(Gegenwind 402, April 2022)
Die Geschichte Afghanistans ist kompliziert. Aber nur, wer sie kennt, kann auch die jüngere Geschichte und die Flüchtlingsströme verstehen.
Ein Kennzeichen der afghanischen Geschichte der letzten 2500 Jahre, die in diesem kleinen Buch beschrieben werden, ist, dass es Afghanistan über lange Zeit überhaupt nicht gab. Das Gebiet gehörte teils zu Persien, teils zu Usbekistan, teils zu den Reichen und Kulturen am Indus, teils zum Reich der Mongolen - und lange hatten Afghanen, vor allem die Paschtunen im Süden und Osten des Gebietes nicht das Gefühl, dass sie mit den Hazara, den Tadschiken oder den Usbeken im Norden und Westen irgend etwas gemeinsam haben.
Tausend Jahre lang, vom siebten bis zum 17. Jahrhundert, regierten die Mongolen und ihre Nachfolgestaaten die Region, und weite Teile des heutigen Afghanistan gehörten zum Mongolenreich oder waren von einem mongolischen oder usbekischen Herrscher abhängig. Erst ab 1747 folgten eine Reihe von Staaten oder Königreichen, die von Paschtunen regiert wurden. Der Schwerpunkt lag, in heutigen Begriffen gesprochen, im Südosten Afghanistan oder im Westen Pakistans. Heute ist das Gebiet der paschtunischen Bevölkerung durch eine koloniale Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan geteilt.
Die heutigen Grenzen des Landes entstanden, als Perser, Russen und Briten sich über ihre Gebiete einigten. Russland eroberte die zentralasiatischen Gebiete, damals Turkestan, heute sind es fünf selbständige Staaten. Russland gliederte die Gebiete damals nicht ein, es waren Kolonien mit einheimischer Regierung und russischem Militärgouverneur. Großbritannien eroberte Indien, zu dem damals auch Pakistan gehörte. Persien war schwach, da ging es Russland und Großbritannien eher darum, dass nicht der jeweils andere die Grenzen verändert, deshalb einigte man sich auf eine Ostgrenze Persiens. Und das Gebiet, was zwischen Russland, Britisch-Indien und Persien lag und ihm gegenseitigen Einvernehmen nicht kolonisiert werden sollte, bildete dann "Afghanistan", wobei es erst später so genannt wurde. So entstand auch ein schmaler Streifen Land zwischen Tadschikisten und Pakistan, damals Russland und Britisch-Indien, der zu Afghanistan geschlagen wurde und das Land mit einer kurzen Grenze zu Indien ausstattete - als Streifen zwischen den streitenden Reichen.
Die Staatsbildung erfolgte dann 1880 bis 1930, und er verlief schmerzhaft. Denn in Afghanistan gab es schon damals eine Regierung, die das Land modernisieren wollte, und eine ländliche und konservative Bevölkerung, die nicht mitgenommen wurde. Und das bleib das Problem mit dem König bis 1978, der kommunistischen Regierung bis 1992, den Mudschaheddin und Taliban bis 2001 und dann der NATO gestützten Regierung bis 2021. Die Konflikte in der Zeit zwischen der Unabhängigkeit 1919 und heute nehmen zwei Drittel des Taschenbuchs ein.
Eine gute und komprimierte Darstellung, in der der Autor auch wertet, welche Fehler von welcher Seite gemacht wurden und werden. Das ist auch wichtig zur Einordnung für die Leserinnen und Leser, die das Buch als Einstieg nutzen, um die Hintergründe des aktuellen Konfliktes zu verstehen. Man muss natürlich nicht unbedingt 2500 Jahre zurückgehen, um die Gegenwart zu verstehen, aber es hilft wirklich sehr. Ich möchte das ausdrücklich empfehlen.
Reinhard Pohl