, die Reaktionen zu sehen. Sie sagten, „Papa hat gewonnen“, sie waren richtig stolz auf ihren Vater.

Gegenwind:

Hast Du auch überlegt, wie Deine Wirkung auf die kleinen Kinder im Saal war?

Laura Boachie:

Ich hoffe, dass ich sie ermutigen konnte und dass ich auch etwas Positives bewirken kann. Es war auf jeden Fall richtig schön anzusehen bei der Familie aus Kamerun, wie stolz die Kinder auf den Vater waren.

Gegenwind:

Planst Du, die Initiative weiter im Auge zu behalten? Willst Du vielleicht auch mal andere vorschlagen?

Laura Boachie:

Ja, auf jeden Fall. Ich bleibe mit Rose im Kontakt. Wir werden auch einige andere Veranstaltungen zusammen organisieren. Ich werde nächstes Jahr auch bei der Veranstaltung dabei sein und bei der Organisation mithelfen.

Interview: Reinhard Pohl

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