(Gegenwind 400, Januar 2022)
Nooshim Shahin ist 32 Jahre alt, als sie 2016 aus dem Iran nach Deutschland kommt. Sie freut sich auf das Land, in dem eine Frau regiert und sie als Frau frei ist. Sie kommt als angehende Studentin, allerdings ohne ein Wort Deutsch. Dieses Buch beschreibt ihre ersten Jahre hier bis zur Einbürgerung. Aufgeschrieben hat es Roland Kampffmeyer, den sie nach sechs Monaten als „Sprachpartner“ kennen lernte und später heiratete.
Den ersten Unterschied bemerkt sie sofort: Der Flughafen in Düsseldorf, wo sie landet, ist klein und übersichtlich. Und Düsseldorf ist auch kleiner als Teheran, woher sie kommt. Der nächste große Unterschied fällt ihr auf, als deutsche Bekannte aus dem letzten Türkei-Urlaub sie abholen und mit dem Auto zu sich nach Hause fahren: Die anderen hupen nicht. Für eine Autofahrerin aus Teheran ist das gewöhnungsbedürftig.
So teilt sie uns weiter ihre Beobachtungen mit. So ist sie sehr überrascht, dass sie am Sonntag nicht einkaufen kann. Sie kommt aus einem Religionsstaat, lebt hier in einem Land, in dem Staat und Religion getrennt sind. Trotzdem schreibt hier eine Religion den Menschen vor, wann sie einkaufen dürfen und wann nicht - verrückt.
Und weiter geht es mit der Sparsamkeit, die sie aus dem Iran nicht kennt. Hier macht man das Licht aus, wenn man das Zimmer verlässt. Man dreht die Heizung runter, wenn man das Haus verlässt. Man trennt seinen Müll. Man bleibt stehen, wenn die Fußgänger-Ampel „rot“ zeigt. Und auf dem Lande, sie startet ihr Leben in einer Dorf-WG, läuft man manchmal lange hin und her, bis man die richtige Stelle findet, an der das Handy Empfang hat. Das Leben in einem reichen Land hatte sie sich etwas anders vorgestellt.
Beim Deutsch-Lernen sind es die unregelmäßigen Verben, die Satzstellung und auch die zusammengesetzten Wörter, die ihr Probleme bereiten. Aber schockierender ist die direkte Ansprache: Mit 32 Jahren brauchst Du zum Lernen länger als eine 20-Jährige, wird ihr schon zu Beginn im Deutschkurs gesagt. Stimmt, aber im Iran würde das niemand direkt so aussprechen, ohne vorher etwas Nettes zu sagen oder erstmal damit zu warten.
Auch an die Freizeit muss sie sich gewöhnen. Zur ersten Party erscheint sie im langen Kleid, war vorher noch beim Friseur - und entdeckt, dass andere Frauen in Jeans und T-Shirt kommen, so wie sie im Büro auch gekleidet sind. Viele unterhalten sich, niemand tanzt, und sie weiß nicht warum.
Das Kennenlernen ihres Sprachpartners versucht sie dann, mit einem Tutorial „Date mit einem Deutschen“ im Internet vorzubereiten, was misslingt, weil er anders ist. So anders, dass sie einen Monat später seine Eltern kennenlernt und sie nach einigen Monaten Sprachtraining heiraten.
Ein Jahr nach der Heirat fliegen sie zusammen in den Iran, damit er auch ihre Familie und ihr Land kennen lernen kann. Die Kapitel dazu muss er natürlich schreiben. Sie findet alles normal: Hupen beim Autofahren, Tanzen bei der Party... Er entdeckt schon dies und das, was ihn überrascht. Besonders beeindruckt ihn die Opferbereitschaft der Menschen: Er fragt in einem kleinen Laden nach dem Nationalmuseum, und der Inhaber schließt den Laden, um ihm das Museum zu zeigen. Ist ihm in Deutschland noch nicht passiert.
In Deutschland bricht sie das Studium ab, was sie als deutsch Verheiratete natürlich einfacher kann als eine ausländische Studentin, und fängt als Verkäuferin an. Später wechselt sie zu einer Bank, dort hat sie auch im Iran gearbeitet. Und schließlich beantragt und bekommt sie die Einbürgerung.
Ein schöner Erlebnisbericht, in dem Nooshin Shahin uns Deutschland zeigt.
Reinhard Pohl