(Gegenwind 400, Januar 2022)

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Neue Koalition, neue Bundesregierung

Viele Pläne, gegensätzliche Partner

Die wichtigsten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag

Die Bundestagswahlen endeten ähnlich wie die letzten Umfrageergebnisse vorausgesagt hatten. SPD, Grüne und FDP gewannen gegenüber den letzten Wahlen dazu und nahmen Koalitionsgespräche auf. CDU/CSU, AfD und Linke verloren dagegen Stimmen. Bei der CDU kündigte auch der Vorsitzende, zugleich Kanzlerkandidat, seinen Rückzug an. So gab es zwar Sondierungsgespräche der FDP und auch der Grünen mit CDU/CSU, aber Unsicherheit, wie sich die CDU/CSU in Zukunft positionieren will. Eigentlich blieb nur die Möglichkeit, eine „Ampel-Koalition“ zu bilden, und so geschah es dann auch.

Der Koalitionsvertrag wurde in 22 thematischen Arbeitsgruppen verhandelt, die die Ergebnisse am Schluss in neun Kapiteln auf 177 Seiten niederlegten. Strittige Punkte wurden auf der Führungsebene zu Kompromissen ausformuliert, die teils dann relativ unkonkret im Vertrag stehen. Das war aber bisher bei jeder Koalition so, dass bei einigen Themen erst später konkrete Vorhaben formuliert werden, bei einigen sicherlich auch nichts umgesetzt wird, wenn man sich über die Einzelheiten später nicht einigen kann.

Im neuen Bundestag hat die „Ampel-Koalition“ in Zukunft 416 von 736 Sitzen, etwas mehr als 56 Prozent also. Die SPD hat 206, die Grünen 118 und die FDP 92 Abgeordnete, bisher waren es 153, 67 und 80. Die Oppositionsparteien kommen zusammen auf 320 Sitze, davon gehören 197 der CDU/CSU (bisher 246) 82 der AfD (bisher 92) und 39 der Linken (bisher 69). Dazu kommen zwei fraktionslose Abgeordnete von AfD und SSW.

I. Präambel

In der Präambel werden die Klimakrise, der globale Wettbewerb, der Systemwettstreit und die Digitalisierung als die Schwerpunkte der Koalition genannt.

Man bekennt sich zur Digitalisierung der Verwaltung. Man will die innere Einheit Deutschlands vollende. Man will die Klimaschutzziele, die in Paris vereinbart wurden, erreichen. Man will wirtschaft und technisch weiter in der Spitzenliga spielen. Man bekennt sich zur Schuldenbremse. Der Fachkräftemangel soll durch mehr Weiterbildung und mehr Einwanderung gelöst werden.

Es soll mehr soziale Aufstiegschancen geben, die Kitas sollen gestärkt werden, und es soll eine Kindergrundsicherung geben. Der Mindestlohn soll auf 12 Euro angehoben werden, die Renten sollen stabil und teils kapitalgedeckt sein. Die Grundsicherung soll durch ein Bürgergeld abgelöst werden. Die Sicherheitsbehörden sollen gestärkt werden, den Rechtsstaat und die Bürgerrechte verteidigen.

Die Gleichstellung soll sich auf Männer und Frauen, aber auch auf die Einwanderungsgesellschaft beziehen. Kultur, Ehrenamt und demokratisches Engagement sollen gefördert werden. Man will eine starke Europäische Union.

II. Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen

Der Staat soll modernisiert und digitalisiert werden, damit er auf Krisen besser antworten kann. Hier sollen Genehmigungsverfahren für Infrastruktur-Vorhaben schneller gemacht werden. Dabei soll es nicht darum gehen, die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern einzuschränken, sondern diese früher zu beteiligen. Die Formulierungen deuten an, dass die Parteien sich hier nicht ganz einig sind, es wird wenig konkret.

Die Verwaltung soll moderner und auch aktiver werden, dabei soll Eigeninitiative und Mut von Beschäftigten belohnt werden. Der Öffentliche Dienst soll attraktiver und vielfältiger werden.

Die Demokratie soll gestärkt werden, indem das Parlament gestärkt wird. Dazu soll ein Gesetzgebungsportal geschaffen werden, wo alle Vorhaben frühzeitig angezeigt werden und kommentiert werden können. Zusätzlich soll es Bürgerräte geben, die allerdings Parlamente nur beraten sollen.

Der Staat soll transparenter werden. Dazu soll das Lobbyregister schärfer werden, Abgeordnetenbestechung härter bestraft werden, Sponsoring von Parteien offen gelegt werden, die verdeckte Wahlkampffinanzierung durch Parallelaktionen bekämpft werden.

Das Wahlrecht soll verändert werden: Der Bundestag soll wieder auf normale Größe schrumpfen. Man will erreichen, dass die Hälfte der Abgeordneten Frauen sind. Und man will das Wahlalter auf 16 Jahre senken.

Bei der Planung sollen Bahnstrecken, Stromleitungen und Brücken in Zukunft Vorrang bekommen, so dass andere Argumente aus Einsprüchen weniger wert sind. Der Ausbau der erneuerbaren Energie soll als „Ausnahme“ im Bundesnaturschutzgesetz stehen, das bedeutet, dass Schädigungen von einzelnen Elementen in der Natur in Zukunft hingenommen werden.

Die ganze Verwaltung soll digital werden, dazu sollen auch Begriffe einheitlich definiert werden, damit es bundesweit klappt. Bundesweit sollen alle an das Glasfasernetz angeschlossen werden. Dabei sollen alle das Recht haben, ihre Nachrichten zu verschlüsseln und anonym zu bleiben. Neue Rechenzentren müssen ab 2027 klimaneutral sein.

Die Forschung soll gestärkt werden, Beispiele wir die Entwicklung eines Impfstoffes gegen SarsCoV2 sollen Schule machen.

In der Wissenschaft sollen Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden, um von den Zeitverträgen wegzukommen. Außerdem möchte die Koalition mehr Professorinnen an der Uni haben.

III. Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft

Die Koalition will wirtschaftliche Entwicklung und ökologische Verantwortung zusammen bringen. Sie will die Wirtschaft dekarbonisieren, das 1,5-Grad-Ziel einhalten und gleichzeitig im globalen Wettbewerb bestehen.

Die Dekarbonisierung der Wirtschaft soll zum Beispiel durch das Abschließen von Klimaverträgen gelingen, zur CO2-Abgabe soll eine entsprechende Grenzabgabe kommen. Dazu soll eine Wasserstoffwirtschaft aufgebaut werden. Durch eine Quotenvorgabe soll die öffentliche Beschaffung klimafreundliche Produkte bevorzugen. Batteriezellen sollen in Deutschland erforscht, produziert und recycelt werden. Außerdem soll Deutschland zu einem Standort der Halbleiterindustrie werden.

Die Autoproduktion soll auf Elektroautos umgestellt werden, von denen bis 2030 15 Millionen zugelassen werden sollen. Parallel soll ein bundesweites Ladensäulennetz aufgebaut werden.

Die Raumfahrt soll gefördert werden, allerdings soll in Zukunft Weltraumschrott vermieden werden. In der Luftfahrt soll das klimaneutrale Fliegen ermöglicht werden. Die Schifffahrt soll auf klimafreundlichen Antrieb umgestellt werden.

Im Handwerk sollen die Kosten der Ausbildung und von Meisterkursen gesenkt werden. Außerdem will man mehr Migrant:innen und mehr Frauen im Handwerk. Die Innenstädte sollen gegen den Onlinehandel gestärkt werden. In der Gesundheitswirtschaft soll es Fortbildungen geben, damit das Personal die Digitalisierung bewältigt.

Im Tourismus sollen Fachkräfte auch durch Einwanderung gewonnen werden, die bürokratischen Hürden sollen abgebaut werden.

Firmengründungen sollen erleichtert werden, dazu sollen Anlaufstellen für alle Genehmigungen eingerichtet werden, so dass vor Ort nur noch eine Behörde für alles zuständig ist.

Zur Behebung des Fachkräftemangels sollen mehr Frauen für die Beteiligung am Erwerbsleben gewonnen werden. Außerdem sollen auch ältere Erwerbstätige weiter arbeiten können, wenn sie dies wollen. Drittens soll die Weiterbildung ausgebaut werden. Und viertens soll die Einwanderung erleichtert werden. Die Arbeitsbedingungen sollen überall dort verbessert werden, wo ein Mangel absehbar ist.

Die Wirtschaft soll bei der Rohstoffversorgung unterstützt werden. Gleichzeitig soll ein EU-Lieferkettengesetz unterstützt werden, das bedeutet unter anderen im Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Unfairer Wettbewerb durch autoritäre Regime soll bekämpft werden.

Der Umwelt- und Naturschutz soll an den 17 Globalen Nachhaltigkeitszielen (SDG) ausgerichtet werden. Zum Schutz der Insekten soll der Pestizideinsatz deutlich verringert werden. Wölfe sollen geschützt bleiben, mit der Weidetierhaltung soll es einen Dialog geben. Die Wälder sollen artenreicher und widerstandsfähig gegen Klimaänderungen werden. Dazu sollen aber vor allem heimische Bäume genutzt werden. Die versenkten Munitionsaltlasten sollen aus Nord- und Ostsee möglichst schnell geborgen werden. Es soll keine neuen Erlaubnisse für Öl- und Gasbohrungen geben.

Gegen Überschwemmungen wie 2021 im Ahrtal soll es eine nationale Anpassungsstrategie an die Klimaänderungen geben. Dazu soll es auch Projekte zur Entsiegelung der Böden geben, damit Wasser besser versickern kann.

Wasser soll öffentliches Gut bleiben. Bei der Entnahme soll Trinkwasser Vorrang bekommen.

Die Kreislaufwirtschaft soll gefördert werden Produkte sollen langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und reparierbar sein. Die Vernichtung von Rücksendungen soll reduziert werden.

In der Landwirtschaft soll eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung eingeführt werden. Für den Klimaschutz soll es einen „Umbau der Nutztierhaltung“ geben. Die Anbindehaltung soll in spätestens zehn Jahren, also 2031, beendet werden. Die Bundesregierung wird einen Tierschutzbeauftragten ernennen.

Der ökologische Landbau soll bis 2030 auf 30 Prozent der Produktion steigen. Glyphosat soll bis Ende 2023 verschwinden.

Beim Verkehr soll Ziele für den Klimaschutz für 2030 und für 2045 definiert werden. Dazu soll in Zukunft erheblich mehr in die Schiene statt in die Straße investiert werden. Im Bundesverkehrswegeplan soll es in Zukunft darum gehen, dis Straßennetz (Bundesstraßen) zu erhalten und zu sanieren. Die Planung für neue Straßen soll überprüft werden. Dadurch soll der Schienenverkehr bis 2030 um 25 Prozent steigen, der Personenverkehr soll sich verdoppeln. Bis 2030 soll 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert werden.

Beim Laden von E-Autos soll es transparente Strompreise und einen öffentlich einsehbaren Belegungsstatus geben. Eine solche Ladeinfrastruktur soll es auch für LKW geben.

Die Energieerzeugung soll am 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet werden. Die Klimaneutralität soll 2045 erreicht sein. Der Atomausstieg wird nicht in Frage gestellt. Durch ein Klimaschutzgesetz soll 2022 klargestellt werden, dass alle Sektoren ihren Beitrag leisten müssen: Verkehrs, Bauen und Wohnen, Stromerzeugung, Industrie und Landwirtschaft. Bis 2030 sollen 680 bis 750 TWh Strom pro Jahr erzeugt werden (jetzt sind es ungefähr 600 TWh), davon sollen 80 Prozent aus erneuerbarer Energie kommen (jetzt sind es 40 Prozent). Bei der Planung soll erneuerbare Energie im „öffentlichen Interesse“ liegen, das erschwert den Widerstand von Anhängern der Kohle, des Öls oder des Erdgases.

Alle geeigneten Dachflächen sollen für Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten wird das zur Pflicht, bei privaten Neubauten zur Regel. Bis 2030 soll die Photovoltaik auf 200 GW ausgebaut werden, also ein Viertel des Stroms erzeugen. Für die Windenergie sollen 2 Prozent der Fläche Deutschlands genutzt werden. Bei der Wärme sollen bis 2030 50 Prozent klimaneutral erzeugt werden.

Der Kohleausstieg soll nicht mit 2038, sondern „idealerweise“ schon bis 2030 gelingen. Dazu sollen moderne Gaskraftwerke errichtet werden. Die Gaskraftwerke sollen so gebaut werden, dass sie nicht nur mit Erdgas, sondern auch klimaneutral (also zum Beispiel mit Wasserstoff) betrieben werden können.

Der Netzausbau soll beschleunigt werden, dazu wird bis Mitte 2023 eine Planung vorgelegt. Die EEG-Umlage wird nicht mehr über den Strompreis, sondern über Steuern aus dem Bundeshaushalt finanziert (ab 1. Januar 2023). Der CO2-Preis soll laufend steigen, damit mehr Unternehmen auf Klimaneutralität umsteigen. 60 Euro pro Tonne sind dabei die neue Untergrenze. Für die Klimaneutralität soll auch die notwendige Technik in Deutschland entwickelt werden, damit das Land Weltmarktführer wird.

Die Bundesregierung will sich international und in Europa dafür einsetzen, dass die Atomindustrie in Zukunft selbst für ihre Kosten aufkommen muss. Außerdem will man jetzt die Lage der Endlager für radioaktiven Müll festlegen und die Endlager zügig bauen. Atomreaktoren, die in Nachbarländern nahe der deutschen Grenze stehen, sollen abgeschaltet werden, soweit Deutschland darauf Einfluss hat.

IV. Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt

Für eine bessere Ausbildung sollen Jugendberufsagenturen bundesweit ausgebaut werden. Geflüchtete sollen mehr Hilfe erhalten. Bafög soll es für alle geben, auch für Weiterbildungen.

Zusätzlich zum Kurzarbeitergeld soll es ein Transfer-Kurzarbeitergeld geben, die Möglichkeiten von Transfergesellschaften (geregelt im SGB III) sollen erweitert werden. Im SGB II soll die Arbeitsvermittlung keinen Vorrang mehr vor Weiterbildung haben.

Homearbeit soll gesetzlich verankert werden, das soll dann anders aussehen als die bisherige Telearbeit. Auch für Selbständige soll es eine Arbeitslosenversicherung geben. Für Soloselbständige sollen die Coronahilfen fortgeführt werden. Der Mindestlohn soll auf 12 Euro steigen. Die Geringfügige Beschäftigung soll auf 520 Euro monatlich erweitert werden.

Leistungen, die Bürgerinnen und Bürgern zustehen, sollen in Zukunft automatisch ausbezahlt werden. Das Rentenalter soll nicht erhöht werden. Die Grundsicherung (Hartz IV) soll durch ein Bürgergeld abgelöst werden. In den ersten beiden Jahren soll weder Vermögen angerechnet noch die Größe der Wohnung überprüft werden. Bei den Sanktionen sollen die Kosten der Unterkunft ausgenommen werden. Außerdem sollen nicht mehr alle Nebenverdienste angerechnet werden.

Die Probleme der EU-Armutswanderung wurden bisher ignoriert, jetzt will man eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern dazu einrichten.

Deutschland soll in allen öffentlichen Bereichen barrierefrei werden, dazu soll es ein Bundesprogramm geben. Aus dem Behindertenausweis soll ein (digitaler) Teilhabeausweis werden.

Cannabis soll in Zukunft in lizensierten Geschäften kontrolliert verkauft werden, Jugendliche und Schwangere sollen verstärkt vor Alkohol und Nikotin gewarnt werden.

Es sollen pro Jahr 400.000 neuen Wohnungen gebaut werden, davon 25 Prozent öffentlich gefördert (= Sozialwohnungen). Durch ein Förderprogramm sollen die Emissionen an Treibhausgasen reduziert werden. Heizungen sollen bis 2025 zu 65 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Die Mietpreisbremse wird bis 2029 verlängert. Makler sollen in Zukunft ihre Sachkunde nachweisen.

V. Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang

Gute Bildungschancen sollen nicht mehr an die Herkunft oder das Elternhaus geknüpft sein. Die Kinderrechte sollen ins Grundgesetz kommen. Die Regierung will mit einem Bildungsgipfel die Anstrengungen des Bundes und der Länder miteinander abstimmen.

Das Bafög-System soll neu geordnet werden und für mehr Menschen geöffnet werden. Dabei geht es um die Altersgrenzen, den Studienfachwechsel, die Höchstdauer der Förderung, Wohnkosten, Darlehnsanteil und anderes.

Gemeinnützige Bildungsangebote sollen umsatzsteuerfrei bleiben, soweit die EU das erlaubt. Die politische Bildung soll verstärkt werden.

Heimkinder und Pflegekinder sollen in Zukunft das Geld, das sie selbst verdienen, behalten dürfen.

Die Ausbildung für Erziehungsberufe soll in Zukunft nicht nur kostenlos werden, sondern auch vergütet werden.

Es soll eine Kindergrundsicherung eingeführt werden, die bei den Kindern ankommen. Da die Einführung Zeit braucht, soll es jetzt einen „Sofortzuschlag“ zu den Leistungen nach SGB II oder SGB XII geben.

Nach der Geburt eines Kindes soll es in Zukunft zwei Wochen Urlaub extra geben. Das gilt auch bei einer Totgeburt.

Bei der Ehe eines lesbischen Paares sollen in Zukunft beide die Mütter sein. Adoptionen sollen auch für Paare ohne Trauschein möglich werden. Die Elternschaftsanerkennung soll in Zukunft unabhängig vom Geschlecht sein. Kinder sollen nach einer Trennung ein eigenes Umgangsrecht mit Geschwistern und Großeltern erhalten.

VI. Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie

Die Koalitionspartner drücken ihren Respekt vor der Polizei aus. Sie wollen sie mit Personal und Sachen ausstatten, die Zulage soll in das Ruhegehalt bei der Bundespolizei einfließen. In der Ausbildung sollen Grund- und Menschenrechte vermittelt werden, damit soll Vorurteilen, Diskriminierungen und radikalen Einstellungen vorgebeugt werden. Außerdem soll es bei Bewerber:innen Sicherheitsüberprüfungen geben. Es soll eine:n unabhängige:n Polizeibeauftragte:n geben, Polizist:innen sollen gekennzeichnet werden.

Das Bundesamt für den Bevölkerungsschutz soll neu ausgerichtet werden. Bisher wird es nur im Falle eines Krieges zuständig.

Die Aussagekraft der Kriminalitätsstatistik soll verbessert werden. Bisher ist es eine Statistik, in der die Polizei nur Verdachtsfälle zusammenzählt.

Richterstellen sollen transparenten besetzt werden. Gerichtsverhandlungen soll es in Zukunft mehr online geben. Die Musterfeststellungsklagen, eine Art Vorstufe zur Sammelklage, sollen ausgeweitet werden. In Zukunft sollen bei Strafverfahren die Hauptverhandlungen aufgezeichnet werden. Gerichtsentscheidungen sollen grundsätzlich veröffentlicht werden.

Man will Extremismus bekämpfen - und meint damit gleichermaßen Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus und Verschwörungstheorien. Dabei soll auch der Zugang zu Waffen erschwert werden. Upload-Filter werden abgelehnt.

Bei den Religionsgemeinschaften soll überprüft werden, ob neue Rechtsformen nötig sind, zum Beispiel für muslimische Gemeinden.

Abmahnungen sollen weiter eingeschränkt werden.

Die Gleichstellungen von Frauen und Männern soll bis 2030 erreicht werden. Dazu sollen auch Frauenhäuser abgesichert werden und Zufluchtsräume für Männer geschaffen werden. Besonders soll auf Frauen mit Behinderung, geflüchtete Frauen und andere geachtet werden. Lohnunterschiede sollen mit dem Entgelttransparenzgesetz bekämpft werden.

Ärztinnen und Ärzte sollen in Zukunft über den Schwangerschaftsabbruch informieren dürfen, dazu soll der § 219a aus dem Strafrecht gestrichen werden.

Es soll ein Partizipationsgesetz auf Bundesebene geschaffen werden, dazu soll ein Partizipationsrat geschaffen werden. Migrantenselbstorganisationen sollen dabei Partner:innen sein.

Die Einbürgerung soll erleichtert werden und normalerweise schon nach fünf Jahren möglich sein, die Niederlassungserlaubnis nach drei Jahren. Kinder sollen deutsch sein, wenn die ausländischen Eltern schon fünf Jahre rechtmäßig hier leben. Die Mehrfachstaatsangehörigkeit soll bei der Einbürgerung möglich sein, die Bedingungen sollen erleichtert und konkretisiert werden.

Muslimisches Leben und jüdisches Leben sollen besser geschützt und gefordert werden. Hasskriminalität, Antisemitismus sollen stärker bekämpft werden. Außerdem soll Rassismus bekämpft werden, die Arbeit dagegen soll finanziell abgesichert werden. Das soll alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einschließen, dazu soll die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft vorangetrieben werden.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll unabhängig werden, besser ausgestattet werden, die Leitung soll vom Bundestag gewählt werden.

Die Kultur soll besser gefördert werden, insbesondere der Neustart am Ende der Pandemie besser abgesichert werden. Das Zuwendungsrecht soll entbürokratisiert werden.

Im Urheberrecht soll ein Kompromiss gefunden werden. Private und öffentlich-rechtliche Medien sollen weiterhin parallel bestehen. Zeitungen und Zeitschriften soll es weiterhin flächendeckend geben. Die Presse soll ein Auskunftsrecht gegenüber Behörden bekommen.

Gedenkstätten und Erinnerung sollen geschützt werden, die Vermittlung der Geschichte soll in der Einwanderungsgesellschaft vorangetrieben werden. Beim Gedenken soll stärker auf Griechenland, Ukraine und Polen eingegangen werden.

Die deutsche Kolonialgeschichte soll aufgearbeitet werden, Raubgut zurückgegeben werden. Die Kulturpolitik Europa - Afrika soll verstärkt werden. Die Aussöhnung mit Namibia soll fortgesetzt werden.

Die AnwohnerInnen sollen an Photovoltaik und Windenergie beteiligt werden, das soll auch auf Bestandsanlagen ausgedehnt werden - für Neuanlagen soll es verpflichtend sein. Der Bund will sich dauerhaft an der Unterbringung von Flüchtlingen und an der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern beteiligen.

VII. Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt

Die EU soll eine Verfassung bekommen und zu einem föderalen Bundesstaat werden. Das Europäische Parlament soll gestärkt werden. Für die Wahlen sollen transnationale Listen ermöglicht werden.

Die EU soll eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bekommen. Der Auswärtige Dienst soll gestärkt werden. Die nationalen Armeen sollen innerhalb der EU besser zusammenarbeiten und auch Ausbildung, Fähigkeiten, Einsätze und Ausrüstung aufeinander abstimmen. Man will am liebsten solche Fragen mit der ganzen EU klären, notfalls aber auch mit einzelnen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Die sechs Westbalkanstaaten sollen beitreten, als erstes Serbien und Montenegro, dann Albanien und Mazedonien. Mit Großbritannien soll besser zusammengearbeitet werden.

Irreguläre Migration soll reduziert werden, indem reguläre Migration ermöglicht wird.

Die Duldungen sollen leichter in ein Bleiberecht verwandelt werden. Das gilt für gut integrierte Jugendliche (§ 25a Aufenthaltsgesetz), aber auch für die Altfallregelung. Wer am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren eine Duldung hat, soll eine Aufenthaltserlaubnis zur Probe bekommen und die Voraussetzungen dafür bis Ende des Jahres 2022 erbringen. Das ist insbesondere der Nachweis der Identität und die Sicherung des Lebensunterhalts. Ausbildungsduldungen sollen zu einer Aufenthaltserlaubnis werden, und Arbeitsverbote sollen abgeschafft werden.

Integrationskurse sollen für alle, „die kommen“, geöffnet werden. Es soll ein Bundesprogramm für die Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration von Menschen als (Süd)ost-Europa geschaffen werden. Die Meldepflichten für Menschen ohne Papiere sollen überarbeitet werden, damit diese zum Arzt gehen können.

Asylverfahren sollen fair, zügig und rechtssicher sein. Die Widerrufsprüfungen sollen nur noch anlassbezogen, nicht mehr für alle, stattfinden. Das BAMF soll qualitativ besser arbeiten, um die Gerichte zu entlasten. Asylbewerber sollen überall unabhängig beraten werden.

Familienzusammenführung soll einfacher werden. Subsidiär Geschützte sollen Flüchtlingen gleichgestellt werden. Anerkannte Jugendliche sollten Eltern und Geschwister herholen können. Sprachnachweise können auch nach der Ankunft in Deutschland erbracht werden.

Es soll aber auch eine „Rückführungsoffensive“ gestartet werden. Dabei will der Bund die Länder bei Abschiebungen unterstützen. Allerdings sollen Kinder und Jugendliche nicht mehr in Abschiebungshaft kommen. Bei drohender Abschiebung soll die freiwillige Ausreise Vorrang haben, Finanzhilfe und Beratung sollen gestärkt werden.

Innerhalb der EU soll die Aufnahme von Flüchtlingen fair verteilt werden. Die Sekundärmigration soll verhindert werden. Die Seenotrettung soll nicht mehr behindert werden, gerettete Flüchtlinge sollen aufgenommen werden. Frontex soll weiterentwickelt werden und die Außengrenzen wirksam schützen, aber Flüchtlinge nicht abweisen.

Es soll Aufnahmeprogramme für Syrien und Afghanistan, aber auch Aufnahmeprogramme (Resettlement) in Zusammenarbeit mit UNHCR geben. Außerdem sollen Humanitäre Visa eingeführt werden, insbesondere für gefährdete Personen.

Die Außenpolitik soll sich an den Menschenrechten ausrichten. Man will sich für die internationale Abrüstung und Rüstungskontrolle einsetzen. Die UNO soll gestärkt werden. Deutschland soll frei von Atomwaffen sein. Bewaffnete Drohnen sollen in die Rüstungskontrolle einbezogen werden, abgelehnt werden autonome Systeme. Staaten, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, sollen keine Rüstungsgüter mehr erhalten.

Wenn Deutsche im Ausland aus politischen Gründen verhaftet werden, soll ihnen wirksamer als bisher geholfen werden. Zivilgesellschaftliche Akteure im Ausland (Journalistinnen, Aktivisten, Wissenschaftlerinnen, Menschenrechtsverteidiger) sollen unterstützt werden. Bei Gefahr sollen sie aufgenommen werden.

Humanitäre Hilfe für Krisenregionen soll verstärkt werden. Konflikte sollen zivil gelöst werden. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen auf dem Völkerrecht und Beschlüssen der UNO beruhen. Die Ausrüstung der Bundeswehr soll verbessert und die Beschaffung modernisiert werden. Dabei wird die nukleare Teilhabe beim Tornado-Nachfolger nicht in Frage gestellt, auch bewaffnete Drohnen sollen ermöglicht werden. Die Bundeswehr soll attraktiver werden, Minderjährige sollen aber nicht mehr an der Waffe ausgebildet werden. Extremisten sollen entlassen werden. Vor einem Auslandseinsatz der Bundeswehr soll die Strategie für den Rückzug am Ende klar sein. Für die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes soll ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden.

Für die Entwicklungshilfe sollen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens eingesetzt werden. Außerdem sollen Mittel für die internationale Klimafinanzierung bereitgestellt werden. Agrarexporte sollen nicht mehr fremde Märkte zerstören. Hier und weltweit soll mehr in Aufforstungen und Moore investiert werden. Global sollen auch Covid-19-Impfstoffe geliefert werden. Die Impfstoff-Versorgung soll gerechter werden.

Im Ausland sollen Demokratiebewegungen gezielt unterstützt werden. Die territoriale Integrität der Ukraine soll unterstützt werden. In Belarus sollen Neuwahlen unterstützt werden. Mit Russland soll es einen Dialog geben, allerdings sollen Völkerrecht, Menschenrechte und europäische Friedensordnung die Grundlagen sein. Visumfreiheit soll vielleicht für Menschen bis 25 Jahren aus Russland geschaffen werden. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen nicht abgebrochen, aber auch nicht fortgesetzt werden. Gegenüber Israel will man sich für die vereinbarte Zwei-Staaten-Lösung einsetzen. Die palästinensische Seite soll Fortschritte bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten machen sowie auf Gewalt gegen Israel verzichten. Der Siedlungsbau soll gestoppt werden. Der Iran soll die Atomverhandlungen fortsetzen, aber die Menschenrechte einhalten und politische Gefangene freilassen. In Bezug auf Syrien und Jemen soll die humanitäre Hilfe fortgesetzt werden. Kriegsverbrechen sollen dokumentiert und verfolgt werden. Mit der neuen Regierung Afghanistan soll es nur Beziehungen geben, wenn Menschenrechte und Frauenrchte eingehalten werden.

Mit den Staaten Afrikas und der AU will man eng zusammen arbeiten. Auch mit China will man zusammenarbeiten, allerdings soll China die Handelsbeziehungen auch fair gestalten. China soll die Streitigkeiten mit Nachbarn auf See friedlich beilegen.

VIII. Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen

Kreditaufnahmen sind problematisch, weil man schon zur Bewältigung der Pandemie-Folgen hohe Schulden hat. Man will also die Einnahmen nutzen, die durch die wirtschaftliche Erholung entstehen.

Schwerpunkte sind deshalb Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung, Forschung und Infrastruktur. Und verschiedene Einrichtungen wie die Deutsche Bahn oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau dürfen selbst Schulden machen.

Kreditermächtigungen aus dem Haushalt sollen genutzt werden, um einen Klimafonds zu schaffen.

Das Vermögen des Bundes soll erfasst werden. Wenn Geld in klimaschädlichen Anlagen investiert ist, soll es dort abgezogen werden.

Überflüssige, unwirksame und klimaschädliche Subventionen sollen gestrichen werden. Die Kaufhilfe für E-Autos und Hybrid-Autos soll fortgesetzt werden, allerdings ab 1. Januar 2023 nur noch für Autos, die einen positiven Klimaschutzeffekt haben. Ende 2025 soll das dann eingestellt werden, dann müssen alle ihr Auto selbst bezahlen.

Den Kommunen soll beim Abbau ihrer Schulden geholfen werden, allerdings so, dass sie danach keine neuen Schulden machen dürfen.

Gemeinnützige Vereine sollen wieder politisch arbeiten dürfen und auch zur Tagespolitik Stellung nehmen dürfen.

Die Steuerhinterziehung soll konsequenter bekämpft werden. Außerdem soll der Umsatzsteuerbetrug bekämpft werden. Geldwäsche soll auf EU-Ebene bekämpft werden.

IX. Arbeitsweise der Regierung und Fraktionen

Der Koalitionsausschuss soll sich monatlich treffen. Die Fraktionen im Bundestag sollen einheitlich abstimmen. In Zukunft soll wieder stärker im Parlament diskutiert werden. Koalitionspartner werden im Kabinett nicht überstimmt.

Zur Bekämpfung der Pandemie wird ein Krisenstab im Bundeskanzleramt eingerichtet.

Bei den Europawahlen will man gegeneinander antreten, aber fair bleiben.

Anschließend werden die Ressorts auf die drei Parteien verteilt.

Fazit

Wie immer werden viele Vorhaben nur als Richtung beschrieben. Die Einzelheiten müssen noch ausgearbeitet werden. Bei Themen, bei denen Einigkeit herrschte, wird es schnell gehen. Wo einzelne Koalitionäre etwas durchgedrückt haben, dauert es dann erfahrungsgemäß länger, oder es wird nie etwas.

Auf jeden Fall wird sich nach 16 Jahren Angela Merkel einiges ändern, auch wenn SPD und zeitweise auch die FDP an ihrer Regierung beteiligt waren. Dabei sind beim Klimaschutz spürbare Veränderungen geplant, auf allen anderen Gebieten eher nicht. Aber das ist bei dieser Konstellation auch nicht zu erwarten.

Reinhard Pohl

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