(Gegenwind 400, Januar 2022)
Jasmin Tabatabai kennen vermutlich alle, spätestens seit dem Film „Bandits“. Dass sie aus dem Iran kommt, dürfte auch bekannt sein. Aber hier erzählt sie ihre unbekannte Familiengeschichte, und das sehr ausführlich.
Es beginnt 1956, ohne sie natürlich. Ihre Mutter geht mit einer Freundin zum Oktoberfest. Dort treffen sie zwei junge Männer, etwas älter als sie, aber die beiden Freundinnen träumen davon, irgendwann nach Italien zu fahren - und die beiden jungen Männer sehen so südländische aus. Erst später, man hat sich da schon kennen gelernt, erfahren sie, dass Parvis und Taba (eigentlich Mojtaba) aus dem Iran kommen. Die Freundin Edel sieht Parviz nicht wieder, sie macht später Karriere als Fotomodell. Doch Rose und Taba sehen sich öfter. Taba studiert Maschinenbau.
Zwei Jahre später muss der Freund Deutschland verlassen. Grund ist die Familie im Iran, er soll einen Teil des Besitzes verwalten, weil jetzt ein Bruder mit dem Auslandsstudium dran ist. Er drängt Rose, ihm zu folgen. Ein paar Monate dauert die Fernbeziehung, dann traut sich Rose, gegen den Rat von Bekannten und gegen den Willen ihrer Mutter in den Iran zu fliegen. Dort ist sie überrascht von der riesigen Gruppe, die sie am Flughafen empfängt - Taba, seine Eltern und Geschwister, Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten... Entgegen ihren Plänen bleibt Rose nicht nur ein paar Tage, sie bleibt länger, und die beiden heiraten. Sie ziehen aufs Dorf im Norden, denn der Besitz besteht aus einem Dorf in der turkmenischen Steppe. Vier Kinder kommen: Asi, Susi, Amir und zuletzt Jasmin.
Das Leben ist nicht leicht, aber die Familie ist gut gestellt. Rose kann den Umzug in eine Stadt durchsetzen, später kauft Taba ein Haus in Teheran. Dort können die Kinder auch die deutsche Schule besuchen. Und ab und zu besuchen sie die Oma in Deutschland, die auch mehrmals im Iran ist.
Die Schwierigkeiten beginnen Mitte der 1970er Jahre, als die Demonstrationen gegen den Schah zunehmen. Plötzlich gibt es eine religiöse Opposition, zu der auch der Nachbar gehört. Die Mädchen werden angesprochen, dass ihre Röcke zu kurz und die Haare zu lang sind. Als die Demonstrationen zu heftig werden, schickt der Vater die Mutter mit den Kindern - die älteste Tochter studiert sowieso schon in Deutschland - zur Oma, wo sie dann später eine eigene Wohnung finden. Er selbst bleibt, kommt 1981/82 nach Deutschland, kehrt dann wieder in den Iran zurück. Er wird nach der islamischen Revolution enteignet, kämpft um seinen Besitz, verliert, erleidet einen Herzinfakt... Jasmin besucht mit 17 Jahren, 1984, noch einmal den Iran und sieht kurz nicht nur die islamische Revolution, sondern auch den Krieg, denn Teheran wird mit Raketen beschossen. Es bleibt ein kurzer Besuch, der Vater stirbt 1986. Jasmin fährt zur Beerdigung, bleibt zwei Monate und lässt das Land dann endgültig hinter sich.
Das Buch beschreibt eine schöne und weitgehend unbeschwerte Kindheit im Iran. Das jüngste Kind ist das Nesthäkchen, verbündet meistens mit Bruder Amir, während die großen Schwestern die Vorbilder sind. Mit einer deutschen Mutter und dem Besuch der deutschen Schule steht man gut da, und der Vater hat Geld, die Familie hat Einfluss, wenn sie auch nicht ganz oben mitspielt. Und man erfährt viel über den Iran, die Bedeutung der Familie, das Leben auf dem Lande, das Leben in der Stadt und auch das Verhältnis zum Staat - hier allerdings zum Staat des Shah. Im neuen Iran war sie, wie gesagt, nur zu Besuch und hat im Moment auch nicht vor, dorthin zu fahren.
Eine spannende und sehr kurzweilige Biografie über das Leben in einer binationalen Familie, das Leben im Iran und in Deutschland und die Unterschiede, was zum Beispiel „Familie“ oder Feste angeht.
Reinhard Pohl