(Gegenwind 402, März 2022)
Seit Anfang Dezember 2021 erleben wir jeden Samstag einen größeren, als „Spaziergang“ bezeichneten Aufmarsch von Coronaleugner*innen, Verschwörungsgläubigen, Impfgegner*innen und Nazis in Flensburg. Eine rechtsoffene Mischung sehr unterschiedlicher Menschen ist gemeinsam auf der Straße. Nachdem die Stadt Flensburg vor allem ein Problem damit zu haben schien, dass diese Aufmärsche unkontrollierbar waren, weil sie flexibel, unangemeldet und ohne klare Zentrale stattfanden, stellt für uns v.a. die Rechtsoffenheit ein Problem dar.
Um auch Menschen die Teilnahme an den Protesten zu ermöglichen, denen ein klar legaler Rahmen wichtig ist und weil die Spaziergänge in den letzten Wochen zum Teil zu polizeilichen Großaufgeboten führten, (deren Ziel allerdings in erster Linie die antifaschistischen Proteste waren, aber das steht auf einem anderen Blatt), entschied sich also für diesen Samstag eine bisher nicht in Erscheinung getretene Jenny Raeder, nun doch eine Demonstration anzumelden. Innerhalb der Flensburger SchwurbelSzene sorgte das für Unmut und es gab Anfeindungen gegen die Anmelderin. Im Resultat traf sich eine diffuse Gruppe „Spaziergänger*innen“ am ZOB, und an der Hafenspitze formierte sich um 15 Uhr eine legale Demo. Diese führte dann am Hafen entlang, durch die Innenstadt, bis zum Rathaus und wieder zum Hafen zurück. Der NDR berichtet von 450 Menschen auf der angemeldeten Demo und weiteren 400 als diffuse „Spaziergänger*innen“ im Stadtgebiet, unseren Zählungen nach sind diese Zahlen eher zu hoch gegriffen, doch mehrere hundert waren es definitiv jeweils.
Die Anmelderin selbst redete nur sehr kurz am Anfang der Demonstration und betonte, sie sei für freie Impfentscheidung und Berufsfreiheit. Weitere Redebeiträge gab es nicht. Doch die von Leif Hansen (zentrale Person der Schwurblerdemos aus Eckernförde, der auch mehrfach Redner bei Pegida war) abgespielte Musik machte auch hier wieder unmissverständlich deutlich, dass es eben nicht um eine mehr oder weniger rationale Maßnahmenkritik geht, sondern um weitaus mehr. „Wir sind das Volk“ (Taylor) und „Deutschland zeig dein Gesicht“ (Alex Olivari) hieß es da und in einem Teil der Songs wurde die Pandemie geleugnet „The disease is not existing, it is not there“ bzw „There are no dead people“ (DJ Antigen „Ping Pong“).
„Es geht hier nicht mehr um Gesundheit - Bitte wacht auf und denkt nach!“ oder „Wahlreform - Neuwahlen“ oder „Ich entscheide für mich, nicht gegen dich - Wahrheit und Liebe“ stand auf Warnwesten und Schildern zu lesen und in einer umgedichteten Version von Bella Ciao wurde der Verlust der Freiheit besungen. „Stop Coronoia“ zierte ein T-Shirt und neben dem Hannah-Arendt-Zitat, keiner habe das Recht zu gehorchen stand „Das hatten wir schonmal - nie wieder!“ Unterschwellige bis offene Vergleiche der jetzigen Situation mit dem Faschismus sind auf den Demos an der Tagesordnung - geschichtsrevisionistische Verharmlosungen eines Systems, in dem Millionen von Menschen gezielt ermordet wurden.
Einige Demoteilnehmenden wünschten sich „Normalität“ zurück, andere trugen durchgestrichene „Pandemie“-Schilder und warben auf Flyern für die „Akzeptanz der Meinung jedes Einzelnen ohne Sanktionen“.
Wir fragen uns ob mit dieser genannten Akzeptanz, auch die Positionen von Jan Petersen-Brendel von der AfD gemeint waren, der erneut vor Ort war? „Antifa Presse kriegt gleich auf die Fresse“ rief er diesmal einer Pressevertreterin zu. Oder die des Flensburger Rappers Twanie, der mit Antisemit Xavier Naidoo kooperiert und regelmäßiger Teilnehmer der „Spaziergänge“ ist? Oder vielleicht galt der geforderte „Respekt für alle Meinungen“ auch den Angehörigen der faschistischen Eso-Gruppierung „Akademie Engelsburg“, die ebenfalls zum festen Kern der Spaziergänge gehören.
Der sog. „Respekt für alle Meinungen“ scheint bei den Spaziergänger*innen sehr weit in die rechte Richtung zu reichen, denn „Wir sind das Volk!“ Rufe oder mehrfach gesehene Hitlergrüße der Teilnehmenden, stellte für den Rest der Anwesenden kein Problem da.
Doch all das wollen die Mitlaufenden auf den Demos nicht wahrhaben. Diejenigen unter ihnen, die zumindest in Ansätzen ein Problem mit rechten Tendenzen haben oder es jedenfalls behaupten, bemühen sich, es so darzustellen, als würden die Proteste vereinzelt von einigen wenigen Rechten unterwandert.
Diese Betrachtung blendet vollkommen aus, wie zentral einige der rechten bis rechtsoffenen Akteur*innen in der Schwurbelszene sind. In Sachsen ist beispielsweise die rechtsradikale Kleinstpartei „Freie Sachsen“ zu einer zentralen Organisation der Proteste geworden und auch in Flensburg wird im gleichnamigen Chat „Freie Flensburger“ zu den Protesten aufgerufen und antifaschistische Proteste als „faschistische Jugend“ bezeichnet - ein klassischer Nazijargon.
Ohnehin bieten die verschiedenen Schwurbel Kanäle auf Telegramm täglich neue Infos und Diskussionen aus der rechts(offenen) Bubble. Im Mürwiker Stadtteilchat wurde ein Video geteilt, in dem der Holocaust geleugnet wurde und in einem Chat aus Harrislee wurde diskutiert, ob die Reichsfahne mitgenommen werden sollte auf die samstäglichen Proteste. Im lokalen Chat der Coronarebellen werden Q-Anon-Inhalte geteilt und behauptet, der antisemitische und rechte, tödliche Anschlag in Halle 2019, sei „von den Herrschenden inszeniert“ worden.
Und der Spitzenkandidat der Partei „die Basis“ für die Landtagswahl für Schleswig-Holstein David Claudio Siber postet regelmäßig Links zu rechten und rechtsoffenen Portalen und der Flensburger Spitzenkandidat Reinhold Majeske, ebenfalls von „die Basis“, teilt zahlreiche Beiträge der AfD und rechtspopulistische Bilder. Nicht zuletzt ruft der Direktkandidat der AfD für FL / SL Jan Petersen-Brendel dazu auf, den samstäglichen „Spaziergängen“ beizuwohnen: „Gestern erneut mit vielen Parteifreunden und aufrechten Bürgern in Flensburg auf der Straße gewesen…… für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung. Kommt einfach mit und zeigt so wie ich euer Gesicht“ (Zitat von seiner FB Seite).
Daher hieß es auch heute: Wer mit Rechten spaziert, wird blockiert!
Und so wurde die Demonstration und der „Spaziergang“, unter anderem in der Fußgängerzone und am ZOB von antifaschistischen Gegenprotesten blockiert und gestört, die (unsanft, aber nicht so brutal wie letzte Woche) schleunigst von der mal wieder aus Eutin herbeigerufenen Hundertschaft geräumt wurden.
Subtilus (Flensburg)