(Gegenwind 401, Februar 2022)
Wie in jedem Jahr hat die Stadt Heide zum Volkstrauertag 2021 zu einer Gedenkstunde am „Ehrenmal an der Österweide“ eingeladen. Sie nennen es „Ehrenmal“, doch wer wird hier geehrt und wofür?
Die Gedenkstätte selbst bleibt jede Auskunft schuldig: keine Tafel, keine Inschrift, keine Informationen. Nur Jahreszahlen, links 1939 - 1945, rechts auf leicht bemoosten, alten Waschbetonstreifen jeweils eine Jahreszahl 1939, 1940 usw. bis 1945. Auch die Programmplanung zum Volkstrauertag 2021 hat den muffigen Geruch des alten Heldengedenkens: „bis ca. 11.50 Uhr Aufstellung der Ehrenposten, Fahnenabordnungen, Musik, Vereine und Verbände...“, danach kommen Reden und Choräle. Hauptpunkt ist die Kranzniederlegung (in der Reihenfolge Stadt Heide, Bundeswehr, Kreis Dithmarschen und Vereine/Verbände), dazu als Begleitmusik „Ich hatt' einen Kameraden“. Und gleich danach die Nationalhymne, die schon Großdeutschlands Militär bei den aggressiven Rohstoff- und Vernichtungskriegen durch ganz Europa begleitet hat.
So ganz wohl scheint den Verantwortlichen der Luftwaffengarnisons-Stadt Heide dabei nicht zu sein. Bürgervorsteher Stumm, Pastorin Sievers, Bürgermeister Schmidt-Gutzat fordern dazu auf, gemeinsam ein Zeichen gegen Kriege und Terrorismus, gegen jegliche Form der Bedrohung, Gewalt, Diskriminierung usw. zu setzen. Und das geschieht gemeinsam mit der Luftwaffe, die auch 2021 aktiv Krieg führte, in Mali, in Afghanistan, in Syrien, im Irak usw.
Ein wirkliches Zeichen gegen Kriege und Bedrohung hat die Stadt Heide im Jahre 2021 dagegen verpasst, die Stadtvertretung hat im Mai die Unterstützung des ICAN - Städteappells zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag abgelehnt.
Die Fläche des bisherigen „Ehrenmals“ ist für einen Hotelneubau vorgesehen, räumlich etwas verschoben soll eine neue Anlage gebaut werden, die Kosten trägt der Hotelinvestor. Die Gymnasiallehrkräfte Kock und Dr. Gaul haben mit Oberstufenschülern des Werner-Heisenberg-Gymnasiums ein Konzept erarbeitet, das in der „Dithmarscher Landeszeitung“ (DLZ) vom 22. Dezember 2020 vorgestellt wurde:
„Da es sich um ein Mahnmal gegen Krieg und Gewaltherrschaft handelt, muss laut Dr. Volker Gaul der Opferbegriff ausgeweitet werden. Nicht nur der gefallenen Soldaten solle gedacht werden. Die Erinnerung soll mehr umfassen, als die Weltkriegsjahre 1914 - 1918 und 1939 - 1945, so der Historiker. Besonders wichtig sei es, auf 1933 hinzuweisen. Die damals errichtete NS-Diktatur markiert den Beginn staatlicher Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung.“
Auch über die in diesem Sinne vorgeschlagene Gestaltung macht der Artikel der DLZ Angaben:
„... wäre die Gesamtanlage ein sich zu einer Mitte hin vertiefendes Rund mit in die Tiefe führenden Stufen. Sie sollen die Zeit symbolisieren, ‚in der es bergab ging’, sagt Dr. Volker Gaul. (...) Bei Variante A bildet eine dreieckige, gut drei Meter hohe Stele das Zentrum. Die drei Seiten haben folgende Inschriften: 1914-1918; 1933-1945 sowie das Zitat „Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“ des Philosophen George Santayana.“
„... wäre die Gesamtanlage ein sich zu einer Mitte hin vertiefendes Rund mit in die Tiefe führenden Stufen. Sie sollen die Zeit symbolisieren, ‚in der es bergab ging’, sagt Dr. Volker Gaul. (...) Bei Variante A bildet eine dreieckige, gut drei Meter hohe Stele das Zentrum. Die drei Seiten haben folgende Inschriften: 1914-1918; 1933-1945 sowie das Zitat „Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“s des Philosophen George Santayana.“
Das ist eine schöne und auf den ersten Blick einleuchtende Formulierung. Auf den zweiten Blick: sie ist unscharf, sie passt fast immer und fast auf alles. Es reicht absolut nicht aus, die Vergangenheit zu kennen. Auch wer die Vergangenheit kennt, aber dazu keine Position bezieht, ist zur Wiederholung verdammt. Deshalb sollte ein Mahnmal gegen Krieg und Gewaltherrschaft konkret und auch provozierend Stellung beziehen, es formuliert, was gelernt werden soll. Die schlichte Erweiterung der Jahreszahlen auf 1933 - 1945 reicht nicht aus, sie macht so ein Mahnmal auch für Reaktionäre und Militaristen akzeptabel, denn dann können diese auch die von ihnen verehrten Toten der Legion Condor im faschistischen Spanienkrieg, die Toten es Röhm-Putsches usw. darin wiederfinden.
Klar, dass die Initiatoren des Mahnmal - Entwurfs das nicht wollen, aber hier liegt für mich das Problem. So wie heute die Bundesregierung aus Afghanistan lernen will, wie sie zukünftig militärische Niederlagen vermeiden kann, und überhaupt nicht zur Debatte steht, dass die Auslandseinsätze komplett aufhören müssen, dass militärische Mittel zur politischen Konfliktlösung untauglich sind, dass in der Konsequenz die Bundeswehr abgeschafft werden muss, um einer Friedenspolitik überhaupt eine reale Grundlage zu geben.
... und auch keine Ausweitung der Opfergruppen! Das Wort opfern stammt aus der lateinischen Kirchensprache, es bedeutet ursprünglich etwas Gott als Opfergabe darbringen, operari: einer religiösen Handlung obliegen, der Gottheit durch Opfer dienen usw. Das ist doch unsere Kritik, dass durch die Kriegsmahnmale das Morden im Kapital- und Staatsinteresse zu einer quasireligiösen Handlung umgedeutet wird. Durch den Opferbegriff liegen die Toten auf dem Altar des Staates, ihr Opfer wird gewürdigt, die Politik des Staates, die in den Krieg führte bleibt außen vor, Kriege erscheinen quasi als Naturkatastrophen. Opfer wären die Toten, doch was ist mit den überlebenden Kriegsgegnern ? In der Adenauer-Republik wurden sie diskriminiert, in den Knast gebracht, um ihre Kriegsrenten betrogen.
Für den heutigen Widerstand gegen den kommenden Krieg ist von den Millionen Männern, die damals begeistert (oder auch widerstrebend) die Uniform anzogen, nichts zu lernen. Was ist zu lernen von den Frauen, die sich zu Hilfsdiensten rekrutieren ließen, was ist zu lernen von den Millionen, die begeistert den militärischen Sieg über Frankreich oder die Besetzung von Polen feierten, was ist zu lernen von den Millionen, die in der Rüstungsindustrie schufteten um Munition und Waffen zu produzieren? Was ist zu lernen von der NS-Lehrerschaft, die die Jugendlichen mit nationalistischem und faschistischem Gedankengut infizierten, was ist zu lernen von Richtern, Henkern, Denunzianten, NS-Funktionären, Blockwarten, was ist zu lernen von Rassenbiologen usw.? Auch wenn sie im Krieg ums Leben kamen, sie bleiben Täter, die ihre Arbeitskraft und ihr Leben für den verbrecherischen NS-Staat eingesetzt haben. Da finde ich es völlig unpassend, sie durch den unscharfen Opferbegriff tendenziell im Nachhinein auch noch zu Opfern des Systems zu erklären. Damit wird die Tatsache verwischt, dass der Faschismus in Dithmarschen, wie auch in ganz Deutschland, eine Massenbasis hatte. Wenn dann der Druck und die Zwänge im faschistischen Deutschland angeführt werden, ist das für die, die sich beugten, nur eine nachträgliche Rechtfertigung, aber kein Vorbild von dem gelernt werden kann.
Lernen können wir von den Deserteuren und den Widerstandskämpfern, den Kriegsdienstverweigerern und den Selbstverstümmlern, den Saboteuren und den illegalen Helfern der Deportierten, den Verrätern und Überläufern, den Pazifisten und Zeugen Jehovas, den illegalen Nachrichtenverbreitern und den Kämpfern im Exil, den Wehrkraftzersetzern und Feindbegünstigern, den Aufrechten der Arbeiterbewegung und den wenigen Anständigen in den Kirchen, ja von diesen kann man etwas lernen - wenn man die Vergangenheit kennt und mit einer kritischen politischen Grundhaltung an der jetzigen Situation etwas ändern will.
Die Gedenkstätte liegt ebenerdig auf dem Kreuzungspunkt neu anzulegender Diagonalwege über die Grünfläche der Österweide. So wird sie anders als die bisherige auch im Alltag von Fußgängern und Radfahrern passiert. Groß und auch von Weitem gut lesbar die Aussagen:
„Die Waffen nieder“
„Aufrüstung tötet auch ohne Krieg“
„Es gibt keinen gerechten Krieg“
Die zentrale Skulptur zeigt liegende, teilweise zerborstene Weltkriegsstahlhelme, darunter aus Brechts Kriegsfibel die Zeilen:
„Seht diese Hüte von Besiegten! Und
Nicht als man sie vom Kopf uns schlug zuletzt
War unserer bitteren Niederlage Stund.
Sie war, als wir sie gehorsam aufgesetzt.“
Georg Friedrich Gerchen