(Gegenwind 404, Mai 2022)

Zeitungsstapel
Fotos: Gaston Kirsche.

Kreative Entlassungen bei der taz

Die Anzeigenabteilung der Tageszeitung taz an den Verlagsstandorten Hamburg und Bremen soll geschlossen werden

Die neue Geschäftsführung der taz hat drei langjährig Beschäftigten der taz Nord in Hamburg und Bremen betriebsbedingt gekündigt. Die zwei Frauen und ein Mann, zwischen 58 und 60 Jahre alt, arbeiten dort seit 14 bis 19 Jahren in der Anzeigenabteilung des Regionalteils für die nordwestdeutschen Bundesländer. Alternativ könnten die Beschäftigten nach Berlin umziehen und dort für am Hauptstandort der taz für die bundesweite Ausgabe arbeiten, boten Geschäftsführung und Vorstand der taz an.

Der Betriebsrat der taz Berlin hält das Angebot des Arbeitgebers hingegen für „vergiftet“. Da „sich normale taz-Beschäftigte keinen teuren Umzug, keine neue Wohnung in Berlin oder mehrmaliges Pendeln im Monat leisten können“, wie Jörg Reichel kritisiert. Für den Gewerkschaftssekretär im ver.di-Bezirk Berlin-Brandenburg ist offensichtlich: „Geschäftsführung und Vorstand hoffen wohl insgeheim, dass die Beschäftigten kapitulieren und ihre Arbeitsplätze aufgeben. Das ist weder solidarisch noch sozialverträglich“. Ver.di fordert die Rücknahme der Kündigung und „dass die Kolleg*innen ihre Arbeit weiterhin von Hamburg und Bremen aus erbringen können“.

Die taz ist nicht im Besitz eines Konzernes oder von wenigen Privatpersonen, sondern eine Genossenschaft. Eigentlich ein Ansatz für Wirtschaftsdemokratie. Dem entsprechend kann die Geschäftsführung nur Entscheidungen im Rahmen des operativen Tagesgeschäftes fällen - wie Einstellungen und Entlassungen, insbesondere im Verlagsbereich. Der redaktionelle Bereich ist weitgehend selbstverwaltet, neben dem Betriebsrat kann hier auch noch der ebenfalls gewählte Redaktionsrat mitentscheiden, wen die Chefredaktion und die redaktionellen Abteilungsleiter einstellen oder entlassen. Und strategische Entscheidungen werden im Vorstand gefällt, wo neben den beiden Geschäftsführenden auch drei aus der Belegschaft gewählte Vertreter*innen mitentscheiden. Die gewählten Vorstände entscheiden nur in zwei Fällen über Personalien mit, da allerdings entscheidend: wenn es um die Berufung oder Abberufung der Geschäftsführer*innen oder der Chefredaktion geht. Im konkreten Fall bedeutet das, dass der Vorstand zwar beschlossen hat, den Anzeigenverkauf Nord als eigenständigen Bereich aufzulösen, aber nicht, die Kolleg*innen zu entlassen. Die konkrete Umsetzung der Entlassungen liegt in der Verantwortung der Geschäftsführung.

Insgesamt haben die beiden hauptamtlichen Geschäftsführenden immer einen Wissensvorsprung vor den drei Vertreter*innen aus der Belegschaft, welche für die Vorstandsarbeit nur geringfügig von ihrer eigentlichen Arbeit in Redaktion und Verlag freigestellt sind. So konnten die drei Belegschaftsvertreter*innen der Darstellung der Geschäftsführung, dass in der Anzeigenabteilung der taz nord anders als früher die Personalkosten angeblich höher als die Einnahmen seien, auch keine eigenen Zahlen entgegensetzen und stimmten der Schließung der Abteilung zu.

In einer Erklärung der Geschäftsführung, die sie am 31. März im hausinternen Intranet veröffentlicht hat, heißt es „Nachdem im Norden die Kosten für das Anzeigengeschäft inzwischen höher sind als die Erlöse, hat der Vorstand aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Entscheidung getroffen, den Anzeigenverkauf für die taz Nord einzustellen und die Anzeigenabteilung Nord zu schließen. Den bisher in Hamburg und Bremen arbeitenden Kolleg*innen haben wir eine Weiterbeschäftigung in Berlin für die überregionale Vermarktung angeboten. Diese kann weiterhin wegen der höheren Auflage, sowie der bereits erfolgten Umstrukturierungen wirtschaftlich geführt werden.“

Die Geschäftsführung der taz arbeitet seit Jahren an der Umstellung der taz von einer gedruckten Tageszeitung auf digitale Plattformen, wofür Personalausgaben aus anderen Bereichen umgeschichtet werden. Eigentlich wird bei diesem Prozess der Digitalisierung die Belegschaft eingebunden, so der hehre Anspruch. Etwa wenn es um die Entwicklung der taz App geht. Die Mitarbeitenden bespielen nicht nur die gedruckte Ausgabe, sondern auch Internetseite, App, Social Media. Für die Mehrarbeit gibt es dafür auch mehr Gestaltungsspielraum - und einen fairen, kollegialen Umgang im Betrieb, so der Anspruch. Umso größer jetzt die Empörung in der Belegschaft. Denn die gedruckten Regionalteile Berlin und Nord mussten für die Digitalisierung eh schon Reduzierungen hinnehmen. So wurden die Stadtseiten für Hamburg und Bremen eingespart und in der Wochenendausgabe die Regionalteile Berlin und Nord zu stadtland zusammengelegt. Damit wurde auch das Verkaufen von Anzeigen im regionalen Markt erschwert. Und jetzt soll die Anzeigenabteilung der taz Nord komplett geschlossen werden, in Berlin sind bis jetzt keine Stellenstreichungen geplant. Die Entlassungen jetzt verunsichern die Belegschaft, denn: Geschäftsführung und Chefredaktion hatten ihren Beschäftigten im Zuge der Blattreform vor einem Jahr zugesichert, dass niemand seinen Arbeitsplatz in Hamburg oder Bremen verlieren werde oder umziehen müsse: „Das Versprechen von Chefredaktion und Geschäftsführung ist gerade mal ein Jahr alt, seine Halbwertszeit aber ist offenbar gering“, so die Betriebsratsvorsitzende der taz nord, Lotta Drügemöller: „Die taz nötigt zum Umzug, die taz kündigt. Schlimmer noch: Die taz kündigt ohne Not.“

Zumal die Begründung abstrus ist: „Die bisherigen Erfahrungen ... haben gezeigt, dass eine Zusammenarbeit über die Distanz trotz intensiver Bemühungen nicht erfolgreich zu schaffen war“, schreibt die Geschäftsführung, und: „taz ist eine anspruchsvolle Aufgabe, insbesondere in Zeiten der digitalen Transformation, die gemeinsame Kreativität erfordert und deshalb nur in enger Abstimmung in einem Team an einem Ort erfolgen kann.“ Völlig ignoriert wird dabei, dass die Lokalausgaben der taz für Hamburg und Bremen bereits 2006 zur taz nord zusammengelegt wurden - die an sechs Tagen die Woche in beiden Städten arbeitsteilig produziert und an einem dritten Ort gedruckt wird. Und dass seit nunmehr zwei Jahren coronabedingt die taz an allen drei Standorten - Berlin, Hamburg, Bremen - großteils im Homeoffice hergestellt wird. Aber „Erkenntnisse der letzten Jahre und die Befragung zur Arbeit im Homeoffice haben gezeigt, dass wichtige kreative Prozesse wesentlich besser bei analogen Treffen und direktem Austausch im Büro stattfinden“. Und Homeoffice führe „außerdem zu einer höheren Belastung der koordinierenden Stelle“. Die Anzeigen für ein zukünftig digitales Produkt solle also wohl lieber analog akquiriert und disponiert werden. Dem widerspricht das Anzeigenteam in Berlin aus dem Homeoffice vehement in einer E-Mail der Solidarität: „Es gibt keinen Grund warum die Akquise und Disposition nicht von jedem anderen Ort aus gemacht werden kann. Das haben wir in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg bewiesen.“

Am 4. April gab es ein ungewohntes Bild vor dem Berliner Haus der taz: Über 30 von 50 anwesenden Mitarbeitenden folgten einem Aufruf von ver.di und stellten sich mit Protestplakaten vor den Eingang, solidarisierten sich mit den drei Kolleg*innen der taz nord, probten Arbeitskampf und forderten die Rücknahme der Entlassung. Im Intranet der taz hat die massive Kritik von Beschäftigten dazu geführt, dass vom Vorstand eine Mitarbeitendenversammlung am 13. April einberufen wurde - online. Darüber berichtete der Redakteur Erik Peter auf den Berlinseiten der taz.

„Ansonsten schauen wir mit gemischten Gefühlen in die Zukunft“, so die Betriebsratsvorsitzende der taz nord: „Vieles im Haus wird sich grundsätzlich ändern, schreibt Aline Lüllmann in ihrer Reaktion auf die Solidarität im Haus. Wir haben gar nichts Grundsätzliches gegen Veränderung, keine Angst“, versichert Lotta Drügemöller: „Aber es macht uns Sorgen, dass die Geschäftsführung bei diesen Änderungen die Augen vor zukunftsfesten Lösungen verschließt und lieber langjährige Mitarbeitende kündigt. Zuversichtlich macht uns dagegen die riesige Solidarität der taz-Belegschaft. Wir glauben, wenn wir diese Kraft richtig nutzen, wenn wir die Regeln für die Transformation selbst mitgestalten, dann ist es möglich, die taz als lebenswerten Arbeitsort zu erhalten. Es reicht halt nur nicht, dafür auf das Goodwill der Führungsetage zu vertrauen“. Sicher kann es auch nicht schaden, wenn Leser*innen der taz nord sich gegen die Entlassungen äußern.

Gaston Kirsche
Der Autor hat 15 Jahre bei der taz nord / hamburg gearbeitet.

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