(Gegenwind 403, April 2022)
In den letzten Jahren kamen viele Flüchtlinge aus Armenien nach Deutschland, junge und alte Leute, einzelne Personen und Familie. Die meisten Asylanträge werden abgelehnt, mehrere Hundert Menschen jedes Jahr abgeschoben. Doch es gibt auch welche, die trotz Ablehnung bleiben können. Wir haben Viktorya gefragt, was sie unternommen hat, damit sie und ihre Familie hier bleiben dürfen.
Gegenwind:
Kannst Du Dich zuerst vorstellen?
Viktorya:
Ich bin Viktorya. Ich komme aus Armenien. Ich bin von Beruf Pflegefachkraft. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Wir sind seit August 2016 in Deutschland.
Gegenwind:
Warum seid Ihr nach Deutschland gekommen?
Viktorya:
Wir waren zuerst in Holland, das war 2012. Wir waren ein paar Jahre dort, aber von dort wurden wir nach Armenien abgeschoben. Damit wir nicht wieder nach Armenien abgeschoben werden, sind wir es dann in Deutschland gekommen.
Gegenwind:
Was habt Ihr Euch erhofft von Deutschland?
Viktorya:
Hier in Deutschland gibt es mehr Möglichkeiten. Hier kann man lernen, Ausbildung machen. Und man bekommt dafür Unterstützung vom Arbeitgeber oder vom Staat. In Armenien muss man alles selbst bezahlen.
Gegenwind:
Was ist der Unterschied zwischen den Niederlanden und Deutschland?
Viktorya:
In den Niederlanden kann man keine Ausbildung machen oder lernen, wenn man im Asylverfahren ist. Aber in Deutschland gibt der Staat einem viele Möglichkeiten zum Lernen oder zum Arbeiten. Und hier wird auch die ganze Familie gut abgesichert.
Gegenwind:
Wusstet Ihr das vorher? Seid Ihr deshalb 2016 nach Deutschland gekommen?
Viktorya:
Nein, wir wussten überhaupt nichts. Wir haben es einfach probiert und sind nach Deutschland gekommen.
Gegenwind:
Wenn man als Armenierin ein bisschen Holländisch gelernt hat, ist es dann einfacher, Deutsch zu lernen?
Viktorya:
Ja, es ist viel einfacher. Wenn man ein bisschen Holländisch kann, das ist so ähnlich wie Plattdeutsch.
Gegenwind:
Habt Ihr auch überlegt, in andere Länder zu gehen?
Viktorya:
Nein.
Gegenwind:
Wie ist Euer Asylverfahren gelaufen?
Viktorya:
Als wir nach Deutschland kamen, war gleich klar, dass wir schon in Holland waren. Es gab ein langes Dublin-Verfahren. Sie wollten uns nach Holland abschieben. Nach ein paar Monaten habe ich einen Deutschkurs gefunden und ein paar Monate später habe ich eine Ausbildung angefangen.
Gegenwind:
Und wie endete das Asylverfahren?
Viktorya:
Wir wurden abgelehnt und sollten abgeschoben werden. Das war 2017. Aber weil ich eine Ausbildung gemacht habe, habe ich eine Ausbildungsduldung erhalten.
Gegenwind:
Was war das für eine Ausbildung?
Viktorya:
Ich habe die Ausbildung als Pflegefachkraft gemacht. Und jetzt bin ich examinierte Pflegefachkraft.
Gegenwind:
Wie hast Du den Ausbildungsplatz gefunden?
Viktorya:
Ich habe mein Ausbildung durch mein Freundin Liana gefunden.
Gegenwind:
Hast Du Dich schriftlich beworben? Oder bist Du hingegangen?
Viktorya:
Ich bin mit einer deutschen Bekannten hingegangen und habe mit der Pflegedienstleitung darüber gesprochen.
Gegenwind:
Wo hast Du denn damals gelebt?
Viktorya:
Damals habe ich in Sterup gelebt. Und als ich meine Ausbildung in Gelting gefunden habe, mussten wir von Sterup nach Gelting umziehen, weil die Busse hier nicht zu den richtigen Uhrzeiten fahren. Schon im Praktikum hatte ich Frühdienst und Spätdienst, man muss da zu verschiedenen Zeiten arbeiten, deshalb sind wir nach Gelting umgezogen.
Gegenwind:
Wann hast Du denn die ersten Deutschen kennengelernt, also nicht die Angestellten in der Flüchtlingsunterkunft, sondern Nachbarn und Freunde?
Viktorya:
Zuerst habe ich meine Betreuerin kennengelernt. Erst später habe ich Helen kennen gelernt. Sie ist Deutsche und sie hat mir ganz viel geholfen. Sie hat mir geholfen das ich meine Ausbildung angefangen kann, mich in der Schule anzumelden. Ich hatte damals kein B1-Sprachzertifikat. Deshalb habe ich zu Hause im Internet, bei Youtube und überall geguckt, und ich habe selber zu Hause für B1 gelernt, und dann habe ich die Prüfung in Schleswig bestanden.
Gegenwind:
Hast Du denn inzwischen eine B2-Prüfung bestanden?
Viktorya:
Nein. Ich habe einen anderen Plan. Nach der Ausbildung bin ich verpflichtet, zwei Jahre in meinem Beruf zu arbeiten. Wenn die zwei Jahre durch sind, möchte ich gerne eine Weiterbildung als Palliativpflegerin machen. Ich möchte gerne die B2-Prüfung machen, aber zeitlich schaffe ich das nicht.
Gegenwind:
Hilft es Dir, wenn bei der Arbeit niemand Armenisch oder Russisch kann?
Viktorya:
Ja, das hilft. Es gibt dort ja die armenische Bekannte, die mir den Kontakt vermittelt hat, wenn wir uns treffen, sprechen wir Armenisch. Aber Deutsch sprechen habe ich hauptsächlich bei der Arbeit gelernt.
Gegenwind:
Wie alt waren Deine Kinder, als Du hergekommen bist?
Viktorya:
Natalie war eineinhalb Jahre, und Alex war vier Jahre alt.
Gegenwind:
Wie lange haben die Kinder gebraucht, um Deutsch zu lernen?
Viktorya:
Die Kinder haben nicht lange gebraucht. Die haben ganz schnell Deutsch gelernt.
Gegenwind:
Du hast gesagt, wenn man eine Duldung hat und abgeschoben werden soll, kann man eine Ausbildung suchen, um hier zu bleiben. Woher weißt Du das?
Viktorya:
Als ich nach Deutschland kam, haben wir andere Armenier getroffen. Wir sind wie eine Familie. Wer etwas weiß, sagt es den anderen. Jeder hat mit anderen Kontakt, so wie die richtige Familie und sind wir alle miteinander verbunden. Ich habe von einer Familie gehört, dass er eine Ausbildung macht, und wenn man Ausbildung macht, bekommt man für drei Jahre eine Ausbildungsduldung, und damit bleibt man in Deutschland.
Gegenwind:
Waren alle Informationen genau genug, oder musstest Du weiter fragen?
Viktorya:
Nein, ich musste weiter fragen. Denn immer wieder ändert sich das, es gibt immer Änderungen bei den Gesetzen. Ich habe auch im Internet gesucht, und dann habe ich Dich gefunden und gelesen, dass Du in Flensburg eine Veranstaltung machst. Da bin ich mit Helen und Carola Baack von Amt Geltinger Bucht hingefahren und habe mich informiert.
Gegenwind:
Du hattest mir aber auch schon vorher Mails geschrieben mit Fragen.
Viktorya:
Ja, das stimmt.
Gegenwind:
Muss man viele Leute fragen? Oder ist es wichtiger, die richtigen Leute zu finden?
Viktorya:
Man muss sich viel informieren lassen, man muss sich beraten lassen. Es gibt überall Beratungsstellen, da kann man anrufen und Fragen stellen. Auch in der Ausländerbehörde kann man anrufen und fragen, damals konnte man es. Die wollen manchmal nicht antworten, ob man die Voraussetzungen für das Gesetz erfüllt oder nicht. Aber es gibt Beratungsstellen, wo man sich informieren lassen kann.
Gegenwind:
Vor der Veranstaltung hattest Du mir mehrere E-Mails auf Deutsch geschrieben. Und die Veranstaltung in Flensburg war ja auf Deutsch. Was machen die Armenier, die kein Deutsch können?
Viktorya:
Wenn sie kein Deutsch können, kann man ihnen mit Dolmetschen helfen. Als ich noch kein Deutsch konnte, habe ich Hilfe von armenischen Freunden bekommen. Aber später muss man sich im Deutschkurs anmelden. Viele Armenier sind sehr schlau, sie suchen viele Informationen und lernen auch die Sprache.
Gegenwind:
Haben andere mitbekommen, dass Du Informationen hast? Wurdest Du dann auch gefragt?
Viktorya:
Als ich meine Ausbildung bestanden habe, oder als ich in der Ausbildung war, haben immer welche gefragt, die Schwierigkeiten hatten. Wir haben immer ausgetauscht, was man machen kann, wo man anrufen kann, wo man sich informieren lassen kann.
Gegenwind:
Du bist ja verheiratet. Was hat Dein Mann versucht?
Viktorya:
Mein Mann hat von Anfang an gearbeitet. Bei uns arbeitet eine 100 Prozent und einer 50 Prozent, mit zwei Kindern können nicht beide Vollzeit arbeiten.
Gegenwind:
Wenn der Asylantrag abgelehnt ist, bekommt Ihr ja den Brief: Verlassen Sie Deutschland, sonst können sie abgelehnt werden. Gleichzeitig wollen sie einen armenischen Pass. Wie habt Ihr das gemacht?
Viktorya:
Da hat die Ausländerbehörde uns Zeit gegeben. Ich bekam erst die Ausbildungsduldung. Aber dann haben wir Pässe beantragt und unsere Reisepässe in der Ausländerbehörde abgegeben.
Gegenwind:
Du hattest also schon keine Angst mehr vor einer Abschiebung?
Viktorya:
Nein. Denn während der Ausbildung können wir nicht abgeschoben werden.
Gegenwind:
Wollt Ihr Deutsche werden?
Viktorya:
Wir bleiben immer Armenier, egal in welchem Land wir sind. Aber es wäre gut, und wir geben uns auch Mühe, dass wir einen deutschen Pass bekommen. Aber Armenierin bleibe ich immer, egal was für ein Dokument ich in der Hand habe.
Gegenwind:
Es werden ja viele Armenierinnen und Armenier abgeschoben. Was rätst Du Armeniern, was sollen sie tun, damit sie nicht abgeschoben werden?
Viktorya:
Wichtig ist, erstmal die deutsche Sprache zu lernen, einen Ausbildung zu finden, sich immer informieren zu lassen und nicht aufzugeben. Ich habe meine Aufenthaltserlaubnis bekommen, weil ich eine Ausbildung gemacht habe. Aber ich kann nicht sagen, was ein paar Jahren später passiert. Vielleicht gibt es dann andere Möglichkeiten, oder die Gesetze haben sich geändert.
Gegenwind:
Wie geht es jetzt weiter? Welchen Status habt Ihr im Moment?
Viktorya:
Ich habe nach der Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, vor zwei Jahren. Und im Oktober ist diese Aufenthaltserlaubnis durch, dann kann ich einen neuen Antrag stellen, dann bekomme ich eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre.
Gegenwind:
Und Dein Mann?
Viktorya:
Mein Mann hat zur Zeit ein Duldung. Ich habe einen Antrag für eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gestellt.
Gegenwind:
Werden die Kinder jetzt in Gelting erwachsen?
Viktorya:
Interview: Reinhard Pohl