(Gegenwind 403, April 2022)

Craig Whitlock: Die Afghanistan-Papers
Craig Whitlock: Die Afghanistan-Papers. Der Insider-Report über Geheimnisse, Lügen und 20 Jahre Krieg. Econ-Velag, Berlin 2021, 400 Seiten plus Farbfoto-Teil, ISBN 978-3-430-21074-4, 24,99 Euro.

Die USA wussten von der Niederlage

Interne Unterlagen aus der US-Regierung

Die US-Regierung und die US-Armee wussten nach der Intervention in Afghanistan frühzeitig, dass der Einsatz nicht funktioniert. Hauptpunkt war das Fehlens eines Plans, der über die Zerschlagung von al-Qaida hinausging. Die gelang sehr schnell, aber dann blieb die Besatzungsarmee und wurde durch Einheiten aus vielen NATO-Staaten und Verbündeten ergänzt.

Die Autoren dieses Buches gehören zur „Washington Post“. Sie wussten, dass die US-Armee und die Regierung in Afghanistan tausende von Interviews geführt hatte, und zwar mit Soldaten und Offizieren, auch Diplomaten und Entwicklungshelfern. Was hatten die zwischen 2001 und 2022 gesagt? Geheim, sagte die Regierung. Doch die Interviews waren mit Steuergeldern finanziert worden, und nach dem Gesetz über die „Freiheit der Informationen“ konnte die Redaktion die Herausgabe erklagen.

„Wir können nicht verlieren“, sagte die Regierung in den zwanzig Jahren des Krieges immer wieder auf Pressekonferenzen, denn die US-Armee ist schließlich die stärkste Armee der Welt. „Wir haben schon verloren“, sagten dagegen Offiziere und Soldaten in den Interviews. Sie wurden in einem fremden Land eingesetzt, von dem sie weder die Geschichte noch die Gesellschaftsordnung kannten, die Sprache nicht verstanden. Und sobald sie ein bisschen Ahnung vom Land hatten, wurden sie abgelöst.

Außerdem lehnten verschiedene US-Präsidenten den Vorschlag ab, einen neuen Staat in Afghanistan zu bilden. Das sollten die Afghanen selbst machen, die europäischen ISAF-Truppen sollten diese Regierung schützen - das kann überhaupt nicht funktionieren.

Viel schlimmer aber war, dass die NATO-Truppen nicht am Widerstand der afghanischen Gruppen, vor allem den Taliban, gescheitert sind. Richtig ist: Sie haben diesen Widerstand erst hervorgerufen und ihm Zulauf verschafft. Mit einem etwas klügeren Rezept hätten sie das vielleicht vermeiden können. Aber es gab eine Menge Bestrafungsaktionen und Bombardierungen, die viele Unbeteiligte trafen und auch töteten. Zwischen den Gruppen, die die Regierung bildeten, und ihren Milizen gab es große Rivalitäten, und oft wurden der US-Armee falsche Informationen gegeben, so dass die Angriffe nicht Aufständische trafen, sondern die Miliz eines anderen Ministers.

Vollends durcheinander geriet der US-Krieg, als für einige Jahre auch die Bekämpfung des Drogenanbaus auf dem Programm stand. Hier gaben viele Gouverneure der US-Armee Ziele vor, die nicht die größten Drogenbarone, sondern deren Konkurrenten trafen - die größten Drogenbarone waren nämlich häufig die Gouverneure selbst, und die bezahlten Schutzgeld an die Taliban, um die Anbaugebiete außerhalb der großen Städte zu schützen.

Unter den Augen der US-Regierung entstand auch eine große Bank, über die letztlich die Gehaltszahlungen für Soldaten, Polizisten und Beamt:innen liefen. Die Korruption der Führung sorgte dafür, dass viele Gelder in die Golfstaaten verschwanden. Um die eigene afghanische Regierung und Armee vor dem Zusammenbruch zu retten, musste die Bank mit Hunderten Millionen Hilfsgeldern aus den USA gerettet werden.

So schafft man sich seine Feinde, und letztlich führte der Rückzug der US-Truppen 2020 und 2021 dazu, dass niemand mehr da war, der die künstliche Ordnung aus Präsident, Regierung, Armee und Polizei noch verteidigen wollte. Wer behauptet, es habe überrascht, lügt: Jahrelang waren alle Probleme auf Zehntausenden von Seiten sorgfältig notiert worden. In diesem Buch finden sich die wichtigsten Dokumente.

Reinhard Pohl

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