(Gegenwind 408, September 2022)

Ehrenfriedhof Mahnmal Haffkrug-Neukoppel
Ein Blick auf den Entwurf einer Umgestaltung des Mahnmales in Haffkrug-Neukoppel auf dem Gelände des Ehrenfriedhofes für die Toten der Schiffskatastrophe vom 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht

Gegen das Vergessen und Verdrängen:

Den Blick schärfen

Anmerkungen zum Mahnmal (Ehrenfriedhof) in Haffkrug für die Toten der Schiffskatastrophe am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht

Die Cap Arcona war ihr Schicksal

Nicht wenige Juden erlebten Anfang Mai 1945 mit zahlreichen anderen KZ-Häftlingen die Katastrophe auf dem einstigen Luxus - Turbinendampfschiff in der Lübecker Bucht. Der Schnelldampfer „Cap Arcona“ hatte am 30. Januar 1945 seine vorletzte Fahrt von „Gotenhafen“ (heute Gdynia bei Danzig) mit rund zehntausend Flüchtlingen aus dem Osten Deutschlands aufgenommen und landete in einem seeuntauglichen Zustand vor Neustadt. Lediglich eine weitere Fahrt zur Rettung tausender verwundeter Soldaten aus Hela Richtung Kopenhagen wurde noch zugelassen. Ab 14. April 1945 lag das Schiff wieder vor Neustadt. Es wurde in der Folgezeit gegen den Willen der Kapitäne Johannes Gerdts und Heinrich Bertram zu einem schwimmenden KZ umgewandelt. Es war die letzte Station für Tausende von KZ-Häftlingen u.a. aus Stutthof bei Danzig, Neuengamme und für die Juden der Auschwitz- und Dora-Lager aus der Gegend von Ahrensbök. Sie endete mit der Bombardierung der Cap Arcona und der Thielbek durch die Royal Air Force am 3. Mai 1945.

Begleitet von SS-Wachmannschaften waren die Häftlinge von Ahrensbök (Sibliner Scheune) über Süsel (mit einer Übernachtung in einer Scheune auf dem Hof Plate) nach Neustadt/Ostholstein gekommen, wo sie auf die „Cap Arcona“ übergesetzt wurden. Am Nachmittag des 3. Mai 1945 griffen britische Jagdbomber die „Cap Arcona“ an. Von den mehr als 8000 Häftlingen an Bord konnten sich weniger als 350 retten und ans Ufer schwimmen. Dort trafen nicht wenige von ihnen auf ganz „gewöhnliche Deutsche“, die einige von ihnen mit Schaufeln und Spaten erschlugen. Wir Jungen waren entsetzt und verstört. Es waren die einzigen Toten des Zweiten Weltkrieges, die ich in dem von Kampfhandlungen weitgehend verschonten Ostholstein gesehen habe. Einige dürften noch heute an entlegenen Stellen des Strandes der Lübecker Bucht verscharrt liegen, wenn sie nicht mit den Opfern der KZ-Haft, der Zwangsarbeit und der Schiffskatastrophe in der Lübecker Bucht auf dem in den 1950er Jahren errichteten, 7500 Quadratmeter großen und lange unzureichend gepflegten „Ehrenfriedhof in Haffkrug-Neukoppel“ umgebettet worden sind. Der „Arbeitskreis 27. Januar in Eutin“ unter Leitung von Helmut Kurth aus Haffkrug bemüht sich seit langem um ein besseres und würdigeres Mahnmal des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Haffkrug.

Es waren die in Neustadt-Pelzerhaken tätigen Marinesoldaten Fritz Hallerstede und Hans Frölich, die entgegen dem Befehl der SS damals den Mut aufbrachten, mit ihrem Boot einige KZ-Häftlinge am 3. Mai 1945 vor dem Ertrinken in der Ostsee zu retten. Der ehemalige Lehrer Robert Alt von der von Fritz Karsen geleiteten Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln verfasste als Überlebender dieser Schiffskatastrophe zusammen mit dem Polen Antoni Boron zu diesem Rettungsakt einen Handzettel für die beiden Repräsentanten der Bremer Gegner des NS-Systems aus den Reihen der Arbeiterbewegung, die am nächsten Tag von den einrückenden britischen Truppen vor der Verhaftung durch die SS gerettet werden konnten. Antoni Boron wurde noch im Mai 1945 zusammen mit Bogdan Suchowiac von der britischen Besatzungsmacht zum Leiter des am 14. Mai 1945 eröffneten Displaced Persons (DP)- Lager in Sierksdorf-Haffkrug ernannt. Die Lagerleitung bezog das Haus Mira Mare.

Das Lager gehörte neben Neustadt zu den vier DP-Lager in Schleswig-Holstein. Dazu kam noch eine DP-Gemeinde mit 4700 Juden in Pöppendorf (Exodus). In der britischen Zone registrierten die Engländer am 18. Juli insgesamt rund 130.000 Displaced Persons.

Robert Alt verzichtete dagegen auf die Leitung des DP-Lagers in Neustadt/OH. Alt beteiligte sich noch am 7. Mai 1945 an der ersten Gedenkfeier für die Toten der Schiffskatastrophe in Neustadt. Anschließend wollte er sich mit Billigung der Besatzungsmacht und mit seinen aus dem US-Exil zurückgekehrten Mitgliedern des Bundes Entschiedener Schulreformer um Fritz Karsen für eine Neuordnung der Schulen auf der Grundlage des Einheitsschulsystems in Hamburg und Berlin erneut einsetzen, mit dem die Bildungsreformer um Anna Siemsen und Fritz Karsen 1920 auf der Reichschulkonferenz in Berlin gescheitert waren.

DP-Lager in Haffkrug und Sierksdorf

Die Überlebenden der Schiffskatastrophe kamen noch im Mai 1945 in die Displaced Persons (DP)-Lager Neustadt und Sierksdorf/Haffkrug. Die einheimische Bevölkerung hatte dort innerhalb wenigen Stunden ihre Wohnungen zu verlassen, von den Versorgungsdienstleistern abgesehen wie den Kaufleuten, Bauern, Fischern oder Ärzten. Monate später kamen nicht wenige von ihnen im ehemaligen KZ Neuengamme unter, wo sie auf die Rückkehr in ihre Heimat oder die Gewährung eines Exils in Europa, den USA oder Palästina lange warten mussten. Da unter den rund 10.000 überlebenden KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern aus 17 Nationen in dieser Gegend sich allein 5000 Polen befanden, wurde in den Ostseebädern diese kurze Nachkriegsperiode „Polen-Zeit“ genannt. Ein Zeitzeuge verdichtete diese Erfahrung: „Kennt ihr Klein-Warschau im Holsteiner Land? Haffkrug und Sierksdorf ist es am Ostsee-Strand“.

Der „Anzeiger für den Landkreis Eutin“ berichtete immer wieder über Versorgungsengpässe, Raub und Morde nicht nur in den DP-Lagern, mit verursacht durch die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Haffkrug und Sierksdorf bis in die Dörfer Röbel und Altenkrempe reichende Kriegsgefangenzone F mit über 100.000 deutschen Kriegsgefangenen. Dazu kamen die Probleme der unzureichenden Flüchtlingsfürsorge für tausende Heimatvertriebene und Flüchtlinge mit einem Anteil von rund 50 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das führte zur konfliktreichen Überfüllung aller Haushalte und zu Massenarbeitslosigkeit. Für die ausgewiesenen Bewohner aus Haffkrug und Sierksdorf verschärfte sich die Suche nach Notunterkünften in der Region dadurch zusätzlich, dass nicht wenige Bewohner aus Scharbeutz gezwungen wurden ihre Häuser zu verlassen, weil die Besatzungsmacht hier ab 13. Mai 1945 bis 1954 ein Kur- und Erholungslager für die Briten eingerichtet hatte (Rest-Camp).

Dass wir über diese letzte Etappe der Todesmärsche und den damit verbundenen Katastrophen am Kriegsende gut informiert sind, verdanken wir dem ernannten Innenminister und ersten gewählten Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein nach der Befreiung: Hermann Lüdemann (1880-1959) forderte die lokalen Behörden des Landes 1946 immer wieder und teils vergeblich auf, Dokumente über Verfolgung und Vertreibung zu sammeln und für die Opfer des Holocaust würdige Grabstellen und Massengräber für die Opfer der Konzentrationslager anzulegen. (Siehe dazu die Kopien aus den ehemaligen „Dachboden-Akten“ des alten Rathauses von Ahrensbök). So kam es im Gefolge des Erlasses der Militärregierung vom 1. Oktober 1946 zur Eröffnung des ersten Ehrenfriedhofes für die Toten der Cap Arcona- und Thielbek-Katastrophe im damaligen Fischerdorf Sierksdorf in unmittelbarer Nähe zum Hotel Seehof.

Sierksdorf ist heute ein Seebad mit einem der größten Freizeitparks an der Ostseeküste (Hansapark). Im März 1950 wurde dieser Ehrenfriedhof aufgelöst und auf Veranlassung der Landesregierung mit 1128 Opfern nach Haffkrug-Neukoppel ausgelagert. Heute durch die unmittelbare Nähe zur später angelegten Bundesstraße 76 und zur Autobahnzufahrt Haffkrug eingeengt und von Autolärm belästigt, erlebte der lange vernachlässigte Ehrenfriedhof immer wieder Erweiterungen und Umbettungen. Allein 800 Opfer der Schiffskatastrophe wurden vom Waldfriedhof Timmendorf nach Neukoppel verlegt. Auch fanden hier zahlreiche verstorbene polnische Staatbürger aus dem DP-Lager Haffkrug-Sierksdorf ihre Grabstelle. Und 1958 veranlasste eine französische Gräberkommission die Umbettung von Toten aus den „Arbeitserziehungslager Nordmark“, die zunächst auf dem Eichhof in Kiel in Massengräbern verscharrt worden waren. Aus diesem Anlass musste auch das von Polen nach 1945 gestiftete Denkmal für die Toten versetzt werden. Dazu kamen aus Kiel weitere 50 Polen, die zwischen dem Juli 1944 und dem September 1944 bei Aufräumarbeiten in Kiel getötet worden waren.

Zur weiteren Orientierung verweisen wir auf das

Zu Hermann Lüdemann

Als ehemaliger Regierungspräsident von Niederschlesien gehörte Hermann Lüdemann 1933 zu den ersten Opfern des NS-Terrors. Der 1880 in Lübeck geborene Sozialdemokrat Lüdemann wurde 1933 in das Breslauer KZ Dürrgoy eingewiesen und in einem „Clownskostüm durch die Straßen von Breslau getrieben, verhöhnt und bespuckt von den Nazis“, wie die aus Breslau stammenden Willy Cohn, Paul Löbe und der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern als Zeitzeugen erinnern. Anschließend durchlief Lüdemann die KZ Esterwegen, Lichtenburg und Sachsenhausen. Von dort wurde er am 21 April 1945 auf einen Todesmarsch Richtung Lübecker Bucht geschickt. Die Cap Arcona-Katastrophe blieb ihm erspart, weil er in einem Häftlingslazarett in Mecklenburg versteckt überlebte.

Lüdemann forderte die Landeskreisverwaltungen am 29. November 1946 auf, der Anordnung der Militärregierung zu folgen und Grabanlagen mit Gedenksteinen sofort in Angriff zu nehmen.

Nicht erspart blieb Hermann Lüdemann, dass er als Innenminister und anschließend als erster gewählter Ministerpräsident in Schleswig-Holstein (1946 -1949) erleben musste, dass selbst einige seiner Genossen nichts aus den von Julius Leber, Willy Brandt und Hermann Brill nach Verfolgung und Haft thematisierten Fehlern der SPD in der Endphase der Weimarer Republik gelernt hatten und ein Bündnis mit Rechtsradikalen einzugehen bereit waren, um an der Macht zu bleiben. Diesen frühen Sündenfall der SPD-Bündnispolitik mit Rechtsradikalen von 1950 in Schleswig-Holstein thematisierte schon Otto Wollenberg (1898-1973). Er war 1950 aus dem New Yorker-Exil zurückgerufen und zum Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein ernannt worden. In seinen Kieler Jahren warnte der aus Berlin stammende Journalist Otto Wollenberg seine SPD-Genossen davor, prominente Anhänger und Förderer des NS-Systems zu entnazifizieren, mit der neonazistischen SRP (Sozialistische Reichspartei, die sich als NDSAP- Nachfolgeorganisation der NSDAP verstand und 1953 verboten wurde), Gespräche zu vereinbaren und mit dem BHW Koalitionsverhandlungen schon vor den Landtagswahlen von 1950 zu führen. Der aus dem schwedischen Exil zurückgekehrte Lübecker Sozialdemokrat Paul Bromme war ein prominenter Anhänger dieser weder vom Bezirks- noch vom Bundesvorstand der SPD vertretenen Politik. Bromme hoffte mit dem damaligen Justizminister Rudolf Katz und Innenminister Wilhelm Käber, durch eine möglichst umfassende Zersplitterung der Kräfte von rechts „die Abwanderung in die rechtsradikalen Lager“ und den Sieg des „Deutschen Wahlblocks“ verhindern zu können. Im Oktober 1950 hielt Wollenberg in seinem Bericht an den SPD-Vorstand (Fritz Heine) fest: „Ich glaube, dass unsere Politik der neofaschistischen Tolerierung vor der Wahl und in der Wahl - ‚sie splittern Stimmen von der CDU ab’ - eine falsche Konzeption war“. Er forderte eine Kursänderung, „eine kämpferische Haltung der Partei und der Landtagsfraktion gegen den Neofaschismus in Schleswig-Holstein“. Sein Ende Juli 1953 für den SPD-Vorstand in Bonn verfasster Bericht über die Stärke der Neofaschisten in Schleswig-Holstein ist bis heute aktuell geblieben.

Jörg Wollenberg

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