(Gegenwind 403, April 2022)

Ahmed Rashid: Taliban. Die Macht der afghanischen Gotteskrieger
Ahmed Rashid: Taliban. Die Macht der afghanischen Gotteskrieger. Verlag C. H. Beck, Dritte Auf-lage, München 2022, 491 Seiten, ISBN 978-3-406-78467-5, 16,95 Euro

Blick in das Innere

Ahmed Rashid schreibt seit über 30 Jahren über Afghanistan und über die verschiedenen kämpfenden Gruppen. Von Beginn an hatte der pakistanische Journalist Kontakt zu allen Führungskräften der Taliban, aber durch seine Sprachkenntnisse auch immer wieder zu einzelnen Mitgliedern. Fast 500 Seiten stark ist diese Buch über sein Wissen.

Man sollte gleich sagen: Das Buch ist zwar 2022 in dritter Auflage erschienen, es ist aber nicht so aktuell wie in der Werbung behauptet. Der Text berücksichtigt gerade noch die Entwicklung von 2009 und 2010, als die Taliban wieder die Hälfte von Afghanistan beherrschten. Allerdings wird die Taliban-Regierung von 2021 ausführlich vorgestellt, ebenso wurde die Chronologie bis 2021 fortgeführt.

Interessanter ist sowieso der Hauptteil des Buches. Es geht vor allem darum, wie die Taliban 1994 entstanden und bereits 1996 Kabul erobern konnten. Erläutert werden dabei nicht nur die verschiedenen Mudschaheddin-Gruppen, die damals miteinander konkurrierten und in denen die späteren Taliban-Führer bereits führende Positionen bekleideten. Erläutert werden auch die Absichten und Handlungen der Regierungen von Pakistan, Iran, Saudi-Arabien und den USA, außerdem die Absichten mehrerer Ölkonzerne aus den USA und Argentinien, die ein Pipeline aus Turkmenistan nach Pakistan planten - und zwar genau durch die Gebiete, die die Taliban mit pakistanischer Hilfe zuerst eroberten, also Herat und Kandahar.

Er erläutert aber auch die Fehler der Mudschaheddin-Gruppen, die den Taliban die Siege erleichterten. Die Mudschaheddin-Gruppen kämpften vor allem gegeneinander nicht nur um die Macht. Sie kämpften auch um Einkünfte, ließen nicht bezahlte eigene Truppen plündern und vergewaltigen, erhoben Abgaben an Straßensperren für LKW-Fahrer, lebten vom Anbau von Mohn, Opium, Heroin. Keine Gruppe hatte Interesse an Afghanistan oder der Bevölkerung.

Das konnten die Taliban anfangs glaubhaft behaupten: Sie verbündeten sich mit der LKW-Mafia, die daran interessiert war, nur an eine Gruppe eine Abgabe zu bezahlen und dafür eine sichere Route quer durch das Land zu erhalten. Sie erhoben eine Abgabe von Bauern, die Mohn und Opium anbauten, schützten sie aber dann auch vor konkurrierenden Drogenkartellen. Das heißt, die Taliban bezogen sich auch nicht auf die Bevölkerung, sondern kleine Gruppen von Männern, sie boten aber für die erhobenen Steuern und Abgaben eine reale Gegenleistung.

Die Beschreibung der vielen Bündnisse miteinander und gegeneinander, vermischt mit den Interessen von Saudi-Arabien, Iran, später wieder Russland und dann vor allem mit Pakistan ist natürlich nur etwas für diejenigen, die sich wirklich für Afghanistan interessieren. Der Autor ist bekannt für seine ausgezeichneten Kenntnisse, seine Kontakte und seine Seriosität. Er weiß, wovon er schreibt, lässt dann aber auch kaum eine Einzelheit, die Wiedergabe eines persönlichen Gesprächs und die Antworten auf seine Rückfragen bei Regierungen und Firmen aus. Wer einen detaillierten Einblick in die Taliban, die aus mehr als zwei Dutzend Organisationen bestehen, haben will, muss auch bereit sein, 500 Seiten zu lesen. Von Vorteil ist es dabei, wenn man schon andere Bücher über Afghanistan gelesen hat oder von dort stammt, um alles zu verstehen.

Keine Einführung also, sondern eine tiefgehende Analyse - aber unverzichtbar für diejenigen, die mit diskutieren wollen.

Reinhard Pohl

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